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Das „Plumbersyndrom“

<p class="article-intro">Beim jungen, sportlichen, überkopftätigen Patienten zeigt sich häufig ein nicht erkannter Symptomkomplex. Die Diagnose ist oft schwierig. Unsere Studie verfolgt die Hypothese, dass eine subtile Instabilität mit stadienhaftem Verlauf ohne Instabilitätsanamnese, aber mit typischen anatomischen Strukturschäden die Ursache der Schmerzen ist und mit gutem Erfolg arthroskopisch saniert werden kann.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das &bdquo;Plumbersyndrom&ldquo; wird oft fehldiagnostiziert oder nicht erkannt.</li> <li>Junge, sportliche, &uuml;berkopft&auml;tige Menschen mit therapieresistenten, tiefen vorderen Schulterschmerzen ohne Trauma sind die typischen Patienten.</li> <li>Repetitive Mikrotraumen bei &Uuml;berkopft&auml;tigkeit f&uuml;hren zu einer subtilen, chronischen Instabilit&auml;t mit m&ouml;glichem stadienhaftem Verlauf.</li> <li>Ein typischer Symptomkomplex sichert die Diagnose.</li> <li>Die Therapie erfolgt operativ durch arthroskopische Kapsel- Labrum-Refixation und Sanierung der Sekund&auml;rl&auml;sionen.</li> </ul> </div> <h2>Problemstellung</h2> <p>In den letzten Jahren wurden wir in unserer Schulterambulanz immer wieder mit therapieresistenten Schulterschmerzen beim jungen, sportlichen &Uuml;berkopfarbeiter konfrontiert. Vor allem handelte es sich um hyperlaxe, sportliche, &uuml;berkopfarbeitende Handwerker wie z.B. Installateure, deshalb erlaube ich mir, den Terminus &bdquo;Plumbersyndrom&ldquo; zu verwenden.<br /> Es ist schwierig, die richtige Diagnose zu finden. Die Symptome werden meistens einem Impingement (sowohl &bdquo;outlet&ldquo; als auch inneres), einer Bizepssehnenl&auml;sion bzw. einem Pulleysyndrom, Ansatztendinopathien der Rotatorenmanschette oder PASTA-L&auml;sionen zugeordnet. Aufgrund einer fehlenden Traumaanamnese wird an eine urs&auml;chliche Instabilit&auml;t oft nicht gedacht. Meiner Erfahrung nach ist eine chronische Labruml&auml;sion mit anteroinferiorer Instabilit&auml;t urs&auml;chlich f&uuml;r die Schmerzen. Sie kann bei zunehmender Instabilit&auml;t und gleichbleibender Belastung einen stadienhaften Verlauf mit Sekund&auml;rsch&auml;den nehmen und sogar bis zur Instabilit&auml;tsarthrose f&uuml;hren. Deshalb sollte man sich beim jungen &Uuml;berkopfarbeiter darauf sensibilisieren und immer die M&ouml;glichkeit des &bdquo;Plumbersyndroms&ldquo; mit einbeziehen. Die richtige Diagnose ist Voraussetzung, um eine entsprechend gezielte Therapie einzuleiten. Bei der richtigen Indikationsstellung ist eine arthroskopische Sanierung zielf&uuml;hrend und effektiv.<br /> Ziel der Studie ist es, einen Zusammenhang zwischen chronischen Schulterschmerzen beim jungen sportlichen &uuml;berkopft&auml;tigen Menschen und einem spezifischen Symptomkomplex basierend auf einer nicht erkannten Instabilit&auml;t nachzuweisen und &uuml;ber die Ergebnisse der arthroskopischen Behandlung zu berichten.</p> <h2>Hypothese</h2> <p>Die Ursache von Schulterschmerzen beim jungen &Uuml;berkopfarbeiter ist oft schwierig zu diagnostizieren. Diese Studie verfolgt die Hypothese, dass eine subtile Instabilit&auml;t ohne Instabilit&auml;tsanamnese urs&auml;chlich f&uuml;r die Schmerzen ist. Repetitive Mikrotraumen bei &Uuml;berkopft&auml;tigkeiten f&uuml;hren zu anatomischen Struktursch&auml;den am anteroinferioren Labrum (Abb. 1, 2). Folglich kommt es zu Humeruskopfsubluxationen mit prim&auml;rer &Uuml;berreizung und &Uuml;berdehnung des ventralen Kapselbandapparates und zu einer Verk&uuml;rzung der hinteren Kapsel. Bei gleichbleibender Belastung und zunehmender Instabilit&auml;t k&ouml;nnte es nun zu einem stadienhaften