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Das distale Radioulnargelenk

Die differenzierte Funktionsfähigkeit des Arms basiert entscheidend auf der Unterarmrotation und damit auf dem Bewegungsausmass des distalen Radioulnargelenks (DRUG). Die Umwendbewegung des Unterarms ermöglicht erst den vollständigen und sinnvollen Einsatz der Hand, sodass eine reibungslose Bewältigung der alltäglichen Aktivitäten gewährleistet wird.1 Verletzungen, die die Integrität dieses Gelenks betreffen, führen zu ausgeprägten Einschränkungen der Extremität.

Keypoints

  • Die Hauptstabilisatoren des DRUG sind die distalen radioulnaren Bänder.

  • Die klinische Untersuchung des DRUG im Seitenvergleich ist das Fundament der Diagnostik.

  • Die Handgelenkarthroskopie ist der Referenzstandard für die Beurteilung des TFCC.

Anatomie

Die Umwendbewegung des Unterarms ist nur durch das Zusammenspiel zwischen dem körperfernen (DRUG) und dem körpernahen (PRUG) Unterarmumwendgelenk möglich. Diese Gelenke werden funktionell als bikondyläres Gelenk zusammengefasst.2 Die Rotationsachse verläuft durch das Zentrum des Radiuskopfs nach distal durch die Fovea ulnaris, wobei die Speiche um die Elle rotiert.3–5 Incisura ulnaris und Ellenkopf artikulieren und bilden das DRUG. Wegen der unterschiedlichen Gelenkflächenkrümmungen der Gelenkpartner ist die Kontaktfläche zwischen beiden gering. Aufgrund dieser Divergenz wird während der Umwendbewegung eine Roll-Gleit-Bewegung ermöglicht. In Pronation translatiert die Speiche im Verhältnis zur Elle nach palmar, wogegen in Supination eine gegensätzliche Bewegung auftritt.2,3,5–7

Die Konfiguration der Gelenkpartner variiert. Der Ellenkopf ist entweder zylindrisch, kegel- oder kugelförmig geformt.8 Kegelförmige Konfigurationen des Ellenkopfs gehen oftmals mit einer Ulna-minus-Variante einher. Zylindrische Ausformungen des Ellenkopfs treten oft bei gleich langen Gelenkpartnern auf.7,8

Die Ausprägungen der Incisura ulnaris tragen in unterschiedlichem Mass zur Stabilität bei. Grundsätzlich werden vier Ausformungen beschrieben, wobei die flache Konfiguration am häufigsten angetroffen wird. Danach folgen die C- und dann die beiden S- bzw. „Ski slope»-Ausformungen.7

In Abhängigkeit der Gelenkgeometrie tragen die knöchernen Strukturen maximal 30% zur Stabilität im DRUG bei.5 Eine C-förmige Ausformung der Incisura ulnaris in Kombination mit einem kugelförmigen Ellenkopf führt zu einer reduzierten Translation der Gelenkpartner.7

Die radioulnaren Ligamente entspringen an der Incisura ulnaris und teilen sich in oberflächliche und tiefe Fasern auf.2,3,6,9 Diese Bandstrukturen umfassen den faserknorpeligen Discus ulnocarpalis und gehören dem triangulären fibrokartilaginären Komplex (TFCC) an, der zusammen mit der Membrana interossea der wichtigste Stabilisator des DRUG ist.2,3,10–16 Die tiefen Fasern setzen in einem stumpfen Winkel in der Fovea ulnaris an, während die oberflächlichen Fasern in einem spitzen Winkel an der Basis des Processus styloideus ulnae inserieren.3,6

Die radioulnaren Ligamente garantieren aufgrund ihrer zentrischen und exzentrischen Insertionen die Gelenkstabilität im kompletten Bewegungsumfang, da während der Umwendbewegung eine reibungslose und kontinuierliche Spannungsverschiebung zwischen den einzelnen spiralförmig ausgerichteten Fasern erfolgt.3,6,17,18 In Supination sind die dorsalen tiefen Fasern und die oberflächlichen palmaren Fasern gespannt. Während der Pronation spannen sich die komplementären Ligamente an.5,9,16,18 Externe Einflüsse erhöhen die Bandspannung nicht.19

Der TFCC besteht ferner aus dem Meniscus ulnocarpalis, dem Boden des 6.Strecksehnenfachs, dem Lig. collaterale ulnareund dem ulnokarpalen Bandkomplex. Diese Strukturen tragen allerdings nur in bestimmten Gelenkstellungen zur Stabilität bei.1,17,20

Der Diskus ulnokarpalis wirkt als «Dämpfer».21 Der palmare Anteil der Extensor-carpi-ulnaris(ECU)-Sehnenscheide ist fest mit der dorsalen und ulnaren Facette des Ellenkopfs verbunden. Im Bereich der Fovea ulnaris und des Processus styloideus ulnae überkreuzen und vermischen sich die Fasern der ECU-Sehnenscheide mit denen der radioulnaren und ulnokarpalen Bänder.22 Nach Durchtrennung der radioulnaren Bänder und des ulnokarpalen Bandapparates trägt die palmare ECU-Sehnenscheide in Handgelenkextension und Radialduktion zu einer residuellen Stabilität des DRUG bei.23

