
Die AMIC-Plastik bei osteochondralen Läsionen am Talus
Autoren:
PD Dr. med. Stephan H. Wirth
Leiter Fusschirurgie
Universitätsklinik Balgrist, Zürich
Dr. med. Dipl.-Phys. Arnd F. Viehöfer
Oberarzt Orthopädie, Fussteam,
Universitätsklinik Balgrist, Zürich
Korrespondierender Autor:
PD Dr. med. Stephan H. Wirth
E-Mail: Stephan.wirth@balgrist.ch
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In der Schweiz erleiden etwa 250 Patienten pro Tag eine Distorsion des oberen Sprunggelenks (OSG). In etwa 50% kommt es dabei zu einem Knorpelschaden des Sprunggelenkes, woraus eine dauerhafte Schädigung resultieren kann. Dann sind meist eine Schwellungsneigung des OSG und unspezifische, belastungsabhängige Schmerzen die Folge, welche bei etwa der Hälfte der Patienten zu einer Operation führen.
Keypoints
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Osteochondrale Talusläsionen sind mit Schmerzen und eingeschränkter Funktionalität im Alltag und damit reduzierter Lebensqualität assoziiert.
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Die konservative Therapie ist primär empfohlen. Jeder zweite Patient zeigt jedoch persistierende Beschwerden, welche häufig eine Operation notwendig machen.
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Die operative Behandlung mittels AMIC stellt eine sichere und therapeutisch effektive Methode dar und ist mit einer signifikanten Verminderung der Schmerzen und einer hohen Rate an «Return to Sports» verbunden.
Osteochondrale Läsionen
Eine osteochondrale Talusläsion wird als fokaler Defekt des talaren Knorpels und des angrenzenden Knochens definiert.1 Betroffene Patienten stellen sich typischerweise aufgrund belastungs- und bewegungsabhängiger Schmerzen im Sprunggelenk und dadurch bedingter Einschränkungen vor. Der Leidensdruck ist in vielen Fällen hoch und geht mit einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität einher. Die korrekte Diagnose und Abklärung der zugrunde liegenden Ätiologie sind von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Behandlung.
Die Zerstörung der Integrität der talaren Knorpeloberfläche ist häufig auf einen Unfall zurückzuführen. Ein vorhergehendes Trauma konnte bei 93–98% der lateralen und bei 61–70% aller medialen osteochondralen Talusläsionen identifiziert werden.2–4 Dabei kann ein einziges Trauma, wie z.B. im Rahmen einer Distorsion,eine Knorpelläsion bedingen. Aber auch eine chronische Instabilität mit rezidivierenden (Mikro-)Traumata kann einen zunehmenden Knorpelschaden hervorrufen. Neben der traumatischen Genese wird eine lokale Ischämie als begünstigend für eine osteochondrale Läsion angesehen. Zudem scheint eine genetische Veranlagung zu bestehen.2
Da der Knorpel selbst nicht innerviert ist, kann eine Knorpelläsion asymptomatisch verlaufen.Durch den Knorpeldefekt ist jedoch der subchondrale Knochen durch die mit grossem Druck einwirkende Gelenksflüssigkeit nicht mehr geschützt, was zu belastungsabhängigen Schmerzen und Schwellung im Sprunggelenk führen kann.5 Der erhöhte Fluss und Druck von Flüssigkeit im subchondralen Knochen kann so zu Osteolysen und langfristig zur Entwicklung einer subchondralen Zyste führen.
Das Selbstheilungspotenzial des Knorpels ist stark limitiert, sodass eine spontane Heilung bestehender grösserer Knorpeldefekte nicht zu erwarten ist. Tritt dadurch eine Schädigung der subchondralen Knochenfläche und schliesslich der Gelenkskongruenz ein, begünstigt dies die weitere Degeneration.
Eine osteochondrale Läsion wird im konventionellen Röntgen erst durch die Begleitreaktion des subchondralen Knochens sichtbar (Abb. 1) und kann im Anfangsstadium häufig unentdeckt bleiben. Aus diesem Grund sind ein MRI oder CT mit intraartikulärem Kontrastmittel hilfreich, um den osteochondralen Defekt beurteilen zu können.
Abb. 1: a) Röntgen OSG a/p mit angedeuteten subchondralen Zysten an der medialen Talusschulter; b) MRI OSG sagittal, T2-Gewichtung, mit deutlicher Ödembildung und Zysten im Talusdom; c)Arthro-CT koronar mit erkennbaren Zysten, Knorpelfissuren und -defekten im Bereich der medialen Talusschulter mit Kontrastmitteleintritt
Eine osteochondrale Läsion am Talus wird primär konservativ behandelt.6 Die konservativen Modalitäten umfassen die symptomatische Therapie mit Analgesie, temporärer Entlastung oder Teilbelastung und die physiotherapeutische Mobilisation und Kräftigung der sprunggelenksstabilisierenden Muskulatur sowie propriozeptiv-koordinative Übungen.7 Zudem kann durch geeignete Schuhversorgung oder achsenkorrigierende Schuheinlagen das Gelenk entlastet werden.
