
Ellbogenbeschwerden des adoleszenten Sportlers
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Patrick Vavken
alphaclinic Zürich<br> ADUS Klinik, Dielsdorf<br> Harvard Medical School, Boston, USA<br> E-Mail: vavken@alphaclinic.ch
30
Min. Lesezeit
07.03.2019
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<p class="article-intro">Mit zunehmender Intensität und Spezialisierung im Jugendsport nehmen auch Sportverletzungen in jungen Jahren stark zu. Führend sind hier Überlastungsschäden, die auch regelmässig den Ellbogen betreffen. Im Wachstumsalter gibt es einige spezielle Probleme, die einer altersangepassten und spezifischen Behandlung bedürfen. Pathogenese und Prinzipien der Behandlung der wichtigsten dieser Probleme sind hier zusammengefasst.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Profikarrieren beginnen heute schon in den frühen Teenagerjahren. Das daraus resultierende hochintensive und hochspezialisierte Training hat eine Zunahme an Überlastungsschäden bei Adoleszenten nach sich gezogen.</li> <li>Der adoleszente Sportler ist kein «kleiner Erwachsener»: Der Ellbogen während des Wachstumsalters hat Besonderheiten, was Erkrankungen, Diagnostik und Behandlung betrifft.</li> <li>In der Behandlung des adoleszenten Ellbogens kommt es auch auf die «Dosis» an. Leider wird immer wieder die konservative Therapie zu aggressiv ausgelegt und operative Therapien werden zu zurückhaltend geplant.</li> <li>Mit angepassten chirurgischen/ arthroskopischen Techniken können auch bei den jüngsten Patienten komplexe Probleme mit einem geringen Risikoprofil und sehr guten Erfolgen behandelt werden.</li> <li>Ellbogenprobleme können auch durch Probleme der Schulter oder systemische Erkrankungen bedingt sein. Diese Differenzialdiagnosen sollten nicht ausser Acht gelassen werden.</li> </ul> </div> <p>Sportverletzungen und Überlastungsschäden im Kindes- und Jugendalter gehören zu den am schnellsten wachsenden Problemen der Medizin. Trainingsintensität und Spezialisierung nehmen schon im jungen und jüngsten Alter unverhältnismässig zu. Während hier schnell Archetypen wie «die chinesische Olympia-Gymnastin» zuerst in den Kopf kommen, sollten doch die lokalen Fussball-, Handball-, Tennis- und Hockeyclubs nicht vergessen werden. Hier trainieren hoffnungsvolle Nachwuchssportler schon im Kindesalter nicht nur fünf- bis siebenmal pro Woche, sondern auch ohne Ausgleichssport. Zum anderen sind das voranschreitende Wachstum und die offenen Wachstumsfugen ebenso Probleme. Hier ist speziell die knorpelige Wachstumsfuge einem Verletzungsrisiko ausgesetzt, aber rezente Studien haben gezeigt, dass es bei Überlastung auch regelmässig zu Stressreaktionen und Verletzungen des metaphysären Knochens kommt. Weiters kann es auch zu vaskulärer Insuffizienz kommen, was im schlimmsten Falle zu avaskulären Nekrosen – beim kindlichen Patienten besser bekannt als Osteochondritiden – führt. Ein komplettes Versagen der vaskulären Versorgung kann auch in einem partiellen Absterben des Knochens resultieren, bekannt als «Fishtail»-Deformität, die eine grosse Herausforderung an den behandelnden Arzt darstellt (Abb. 1). Funktionell hinken das Muskelwachstum und die Beweglichkeit hinter dem Längenwachstum hinterher, sodass es konstant zu relativen Muskelverkürzungen und unausgeglichenen Hebelmomenten kommt.