In Neutralstellung des DRUG limitiert die Kapsel zusätzlich zu den Hauptstabilisatoren die dorsopalmare Translation.24

Die Membrana interossea ist der zweite wesentliche Stabilisator des DRUG und kann in verschiedene Abschnitte unterteilt werden.25 Vor allem der distale Teil dieser Struktur trägt zur Stabilität im DRUG bei.25 Ein schräges Faserbündel in diesem Abschnitt, das jedoch nicht immer eindeutig zu differenzieren ist, ist diesbezüglich besonders relevant.26,27 Dieses Band entspringt am Ellenschaft durchschnittlich 5,4cm proximal des DRUG und inseriert am dorsalen Rand der Incisura ulnaris.13,26–28 Hierbei handelt es sich um einen isometrischen Stabilisator, da dieser in der Rotationsachse liegt.26,29

Untersuchungen der beiden Hauptstabilisatoren TFCC und Membrana interossea zeigten, dass eine insuffiziente Membrana interossea bei intaktem TFCC kompensiert werden kann.30 Die distalen radioulnaren Ligamente scheinen somit einen grösseren Beitrag zur Stabilität im DRUG zu leisten.17

Der Musculus pronator quadratus ist ein weiterer wichtiger Bestandteil und besteht aus einem oberflächlichen und einem tiefen Kopf. Der oberflächliche Kopf entspringt an der dorsoulnaren Facette der Elle und inseriert am palmaren Aspekt der Speiche. Palmar davon entspringt der tiefe Kopf an der Elle5 und inseriert an der ulnaren Facette des distalen Speichenschafts, wobei Ausläufer nach dorsal zur Membrana interossea ziehen. Die Innervation des Muskels erfolgt durch den Nervus interosseus anterior.31

Der Musculus pronator quadratus ist ein dynamischer Stabilisator des DRUG, der die Gelenkpartner während der Umwendbewegung zusätzlich stabilisiert. Dabei ist der tiefe Kopf des Muskels bei jeder Gelenkbewegung aktiviert, wogegen der oberflächliche Kopf nur selektiv angesteuert wird.32–34

Diagnostik des DRUG

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Abb. 1: Ulna-Fovea-Zeichen

Integraler Bestandteil der Diagnostik ist nach erfolgter Anamnese die klinische Untersuchung. Das Ulna-Fovea-Zeichen ist durch eine hohe Sensitivität und Spezifität für TFCC-Läsionen charakterisiert.35 Dabei palpiert der Untersucher mit dem Daumen die ulnare Tabatiere, während die Hand und der Unterarm in Neutralstellung ausgerichtet sind und der Ellenbogen aufgestellt ist (Abb. 1). Werden die vom Patienten berichteten Schmerzen ulnokarpal provoziert, liegt der Verdacht auf eine TFCC-Läsion nahe.

Ferner ist eine dynamische und vor allem simultane Untersuchung des DRUG im Vergleich zur gesunden Gegenseite essenziell, um auch diskrete Instabilitäten detektieren zu können.36,37 Diesbezüglich hat sich der dynamische Subluxationstest bewährt. Bei dieser Untersuchung werden der Zeigefinger auf den Gelenkspalt des DRUG und der Mittelfinger auf den Ellenkopf im Seitenvergleich gelegt. Während der passiven Unterarmrotation wird das Gelenkspiel bzw. die Translation zwischen Speiche und Elle im Gelenk mit den Fingern «erfühlt» (Abb. 2). Diskrete Beweglichkeitsunterschiede im Seitenvergleich können mit dieser Methode detektiert werden. Allerdings ist dieser Test durch eine flache Lernkurve charakterisiert.

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Abb. 2: Dynamischer Subluxationstest

Im Anschluss erfolgt die nativ-radiologische Untersuchung des betroffenen Handgelenks, wobei zur Beurteilung des DRUG zunächst die Projektionsqualität der Bildgebung überprüft werden sollte. Manchmal ist auch ein Rotations-CT zur weiteren Eingrenzung hilfreich. Zur Vermessung hat sich die modifizierte radioulnare Quotientenmethode hinsichtlich intra- und interobserver Reliabilität bewährt.35,38

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Abb. 3: Intraoperative Prüfung der Stabilität mit Ballottement-Test

Schlussendlich ist aber weiterhin die Handgelenkarthroskopie zur Objektivierung und Quantifizierung der TFCC-Läsionen der Referenzstandard.38,39 Es besteht nämlich damit auch die Option zur sofortigen stadienabhängigen Therapie der Läsionen. In diesem Zusammenhang sind sowohl der Hook-Test als auch der Push-up-needle-Test präzise Methoden, auch zum Nachweis gedeckter Rupturen der radioulnaren Ligamente (z.B. Palmer-1b-/ Atzei-3-Läsionen).

Da auch im Rahmen von distalen Radiusfrakturen eine DRUG-Instabilität auftreten kann, sollte nach Versorgung des Radius die intraoperative Prüfung der Stabilität mit einem Ballottement-Test erfolgen, um diese Läsion zeitnah zu erkennen und zu versorgen. Dabei wird mit einer Hand der distale Radius und mit der anderen die distale Ulna fixiert und das Gelenkspiel in verschiedenen Gelenkstellungen überprüft (Abb. 3). Dies erfordert allerdings präoperativ die Untersuchung der gesunden Gegenseite als Referenz.

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