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Endoprotheseninfektionen erkennen und adäquat behandeln
Jatros
Autor:
Dr. Angelika Bischoff
30
Min. Lesezeit
16.11.2017
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<p class="article-intro">Diagnostik und Therapie von Infektionen gehörten auch in diesem Jahr zu den zentralen Themen des Kongresses der European Bone and Joint Infection Society (EBJIS). Gerade vor dem Hintergrund des stetig zunehmenden Alters der Patienten stellen vor allem prothetische Gelenkinfektionen, aber auch diabetische Fußosteomyelitiden eine große Herausforderung dar. </p>
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<p class="article-content"><p>Prothetische Gelenkinfektionen treten mit einer Inzidenz von nur 1–2 % auf, gehen aber vor allem bei älteren Patienten mit hoher Morbidität und auch einer gewissen Mortalität einher, wie Prof. Dr. Olivier Borens, Lausanne, ausführte. An der Universitätsklinik Lausanne wurden retrospektiv alle 444 Fälle von Protheseninfektion (61 % Hüftgelenksersatz und 37 % Kniegelenksersatz) zwischen 2006 und 2016 analysiert. Die Zweijahresmortalität in diesem Kollektiv betrug 5 % , unabhängig vom behandelten Gelenk. Männer starben häufiger als Frauen an Protheseninfektionen (6 % versus 4 % ). Von den Patienten über 80 Jahre starben immerhin 12 % an einer solchen Infektion.<sup>1</sup></p> <h2>Bei schmerzhafter Prothese immer an Infektion denken</h2> <p>Es ist klinisch nicht immer leicht zu entscheiden, ob sich im Bereich einer Arthroplastie eine Infektion abspielt. Manche Patienten kommen z.B. nach einem Hüftgelenksersatz nur mit Hüftschmerzen, so Borens. Auch wenn der Entzündungsparameter CRP nicht erhöht ist, kann eine Infektion bestehen. Das Röntgenbild gibt Auskunft darüber, ob sich vielleicht das Implantat gelockert hat. Eine frühe Schaftlockerung in den ersten 24 Monaten nach einer Hüftarthroplastie ist einer Studie zufolge in etwa 70 % der Fälle auf eine Implantatinfektion zurückzuführen. Die Wahrscheinlichkeit für ein aseptisches Versagen liegt unter 20 % .<sup>2</sup><br />Eine Bildgebung wie CT oder Szintigrafie wird in dieser Situation nicht weiterhelfen, betonte Borens. Vielmehr müsse man das Gelenk punktieren, um Gelenkflüssigkeit für die mikroskopische Untersuchung und Kultur zu gewinnen. Hochverdächtig für eine periprothetische Infektion sind eine Leukozytenzahl >2000/µl oder ein Anteil von Granulozyten >70 % im Gelenkpunktat sowie positive Kulturen. Ist dies der Fall, muss sofort eine Revision vorgenommen werden. <br />Bringt die Punktatuntersuchung keine Klarheit, sollte sie nach drei Monaten wiederholt werden. Fällt sie dann wiederum negativ aus, ist eine Infektion extrem unwahrscheinlich und man kann von einer aseptischen Lockerung ausgehen. In jedem Fall müssen sowohl das ausgebaute Implantat als auch periprothetisches Gewebe nochmals auf Keime untersucht werden. Denn ein positives Ergebnis würde eine antibiotische Therapie erfordern. <br />Eine Untersuchung der Charité Berlin von Patienten mit einer Revision wegen vermuteter aseptischer Lockerung fand, dass die Sonikation der Explantate bei der Isolierung von Bakterien erfolgreicher ist als die standardmäßige mikrobiologische Untersuchung von periprothetischem Gewebe. Bei einem Viertel der 265 Patienten, die sich zwischen Oktober 2010 und Juni 2016 einer Revision unterzogen, brachte die Sonikation ein positives Ergebnis, obwohl die Kultur periprothetischen Gewebes negativ war.