<br /> Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass bei Sportproblemen im Wachstumsalter Überlastungsschäden häufiger sind als akute Traumata. In der Epidemiologie dieser Verletzungen ist das Knie führend, aber der Ellbogen kommt nicht lang danach. Dabei ist es wichtig, zu bedenken, dass nicht nur Baseball und Gymnastik den Ellbogen strapazieren, sondern dass auch z. B. im Tennis oder Eishockey Ellbogenprobleme regelmässig auftreten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_lo_ortho_1901_s35_abb1+2_vavken.jpg" alt="" width="550" height="391" /></p> <h2>Der Umgang mit dem verletzten adoleszenten Sportler</h2> <p>Der Umgang mit verletzten Adoleszenten und ihre Untersuchung haben einige Besonderheiten. Alle Eltern wissen um die Herausforderungen in Kooperation und Kommunikation mit Kindern in der Pubertät. Bei Knaben ist ein Zustand, der im Englischen gerne als AMIS («adolescent male immortality syndrome») umschrieben wird, immer wieder auch ein therapeutisches Hindernis. Aber der Patient ist oft nicht das alleinige Problem: Nicht selten sind es die Eltern, die zu wenig Geduld oder Krankheitseinsicht einbringen, um einer Behandlung genug Zeit und Raum zu bieten. Zuletzt können auch innerfamiliäre Konflikte eine Rolle in der Entstehung von Beschwerden spielen.<br /> Was Verletzungen des Ellbogens angeht, gibt es weitere potenzielle Stolpersteine: Die Symptomatik der verschiedenen Probleme ist teils hochgradig überlappend oder sehr ähnlich und nicht selten versteckt sich hinter einem «simplen Tennisarm» eine ernsthafte Knorpelschädigung oder Gelenksinstabilität. Eine differenzierte Untersuchung kann hier helfen, die weiteren Schritte in die richtige Richtung zu lenken.<br /> Einer dieser weiteren Schritte ist die Bildgebung. Diese birgt ebenfalls potenzielle Probleme: Die Interpretation des einfachen Röntgens wird durch die multiplen Knochenkerne erschwert. Zum Glück treten diese in verhältnismässig geordneter Reihenfolge in den ungeraden Jahren 1 bis 11 entsprechend dem Merkwort CRITOE auf: Capitellum – Radiuskopf – innerer (medialer) Epicondylus – Trochlea – Olecranon –externer (lateraler) Epicondylus. Sie verschmelzen zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr mit dem Humerus, wobei Capitellum, Trochlea und lateraler Epicondylus gleichzeitig fusionieren, gefolgt von Radius, Olecranon und zuletzt medialem Epicondylus. Das heisst: Wenn der Knochenkern des Olecranons sichtbar ist, der mediale Epicondylus aber nicht, dann handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine dislozierte Fraktur und der Patient hat ein Knochenalter von ungefähr 9 Jahren. Sieht man eine Aufhellung am medialen Epicondylus, aber die Wachstumsfuge des lateralen Epicondylus ist auch zu sehen, so liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Fraktur vor (Tab. 1).<br /> Ähnliche Probleme stellen sich auch beim MRT. In einer eigenen Studie mit 65 Ellbogen-MRTs von adoleszenten Patienten konnten wir einige davon beschreiben. 10 % der Untersuchungen konnten aufgrund von Artefakten nicht ausgewertet werden. Seitenbänder sind auch in der Normalsituation oft dünn und von unregelmässigem Signal. Pseudodefekte am Capitellum, welche bei bis zu 80 % der Erwachsenen Knorpeldefekte vortäuschen, sind bei Kindern und Jugendlichen jedoch selten (11 % und 40 % ). Plicae >3,5 mm sind signifikant häufig mit Symptomen assoziiert (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_lo_ortho_1901_s35_tab1_vavken.jpg" alt="" width="550" height="221" /></p> <h2>Wichtige Diagnosen</h2> <p>Einige wichtige Diagnosen sollen in Kürze vorgestellt werden. Die Wichtigkeit bezieht sich hier lediglich auf die Häufigkeit, aber seltenere Diagnosen sollten deswegen nicht niedriger eingeordnet oder unterschätzt werden.