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Die offene Arthrolyse zur Bewegungsverbesserung des kindlichen Ellbogens nach Trauma
Jatros
Autor:
Prim. Dr. Jochen Erhart
Abteilung für Orthopädie und Traumatologie<br> Barmherzige Brüder Krankenhaus Eisenstadt<br> E-Mail: jochen.erhart@bbeisen.at
30
Min. Lesezeit
21.11.2019
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<p class="article-intro">Revisionseingriffe zur Bewegungsverbesserung und Stabilisierung des kindlichen Ellbogens sind zwar selten erforderlich, in manchen Fällen ist der Eingriff aber alternativlos.</p>
<hr />
<p class="article-content"><div id="2keypoints""> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Sowohl die geringe Anzahl an Publikationen als auch die klinische Erfahrung zeigen, dass die Indikation zur offenen Arthrolyse am kindlichen Ellbogen selten vorkommt.</li> <li>Trotz Vorbehalten gegenüber einem offenen arthrolysierenden Eingriff am kindlichen Ellbogen besteht mitunter die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffes.</li> <li>Dieser sollte, maßgebend am intraoperativen Bewegungsumfang, konsequent durchgeführt werden, um eine Funktionsverbesserung zu erreichen.</li> </ul> </div> <p>Die Mehrheit (75 %) aller kindlichen Frakturen betrifft die obere Extremität. Die hohe Inzidenz der Ellbogenverletzungen in dieser Altersgruppe erklärt sich durch die vermehrte Aktivität der Kinder in Spiel und Sport und das dadurch höhere Unfallrisiko. Die meisten Verletzungen des Ellbogens heilen bei korrekter Behandlung folgenlos aus. <br />Die Diagnostik von Ellbogenfrakturen und -luxationen bei Kindern und Jugendlichen kann herausfordernd sein, da sich die Kinder unmittelbar nach dem Trauma oft nicht adäquat äußern können und eine klinische Untersuchung aufgrund von Schmerzen und Schwellung häufig unmöglich ist. Manche Verletzungsmuster kommen auch selten vor und sind zudem in der Röntgendiagnostik gerade wegen der sechs verschiedenen Ossifikationszentren des kindlichen Ellbogens in der knöchernen Konsolidierung altersabhängig. In der Röntgendiagnostik können einige Verletzungen am Ellbogenskelett sehr subtil erscheinen und v. a. auf Röntgenbildern mit inkorrekter Einstellung übersehen oder falsch interpretiert werden. <br />Dass der Ellbogen bei kindlichen Verletzungen im Fokus steht, zeigt die Tatsache, dass 3 von 5 sogenannten „Kadiläsionen“ <sup>1, 2</sup> den Ellbogen betreffen. Bereits früh in der Ausbildung zum Unfallchirurgen bzw. Orthopäden und Traumatologen wird die Existenz der Kadiläsionen vermittelt. Die Praxis zeigt allerdings, dass in der Erkennung und konsequenten Behandlung dieser Läsionen Lücken bestehen.<br /> Die instabile Fraktur des Condylus humeri radialis ist die zweithäufigste Fraktur des Ellbogens im Wachstumsalter und ist im Röntgenbild oft nicht beurteilbar. Deswegen ist ein gipsfreies Röntgenbild im Verlauf nach wenigen Tagen gefordert. Diese für das Kind schmerzhafte Röntgenuntersuchung wird vom behandelnden Arzt jedoch nicht gerne vorgenommen. Wird im Verlauf von 4–5 Tagen eine sekundäre Dislokation festgestellt, handelt es sich um eine instabile Fraktur, welche operativ stabilisiert werden sollte. Sogar bei weniger komplexen Verletzungen wie der suprakondylären Humerusfraktur kann es zwischen 3 % und 6 % zu Bewegungseinschränkungen kommen. Bei der suprakondylären Fraktur des Ellbogens muss eine Rotationsfehlstellung erkannt, reponiert und mit Bohrdrähten stabilisiert werden. Aber auch Verletzungen, die nicht unter den Begriff der „Kadiläsionen“ fallen, können zu hartnäckigen Bewegungseinschränkungen führen.