Die Osborne-Cotterill-Läsion am distalen Humerus

Ellbogenluxationsfrakturen stellen nach wie vor eine Herausforderung für jeden Behandler dar. Hier werden stabile, einfache, komplexe und instabile Luxationsfrakturen unterschieden. Dieser Bericht stellt eine Besonderheit der Ellbogenluxation vor: die Osborne-Cotterill-Läsion.

Keypoints

  • Die Osborne-Cotterill-Läsion stellt eine Rarität der Ellbogenluxationsfraktur dar, wird leicht übersehen und kann unbehandelt zu chronischer posterolateraler Instabilität führen.

  • Durch die Luxation kann der Radiuskopf am Capitulum humeri posterolateral anschlagen, was zu einer osteochondralen Läsion mit Ruptur des lateralen Bandkomplexes führen kann.

  • Die operative Behandlung liefert gute Behandlungsergebnisse, wenn eine stabile Osteosynthese des FrakturPrimäre Stabilisatoren fragments erreicht wird.

Die Ellbogenluxation ist nach der Schulterluxation die zweithäufigste Luxation eines großen Gelenks im Erwachsenenalter. Man kann zwischen einer einfachen Luxation (ulnohumerale Luxation mit isolierter Verletzung des Kapselbandapparates bzw. muskulärer Strukturen bei erhaltener knöcherner Integrität) und einer komplexen Luxation (intraartikuläre Fraktur der proximalen Ulna und/oder des proximalen Radius) unterscheiden.

Das Ellbogengelenk wird durch primäre und sekundäre Stabilisatoren gesichert. Zu den primären Ellbogenstabilisatoren gehören das Ulnohumeralgelenk mit dem Processus coronoideus, das anteromediale Kollateralband und das laterale, ulnare Kollateralband. Zu den sekundären Stabilisatoren gehören das Radiohumeralgelenk, die Unterarmmuskulatur als dynamischer Stabilisator und die Gelenkkapsel (Tab.1).

© Thiet Hung TU

Tab. 1: Funktionsweise der primären und sekundären Stabilisatoren

In der Regel kommt es durch einen Sturz auf die ausgestreckte Hand zu einer axialen Krafteinwirkung und Valgusstress auf den Ellbogen, was zu einer Luxation führen kann.

Die posteriore bzw. posterolaterale Luxation stellt mit über 80% die häufigste Luxationsform des Ellbogengelenkes dar. Der Sturz auf die ausgestreckte, pronierte Hand bewirkt eine Hyperextension im Ellbogengelenk. Die anteriore Gelenkskapsel rupturiert. Die Olecranonspitze schlägt hierbei an der Fossa olecrani an und die proximale Ulna luxiert nach posterior. Valgisierende oder varisierende Kräfte bewirken einen medialen oder lateralen Ad-Latus-Versatz. Hierdurch kommt es zu einer Verletzung des lateralen und/oder medialen Kollateralbandkomplexes. Des Weiteren kann es durch die Kollision mit dem distalen Humerus zu einer Fraktur des Processus coronoideus und/oder des Radiuskopfes kommen.

O’Driscoll et al. beschrieben den posterolateralen Rotationsmechanismus, das Ring-Konzept bzw. den „Horii circle“. Durch einen Sturz mit leicht gebeugtem Ellbogengelenk auf die supinierte Hand, welche am Boden fixiert ist, kann es durch eine Rotation des Oberkörpers neben einer axialen Kompression zum Valgusstress kommen. Hierdurch entsteht eine von medial ablaufende Verletzungskaskade der kapsuloligamentären, muskulären und ggf. knöchernen Gelenksstabilisatoren des Ellbogens. Weil das anteromediale Kollateralband das stärkste und stabilste Element des Kapselbandapparates ist, rupturiert dieses nicht, sondern wirkt als Scharnier, um das sich der Ellbogen dreht und luxiert, wodurch eine posterolaterale Instabilität entstehen kann.

