
Der «Türstopper-Effekt»
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Carlo Camathias
Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)<br> E-Mail: carlo.camathias@ukbb.ch
30
Min. Lesezeit
02.03.2017
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<p class="article-intro">Ein instabiler Meniskus könnte ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Osteochondrosis dissecans sein, wenn der Meniskus wie ein Türstopper zwischen Femur und Tibia einklemmt und mit der Zeit den Knorpel verletzt. Wir berichten über unsere Ergebnisse der Behandlung der Osteochondrosis dissecans durch Stabilisierung des Meniskus.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Osteochondrosis dissecans ist eine Knochen-Knorpel-Erkrankung, welche vor allem bei Kindern und Jugendlichen auftritt.<sup>1–3</sup> Jugendliche treiben heutzutage häufiger und intensiver Sport als Generationen vor ihnen. Es erstaunt daher nicht, dass auch Knieprobleme bei Jugendlichen zugenommen haben. Die Osteochondrosis dissecans macht hier keine Ausnahme.<sup>1, 4, 5</sup><br /> Die Erkrankung wird primär immer konservativ mit Analgesie und einer Ruhigstellung therapiert. Vielfach heilt sie nach einem halben oder einem Jahr komplett aus. Trotzdem berichten nicht wenige Patienten über Schmerzen auch nach einem Jahr konservativer Therapie. Konservative Ansätze versagen in bis zu 50 % .<sup>6, 7</sup> Den Erfolg einer konservativen Therapie vorauszusagen, ist schwierig, aber es gibt Zeichen, die darauf hinweisen, ob eine konservative Therapie versagt. Treten Zysten um den Osteochondroseherd auf oder ist dessen Umgebung sklerosiert, so ist die spontane Heilung deutlich unwahrscheinlicher.<sup>8, 9</sup> Operative Massnahmen gewinnen in diesem Zusammenhang mehr an Bedeutung. Wir kennen verschiedenste Techniken. Viele davon zeichnen sich durch gute Ergebnisse aus. So kann ein Herd antero- bzw. retrograd angebohrt oder mit Schrauben und Pins (bioresorbierbar oder nicht) fixiert werden. Alle Praktiken weisen ihr entsprechendes Risiko- und Komplikationsprofil auf.<sup>4, 10–12</sup> Diese Techniken adressieren allesamt die Osteochondrosis dissecans direkt.<sup>13</sup> Der eigentliche Grund für die Osteochondrosis bleibt hingegen verborgen.<br /> Ursächlich für die Osteochondrosis dissecans werden genetische Prädispositionen, repetitive Mikrotraumata oder auch vaskuläre Probleme und Ossifikationsstörungen diskutiert.<sup>14–17</sup> Letztendlich bleiben Ätiologie und Risikofaktoren für die Knorpel-Knochen-Erkrankung ungeklärt.<sup>18, 19</sup><br /> Osteochondrosen werden auch mit lateralen Scheibenmenisken assoziiert, insbesondere wenn zugleich eine Läsion vorliegt.<sup>20–22</sup> Hier greift vor allem die Theorie der Mikrotraumata.<sup>23</sup> In die gleiche Kerbe schlägt Rehbein. Bereits 1950 publizierte er eine ausgedehnte Studie, in der er bei Hunden Mikrotraumata am distalen Femur mittels repetitiver Hyperextension im Kniegelenk kreierte. Dadurch produzierte er makroskopisch, aber auch mikroskopisch identische Läsionen des Knochens und Knorpels, wie sie bei der Osteochondrose zu finden sind.<sup>24</sup> Rehbeins Konzept inspirierte uns, unsere Patienten mit Osteochondrosis dissecans etwas näher zu begutachten. Es fiel auf, dass diese Patienten eine erhöhte Laxizität der Verankerung der Menisken vor allem im Bereich des Vorderhornes aufwiesen. Der Meniskus, so die Theorie, könnte durch diese Hypermobilität während einer Extensionsbewegung mit zeitgleicher Rotation zwischen Femur und Tibia einklemmen.<br /> Bereits zuvor beobachtete McGuire ähnliche Phänomene, bei denen eine exzessive Hyperextension im Kniegelenk zu Knorpelschäden führt und den Meniskus einklemmen kann.<sup>25</sup> Chow et al beschrieben andererseits, dass eine hypertrophe Synovia Schmerzen, aber auch Knorpelveränderungen im vorderen Kompartiment des Kniegelenkes produzieren kann.