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GOTS-Webinar

Digitalisierung in der Sportmedizin

Die Digitalisierung bringt rasante Veränderungen in praktisch allen Bereichen unserer Gesellschaft. Die Medizin bildet hier keine Ausnahme. Neben Telerehabilitation und künstlicher Intelligenz (KI) gewinnen Wearables und sensorgestützte digitale Gesundheitsanwendungen in der Orthopädie und Sportmedizin zunehmend an Bedeutung. Ein Fortbildungsabend aus der Webinarreihe der GOTS widmete sich diesem spannenden Themenkomplex.

Digitale Applikation in der Rehabilitation

«Die Covid-19-Pandemie war ein Booster für die Telemedizin, da wir in dieser Zeit gezwungen waren, persönliche Patientenkontakte zu ersetzen», leitete Prof. Dr. med. Wolf Petersen vom Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin seinen Vortrag ein. Die Vorzüge von Videosprechstunden und Telerehabilitationen werden nun zunehmend erkannt. Denn damit könne auch über längere Distanzen der Patientenkontakt aufrechterhalten und ein gewisser Versorgungsstandard in strukturschwachen Gebiete etabliert werden.

Gute Evidenz für Telerehabilitation

«In einem systematischen Review haben wir uns kürzlich mit der Frage beschäftigt, wie es um die wissenschaftliche Evidenz von telemedizinischen Anwendungen in der Orthopädie steht», berichtete Petersen aus seiner eigenen Forschung. Hierzu wurden 14 randomisierte klinische Studien (Level-I-Evidenz) ausgewertet.1 In Hinblick auf die PROMs («patient reported outcome measures») gab es keinen Unterschied zwischen telemedizinisch und konventionell behandelten Patient:innen; auch die Patientenzufriedenheit war in beiden Gruppen ähnlich. In den konventionell behandelten Gruppen wurden die Ziele allerdings später erreicht. Zudem war die Länge des Krankenhausaufenthalts in der konventionell behandelten Gruppe mit 2,1 Tagen deutlich länger als in der Telemedizingruppe mit 1,1 Tagen. Bei den Kosten zeigte sich ein geringer Vorteil für die Telemedizin, der allerdings erst ab einer Distanz von 30km zum Behandlungsort signifikant wurde. «Die Effekte der Telerehabilitation konnten also mit hoher Evidenz nachgewiesen werden. Insbesondere für Knie- und Hüftendoprothesen ist die Datenlage sehr gut», resümierte Petersen.

Digitale Gesundheitsanwendungen bereits im Einsatz

Spannende Entwicklungen gibt es auch im Bereich von digitalen Applikationen, die in Kombination mit tragbaren Sensoren oder digitalen Bilderkennungsmöglichkeiten angewendet werden. Mehrere solcher digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind bereits in der klinischen Testung und zum Teil schon im klinischen Einsatz. Ein Beispiel dafür ist die Orthelligent-Home-Applikation, eine sensorgesteuerte App für die Rehabilitation nach Sportverletzungen.2 Das kommerziell bereits erhältliche Sensorsystem wird vor allem in der Rehabilitation nach Knieverletzungen und Knieoperationen eingesetzt. Der Sensor wird am Unterschenkel angebracht und erfasst verschiedene funktionelle Parameter (Bewegungsausmass, Koordination, Kraft, Schnelligkeit). «Sensoren detektieren und analysieren die Bewegung des Patienten und die KI stellt basierend auf diesen Informationen vorgefertigte Übungsprogramme zusammen», fasste Petersen die Funktionsweise zusammen. «Diese Applikation ist bei uns bereits seit einiger Zeit in der Rehabilitation von Kreuzbandpatient:innen im klinischen Einsatz und die ersten Erfahrungen sind durchaus positiv. Man kann sehr gute Einblicke in den Rehabilitationsverlauf gewinnen und auch die Compliance lässt sich deutlich verbessern.»

Wie empathisch ist die KI?