Durch die Luxation kann der Radiuskopf am Capitulum humeri posterolateral anschlagen, was zu einer osteochondralen Läsion führt. Je nach einwirkender Kraft kann ein Meißelfragment abscheren oder eine mehrfragmentäre Fraktur entstehen. Dieser knöcherne Defekt bzw. diese Impressionsfraktur an der posterolateralen Ecke des Capitulums wird als Osborne-Cotterill-Läsion bezeichnet (Abb.1 und 2). Die Namensgebung geht zurück auf die Erstbeschreiber Osborne und Cotterill, welche im Jahr 1966 erstmals eine osteochondrale Fraktur mit oder ohne einen kraterähnlichen Defekt (ähnlich der Hill-Sachs-Impression am Oberarmkopf) im Capitulum beschrieben. Dieser Defekt ist selten zu finden, ist jedoch sehr oft mit einer chronischen posterolateralen rota-torischen Instabilität vergesellschaftet bzw. gilt mitunter als Hauptursache für wiederkehrende Ellbogendislokationen. Das proximale Radioulnargelenk ist in dieser Konstellation unverletzt und stabil.

Abb. 1: Darstellung des lateralen Bandkomplexes (LUCL = „lateral ulnocollateral ligament“,
LRL = „lateral radial ligament“, AL = „anular ligament“) sowie Genese der posterolateralen Rotationsinstabilität mit der Osborne-Cotterill-Läsion (roter Kreis und gerader Pfeil)

Abb. 2: Röntgen und CT-Bild einer Osborne-Cotterill-Läsion am Capitulum humeri

Osborne und Cotterill nahmen an, dass dieser beschriebene Defekt dem Glenoiddefekt bei einer vorderen Schulterluxation gleichzusetzen ist. Ein Nichteinheilen des Osborne-Cotterill-Fragmentes führt zu einem permanenten osteochondralen Defekt des Capitulums, wodurch eine schlechtere Überdachung des Radiuskopfes entsteht (Abb.3) Bei einer posterolateralen Rotati-onsinstabilität luxiert das Ellbogengelenk nach posterolateral. Durch den Defekt besteht eine zusätzliche Instabilitätskomponente, da die knöcherne Führung für den Radiuskopf fehlt. Dieser rastet nämlich in den posterioren Capitulumdefekt ein, wodurch gewisse schmerzhafte Subluxations-/Blockierungsphänomene entstehen können.

Abb. 3: Intraoperativer Situs einer Osborne-Cotterill-Läsion

Die chronische posterolaterale Rotationsinstabilität des Ellbogens ist die häufigste Ursache für eine Ellbogeninstabilität. Ein Versagen des lateralen ulnaren Kollateralbandes (LUCL) ist primär ursächlich für die beschriebene posterolaterale Rotationsinstabilität. Diese kann nach O’Driscoll klassifiziert werden (Tab.2).

© Thiet Hung TU

Tab. 2: Stadieneinteilung der posterolateralen Rotationsinstabilität nach O’Driscoll

Im akuten Trauma haben die Patienten einen voll erhaltenen Bewegungsumfang mit einem Instabilitätsgefühl bei Valgusstress und einem möglichen begleitenden medialen oder lateralen Hämatom. Sensomotorische Defizite müssen ausgeschlossen werden, sind jedoch selten zu finden. In der chronischen Phase der Verletzung zeigen einige Patienten Schmerzen mit einer intermittierend auftretenden Schwellung, mechanische Irritationen, Subluxationsereignisse bei der Ellbogenbewegung sowie Symptome einer radialen Epikondylopathie oder einer Neuritis des Nervus ulnaris. Bei chronischen Fällen ist den Patienten ein vorangegangenes Trauma meist nicht erinnerlich.

Die klinische Untersuchung beinhaltet den Varusstresstest (Bildwandlerkontrolliert in 0°, 30° und 60°), den Drawer-Test, den Pivot-Shift-Test, den Pincer-Grip-Test und den Push-up-Test.