</p> <p><strong>Medialer Ellbogen</strong><br /> Die bekannteste Sportverletzung des Ellbogens im Wachtumsalter ist der sogenannte «little league elbow», als Sammelbezeichung von Überlastungen der medialen Wachstumsfuge sowie der Apophyse des Epicondylus und des Innenbands respektive der Flexor/Pronator-Gruppe. Wie oben beschrieben, ist dies die Wachstumsfuge, welche zuletzt fusioniert und somit am längsten äusseren Kräften ausgesetzt ist. Trotz ihres Namens tritt diese Erkrankung nicht ausschliesslich beim Baseball auf, sondern kann auch regelmässig bei Schlägersportarten wie Tennis oder Wurfsportarten wie Handball gesehen werden. Die daraus entstehende Apophysitis äussert sich als Schmerz unter Belastung, Druckschmerz am medialen Epicondylus und Schmerz mit Provokation der Flexor/Pronator-Gruppe. Nicht selten tritt auch eine Flexionskontraktur auf. Im Röntgenbild ist die geweitete Wachstumsfuge und der Morbus Panner. Beide betreffen zumeist das Capitellum, aber eine OCD kann auch an anderer Stelle entstehen. Die genaue Pathogenese ist für beide Erkrankungen unklar; mechanische Überlastung und insuffiziente Blutversorgung werden impliziert. Die typischen Beschwerden sind ein belastungsabhängiger Schmerz des lateralen Ellbogens. Wenn es zu einer Separation der OCD gekommen ist, dann sind oft auch mechanische Symptome und Bewegungseinschränkung anzutreffen. Zumeist reicht zur Diagnose ein einfaches Röntgen, idealerweise a. p. in 45°-Flexion. Ein MRT kann den Defekt gut darstellen und zeigt die mögliche Unterspülung mit Gelenksflüssigkeit (Abb. 4).<br /> Die Behandlung der OCD des Ellbogens ist eigentlich relativ gut dokumentiert, leidet aber unter einer für eine Sportverletzung sehr passenden Problematik: Ebenso wie die meisten Sportler ihr Ausdauertraining zu intensiv und ihr Intensivtraining zu locker machen, so wird auch die einfache OCD über- und die komplexe OCD unterbehandelt. Für die einfache OCD reicht ein Belastungsverbot bei erlaubter Bewegung für 4–6 Monate. Schienen, Gipse oder andere Ruhigstellung sind nicht nötig und bergen das Risiko einer iatrogenen Arthrofibrose als zusätzliches Problem. Höhergradige Fälle werden dagegen oft débridiert oder mikrofrakturiert, was aber bei fast einem Drittel der Patienten zu anhaltenden Beschwerden führt und die Rückkehr zum Sport nicht gestattet. Ein osteochondraler Zylinder, eingebracht durch einen modifizierten Boyd-Zugang, hat in mehreren Studien eine Return-to-Sport-Rate von über 90 % und anhaltend hohe Zufriedenheit der Patienten gezeigt (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_lo_ortho_1901_s36_abb3_vavken.jpg" alt="" width="550" height="323" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_lo_ortho_1901_s36_abb4_vavken.jpg" alt="" width="550" height="355" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_lo_ortho_1901_s36_tab2_vavken.jpg" alt="" width="550" height="230" /></p> <p><strong>Posteriorer Ellbogen</strong><br /> Ebenso wie der mediale Ellbogen neigt auch der posteriore Ellbogen zu einer Überlastung der Wachstumsfuge bzw. einer Traktionsapophysitis. Zu einem gewissen Grad kann das bei fast allen Ellbögen von Gymnasten gesehen werden, was auch zur Bezeichnung «gymnast’s elbow» geführt hat. Die Behandlung erfolgt analog zum «little league elbow». Eine wichtige Differenzialdiagnose zur geweiteten Fuge des «gymnast’s elbow» ist die niedrigenergetische, proximal-metaphysäre Fraktur des Olecranon. Diese Verletzung ist pathognomonisch für eine Osteogenesis imperfecta!<br /> In vielen Fällen kann auch ein physiologischer Olecranonsporn gesehen werden, der zwar eine Bursitis begünstigen kann, aber nicht per se therapiebedürftig ist. Als Traktionsossikel ist dieser Sporn meist nicht kontinuierlich mit dem Olecranon angelegt, und er sollte nicht als Fraktur oder Avulsion missverstanden werden.<br /> Sowohl eine traumatische als auch eine chronische Bursitis olecrani können sich beim adoleszenten Sportler manifestieren. Sie sind zumeist sehr gut konservativ zu therapieren. In hartnäckigen Fällen bieten die Aspiration und Instillation von Kortikosteroid eine gute Möglichkeit, den klinischen Verlauf zu beschleunigen. Eine Indikation zur Bursektomie ist ausserordentlich selten gegeben.