<sup>26</sup> Mehrere Studien weisen auf Zusammenhänge zwischen Knorpelläsion, Knieschmerz und auch einer möglichen Impingement-Problematik hin. Wir vermuteten deshalb, dass eine Instabilität des Meniskus, vor allem des Vorderhornes, ein Risikofaktor für den Beginn einer Osteochondrosis dissecans sein könnte. So würde der instabile Meniskus wie ein Türstopper zwischen Femur und Tibia einklemmen (Abb. 1). Mit diesen repetitiven Mikrotraumata würde sich mit der Zeit der Knorpel verletzen. Insbesondere die konvexe Seite des Femurs könnte die punktuellen Spitzenbelastungen schlechter tolerieren als das Tibiaplateau. Konsequenterweise müsste man eine derart entstandene Osteochondrosis dissecans nicht direkt behandeln, sondern die Instabilität des Meniskus beheben. Dies wiederum würde sekundär und indirekt die Osteochondrose ausheilen.<br /> 2014 haben wir diese Hypothese publiziert und anhand von 16 operierten Fällen in unserer Klinik über zwei Jahre hinweg dokumentiert.<sup>27</sup> Bei diesen Patienten wurde lediglich der Meniskus stabilisiert, die Osteochondrosis dissecans jedoch keines Blickes gewürdigt. Arthroskopisch verifizierten wir die Instabilität des Meniskus. Instabilität definierten wir im Vergleich zum Gegenmeniskus: Eine erhöhte Mobilität von mehr als 5mm zur Gegenseite interpretierten wir als instabil. Der Meniskus wurde sodann im Bereich der Instabilität in einer Outside-in-Technik mit einem resorbierbaren Faden an die Kapsel vernäht (Abb. 2g, h). Postoperativ erlaubten wir den Patienten sechs Wochen eine Teilbelastung (Vollbelastung in Streckstellung) in einer Schiene mit maximaler Flexion von 60°. Danach durften die Patienten wiederum vollständig belasten. Wir erlaubten Sport, nachdem die Osteochondrose vollständig geheilt war.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s24_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="1629" /></p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Wir verglichen sowohl klinische als auch radiologische Parameter zwischen dieser und einer konventionell behandelten Gruppe mit intraartikulärer Schraubenfixation der Osteochondrose. Bei den Patienten mit Meniskusstabilisation verbesserte sich bereits nach kurzer Zeit die Schmerzsymptomatik, die Osteochondrose verringerte sich im MRI kontinuierlich (Abb. 2a–f). Im Schnitt verschwand sie im MRI nach gut sechs Monaten. Zwei Jahre nach der Operation unterschieden sich die zwei Gruppen nicht wesentlich von einander, ausser dass die Schmerzen in der Gruppe mit Meniskusstabilisation schneller verschwunden waren.<br /> Für uns stellten diese Resultate einen Wendepunkt in der Behandlung der Osteochondrosis dissecans dar. Die Tatsache, dass keine Schrauben im Verlauf entfernt und keine weiteren Knorpeldefekte durch die Implantate riskiert werden mussten, war ein weiterer Vorteil der neuen Technik. In der Zwischenzeit haben wir über 30 Patienten mit diesem Krankheitsbild in dieser Technik behandelt, ohne die Osteochondrose direkt anzugehen, indem wir lediglich eine Meniskusinstabilität behoben haben. Bei allen Patienten konnte die Osteochondrosis dissecans ausheilen, die Symptomatik verschwand dabei relativ früh.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s25_abb2.jpg" alt="" width="1095" height="1757" /></p> <h2>Diskussion</h2> <p>Obwohl diese neue Herangehensweise an die Osteochondrosis dissecans gleich gute Resultate liefert wie konventionelle Operationstechniken, kann die vorgestellte Theorie im Detail nicht belegt werden. Zwangsläufig stellt sich die Frage, weshalb die anderen Techniken die Osteochondrose auch ausheilen können, obwohl sie den Meniskus nachweislich nicht stabilisieren. Jegliche Interpretationsversuche münden ins Hypothetische. Es wird angenommen, dass die Schraubenfixierung der Osteochondrose zu einer Kompression der Fragmente und so schliesslich zur Heilung führt.<sup>28</sup> Der gleiche Effekt tritt jedoch auch bei resorbierbaren Schrauben oder Pins auf. Hier ist eine Kompression der Fragmente eher unwahrscheinlich.<sup>29, 30</sup> Die Schraube könnte aber mit ihrem Kopf wie ein Helm den Knorpel vor dem Einklemmen des Meniskus schützen. Damit ist natürlich immer noch nicht geklärt, weshalb die Osteochondrose ebenfalls ausheilt, wenn sie retrograd oder anterograd angebohrt wird. Es ist durchaus möglich, dass der arthroskopische oder offene Zugang zur Osteochondrose ausser dem direkten Einfluss auf die Osteochondrose auch die Verankerung des Meniskus verletzt bzw. anfrischt. Damit wäre eine spontane Heilung der Aufhängung des Meniskus ebenfalls möglich.