<sup>3</sup></p> <h2>Substanzen mit Aktivität gegen MRSA</h2> <p>Dr. Eric Bonnet, Toulouse, ging auf die empirische antibiotische Therapie von prothetischen Gelenkinfektionen ein. Verzichtbar sei diese nur, wenn eine Revision sicher wegen eines aseptischen Problems erforderlich wird. In jedem anderen Fall, auch wenn der Infektionsverdacht gering ist, sollte eine empirische Antibiose mit Substanzen, die aktiv gegen Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA) sind, erfolgen. <br />Frühe Protheseninfektionen werden überwiegend durch S. epidermidis und S. aureus ausgelöst. Bei chronischen Infektionen kommen Koagulase-negative Staphylokokken und P. acnes hinzu. Für eine empirische antibiotische Therapie gelten Glykopeptide als Mittel der ersten Wahl, da sie gegen die meisten Staphylokokken einschließlich MRSA und auch gegen P. acnes aktiv sind. Die Wirksamkeit von Vancomycin gegen S. epidermidis und andere Koagulase-negative Stämme übertrifft die von Teicoplanin. Daptomycin weist ein ähnliches Aktivitätsspektrum auf wie Glykopeptide, kann aber auch gegen Glykopeptid-resistente Staphylokokken aktiv sein. Sowohl Glykopeptide als auch Daptomycin erzielen in Kombination mit Cefotaxim, Ceftriaxon, Cefepim oder Piperacillin-Tazobactam synergistische Effekte. <br />Als Alternativen gelten Linezolid oder Dalbavancin, die in ihrem Spektrum ebenfalls den Glykopeptiden ähneln. Auch neue Cephalosporine wie Ceftarolin oder Ceftobiprol kommen als Alternativen in Betracht. Beide sind hochaktiv gegen MRSA. Ihr Spektrum schließt auch gramnegative Erreger und P. acnes ein.</p> <h2>Bei älteren Patienten lieber konservativ?</h2> <p>Zu den Risikofaktoren für das Auftreten von prothetischen Gelenkinfektionen zählt das höhere Lebensalter. Nach einer aktuellen Studie ist das Risiko für solche Komplikationen bei Menschen zwischen 65 und 75 Jahren im Vergleich zu 45- bis 65-Jährigen um mehr als das Dreifache erhöht.<sup>4</sup> Welche Implikationen hat das Alter für die Therapie dieser Infektionen? <br />Menschen über 75 Jahre erhalten im klinischen Alltag häufiger eine prolongierte Antibiotikatherapie, wie Dr. Carlo L. Romanò, Mailand, ausführte. Eine Untersuchung zeigte, dass dies in fast 40 % der Fälle an Kontraindikationen entweder gegen eine Operation oder gegen eine Narkose liegt, in mehr als 30 % daran, dass Patienten oder Angehörige eine Operation ablehnen, und in fast 20 % daran, dass die Nutzen-Risiko-Relation als ungünstig bewertet wird. In etwa 10 % der Fälle sind vorausgegangene fehlgeschlagene operative Eingriffe der Grund.<sup>5</sup><br />Doch die Ergebnisse einer konservativen Strategie sind nicht gut. Eine aktuelle Studie aus Oslo mit 519 Patienten im medianen Alter von 81 Jahren mit Hüftgelenksersatz fand bei 37 (6 % ) der Patienten frühe prothetische Gelenkinfektionen, d.h. vor Ablauf von 4 Wochen. Bei 35 Patienten wurde ein Debridement vorgenommen und eine Antibiotikatherapie eingeleitet. Von diesen Patienten wurden nur 15 infektionsfrei mit intakter Arthroplastie. Zwischen der Einjahresmortalität (15 von 37) und dem Therapieversagen bestand eine signifikante Assoziation.<sup>6</sup><br />Die Entfernung des Implantats bleibt bei einer prothetischen Gelenkinfektion die Basis für langfristig gute Ergebnisse, betonte Romanò. Konservative Optionen wie eine prolongierte Antibiotikatherapie und lokale Maßnahmen wie Debridement erweisen sich meist als nur kurzfristig erfolgreich. Dies liegt an der Biofilmnatur der Infektion. Das Alter per se sollte deshalb nicht als Kontraindikation gegen die Chirurgie gelten. Vielmehr muss die Entscheidung für die Therapiestrategie unter Berücksichtigung der klinischen Situation, von Komorbiditäten, technischen und ökonomischen Möglichkeiten und der Erfahrung des Therapieteams getroffen werden.</p> <h2>Diabetische Fußosteomyelitis bedeutet nicht unbedingt Amputation</h2> <p>Auf ein anderes Infektionsproblem ging Prof. Dr. Eric Senneville, Lille, ein: die diabetische Fußosteomyelitis. Eine Knochenbeteiligung bei chronischen diabetischen Fußulzera ist keineswegs eine Seltenheit, sondern betrifft 20–60 % der Patienten. Besonders hoch liegt das Risiko, wenn das Ulkus infiziert ist. Im mikrobiologischen Spektrum der Osteomyelitis dominieren Staphylokokken, allen voran S. aureus. Doch in mehr als der Hälfte der Osteomyelitiden handelt es sich um eine polymikrobielle Infektion.