Die konservative Therapie ist in etwa 50% erfolgreich und dann sehr häufig langfristig mit einer Schmerzverbesserung verbunden.4,6 Führt die konservative Therapie nicht zum Erfolg, ist ein operatives Vorgehen indiziert. Hierbei wurden unterschiedliche operative Behandlungsmodalitäten beschrieben, die verschiedene Vor- und Nachteile mit sich bringen. Dazu gehören das Microfracturing, osteochondrale Autografts oder Allografts, Knorpeltransplantation, die matrixinduzierte Chondrozytenimplantation und die AMIC-Plastik.
Microfracturing ist eine einfache Methode, die meist auch minimalinvasiv im Rahmen einer Arthroskopie durchgeführt werden kann.Durch das Eröffnen des Knochens treten Stammzellen mit Blut aus dem Knochenmark aus, die den Defekt abdecken und schliesslich eine Defektheilung mit Faserknorpel bewirken. Dieser ist jedoch von den mechanischen Eigenschaften her dem ursprünglichen hyalinen Knorpel unterlegen, sodass dieses Verfahren bei kleineren Defekten (<10–15mm2) durchgeführt wird.
Im Gegensatz dazu bietet der Einsatz eines osteochondralen Autografts vom Knie (Mosaikplastik) die Auffüllung des Defektes mit einem Zylinder aus hyalinem Knorpel mit adhärentem subchondralem Knochen. Jedoch wurde bei dieser Technik eine erhöhte Rate an Schmerzen im Bereich der Transplantatentnahme am Knie beschrieben.8 Die Transplantation von osteochondralen Allografts vermeidet zwar die Morbidität an der Entnahmestelle, ihr Nutzen ist jedoch aufgrund der Knappheit und hohen Kosten der Transplantate eingeschränkt. Weiters sind die meisten osteochondralen Läsionen an der medialen oder lateralen Taluskante/-schulter lokalisiert, was eine passgenaue Einlage und stabile Fixierung der osteochondralen Transplantate erschwert.
Die matrixinduzierte Chondrozytenimplantation, bei der eine nur minimale Morbidität an der Entnahmestelle entsteht, kann mit einem subchondralen autologen Knochentransplantat kombiniert werden. Es ist hierfür dennoch ein zweizeitiges Verfahren (Entnahme der Spenderzellen, Anzüchtung in vitro und sekundär die Transplantation auf die osteochondrale Läsion) erforderlich und es handelt sich ebenso um ein teures Verfahren. Insgesamt konnte für kein genanntes Verfahren eine Überlegenheit gegenüber einem anderen gezeigt werden.9
AMIC-Plastik
Die «Autologous matrix-induced chondrogenesis» (AMIC) wurde 2005 erstmalig beschrieben. Sie ist eineBehandlungsoption bei osteochondralen Talusläsionen – mit guten klinischen Resultaten. Diese Technik umfasst die Mikrofrakturierung des subchondralen Knochens und die Auflage einer Kollagenmatrix (Kollagen I/III Bilayer Matrix Chondro-Gide®; Geistlich Pharma AG), welche die freigesetzten chondrogenen Zellen stabilisiert und schützt. Diese Technik überwindet die Nachteile der zuvor beschriebenen Verfahren, indem sie eine einfache Anwendung und einzeitige Versorgung ermöglicht und so die Morbidität an der Entnahmestelle vermeidet.
Über eine Arthroskopie kann das OSG inspiziert und der Knorpeldefekt bilanziert werden. Kleinere Defekte können dabei durch eine alleinige Mikrofrakturierung behandelt werden. Dazu wird der geschädigte instabile Knorpel entfernt und der subchondrale Knochen mit einer Ahle eröffnet.
Wird aufgrund der Grösse des Defektes ein Verfahren mit einer AMIC-Membran gewählt, erfolgt ein offener Zugang zum Gelenk. Durch gezielte Distraktionsverfahren können dabei grosse Teile des Gelenkes eingesehen werden. Trotzdem kann, bei erschwertem Zugang, je nach Grösse und Lokalisation des Defektes eine mediale oder laterale Malleolarosteotomie notwendig sein. Nach Entfernen der instabilen Knorpelschicht wird der darunter liegendesubchondrale Knochen mittels Bohrer oder Ahle im Sinne einer Mikrofrakturierung eröffnet und etwaige Zysten werden debridiert (Abb.2). Anschliessend werden die Defekte mit autologem spongiösem Knochen gefüllt. Die passgerecht zugeschnittene und befeuchtete Matrix wird mit der porösen Seite auf den Knochen gelegt und mit Fibrinkleber (Tissucol®; Baxter) befestigt. Nach der Befestigung wird der stabile Sitz der Matrix durch repetitive Dorsalextension und Plantarflexion im OSG überprüft. Schliesslich wird die Arthrotomie verschlossen oder die Malleolarosteotomie wieder mittels zweier Malleolarschrauben fixiert und die Gelenkskongruenz unter Bildwandler überprüft (Abb. 3).