<sup>2</sup><br /> Werden Verletzungen übersehen, unterschätzt oder nicht konsequent behandelt, kann es zu Kontrakturen aufgrund von Gelenkstufenbildungen, Instabilitäten, Kallusbildungen und verbleibenden (Sub-) Luxationen des Ellbogengelenkes oder des Radiusköpfchens kommen. Eine Einteilung von Ellbogensteifen nach intrinsischen und extrinsischen Faktoren des erwachsenen Ellbogens wurde nach Morrey (Tab. 1) vorgenommen, aus der sich direkte Therapieempfehlungen ableiten lassen. Diese Empfehlungen gelten prinzipiell auch für den kindlichen Ellbogen.<br /> Die Arthroskopie gilt als suffiziente Behandlung des adoleszenten Ellbogens beispielsweise bei Synovitis, Osteochondritis dissecans, Arthrofibrose und Gelenkkontraktur, posteriorem Olecranon-Impingement- Syndrom und ggf. bei akutem Trauma. <sup>3</sup> Als Alternative zur Arthroskopie und Arthrotomie wurde an einigen Patienten die Distraktion am Fixateur externe durchgeführt und berichtet, allerdings ist diese Anwendung nur bei extrinsischen Faktoren denkbar.<sup>4</sup> Insbesondere im Falle einer Ellbogensteife ist eine offene Arthrolyse mit Beseitigung der Bewegungshindernisse in dem ein oder anderen Fall unumgänglich. Allerdings sollte bei den Behandlern selbst, bei Patienten und bei den Eltern keine falsche Erwartungshaltung gesetzt werden. Die Ergebnisse nach offener Ellbogenarthrolyse von Kindern und Jugendlichen sind denen der Erwachsenen unterlegen. Es ist davon auszugehen, dass bei der Durchführung einer Arthrolyse mit unvorhersehbaren Ergebnissen gerechnet werden muss. Damit gilt die offene Arthrolyse beim Kind als weniger erfolgreich als bei erwachsenen Patienten. Bei jedem zweiten Kind ist mit einem postoperativen Bewegungsumfang unter 100° zu rechnen. Die Ursache ist unbekannt und lässt sich nicht auf eine fehlende Compliance der Kinder und Jugendlichen zurückführen.<sup>1</sup> <br />Die Berichterstattung von wenig zufriedenstellenden Ergebnissen sollte vor allem eines bewirken: Die Indikation zu einem operativen Eingriff am kindlichen Ellbogen muss wohlüberlegt sein. Eine zu frühe Indikationsstellung zu einem Zeitpunkt, zu dem noch Verbesserungen der Funktion durch konservative Maßnahmen zu erwarten sind, sollte genauso wenig erfolgen wie ein Hinauszögern des Eingriffes, wenn Bewegungshindernisse offensichtlich nachgewiesen und ohne chirurgische Intervention irreversibel sind. Auch wenn immer wieder von durchwachsenen Therapieerfolgen berichtet wird, sind sowohl arthroskopische als auch offene Eingriffe am kindlichen Ellbogen in einigen Situationen alternativlos. <br />Im Folgenden wird von zwei Fällen berichtet, die einen Umstieg von der Arthroskopie zu einer offenen Arthrolyse erforderlich machten und deren kurzfristige klinische Ergebnisse nach einem Jahr Anlass zur Hoffnung geben.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s25_tab1_erhart.jpg" alt="" width="1419" height="430" /></p> <h2>Fall 1</h2> <p>Ein Jahr nach Fraktur im Ellbogenbereich bei einer 10-jährigen Patientin besteht eine hartnäckige, therapieresistente Bewegungseinschränkung mit einer Beweglichkeit von Extension/Flexion (E/F) 0-5-90° bei freier Umwendbewegung des Unterarmes. Ein knöchernes Impingement im Bereich der Fossa coronoidea und Trochlea humeri wurde aufgrund einer CT-Untersuchung des Ellbogens vermutet, das CT zeigt außerdem eine Entrundung der knöchernen Trochlea. In einem vorweg durchgeführten MRT konnte das Bewegungshindernis nicht suffizient dargestellt werden. Es erfolgte eine Arthroskopie mit anschließender offener Arthrolyse. Der Grund für den Verfahrensumstieg war ein großer Osteophyt, der sich proximal der Trochlea, die Fossa coronoidea komplett ausfüllend, in das Gelenk erstreckt und somit die Gelenkfläche der Trochlea humeri um 5 mm überragt hatte. Die Patientin erhielt unmittelbar präoperativ einen Plexuskatheter und konnte somit unter erträglichen Bedingungen sofort nach der Operation mit Bewegungsübungen beginnen. Das endgültige Bewegungsausmaß nach einem Jahr ist in E/F 0-0-110°, um ca. 15° gegenüber der Gegenseite eingeschränkt. <br />Gegenüber der „normalen“ Ellbogensteife ist eine Ellbogensteife in Kombination mit Gelenkssubluxation und zusätzlicher Seitenbandinstabilität eine nochmals größere therapeutische Herausforderung für den behandelnden Chirurgen. Die spezifische Problematik ist neben der aufmerksamen Beurteilung von vorliegenden Röntgenbildern, MRT- und CT-Untersuchungen vor allem in der präoperativen klinischen Untersuchung herauszufinden.