In der Diskussion darüber, ob Roboter und Telerehabilitation künftig Physiotherapeut:innen ersetzen können, wird immer wieder die Wichtigkeit eines empathischen Patientengesprächs für den Rehabilitationsprozess als Argument vorgebracht. Eine kürzlich publizierte Studie kam hier zu einem provokanten Ergebnis: Die Chatbot-Antworten waren in der Untersuchung signifikant empathischer als jene von menschlichen Therapeut:innen.3 «Möglicherweise sollten wir uns also auch vermehrt wieder unserer Soft Skills besinnen, um zukünftig der KI weiterhin überlegen zu sein», gab Petersen zu bedenken.

Wearables in der Sportmedizin

Auch Wearables kommen in der Sportmedizin bereits vermehrt zum Einsatz. Unter Wearables versteht man ganz allgemein gesagt kleine Sensoren, die beispielsweise als Arm- oder Stirnband getragen werden und zur Erfassung von biologischen Signalen dienen. Die Anwendungsbereiche sind dabei vielfältig. «Mit einem passenden tragbaren Sensor kann man heute bereits alles an Biometrikdaten erfassen, was für Mediziner:innen, Trainer:innen und Athlet:innen von Interesse ist», erklärte Bernd Grimm, PhD, MEng, vom Luxembourg Institute of Health. Das reicht von der Bewegungsanalyse und Leistungskontrolle über das kontinuierliche Überwachen von Laborparametern bis hin zur Verletzungsprävention. «Dieses kontinuierliche Real-Time-Feedback bringt uns eine neue Dimension von Metriken, die uns früher so nicht zugänglich war», erläuterte Grimm. «Und wir haben heute mit den Smartphones alle ein Sensor-Powerhouse in unserer Tasche, das wir mit weiteren Wearables verbinden können. So stehen uns fast alle Messdimensionen offen.»

Bring your own device

Eine aktuelle Untersuchung aus der Arbeitsgruppe von Grimm beschäftigte sich mit dem Konzept «bring you own device» (BYOD) – also damit, inwieweit sich Wearables, die der Patient/die Patientin selbst mitbringt, für medizinische Zwecke nützen lassen.4

<< Vielleicht sollten wir uns vermehrt wieder unserer Soft Skills besinnen, um zukünftig der KI weiterhin überlegen zu sein.>>
W. Petersen, Berlin

In der Pilotstudie wurden 432 Patient:innen mit einer bestehenden muskuloskelettalen Verletzung der oberen oder unteren Extremität eingeschlossen. Über einen Zeitraum von mindestens 6 Wochen wurden die Daten von ganz unterschiedlichen Wearables (Smartwatches, Fitnessbänder, Sportuhren, Health Apps am Smartphone) analysiert. Ein nützlicher Zugang, wie sich zeigte. Die Patient:innen konnten auf diese Weise kontinuierliche Aktivitätsdaten liefern, ohne dass zusätzliches spezielles Equipment erforderlich war. Mit relativ einfacher Biometrik konnte die Rehabilitationsphase gut überwacht werden, auch Non-Healers und Late-Healers liessen sich anhand der Daten identifizieren. «Mithilfe dieser Daten lassen sich also auch sehr gut klinisch relevante Parameter abgreifen», fasste Grimm zusammen.

<< Wir haben heute mit den Smartphones alle ein Sensor-Powerhouse in unserer Tasche.>>
B. Grimm, Luxemburg
Alte Paradigmen hinterfragen

Ein schönes Beispiel dafür, dass anhand von Wearable-Daten auch alte Paradigmen hinterfragt werden können, lieferte das Ergebnis einer Studie aus Tübingen.5 In der Untersuchung wurde das postoperative Belastungsprotokoll von 30 Patient:innen nach einem Trauma der unteren Extremitäten verfolgt. Dazu wurde mittels Sensor über 4 Wochen kontinuierlich die postoperative Druckbelastung an der Fusssohle gemessen. Dabei zeigte sich, dass die wenigsten Patient:innen die geforderte maximale Zielbelastung einhalten konnten. Erstaunlich war allerdings, dass die mangelnde Compliance keinerlei Einfluss auf die Heilungsraten hatte. «Dieses Paradigma, dass man die Fraktur in der Heilungsphase nicht überbelasten soll, ist also möglicherweise zu hinterfragen», so Grimm.