Abb. 3: Operationstechnik: a) präoperative Planung; b) Platzierung des Kirschnerdrahtes unter Bildwandler als Führung der Malleolarosteotomie und Osteosynthese; c) postoperatives Ergebnis
Bei einer ligamentären Instabilität des Sprunggelenkes sollte eine Bandstabilisierung mit durchgeführt werden, da ein stabiles Sprunggelenk für den Erfolg der Knorpelchirurgie notwendig ist.10 Auch eine unkorrigierte Fehlstellung der Rückfussachse kann durch eine bleibende Mehrbelastung die Heilung erschweren, sodass eine gleichzeitige operative Korrektur in Erwägung gezogen werden sollte. Bei der Indikationsstellung muss zudem beachtet werden, dass keine korrespondierenden Knorpelläsionen, also keine zusätzlichen Knorpeldefekte an der distalen Tibia, vorliegen. In einem solchen Fall ist die Prognose deutlich schlechter und die genannten Knorpelverfahren am Talus werden nicht empfohlen.
Die Nachbehandlung erfolgt mit gespaltetem Unterschenkelgips unter entlastender Mobilisation für 6 Wochen; Beginn mit Bewegungsübungen in Dorsalextension/Plantarflexion passiv geführt ab gesicherter Wundheilung; ab der 7. postoperativen Woche Beginn des schrittweisen Belastungsaufbaus. Alle Patienten werden 6 Wochen postoperativ klinisch und radiologisch verlaufskontrolliert. Sportliche Tätigkeiten mit geringer Krafteinwirkung (Radfahren/Schwimmen) dürfen (bei regulärem Verlauf) ab dem 3. Monat postoperativ wieder aufgenommen werden, Kontaktsportarten ab dem 6. Monat postoperativ.
Die Knorpelchirurgie am Talus zeigt bei richtiger Indikation gute bis sehr gute Ergebnisse.Eine 2019 veröffentlichte hausinterne Studie, die retrospektiv 33 Patienten mit einer isolierten medialen osteochondralen Talusläsion und darauf folgender Versorgung mit einer AMIC untersuchte, zeigte gute kurz- bis mittelfristige Ergebnisse (medianes Follow-up: 4,7 Jahre; min. Follow-up: 2,3 Jahre) mit hoher Patientenzufriedenheit. 79% aller Patienten erreichten nach operativer Versorgung denselben sportlichen Level wie vor Symptombeginn.
Wie bereits angesprochen, ist bei korrespondierenden Knorpelläsionen, sogenannten «Kissing Lesions», bei denen zusätzlich Knorpeldefekte an der distalen Tibia vorliegen, die Prognose deutlich schlechter und ein rekonstruktives Knorpelverfahren am Talus wird nicht empfohlen.
Literatur:
1 O’Loughlin PF et al.: Current concepts in the diagnosis and treatment of osteochondral lesions of the ankle. Am J Sports Med 2010; 38(2): 392-404 2 Flick AB, Gould N: Osteochondritis dissecans of the talus (transchondral fractures of the talus): review of the literature and new surgical approach for medial dome lesions. Foot Ankle 1985; 5(4): 165-85 3 Tol JL et al.: Treatment strategies in osteochondral defects of the talar dome: a systematic review. Foot Ankle Int 2000; 21(2): 119-26 4 Weigelt L et al.: Long-term prognosis after successful nonoperative treatment of osteochondral lesions of the talus: an observational 14-year follow-up study. Orthop J Sports Med 2020; 8(6): 2325967120924183 5 Zengerink M et al.: Current concepts: treatment of osteochondral ankle defects. Foot Ankle Clin 2006; 11(2): 331-59, vi 6 Shearer C et al.: Nonoperatively managed stage 5 osteochondral talar lesions. Foot Ankle Int 2002; 23(7): 651-4 7 Seo SG et al.: Osteochondral lesions of the talus. Acta Orthop 2018; 89(4): 462-7 8 Paul J et al.: Donor-site morbidity after osteochondral autologous transplantation for lesions of the talus. J Bone Joint Surg Am 2009; 91(7): 1683-8 9 Dahmen J et al.: No superior treatment for primary osteochondral defects of the talus. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2018; 26(7): 2142-57 10 Ackermann J et al.: Autologous matrix-induced chondrogenesis with lateral ligament stabilization for osteochondral lesions of the talus in patients with ankle instability. Orthop J Sports Med 2021; 9(5): 23259671211007439
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