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Das „Plumbersyndrom“
Jatros
Autor:
OA Dr. Axel Prodinger
Teamleiter Schulter, Orthopädie, LKH Stolzalpe<br> E-Mail: axelpeter.prodinger@lkh-stolzalpe.at
30
Min. Lesezeit
15.11.2018
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<p class="article-intro">Beim jungen, sportlichen, überkopftätigen Patienten zeigt sich häufig ein nicht erkannter Symptomkomplex. Die Diagnose ist oft schwierig. Unsere Studie verfolgt die Hypothese, dass eine subtile Instabilität mit stadienhaftem Verlauf ohne Instabilitätsanamnese, aber mit typischen anatomischen Strukturschäden die Ursache der Schmerzen ist und mit gutem Erfolg arthroskopisch saniert werden kann.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das „Plumbersyndrom“ wird oft fehldiagnostiziert oder nicht erkannt.</li> <li>Junge, sportliche, überkopftätige Menschen mit therapieresistenten, tiefen vorderen Schulterschmerzen ohne Trauma sind die typischen Patienten.</li> <li>Repetitive Mikrotraumen bei Überkopftätigkeit führen zu einer subtilen, chronischen Instabilität mit möglichem stadienhaftem Verlauf.</li> <li>Ein typischer Symptomkomplex sichert die Diagnose.</li> <li>Die Therapie erfolgt operativ durch arthroskopische Kapsel- Labrum-Refixation und Sanierung der Sekundärläsionen.</li> </ul> </div> <h2>Problemstellung</h2> <p>In den letzten Jahren wurden wir in unserer Schulterambulanz immer wieder mit therapieresistenten Schulterschmerzen beim jungen, sportlichen Überkopfarbeiter konfrontiert. Vor allem handelte es sich um hyperlaxe, sportliche, überkopfarbeitende Handwerker wie z.B. Installateure, deshalb erlaube ich mir, den Terminus „Plumbersyndrom“ zu verwenden.<br /> Es ist schwierig, die richtige Diagnose zu finden. Die Symptome werden meistens einem Impingement (sowohl „outlet“ als auch inneres), einer Bizepssehnenläsion bzw. einem Pulleysyndrom, Ansatztendinopathien der Rotatorenmanschette oder PASTA-Läsionen zugeordnet. Aufgrund einer fehlenden Traumaanamnese wird an eine ursächliche Instabilität oft nicht gedacht. Meiner Erfahrung nach ist eine chronische Labrumläsion mit anteroinferiorer Instabilität ursächlich für die Schmerzen. Sie kann bei zunehmender Instabilität und gleichbleibender Belastung einen stadienhaften Verlauf mit Sekundärschäden nehmen und sogar bis zur Instabilitätsarthrose führen. Deshalb sollte man sich beim jungen Überkopfarbeiter darauf sensibilisieren und immer die Möglichkeit des „Plumbersyndroms“ mit einbeziehen. Die richtige Diagnose ist Voraussetzung, um eine entsprechend gezielte Therapie einzuleiten. Bei der richtigen Indikationsstellung ist eine arthroskopische Sanierung zielführend und effektiv.<br /> Ziel der Studie ist es, einen Zusammenhang zwischen chronischen Schulterschmerzen beim jungen sportlichen überkopftätigen Menschen und einem spezifischen Symptomkomplex basierend auf einer nicht erkannten Instabilität nachzuweisen und über die Ergebnisse der arthroskopischen Behandlung zu berichten.</p> <h2>Hypothese</h2> <p>Die Ursache von Schulterschmerzen beim jungen Überkopfarbeiter ist oft schwierig zu diagnostizieren. Diese Studie verfolgt die Hypothese, dass eine subtile Instabilität ohne Instabilitätsanamnese ursächlich für die Schmerzen ist. Repetitive Mikrotraumen bei Überkopftätigkeiten führen zu anatomischen Strukturschäden am anteroinferioren Labrum (Abb. 1, 2). Folglich kommt es zu Humeruskopfsubluxationen mit primärer Überreizung und Überdehnung des ventralen Kapselbandapparates und zu einer Verkürzung der hinteren Kapsel. Bei gleichbleibender Belastung und zunehmender Instabilität könnte es nun zu einem stadienhaften Verlauf kommen und sekundäre Strukturschäden würden folgen (Abb. 3). Gemäß meinen Beobachtungen ist primär meist die Bizepssehne im Pulleybereich betroffen (Abb. 4). Des Weiteren kommt es zu Ansatztendinopathien der Rotatorenmanschette und PASTA-Läsionen bis hin zu Komplettrupturen der Rotatorenmanschette. Zysten, Impressionen und Ödeme im posterosuperioren