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Das Schädelhirntrauma beim Polytraumatisierten

<p class="article-intro">Das Schädelhirntrauma ist die häufigste Todesursache bei Polytrauma. Die Behandlungsergebnisse des Polytraumas sind bei begleitendem Schädelhirntrauma mit einer erhöhten Mortalität und einer erniedrigten Lebensqualität verbunden. Deshalb ist gerade in Zeiten der zunehmenden Spezialisierung in der Medizin ein zielgerichtetes Management des Schädelhirntraumas bei Polytrauma notwendig.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Priorit&auml;tenbezogene Diagnostik und Therapie sowie Vermeidung einer Hypotension unter Einhaltung der Prinzipien der &bdquo;damage control surgery&ldquo; m&uuml;ssen sichergestellt werden, um einen sekund&auml;ren Hirnschaden zu vermeiden.</li> <li>In Anbetracht des Zeitfaktors und der Ressourcen wird wahrscheinlich auch in Zukunft eine operative Versorgung eines schweren SHT durch zeitnah verf&uuml;gbare Unfallchirurgen Realit&auml;t bleiben, um den derzeitigen hohen Standard der neurotraumatologischen Akutversorgung aufrechtzuerhalten.</li> <li>Auf dieser Grundlage sollte f&uuml;r eine ad&auml;quate Ausbildung zuk&uuml;nftiger Fach&auml;rzte gesorgt werden. Von den Verantwortlichen in Politik und Standesvertretung sollten hierf&uuml;r auch die Voraussetzungen gesichert werden.</li> </ul> </div> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Das Sch&auml;delhirntrauma (SHT) ist f&uuml;r bis zu 70 % der Todesf&auml;lle bei Polytrauma verantwortlich und damit die Haupttodesursache, gefolgt vom h&auml;morrhagischen Schock. Die Letalit&auml;t bei Polytrauma mit einem Injury Severity Score (ISS) ab 16 liegt international zwischen 18 und 23 % . Ungef&auml;hr 60 % der Polytraumatisierten erleiden ein schweres SHT mit einer Letalit&auml;t von 46 % . Damit liegt die Letalit&auml;t bei schwerem SHT im Rahmen des Polytraumas deutlich &uuml;ber der Letalit&auml;t des isolierten schweren SHT mit ungef&auml;hr 30 % .<br /> Eine Untersuchung aller polytraumatisierten Patienten an der Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Unfallchirurgie der Medizinischen Universit&auml;t Wien hat f&uuml;r den Zeitraum von 1992 bis 2006 einen Anteil von 56 % mit schwerem SHT ergeben. Polytraumatisierte mit SHT hatten einen h&ouml;heren mittleren ISS von 36,7 gegen&uuml;ber 31,7 bei Polytrauma ohne SHT und eine fast doppelt so hohe Letalit&auml;t (35,2 % vs. 18,9 % ).<br /> Es gibt zahlreiche Definitionen f&uuml;r die Einteilung der Schweregrade eines SHT (Tab. 1). Meist erfolgt sie nach klinischen Kriterien, gemessen an der Glasgow Coma Scale (GCS), oder nach Vorhandensein und Auspr&auml;gungsgrad morphologischer Sch&auml;den nach der Abbreviated Injury Scale (AIS) in drei Schweregrade. Die Einteilung ist keine starre, da es auch verz&ouml;gert zu klinischer und radiologischer Befundverschlechterung kommen kann. Bei Einnahme von Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationhemmern kann sich die Auspr&auml;gung des SHT bei Patienten erst sp&auml;t zeigen oder nach einem Bagatelltrauma entwickeln. Die GCS zur Beurteilung eines SHT ist klinisch etabliert, muss jedoch gerade bei Polytrauma kritisch beurteilt werden, da sie keinen direkten R&uuml;ckschluss auf die Ursache der Bewusstseinseinschr&auml;nkung gibt.<br /> Die Behandlungsergebnisse bei Polytrauma mit SHT sind deutlich schlechter als die bei Polytrauma ohne begleitendes SHT. Gross et al zeigten, dass f&uuml;r 71 % der &uuml;berlebenden Polytraumapatienten mit schwerem SHT selbstst&auml;ndiges Leben m&ouml;glich war, im Vergleich zu 95 % der &uuml;berlebenden Polytraumapatienten ohne SHT.