Der «Türstopper-Effekt»

<p class="article-intro">Ein instabiler Meniskus könnte ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Osteochondrosis dissecans sein, wenn der Meniskus wie ein Türstopper zwischen Femur und Tibia einklemmt und mit der Zeit den Knorpel verletzt. Wir berichten über unsere Ergebnisse der Behandlung der Osteochondrosis dissecans durch Stabilisierung des Meniskus.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Osteochondrosis dissecans ist eine Knochen-Knorpel-Erkrankung, welche vor allem bei Kindern und Jugendlichen auftritt.<sup>1&ndash;3</sup> Jugendliche treiben heutzutage h&auml;ufiger und intensiver Sport als Generationen vor ihnen. Es erstaunt daher nicht, dass auch Knieprobleme bei Jugendlichen zugenommen haben. Die Osteochondrosis dissecans macht hier keine Ausnahme.<sup>1, 4, 5</sup><br /> Die Erkrankung wird prim&auml;r immer konservativ mit Analgesie und einer Ruhigstellung therapiert. Vielfach heilt sie nach einem halben oder einem Jahr komplett aus. Trotzdem berichten nicht wenige Patienten &uuml;ber Schmerzen auch nach einem Jahr konservativer Therapie. Konservative Ans&auml;tze versagen in bis zu 50 % .<sup>6, 7</sup> Den Erfolg einer konservativen Therapie vorauszusagen, ist schwierig, aber es gibt Zeichen, die darauf hinweisen, ob eine konservative Therapie versagt. Treten Zysten um den Osteochondroseherd auf oder ist dessen Umgebung sklerosiert, so ist die spontane Heilung deutlich unwahrscheinlicher.<sup>8, 9</sup> Operative Massnahmen gewinnen in diesem Zusammenhang mehr an Bedeutung. Wir kennen verschiedenste Techniken. Viele davon zeichnen sich durch gute Ergebnisse aus. So kann ein Herd antero- bzw. retrograd angebohrt oder mit Schrauben und Pins (bioresorbierbar oder nicht) fixiert werden. Alle Praktiken weisen ihr entsprechendes Risiko- und Komplikationsprofil auf.<sup>4, 10&ndash;12</sup> Diese Techniken adressieren allesamt die Osteochondrosis dissecans direkt.<sup>13</sup> Der eigentliche Grund f&uuml;r die Osteochondrosis bleibt hingegen verborgen.<br /> Urs&auml;chlich f&uuml;r die Osteochondrosis dissecans werden genetische Pr&auml;dispositionen, repetitive Mikrotraumata oder auch vaskul&auml;re Probleme und Ossifikationsst&ouml;rungen diskutiert.<sup>14&ndash;17</sup> Letztendlich bleiben &Auml;tiologie und Risikofaktoren f&uuml;r die Knorpel-Knochen-Erkrankung ungekl&auml;rt.<sup>18, 19</sup><br /> Osteochondrosen werden auch mit lateralen Scheibenmenisken assoziiert, insbesondere wenn zugleich eine L&auml;sion vorliegt.<sup>20&ndash;22</sup> Hier greift vor allem die Theorie der Mikrotraumata.<sup>23</sup> In die gleiche Kerbe schl&auml;gt Rehbein. Bereits 1950 publizierte er eine ausgedehnte Studie, in der er bei Hunden Mikrotraumata am distalen Femur mittels repetitiver Hyperextension im Kniegelenk kreierte. Dadurch produzierte er makroskopisch, aber auch mikroskopisch identische L&auml;sionen des Knochens und Knorpels, wie sie bei der Osteochondrose zu finden sind.