Im akuten Trauma wird ein Röntgen im anteroposterioren und seitlichen Strahlengang angefertigt. Wenn sich der Schmerz auf den Radiuskopf projiziert, ist eine zusätzliche Radiuskopfzielaufnahme empfohlen. Im Falle einer kompletten Ellbogenluxation erfolgen die Reposition des Ellbogengelenkes und die Wiederholung der Standardröntgenaufnahmen. Radiologische Auffälligkeiten einer persistierenden Gelenksinstabilität können sehr subtil sein. Hierzu zählen der Verlust der parallelen, medialen ulnohumeralen Gelenkslinie, die Varusinkongruenz des Ellbogens, die Erweiterung im Radiohumeralgelenk oder eine knöcherne Absprengung vom lateralen Capitulum (Abb.2). Das CT, eventuell mit 3D-Rekonstruktionen, verbessert das Auffinden und Verstehen der Frakturen und ist routinemäßig empfohlen. Die Magnetresonanz wird in solchen Fällen immer noch diskutiert.

In der rezenten Literatur gibt es keine klaren Empfehlungen für oder gegen eine konservative Therapie, jedoch ist die Indikation für eine operative Intervention bei nicht zentriertem Ellbogengelenk und/oder Frakturfragmentinterposition gegeben.

Die Wiederherstellung der verletzten ligamentären Strukturen wird als Standardtherapie in der Handhabung der posterolateralen Rotationsinstabilität angesehen. Wenn möglich, werden die Bänder durch einen Fadenanker im isometrischen Drehpunkt des lateralen Epikondyls rekonstruiert. Im chronischen Zustand kann eine Bandplastik notwendig werden.

Im Falle einer Osborne-Cotterill-Läsion erscheinen einfache Bandrekonstruktionen bei diesen Patienten zu wenig. Wie bei der Behandlung von Schulterinstabilitäten mit knöchernem Glenoiddefekt erfordert auch die Osborne-Cotterill-Läsion eine anatomische Rekonstruktion des imprimierten posterolateralen Capitulum, um die knöcherne Führung wiederherzustellen. Hierfür wird das Imprimat gehoben und mit Knochen vom hinteren Beckenkamm oder vom suprakondylären radi-alen Pfeiler unterfüttert. Insgesamt könnte die Fragmentgröße einen prognostischen Faktor darstellen.

Postoperativ wird eine Oberarmschiene in einer Ellbogenstellung von 90° mit Einschluss des Handgelenkes angelegt. Am ersten postoperativen Tag kann mit der aktiv assistierten Mobilisation aus der Schiene heraus begonnen werden. Für die ersten 2–3 Wochen wird in der Schiene ein Bewegungsausmaß von 0–40–110° erlaubt. Ab der 3. Woche erweitert sich das Bewegungsausmaß auf 0–10–120°. Ab Woche 5–6 wird die sagittale Bewegung freigegeben. Zudem ist nach der 6. Woche eine Gewichtsbelastung erlaubt (Abb.4).

Abb. 4: Ausheilungsbilder nach operativer Versorgung

Schlussfolgernd ist zu sagen, dass die posterolaterale Rotationsinstabilität mit einer Osborne-Cotterill-Läsion eine seltene Verletzung ist und nicht übersehen werden sollte. Die operative Behandlung liefert gute Behandlungsergebnisse, wenn eine stabile Osteosynthese des Frakturfragments und eine Imprimathebung erreicht werden können.

Autoren:
Dr. Tobias Kastenberger,
Dr. Peter Kaiser, PhD,
Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Rohit Arora
Zentrum operative Medizin, Universitätsklinik für Unfallchirurgie, Innsbruck

Korrespondierender Autor:
Dr. Tobias Kastenberger
E-Mail: tobias.kastenberger@tirol-kliniken.at

bei den Verfassern

Back to top