<br /> Nichtsdestotrotz fragen wir unsere Osteochondrosepatienten jeweils nach möglichen Instabilitäten oder Blockadephänomenen vor der Operation. Ein Grossteil der Patienten berichtet über minimale Instabilitäten, vor allem bei Rotationsbewegungen.<sup>31</sup> Bekannt ist, dass ein hypermobiler Meniskus, also ein Meniskus mit einer Läsion seiner Verankerung, eine Rotationsinstabilität hervorrufen und symptomatisch werden kann.<sup>32</sup> Die Patienten berichten auch häufig über Blockaden mit sofortigen Schmerzen. Beide Symptome weisen auf eine mögliche Meniskusverletzung, wenn auch nur der Verankerung, hin. Ein weiteres unterstützendes Argument für unsere Hypothese bietet die Arthroskopie. Hier sehen wir regelmässig eine Entzündungsreaktion des Meniskusvorderhornes im Bereich, wo auch die Instabilität und die Osteochondrose zu finden sind.<sup>27</sup><br /> Obwohl zwar gute Argumente gefunden und auch klinische Erfolge erzielt werden, kann unsere Theorie nicht im Detail belegt werden. Die Diagnose eines hypermobilen Meniskus beruht eher auf einer subjektiven Beurteilung denn auf einer quantitativen Messung. Dennoch ist sie nicht ungenauer als eine Rotationsinstabilität des Kniegelenkes oder eine Varus- valgus-Instabilität des Ellenbogengelenkes zu bestimmen.<br /> Seit unserer Studie und in unserer weiteren klinischen Tätigkeit hat sich das Konzept der Meniskusinstabilität bei Osteochondrosis dissecans als fester Bestandteil der Behandlung eingestellt.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Cahill BR: J Am Acad Orthop Surg 1995; 3: 237-47 <strong>2</strong> Cahill BR et al: J Bone Joint Surg Am 1997; 79: 471-2 <strong>3</strong> Sales de Gauzy J et al: J Pediatr Orthop B 1999; 8: 26-8 <strong>4</strong> Camathias C et al: J Pediatr Orthop B 2011; 20: 74-80 <strong>5</strong> Green WT, Banks HH: J Bone Joint Surg Am 1953; 35-A: 26-47; passim <strong>6</strong> Hughes JA et al: Pediatr Radiol 2003; 33: 410-7 <strong>7</strong> Wall E J, von Stein D: Orthop Clin North Am 2003; 3 4: 341-53 <strong>8</strong> Krause M et al: Am J Sports Med 2013; 41: 2384- 91 <strong>9</strong> Ramirez A et al: J Pediatr Orthop 2010; 30: 180-5 <strong>10</strong> Camathias C et al: Arthroscopy 2015; 31: 410-5 <strong>11</strong> Kocher MS et al: Am J Sports Med 2006; 34: 1181-91 <strong>12</strong> Millington KL et al: Am J Sports Med 2010; 38: 2065-70 <strong>13</strong> Trinh TQ et al: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2012; 20: 2419-29 <strong>14</strong> Clanton TO, DeLee JC: Clin Orthop Relat Res 1982; (167): 50-64 <strong>15</strong> Hefti F et al: J Pediatr Orthop B 1999; 8: 231-45 <strong>16</strong> Laor T et al: Am J Roentgenol 2012; 199: 1121-8 <strong>17</strong> Petrie PW: J Bone Joint Surg Br 1977; 59: 366-7 <strong>18</strong> Edmonds EW, Polousky J: Clin Orthop Relat Res 2012; 471: 1118-26 <strong>19</strong> Shea KG et al: Clin Orthop Relat Res 2012; 471: 1127-36 <strong>20</strong> Beyzadeoglu T et al: Orthopedics 2008; 31: 504 <strong>21</strong> Camathias C et al: J Pediatr Orthop B 2012; 21: 421-4 <strong>22</strong> Guhl JF: Clin Orthop Relat Res 1982; (167): 65-74 <strong>23</strong> Hughston JC et al: J Bone Joint Surg Am 1984; 66: 1340-8 <strong>24</strong> Rehbein F: Dtsch Z Chir 1950; 265: 69-114 <strong>25</strong> McGuire DA et al: Arthroscopy 1996; 12: 675-79 <strong>26</strong> Chow JCY et al: Arthroscopy 2002; 18: 735-40 <strong>27</strong> Camathias C et al: Arthroscopy 2014; 30: 1269-79 <strong>28</strong> Webb JE et al: Orthopedics 2013; 36: e1444-9 <strong>29</strong> Matsusue Y et al: Clin Orthop Relat Res 1996; (322): 166-173 <strong>30</strong> Weckström M et al: Am J Sports Med 2007; 35: 1467-76 <strong>31</strong> Suganuma J, Ohkoshi T: Arthroscopy 2011; 27: 1071-8 <strong>32</strong> Klingele K et al: J Pediatr Orthop 2004; 24(1): 79-82</p>
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