Humeruskopf (Abb. 5) können im Ultraschall, im MRT und intraoperativ erkannt werden und als kleine Hill-Sachs-Läsionen interpretiert werden. Diese Läsionen könnten aber auch mit einem inneren, oberen Impingement gegen das superiore Glenoid in Verbindung gebracht werden (Abb. 6). Die Ausbildung einer Instabilitätsarthrose wäre ein finales Stadium. Meiner Ansicht nach besteht in jedem Stadium die Möglichkeit, eine „frozen shoulder“ zu entwickeln. Hier reagiert dann der Körper von sich aus auf die Instabilität und versucht, die Schulter selbst zu stabilisieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s30_abb1-6.jpg" alt="" width="1418" height="2934" /></p> <h2>Material und Methode</h2> <p>Retrospektiv wurden 34 Patienten (20– 45 Jahre, sportlich, Überkopftätigkeiten) mit therapieresistenten Schulterschmerzen ohne Trauma bzw. Instabilitätsanamnese evaluiert. Bei entsprechender Befundkonstellation wurde die Indikation zur Arthroskopie gestellt. Das postoperative Follow-up erfolgte zwischen 6 Wochen und 1 Jahr anhand des WOSI-Scores (deutsche Fassung nach Drerup et al. 2010).</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p><strong>Klinik und Bildgebung</strong><br /> Der typische Patient ist jung, sportlich, hyperlax und hat eine chronisch schmerzhafte Schulter ohne Instabilitäts- bzw. Traumaanamnese. Die Schmerzen sind vor allem unter Belastung wie bei Überkopfarbeiten aufgetreten. Die Patienten beschrieben fast immer einen tiefen vorderen Schulterschmerz. Bei vielen Patienten waren zusätzlich Schmerzen im Bizeps- Pulley-Bereich – ausstrahlend bis in den proximalen Oberarm – zu detektieren. Ein hinterer Schulterschmerz wurde bei etwa einem Drittel der Patienten erkannt. Anamnestisch zeigte sich die Schmerzsymptomatik belastungs- und positionsabhängig. Reproduzierbar war der Schmerz in der vorderen „Apprehension“-Position (Arm in Abduktion und Außenrotation). Durch den Relokationstest konnte zumeist ein „pain relief“ erreicht werden. Der Hyperabduktionstest war meist positiv mit weichem Anschlag im Vergleich zur Gegenseite (Lachman-Test der Schulter).<br /> Die Bildgebung besteht aus Ultraschall, Röntgen true a.p. und y-Aufnahme. Präoperativ sollte auch ein Arthro-MRT zur Befunderweiterung durchgeführt werden. Im Ultraschall kann man sehr gut die Bizepssehne und Rotatorenmanschettenpathologien wie auch die kleinen knöchernen Defekte posterior am Humeruskopf erkennen. Das Röntgen ist meist unauffällig, außer es liegt schon eine Instabilitätsarthrose vor. Die endgültige Bestätigung der Diagnose erfolgt dann intraoperativ.</p> <p><strong>Intraoperativer Situs</strong><br />Bei allen Patienten zeigte sich intraoperativ eine ventrokaudale Kapsel-Labrum- Läsion mit konsekutiver Überdehnung des Kapselbandapparates und reaktiver Synovialitis. Der Humeruskopf konnte bei allen Patienten in „Apprehension“-Position nach ventrokaudal subluxiert werden. Eine Bizepssehnenpathologie wurde bei einer Mehrzahl der Patienten festgestellt. Bei knapp der Hälfte unserer Patienten zeigten sich bereits Rotatorenmanschettenläsionen im Sinne von Ansatztendinopathien bzw. PASTA-Läsionen. In wenigen Fällen hatte sich schon eine C1-Ruptur entwickelt. Ein Knorpelschaden bzw. eine manifeste Instabilitätsarthrose konnte ebenso bei nur wenigen Patienten festgestellt werden.</p> <p><strong>Operationstechnik</strong><br /> Die Operationen finden in standardisierter „Beach chair“-Position unter kombinierter Allgemeinnarkose mit Plexuskatheter statt. Ein hinteres Optikportal und ein anterolaterales Arbeitsportal werden angelegt. Im Rahmen eines diagnostischen Rundganges werden alle anatomischen Strukturen auf mögliche Schäden evaluiert. Besonderes Augenmerk muss auf das vordere Labrum, die Bizepssehnen speziell im Pulleybereich, die ISP-Sehne sowie das vordere und hintere inferiore glenohumerale Band gelegt werden. Es sollte immer eine intraoperative Stabilitätsprüfung in „Apprehension“-Position durchgeführt werden. Bei entsprechender Labrumläsion und vorhandener Instabilität wird eine Kapsel-Labrum-Refixation im Sinne eines klassischen Bankart- Repairs durchgeführt (Abb. 7).