</p> <h2>Fall 2</h2> <p>Als weiteres bemerkenswertes Fallbeispiel ist von einem Mädchen zu berichten, das sich im Alter von 12 Jahren beim Trampolinspringen verletzt hatte (Abb. 1–4). Der Ellbogen wurde reponiert, eine nach der Reposition bestehende Subluxation wurde belassen.<sup>7</sup> Monate nach erfolgtem Trauma und einigen Wechseln der behandelnden Ärzte stellt sie sich mit einer Beweglichkeit des Ellbogens von E/F 0-40-80° bei freier Umwendbewegung des Unterarmes vor. In der seitlichen Darstellung des Ellbogens im Röntgen stellte sich das Ellbogengelenk subluxiert mit Interposition einer knöchernen Struktur dar. Vor allem im präoperativ durchgeführten MRT fiel die fehlende Apophyse des distalen medialen Humerus auf. Nachdem die Operation mit einer kurzzeitigen Arthroskopie begonnen wurde, wurde die Operation in derselben Narkose offen im Sinne einer Arthrolyse von medial wie lateral fortgeführt. Dabei wurde die Gelenkskapsel streck- und beugeseitig inzidiert und teilweise entfernt. Es wurden die ausgeprägten Vernarbungen und der im Gelenkspalt interponierte Apophysenkern von medial geborgen. Das mediale Seitenband und vernarbte Kapselreste wurden mit einem kräftigen Fadenanker mit zwei Fäden refixiert, was eine sofortige Bewegungstherapie bei liegendem Plexuskatheter erlauben sollte. Die Anlage eines Bewegungsfixateurs wurde diskutiert, letztendlich aber nicht durchgeführt, da anstatt des Fixateurs die Refixation des medialen Kollateralbandes mit einem überdimensionierten Fadenanker eine feste Fixation, auch unter sofortiger Bewegungstherapie, versprach. Die Patientin wie die Eltern wurden über die schwierige Konstellation eines steifen und instabilen, mit der offenen Operation arthrolysierten und medial seitenbandfixierten Ellbogengelenkes aufgeklärt. Im weiteren postoperativen Verlauf trat keine erneute Subluxation auf. Die Patientin erzielte eine postoperative Beweglichkeit von 0-20-140° und hat eine geringfügige mediale Instabilität bei hartem Anschlag. Sie besucht weiterhin den Sportzweig eines Gymnasiums und ist sogar in der Lage, beim Geräteturnen mit geringen Einschränkungen am Stufenbarren zu turnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s26_abb1_erhart.jpg" alt="" width="1417" height="803" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s26_abb2_erhart.jpg" alt="" width="410" height="511" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s26_abb3_erhart.jpg" alt="" width="1417" height="881" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s27_abb4_erhart.jpg" alt="" width="2150" height="1292" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Stans AA et al.: Operative treatment of elbow contracture in patients twenty-one years of age or younger. J Bone Joint Surg Am 2002; 84(3): 382-7 <strong>2</strong> von Laer L, Kraus R, Linhart WE: Frakturen und Luxationen im Wachstumsalter. 6. Auflage. Stuttgart: Thieme 2012 <strong>3</strong> Micheli LJ et al.: Elbow arthroscopy in the pediatric and adolescent population. Arthroscopy 2001; 17(7): 694-9 <strong>4</strong> Gausepohl T, Mader K, Pennig D: Mechanical distraction for the treatment of posttraumatic stiffness of the elbow in children and adolescents. J Bone Joint Surg Am 2006; 88(5): 1011-21</p>
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