<sup>24</sup> Rehbeins Konzept inspirierte uns, unsere Patienten mit Osteochondrosis dissecans etwas n&auml;her zu begutachten. Es fiel auf, dass diese Patienten eine erh&ouml;hte Laxizit&auml;t der Verankerung der Menisken vor allem im Bereich des Vorderhornes aufwiesen. Der Meniskus, so die Theorie, k&ouml;nnte durch diese Hypermobilit&auml;t w&auml;hrend einer Extensionsbewegung mit zeitgleicher Rotation zwischen Femur und Tibia einklemmen.<br /> Bereits zuvor beobachtete McGuire &auml;hnliche Ph&auml;nomene, bei denen eine exzessive Hyperextension im Kniegelenk zu Knorpelsch&auml;den f&uuml;hrt und den Meniskus einklemmen kann.<sup>25</sup> Chow et al beschrieben andererseits, dass eine hypertrophe Synovia Schmerzen, aber auch Knorpelver&auml;nderungen im vorderen Kompartiment des Kniegelenkes produzieren kann.<sup>26</sup> Mehrere Studien weisen auf Zusammenh&auml;nge zwischen Knorpell&auml;sion, Knieschmerz und auch einer m&ouml;glichen Impingement-Problematik hin. Wir vermuteten deshalb, dass eine Instabilit&auml;t des Meniskus, vor allem des Vorderhornes, ein Risikofaktor f&uuml;r den Beginn einer Osteochondrosis dissecans sein k&ouml;nnte. So w&uuml;rde der instabile Meniskus wie ein T&uuml;rstopper zwischen Femur und Tibia einklemmen (Abb. 1). Mit diesen repetitiven Mikrotraumata w&uuml;rde sich mit der Zeit der Knorpel verletzen. Insbesondere die konvexe Seite des Femurs k&ouml;nnte die punktuellen Spitzenbelastungen schlechter tolerieren als das Tibiaplateau. Konsequenterweise m&uuml;sste man eine derart entstandene Osteochondrosis dissecans nicht direkt behandeln, sondern die Instabilit&auml;t des Meniskus beheben. Dies wiederum w&uuml;rde sekund&auml;r und indirekt die Osteochondrose ausheilen.<br /> 2014 haben wir diese Hypothese publiziert und anhand von 16 operierten F&auml;llen in unserer Klinik &uuml;ber zwei Jahre hinweg dokumentiert.<sup>27</sup> Bei diesen Patienten wurde lediglich der Meniskus stabilisiert, die Osteochondrosis dissecans jedoch keines Blickes gew&uuml;rdigt. Arthroskopisch verifizierten wir die Instabilit&auml;t des Meniskus. Instabilit&auml;t definierten wir im Vergleich zum Gegenmeniskus: Eine erh&ouml;hte Mobilit&auml;t von mehr als 5mm zur Gegenseite interpretierten wir als instabil. Der Meniskus wurde sodann im Bereich der Instabilit&auml;t in einer Outside-in-Technik mit einem resorbierbaren Faden an die Kapsel vern&auml;ht (Abb. 2g, h). Postoperativ erlaubten wir den Patienten sechs Wochen eine Teilbelastung (Vollbelastung in Streckstellung) in einer Schiene mit maximaler Flexion von 60&deg;. Danach durften die Patienten wiederum vollst&auml;ndig belasten. Wir erlaubten Sport, nachdem die Osteochondrose vollst&auml;ndig geheilt war.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s24_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="1629" /></p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Wir verglichen sowohl klinische als auch radiologische Parameter zwischen dieser und einer konventionell behandelten Gruppe mit intraartikul&auml;rer Schraubenfixation der Osteochondrose. Bei den Patienten mit Meniskusstabilisation verbesserte sich bereits nach kurzer Zeit die Schmerzsymptomatik, die Osteochondrose verringerte sich im MRI kontinuierlich (Abb. 2a&ndash;f). Im Schnitt verschwand sie im MRI nach gut sechs Monaten. Zwei Jahre nach der Operation unterschieden sich die zwei Gruppen nicht wesentlich von einander, ausser dass die Schmerzen in der Gruppe mit Meniskusstabilisation schneller verschwunden waren.