<br /> Je nach intraoperativem Situs kann bei einer zu straffen hinteren Kapsel auch ein hinteres Kapselrelease gemacht werden. Die sekundären Strukturschäden werden ebenfalls, wenn notwendig, entsprechend versorgt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s30_abb7.jpg" alt="" width="350" height="379" /></p> <p><strong>Rehabilitation</strong><br />Zur Optimierung des Operationsergebnisses wird zusätzlich ein spezieller, individueller Trainingsplan postoperativ erstellt.</p> <p><strong>Postoperative Ergebnisse</strong><br /> Es gab keine intraoperativen Komplikationen. Postoperativ entwickelten 4 Patienten eine deutliche Bewegungseinschränkung bzw. Schultersteife, welche in einem Fall neuerlich operiert werden musste. Die übrigen Patienten zeigten eine deutliche Verbesserung bezüglich der körperlichen Symptomatik, des subjektiven Empfindens, der Arbeits- und Gesamtsituation.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Die richtige Diagnose beim jungen, sportlichen, überkopftätigen Patienten mit chronischen therapieresistenten Schulterschmerzen kann schwierig sein. Es zeigt sich oft ein unklares klinisches Bild, da bereits vorhandene Sekundärschäden klinisch und radiologisch im Vordergrund stehen und die wahre Ursache verschleiern. In unserer Studie konnte ein Zusammenhang zwischen vorderer unterer Instabilität ohne Trauma und einem spezifischen Symptomkomplex, bestehend aus klinischer Symptomatik, radiologischen und intraoperativen Befunden, hergestellt werden.<br /> Wir verwenden den Begriff „Plumbersyndrom“, da der typische Patient ein junger, sportlicher, hyperlaxer überkopftätiger Mensch ist und sich immer wieder Installateure (Klempner) in unserem Patientenkollektiv befanden. Durch repetitive Mikrotraumen in Abduktion und Außenrotation kommt es zu Schäden am vorderen unteren Labrum mit subtiler Instabilität und konsekutiver Erweiterung des vorderen Kapselbandapparates mit reaktiver Synovialitis und Verkürzung der hinteren Kapsel. Ein stadienhafter Verlauf mit Sekundärschäden an der Bizepssehne und Rotatorenmanschette, Impressionen am dorsalen Humeruskopf und Knorpelschäden bis zur Arthrose können folgen.<br /> Die Diagnose „Plumbersyndrom“ mit seinem auf eine subtile vordere untere Instabilität hinweisenden Symptomkomplex ist wichtig, da die arthroskopische Stabilisierung eine gute und effektive Lösung darstellt. Eine eventuell vorliegende Muskelschwäche, eine Scapuladyskinesie, die kinetische Kette und auch die neuromuskuläre Koordination sollten unbedingt miteinbezogen werden, sowohl präoperativ zur Ausschöpfung der konservativen Therapie als auch postoperativ zur Optimierung des Therapieerfolges.</p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Die Diagnose einer subtilen, chronischen anteroinferioren Instabilität ist beim jungen, hyperlaxen Patienten zu berücksichtigen, bevor man die Symptome anderen Diagnosen zuordnet. Der typische Patient ist jung, sportlich, hyperlax und überkopftätig mit einem tiefen vorderen Schulterschmerz. Klinisch ist der Schmerz in vorderer „Apprehension“-Position (Arm in Abduktion und Außenrotation) reproduzierbar und es kann durch den Relokationstest eine Schmerzminderung erreicht werden.<br /> In Zusammenschau von Anamnese, klinischer Symptomatik, radiologischen Befunden und intraoperativem Situs zeigt sich ein typischer Symptomkomplex und es kann die Diagnose des „Plumbersyndroms“ gestellt werden. Die arthroskopische Stabilisierung durch Kapsel-Labrum- Refixation kann zu guten Ergebnissen führen und Überkopftätigkeiten können wieder durchgeführt werden. Bei bereits bestehenden Sekundärschäden ist ebenfalls eine entsprechende arthroskopische Sanierung durchzuführen. Die postoperative Rehabilitation ist individuell anzupassen.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>beim Verfasser</p>
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