</p> <h2>Chirurgische Behandlung</h2> <p>Sollte eine chirurgische Behandlung nötig sein, so unterscheidet sich der Ellbogen beim Kind und Jugendlichen in einigen Punkten vom Ellbogen des Erwachsenen. Aus dem Wachstum ergibt sich das Risiko für eine posttraumatische oder auch iatrogene Synostose, speziell bei jungen Patienten. So empfiehlt es sich zum Beispiel bei gleichzeitigen Verletzungen von Ulna und Radiuskopf, einen offenen Zugang zur Ulna mit einer geschlossenen Reposition des Radius zu kombinieren. Es ist auch wichtig, in Erinnerung zu behalten, dass das Capitellum vor allem von posterior durchblutet wird. Ein posterolaterales Portal oder die offene Präparation dorsal können zu einer avaskulären Nekrose und einer «Fishtail»-Deformität führen. Dementsprechend ist bei der Versorgung von Frakturen des lateralen Epicondylus oder bei lateralen Bandplastiken Vorsicht geboten bzw. sollte zur Mikrofrakturierung ein distales ulnares Portal angelegt werden.<br /> Eine eigene Studie an 50 konsekutiven Ellbogenarthroskopien bei kindlichen und adoleszenten Sportlern stellt das Risikoprofil solcher Eingriffe dar. Mit einer Komplikationsrate von 5 % ist das Risiko etwa gleich wie beim Erwachsenen, wenn die oben angeführten Vorsichtsmassnahmen berücksichtigt werden. Wenn Traumata mit eingeschlossen werden, so ist das Risiko knapp 2 % höher, v. a. wegen vermehrt oberflächlicher Entzündungen und verzögerter Wundheilung. Zu einem gewissen Grad ist das aber sicher den gerne genutzten perkutanen Spickdrähten geschuldet, die nach Operationen für 3–6 Wochen aus der Haut stehen.</p> <h2>Extraartikuläre Differenzialdiagnosen und Stolpersteine</h2> <p>In der Behandlung von Ellbogenbeschwerden, sei es beim adoleszenten oder beim adulten Sportler, sollten wichtige Differenzialdiagnosen abgesehen vom Ellbogen nicht ausser Acht gelassen werden. So kann z. B. das glenohumerale Innenrotationsdefizit (GIRD) zu einer medialen Ellbogenüberlastung führen (Abb. 5). Das GIRD liegt häufig bei Wurf- und Racquetsportarten vor und ist ein Verlust der Innenrotation zugunsten einer vermehrten Aussenrotation, resultierend aus einer Verklebung der posterioren Gelenkskapsel. Dies führt zu einem dezentrierten Lauf der Schulter und damit zu innerem Impingement, aber auch zu einer Überlastung des medialen Ellbogens als Kompensationsmechanismus.<br /> Wiederkehrende Überlastungen, speziell an mehreren Gelenken, können auch Ausdruck eines systemischen Problems sein. «Relative energy deficiency in sports» (RED-S), früher auch «female athlete triad» genannt, ist ein Syndrom bestehend aus Essstörung («low energy availability»), sekundärer Amenorrhö und Osteoporose/Osteopenie. Hier sind wiederkehrende Überlastungsschäden nicht selten und es braucht einen multimodalen Therapiezugang, um einen Behandlungserfolg zu erreichen. RED-S ist mit einer bis zu sechsfach erhöhten SMR («standardized mortality rate») assoziiert und eine ernstzunehmende Problematik. Weiters hat auch Übertraining, respektive das «chronic fatigue syndrome», eine zunehmende Bedeutung beim adoleszenten Sportler und stellt eine zusätzliche systemische Differenzialdiagnose für anhaltende oder wiederkehrende Gelenks- oder Sehnenbeschwerden dar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_lo_ortho_1901_s37_abb5_vavken.jpg" alt="" width="350" height="641" /></p></p>
<p class="article-footer">
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<p>beim Verfasser</p>
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</p>
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