<br /> F&uuml;r uns stellten diese Resultate einen Wendepunkt in der Behandlung der Osteochondrosis dissecans dar. Die Tatsache, dass keine Schrauben im Verlauf entfernt und keine weiteren Knorpeldefekte durch die Implantate riskiert werden mussten, war ein weiterer Vorteil der neuen Technik. In der Zwischenzeit haben wir &uuml;ber 30 Patienten mit diesem Krankheitsbild in dieser Technik behandelt, ohne die Osteochondrose direkt anzugehen, indem wir lediglich eine Meniskusinstabilit&auml;t behoben haben. Bei allen Patienten konnte die Osteochondrosis dissecans ausheilen, die Symptomatik verschwand dabei relativ fr&uuml;h.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s25_abb2.jpg" alt="" width="1095" height="1757" /></p> <h2>Diskussion</h2> <p>Obwohl diese neue Herangehensweise an die Osteochondrosis dissecans gleich gute Resultate liefert wie konventionelle Operationstechniken, kann die vorgestellte Theorie im Detail nicht belegt werden. Zwangsl&auml;ufig stellt sich die Frage, weshalb die anderen Techniken die Osteochondrose auch ausheilen k&ouml;nnen, obwohl sie den Meniskus nachweislich nicht stabilisieren. Jegliche Interpretationsversuche m&uuml;nden ins Hypothetische. Es wird angenommen, dass die Schraubenfixierung der Osteochondrose zu einer Kompression der Fragmente und so schliesslich zur Heilung f&uuml;hrt.<sup>28</sup> Der gleiche Effekt tritt jedoch auch bei resorbierbaren Schrauben oder Pins auf. Hier ist eine Kompression der Fragmente eher unwahrscheinlich.<sup>29, 30</sup> Die Schraube k&ouml;nnte aber mit ihrem Kopf wie ein Helm den Knorpel vor dem Einklemmen des Meniskus sch&uuml;tzen. Damit ist nat&uuml;rlich immer noch nicht gekl&auml;rt, weshalb die Osteochondrose ebenfalls ausheilt, wenn sie retrograd oder anterograd angebohrt wird. Es ist durchaus m&ouml;glich, dass der arthroskopische oder offene Zugang zur Osteochondrose ausser dem direkten Einfluss auf die Osteochondrose auch die Verankerung des Meniskus verletzt bzw. anfrischt. Damit w&auml;re eine spontane Heilung der Aufh&auml;ngung des Meniskus ebenfalls m&ouml;glich.<br /> Nichtsdestotrotz fragen wir unsere Osteochondrosepatienten jeweils nach m&ouml;glichen Instabilit&auml;ten oder Blockadeph&auml;nomenen vor der Operation. Ein Grossteil der Patienten berichtet &uuml;ber minimale Instabilit&auml;ten, vor allem bei Rotationsbewegungen.<sup>31</sup> Bekannt ist, dass ein hypermobiler Meniskus, also ein Meniskus mit einer L&auml;sion seiner Verankerung, eine Rotationsinstabilit&auml;t hervorrufen und symptomatisch werden kann.<sup>32</sup> Die Patienten berichten auch h&auml;ufig &uuml;ber Blockaden mit sofortigen Schmerzen. Beide Symptome weisen auf eine m&ouml;gliche Meniskusverletzung, wenn auch nur der Verankerung, hin. Ein weiteres unterst&uuml;tzendes Argument f&uuml;r unsere Hypothese bietet die Arthroskopie. Hier sehen wir regelm&auml;ssig eine Entz&uuml;ndungsreaktion des Meniskusvorderhornes im Bereich, wo auch die Instabilit&auml;t und die Osteochondrose zu finden sind.