KI in der Orthopädie

Auch die KI hat mit der fortschreitenden Digitalisierung Einzug in die Medizin gehalten. Der Begriff KI beschreibt ganz allgemein den Versuch, bestimmte menschliche Entscheidungsstrukturen nachzubilden.

Frakturen erkennen

«Weit entwickelt ist die KI heute bereits darin, einfache Röntgenbilder zu analysieren und groben Datensätzen eine Struktur zu geben», so die Einschätzung von PD Dr. med. Christoph Kittl vom Universitätsklinikum Münster. Wie zuverlässig die KI Frakturen in CT-Bildern erkennen kann, hat viel mit Training zu tun: «Je mehr Bilder man dem Computer zeigt, umso besser wird er», berichtete Kittl. An einfachen Gelenken, wie Knie oder Handgelenk, oder am Femur kann die KI schon recht zuverlässig Frakturen erkennen. Werden die Anforderungen jedoch komplexer, wie beispielsweise an der Hand, am Fuss oder an der Wirbelsäule, so schneidet die KI deutlich schlechter ab als der Mensch.6

Mensch + KI = besseres Ergebnis

«Bessere Ergebnisse lassen sich möglicherweise erzielen, wenn Mensch und Computer zusammenarbeiten», so die Einschätzung von Kittl. Eine Studie an 17 französischen Traumazentren untersuchte, inwieweit die KI bei der Detektion und Lokalisierung von Frakturen des appendikulären Skeletts unterstützen könne.7 Dazu wurde die KI zunächst mit über 60000 Röntgenbildern von Traumapatient:innen trainiert, darunter Frakturen von Schultern, Armen, Händen, Becken, Beinen und Füssen. Anschliessend wurden jeweils 6 angehende Mediziner:innen und 6 erfahrene Radiolog:innen gebeten, die Röntgenbilder mit (n=300) bzw. ohne Zuhilfenahme der KI (n=300) auszuwerten. Dabei zeigte sich, dass durch den Einsatz der KI die Sensitivität um 8,7% und die Spezifität um 4,1% erhöht werden konnte, ohne die Geschwindigkeit der Auswertung zu verlangsamen.

KI hilfreich bei Bürokratie

Auch bei der medizinischen Dokumentation, z.B. beim Verfassen von Arztbriefen, funktioniert die Technologie bereits sehr gut und könnte zukünftig eine grosse Entlastung bringen, berichtete Kittl. Zu bedenken sei allerdings, dass die KI keine Fehler erkennen und bei medizinischen Themen derzeit noch nicht eigenständig dazulernen kann. Alles was die KI weiss, basiert auf menschlichem Input.

Bewertung von Gesundheitsinformationen im Internet

Das Internet gewinnt als Informationsquelle für medizinische Fragestellungen zunehmend an Bedeutung. «Problematisch ist allerdings, dass es nach wie vor keine Qualitätskontrolle gibt», zeigte sich Dr. med. Bernhard Springer von der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in Wien besorgt. Dies bestätigt u.a. ein Review aus dem Jahr 2016, in dem 38 Arbeiten evaluiert wurden, welche die Qualität und Lesbarkeit von Online-Informationen bewerteten. Die Conclusio: Sowohl Qualität als auch Lesbarkeit waren insgesamt schlecht, nur einige wenige Arbeiten zeigten eine adäquate Qualität – dann jedoch mit zu hoher Komplexität für den Laien.8

<< Bessere Ergebnisse lassen sich möglicherweise erzielen, wenn Mensch und Computer zusammenarbeiten.>>
C. Kittl, Münster
Qualität von YouTube-Videos unzureichend