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s32_tab1.jpg" alt="" width="686" height="1304" /></p> <h2>Sekund&auml;re Sch&auml;den vermeiden</h2> <p>Therapieziele bei Schwerstverletzten mit SHT dienen der Vermeidung sekund&auml;rer Sch&auml;den durch zerebrale Hypoperfusion mit Verschlechterung der prim&auml;ren Sch&auml;den und Ausbildung eines Hirn&ouml;dems. Hypotonie beeinflusst die Letalit&auml;t des SHT bei Polytrauma ma&szlig;geblich, mit einer Verdoppelung der Mortalit&auml;t durch eine einzige Episode von systolischem Blutdruck unter 90mmHg. Weiters beeinflusst Hypoxie das Behandlungsergebnis negativ, weshalb eine Sauerstoffs&auml;ttigung &gt;90 % und Sauerstoffpartialdruckwerte &gt;60mmHg empfohlen werden. Ein direkter Einfluss extrakranieller Verletzungen auf das schwere SHT konnte bisher nicht nachgewiesen werden.<br /> Neben dem Blutdruck als wichtigstem Kennwert soll ein kranieller Perfusionsdruck (CPP) &gt;70mmHg angestrebt werden (CPP = mittlerer arterieller Druck &ndash; intrakranieller Druck). F&uuml;r den systemischen Blutdruck muss ein Mittelweg gew&auml;hlt werden, da auch Hypertonie zu einer Volumenzunahme intrakranieller Blutungen f&uuml;hren kann. Weiters m&uuml;ssen immer eine Gerinnungsoptimierung und/ oder Antidotgabe bei pr&auml;disponierenden Grunderkrankungen und bekannter Antikoagulation oder Thrombozytenaggregationshemmung in Betracht gezogen werden.</p> <h2>Faktor Zeit</h2> <p>Zur Verhinderung eines sekund&auml;ren Hirnschadens und erh&ouml;hter Mortalit&auml;t soll ein Zeitverlust bis zur operativen Versorgung vermieden werden. Hier kann nach derzeitiger Studienlage eine Grenze von 4 Stunden als kritische Marke der Zeit zwischen Unfall und operativer Versorgung angegeben werden. Daher empfehlen zahlreiche Guidelines eine Vermeidung von zeitaufwendigen Transporten und einen direkten Transport in eine Versorgungseinheit mit neurotraumatologischer Kompetenz.<br /> Im Rahmen der Akutversorgung herrscht das Prinzip &bdquo;Treat first what kills first&ldquo;, weshalb die Durchf&uuml;hrung eines Sch&auml;del-CT und gegebenenfalls neurotraumatologische Intervention erst nach der Sicherung und Stabilisierung der Vitalfunktionen erfolgen sollten. Die Kenntnis der &bdquo;damage control surgery&ldquo; und damit der Indikationsstellung f&uuml;r neurotraumatologische Operationen unter Miteinbeziehung der Prognose ist hierbei essenziell.</p> <h2>Versorgungsstrategien</h2> <p>Zahlreiche Studien beschreiben herrschende Versorgungsengp&auml;sse durch einen Mangel an Neurochirurgen. International wird deshalb Neurotraumatologie auch von anderen Fachdisziplinen als der Neurochirurgie durchgef&uuml;hrt. Rezente Studien aus Europa, Asien und Australien konnten vergleichbare Ergebnisse f&uuml;r die operative Versorgung durch andere Fachdisziplinen als die Neurochirurgie zeigen. Die Guidelines der Neurosurgical Society of Australasia empfehlen f&uuml;r das Management des Neurotraumas in l&auml;ndlichen Regionen daher beispielsweise die operative Versorgung durch alternative Fach&auml;rzte, wenn eine Zeitverz&ouml;gerung von mehr als zwei Stunden bis zu einer Versorgung durch Neurochirurgen absehbar ist. Auch eine schwedische Untersuchung kam zu dem Schluss, dass man neurotraumatologische Operationen, welche aufgrund von erwarteten langen Transportzeiten verz&ouml;gert w&uuml;rden, durch Allgemeinchirurgen durchf&uuml;hren lassen sollte. Die einzige prospektiv-vergleichende Studie &uuml;ber die operative Versorgung des SHT durch Unfallchirurgen und Neurochirurgen wurde durch die