<sup>27</sup><br /> Obwohl zwar gute Argumente gefunden und auch klinische Erfolge erzielt werden, kann unsere Theorie nicht im Detail belegt werden. Die Diagnose eines hypermobilen Meniskus beruht eher auf einer subjektiven Beurteilung denn auf einer quantitativen Messung. Dennoch ist sie nicht ungenauer als eine Rotationsinstabilit&auml;t des Kniegelenkes oder eine Varus- valgus-Instabilit&auml;t des Ellenbogengelenkes zu bestimmen.<br /> Seit unserer Studie und in unserer weiteren klinischen T&auml;tigkeit hat sich das Konzept der Meniskusinstabilit&auml;t bei Osteochondrosis dissecans als fester Bestandteil der Behandlung eingestellt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Cahill BR: J Am Acad Orthop Surg 1995; 3: 237-47 <strong>2</strong> Cahill BR et al: J Bone Joint Surg Am 1997; 79: 471-2 <strong>3</strong> Sales de Gauzy J et al: J Pediatr Orthop B 1999; 8: 26-8 <strong>4</strong> Camathias C et al: J Pediatr Orthop B 2011; 20: 74-80 <strong>5</strong> Green WT, Banks HH: J Bone Joint Surg Am 1953; 35-A: 26-47; passim <strong>6</strong> Hughes JA et al: Pediatr Radiol 2003; 33: 410-7 <strong>7</strong> Wall E J, von Stein D: Orthop Clin North Am 2003; 3 4: 341-53 <strong>8</strong> Krause M et al: Am J Sports Med 2013; 41: 2384- 91 <strong>9</strong> Ramirez A et al: J Pediatr Orthop 2010; 30: 180-5 <strong>10</strong> Camathias C et al: Arthroscopy 2015; 31: 410-5 <strong>11</strong> Kocher MS et al: Am J Sports Med 2006; 34: 1181-91 <strong>12</strong> Millington KL et al: Am J Sports Med 2010; 38: 2065-70 <strong>13</strong> Trinh TQ et al: Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2012; 20: 2419-29 <strong>14</strong> Clanton TO, DeLee JC: Clin Orthop Relat Res 1982; (167): 50-64 <strong>15</strong> Hefti F et al: J Pediatr Orthop B 1999; 8: 231-45 <strong>16</strong> Laor T et al: Am J Roentgenol 2012; 199: 1121-8 <strong>17</strong> Petrie PW: J Bone Joint Surg Br 1977; 59: 366-7 <strong>18</strong> Edmonds EW, Polousky J: Clin Orthop Relat Res 2012; 471: 1118-26 <strong>19</strong> Shea KG et al: Clin Orthop Relat Res 2012; 471: 1127-36 <strong>20</strong> Beyzadeoglu T et al: Orthopedics 2008; 31: 504 <strong>21</strong> Camathias C et al: J Pediatr Orthop B 2012; 21: 421-4 <strong>22</strong> Guhl JF: Clin Orthop Relat Res 1982; (167): 65-74 <strong>23</strong> Hughston JC et al: J Bone Joint Surg Am 1984; 66: 1340-8 <strong>24</strong> Rehbein F: Dtsch Z Chir 1950; 265: 69-114 <strong>25</strong> McGuire DA et al: Arthroscopy 1996; 12: 675-79 <strong>26</strong> Chow JCY et al: Arthroscopy 2002; 18: 735-40 <strong>27</strong> Camathias C et al: Arthroscopy 2014; 30: 1269-79 <strong>28</strong> Webb JE et al: Orthopedics 2013; 36: e1444-9 <strong>29</strong> Matsusue Y et al: Clin Orthop Relat Res 1996; (322): 166-173 <strong>30</strong> Weckstr&ouml;m M et al: Am J Sports Med 2007; 35: 1467-76 <strong>31</strong> Suganuma J, Ohkoshi T: Arthroscopy 2011; 27: 1071-8 <strong>32</strong> Klingele K et al: J Pediatr Orthop 2004; 24(1): 79-82</p> </div> </p>
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