<br />Tritt eine Osteomyelitis auf, bedeutet dies für die Patienten – im Vergleich zu denen mit infizierten Ulzera ohne Knochenbeteiligung – einen signifikant längeren Krankenhausaufenthalt, eine längere Antibiotikatherapie, mehr Operationen, mehr Amputationen und eine verzögerte Wundheilung. Die Therapie zielt darauf ab, die Infektion zu stoppen, das Rezidivrisiko von etwa 30 % zu vermindern und am besten den betroffenen Knochen steril zu bekommen. Ist nekrotisches Knochengewebe vorhanden, gelingt dies kaum mit antibiotischer Therapie, sondern es bedarf einer chirurgischen Sanierung. Doch bei weniger schweren Knochenläsionen kann bei selektierten Patienten eine antibiotische Therapie alleine erfolgreich sein, vorausgesetzt, der Fuß ist nicht ischämisch, es liegen keine großen Weichteilschäden vor und gegen die vorhandenen Erreger wirksame Antibiotika erreichen eine hohe Konzentration im Knochen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s20.jpg" alt="" width="971" height="593" /></p> <h2>Knochenbiopsie erforderlich</h2> <p>Die diabetische Fußosteomyelitis ist in den meisten Fällen kein Notfall. Es bleibt fast immer genügend Zeit, eine Knochenbiopsie zu gewinnen und eine Kultur anzulegen. Nur damit lassen sich die auslösenden Keime sicher identifizieren. Eine oberflächliche Gewebeprobe vom Knochen hält Senneville nicht für ausreichend, da sich das Keimspektrum von den intraossären Erregern unterscheiden kann. In einer Studie hat Senneville beide Optionen verglichen. Eine antibiotische Strategie auf der Basis einer Knochenbiopsie führte bei über 80 % der Behandelten zur Remission der Infektion, eine Therapie auf der Basis eines oberflächlichen Abstrichs nur in der Hälfte der Fälle.<sup>7</sup><br />Antibiotika, die bei chronischer Osteomyelitis eingesetzt werden, müssen nicht nur eine hohe Konzentration im Knochen erreichen, sondern auch in den Biofilm diffundieren können und in diesem speziellen Milieu auch bei hoher Keimkonzentration aktiv bleiben. Dies trifft vor allem auf Rifampicin zu, aber auch auf Daptomycin und Clindamycin. Alle drei wirken vor allem gegen grampositive Kokken einschließlich MRSA. Um auch gramnegative Erreger zu erfassen, kommen zusätzlich Fluorchinolone zum Einsatz. <br />Die Empfehlung der Infectious Diseases Society of America (IDSA) lautet, mindestens für drei Monate antibiotisch zu behandeln, wenn kein chirurgischer Eingriff stattgefunden hat.<sup>8</sup> Neuere französische Untersuchungen<sup>9</sup> kamen zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall auch sechs Wochen Antibiose genügen. Doch in dem Maß, in dem sich multiresistente Erreger weiter verbreiten, werden die Möglichkeiten, chronische Fußosteomyelitiden bei Diabetikern konservativ mit Antibiotika zu behandeln, immer mehr schwinden.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 36<sup>th</sup> Annual Meeting of the European Bone and Joint Infection Society (EBJIS), 7.–9. September, Nantes
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Fischbacher A, Borens O: EBJIS 36<sup>th</sup> Annual Meeting, Nantes 2017, Abstract FP40 <strong>2</strong> Portillo ME et al.: Clin Orthop Relat Res 2013; 471: 3672-8 <strong>3</strong> Kocjancic B et al.: EBJIS 36<sup>th</sup> Annual Meeting, Nantes 2017, Abstract FP11 <strong>4</strong> Romanò CL et al.: J Orthop 2017; 8: 400-11 <strong>5</strong> Prendki V et al.: Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2017; 36: 1577-85 <strong>6</strong> Guren E et al.: Acta Orthop 2017; 88: 383-9 <strong>7</strong> Senneville E et al.: Diabetes Care 2008; 31(4): 637-42 <strong>8</strong> Lipsky B et al.: Clin Infect Dis 2012; 54: 132-73 <strong>9</strong> Tone A et al.: Diabetes Care 2014; 37: 789-95</p>
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