YouTube ist für Patient:innen, die nach medizinischen Informationen suchen, die bevorzugte Informationsquelle. Allerdings gilt auch hier: Die meisten Videos mit medizinischem Inhalt vermitteln falsche oder irreführende Informationen.9 Das bestätigten auch zwei Untersuchungen aus der Arbeitsgruppe von Dr. Springer. In der ersten Arbeit analysierten Springer et al. die Qualität von YouTube-Videos zu den Themen «Rehabilitation nach vorderer Kreuzband-Rekonstruktion» (44 Videos) und «Return to Sport nach VKB-Rekonstruktion» (69 Videos).10 Die Qualität wurde mittels «Global Quality Score» und «JAMA-Kriterien» bewertet. Zusätzlich wurden zwei selbst erstellte Scores (Rehabilitation Score, RTS-Score) herangezogen. Die Videos wurden in 2 Gruppen stratifiziert: Videos, die von medizinisch geschultem Personal (Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen) hochgeladen wurden, und Videos, die von medizinisch nicht geschultem Personal erstellt wurden (Laienvideos, kommerziell genutzte Videos). Insgesamt ergab die Auswertung eine schlechte Qualität für alle Videos. Videos von medizinisch geschultem Personal zeigten zwar signifikant bessere Ergebnisse. Mit einem Rehabilitation Score von 7,11 bzw. einem RTS-Score von 6,37 (von jeweils 20 möglichen Punkten) war aber auch in dieser Gruppe die Qualität schlecht. In einer zweiten Arbeit beschäftigten sich Springer et al. mit Videos hinsichtlich Patienteninformation und Rehabilitation nach arthroskopischer Rotatorenmanschettenrekonstruktion.11 Und auch hier zeigte sich, dass Qualität, Vertrauenswürdigkeit und Exaktheit der angebotenen Informationen durchwegs schlecht waren.

<< Patient:innen müssen darüber informiert werden, dass medizinische Informationen auf YouTube kritisch zu bewerten sind.>>
B. Springer, Wien

Für die Praxis zog Springer folgendes Fazit: «Patient:innen müssen darüber informiert werden, dass die Qualität, Vertrauenswürdigkeit und Exaktheit der Informationen auf YouTube durchwegs schlecht sind und dementsprechend kritisch bewertet werden müssen. Denn Falschinformationen können die Behandlung negativ beeinflussen.»

«Digitalisierung in der Sportmedizin – Chancen und Risiken», Webinar der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS), 27. September 2023

1 Petersen W et al.: A systematic review about telemedicine in orthopedics. Arch Orthop Trauma Surg 2021; 141(10): 1731-9 2 Höher J et al.: Sensor-based telerehabilitation system increases patient adherence after knee surgery. PLOS Digit Health 2023; 2(2): e0000175 3 Ayers JW et al.: Comparing physician and artificial intelligence chatbot responses to patient questions posted to a public social media forum. JAMA Intern Med 2023; 183(6): 589-96 4 Braun BJ et al.: “Bring your own device“– a new approach to wearable outcome assessment in trauma. Medicina (Kaunas) 2023; 59(2): 403 5 Braun BJ et al.: Weight-bearing recommendations after operative fracture treatment-fact or fiction? Gait results with and feasibility of a dynamic, continuous pedobarography insole. Int Orthop 2017; 41(8): 1507-12 6 Jones RM et al.: Assessment of a deep-learning system for fracture detection in musculoskeletal radiographs. NPJ Digit Med 2020; 3: 144 7 Duron L et al.: Assessment of an AI aid in detection of adult appendicular skeletal fractures by emergency physicians and radiologists: a multicenter cross-sectional diagnostic study. Radiology 2021; 300(1): 120-9 8 Cassidy JT et al.: Orthopaedic patient information on the world wide web: an essential review. J Bone Joint Surg Am 2016; 98(4): 325-38 9 Madathil KC et al.: Healthcare information on YouTube: a systematic review. Health Informatics J 2015; 21(3): 173-94 10 Springer B et al.: Online videos provide poor information quality, reliability, and accuracy regarding rehabilitation and return to sport after anterior cruciate ligament reconstruction. Arthroscopy 2020; 36(12): 3037-47 11 Springer B et al.: Online videos regarding relevant postoperative patient information and postoperative rehabilitation after arthroscopic rotator cuff repair provide poor information quality, accuracy, and reliability. Arthroscopy 2023; online ahead of print

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