International Neurotrauma Research Organization (INRO) von Leitgeb et al in der Slowakei, Kroatien und &Ouml;sterreich durchgef&uuml;hrt. Bei dieser multizentrischen Studie wurden die Ergebnisse nach Kraniotomien durch Unfall- und Neurochirurgen bei isolierten schweren SHT verglichen. Hierbei zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Mortalit&auml;t. Auffallend war das schlechtere Ergebnis, gemessen an der Glasgow Outcome Scale, in der neurochirurgisch versorgten Gruppe, wobei diese Patienten eine h&ouml;here Verletzungsschwere aufgewiesen hatten. Postoperative Nachblutungen waren in der Gruppe der unfallchirurgisch versorgten Patienten etwas h&ouml;her, jedoch wirkten sich diese nicht signifikant auf die Mortalit&auml;t aus. Insgesamt zeigte die Studie also vergleichbare Ergebnisse bei unfallchirurgisch und neurochirurgisch versorgten SHT.<br /> Es ist zu erwarten, dass die vielerorts bereits bestehenden Versorgungsengp&auml;sse durch Fach&auml;rztemangel bei Einsparungen in Gesundheits- und Sozialsystemen auch in Mitteleuropa bevorstehen. In &Ouml;sterreich gibt es derzeit 65 unfallchirurgische und 11 neurochirurgische Abteilungen. Dabei besteht ein Verh&auml;ltnis von ungef&auml;hr 1600 unfallchirurgischen Fach&auml;rzten zu ungef&auml;hr 190 neurochirurgischen. Im Jahr 2000 zeigte eine Studie von Drobetz et al, dass in &Ouml;sterreich 82 % der Patienten mit schwerem SHT von Unfallchirurgen versorgt worden waren. Eine durch die Autoren 2016 in &Ouml;sterreich durchgef&uuml;hrte telefonische Umfrage hat ergeben, dass nur noch 48 % der 65 unfallchirurgischen Abteilungen das schwere SHT auch operativ versorgen. Von diesen Abteilungen gaben 12 % an, nur im Notfall selbstst&auml;ndig zu operieren. Die Zahl der &ouml;sterreichischen unfallchirurgischen Abteilungen, die das schwere SHT routinem&auml;&szlig;ig operativ versorgen, ist damit mehr als halbiert im Vergleich zum Jahr 2000. Weiters gab der Gro&szlig;teil der Abteilungen, die das schwere SHT nicht operieren, an, auch bei mittelschwerem SHT angebundene neurochirurgische Abteilungen teleradiologisch zu konsultieren. Damit zeigt sich auch in &Ouml;sterreich der international vorherrschende Trend zu interdisziplin&auml;rem Management von SHT. Erstaunlich ist hierbei, dass parallel zu den &ouml;sterreichischen Entwicklungen mit zunehmender Spezialisierung in den USA auf dem Boden eines Fach&auml;rztemangels die neue Fachdisziplin &bdquo;Acute Care Surgery&ldquo; entstanden ist, welche allgemeinchirurgische und unfallchirurgische Akutversorgung abdeckt. In den USA wird derzeit dar&uuml;ber diskutiert, ob Acute Care Surgery auch operative Neurotraumatologie einschlie&szlig;en soll.</p> <h2>Eine Frage der Ausbildung</h2> <p>Die Ausbildungsordnung des neuen Faches &bdquo;Orthop&auml;die und Traumatologie&ldquo; sieht in erster Linie die Versorgung des Bewegungsapparates vor und beinhaltet dar&uuml;ber hinaus nur noch &bdquo;allf&auml;llige interdisziplin&auml;re Behandlung von Neurotraumata&ldquo; mit einer Richtzahl von 10. Damit ist die Ausbildung f&uuml;r eine operative Versorgung eines SHT im Ausbildungskatalog nicht mehr gesichert. Auch die &bdquo;interdisziplin&auml;re Behandlung von Neurotraumata&ldquo; ist allein denjenigen Kollegen vorbehalten, die sich f&uuml;r das Traumatologie-Modul entscheiden. Damit sind eventuelle Versorgungsengp&auml;sse f&uuml;r das schwere SHT zuk&uuml;nftig nicht auszuschlie&szlig;en, da die facharztspezifische Aufteilung des Versorgungsauftrages bislang nicht eindeutig festgelegt worden ist.</p></p>
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