Verlauf kommen und sekund&auml;re Struktursch&auml;den w&uuml;rden folgen (Abb. 3). Gem&auml;&szlig; meinen Beobachtungen ist prim&auml;r meist die Bizepssehne im Pulleybereich betroffen (Abb. 4). Des Weiteren kommt es zu Ansatztendinopathien der Rotatorenmanschette und PASTA-L&auml;sionen bis hin zu Komplettrupturen der Rotatorenmanschette. Zysten, Impressionen und &Ouml;deme im posterosuperioren Humeruskopf (Abb. 5) k&ouml;nnen im Ultraschall, im MRT und intraoperativ erkannt werden und als kleine Hill-Sachs-L&auml;sionen interpretiert werden. Diese L&auml;sionen k&ouml;nnten aber auch mit einem inneren, oberen Impingement gegen das superiore Glenoid in Verbindung gebracht werden (Abb. 6). Die Ausbildung einer Instabilit&auml;tsarthrose w&auml;re ein finales Stadium. Meiner Ansicht nach besteht in jedem Stadium die M&ouml;glichkeit, eine &bdquo;frozen shoulder&ldquo; zu entwickeln. Hier reagiert dann der K&ouml;rper von sich aus auf die Instabilit&auml;t und versucht, die Schulter selbst zu stabilisieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s30_abb1-6.jpg" alt="" width="1418" height="2934" /></p> <h2>Material und Methode</h2> <p>Retrospektiv wurden 34 Patienten (20&ndash; 45 Jahre, sportlich, &Uuml;berkopft&auml;tigkeiten) mit therapieresistenten Schulterschmerzen ohne Trauma bzw. Instabilit&auml;tsanamnese evaluiert. Bei entsprechender Befundkonstellation wurde die Indikation zur Arthroskopie gestellt. Das postoperative Follow-up erfolgte zwischen 6 Wochen und 1 Jahr anhand des WOSI-Scores (deutsche Fassung nach Drerup et al. 2010).</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p><strong>Klinik und Bildgebung</strong><br /> Der typische Patient ist jung, sportlich, hyperlax und hat eine chronisch schmerzhafte Schulter ohne Instabilit&auml;ts- bzw. Traumaanamnese. Die Schmerzen sind vor allem unter Belastung wie bei &Uuml;berkopfarbeiten aufgetreten. Die Patienten beschrieben fast immer einen tiefen vorderen Schulterschmerz. Bei vielen Patienten waren zus&auml;tzlich Schmerzen im Bizeps- Pulley-Bereich &ndash; ausstrahlend bis in den proximalen Oberarm &ndash; zu detektieren. Ein hinterer Schulterschmerz wurde bei etwa einem Drittel der Patienten erkannt. Anamnestisch zeigte sich die Schmerzsymptomatik belastungs- und positionsabh&auml;ngig. Reproduzierbar war der Schmerz in der vorderen &bdquo;Apprehension&ldquo;-Position (Arm in Abduktion und Au&szlig;enrotation). Durch den Relokationstest konnte zumeist ein &bdquo;pain relief&ldquo; erreicht werden. Der Hyperabduktionstest war meist positiv mit weichem Anschlag im Vergleich zur Gegenseite (Lachman-Test der Schulter).<br /> Die Bildgebung besteht aus Ultraschall, R&ouml;ntgen true a.p. und y-Aufnahme. Pr&auml;operativ sollte auch ein Arthro-MRT zur Befunderweiterung durchgef&uuml;hrt werden. Im Ultraschall kann man sehr gut die Bizepssehne und Rotatorenmanschettenpathologien wie auch die kleinen kn&ouml;chernen Defekte posterior am Humeruskopf erkennen. Das R&ouml;ntgen ist meist unauff&auml;llig, au&szlig;er es liegt schon eine Instabilit&auml;tsarthrose vor. Die endg&uuml;ltige Best&auml;tigung der Diagnose erfolgt dann intraoperativ.</p> <p><strong>Intraoperativer Situs</strong><br />Bei allen Patienten zeigte sich intraoperativ eine ventrokaudale Kapsel-Labrum- L&auml;sion mit konsekutiver &Uuml;berdehnung des Kapselbandapparates und reaktiver Synovialitis. Der Humeruskopf konnte bei allen Patienten in &bdquo;Apprehension&ldquo;-Position nach ventrokaudal subluxiert werden. Eine Bizepssehnenpathologie wurde bei einer Mehrzahl der Patienten festgestellt. Bei knapp der H&auml;lfte unserer Patienten zeigten sich bereits Rotatorenmanschettenl&auml;sionen im Sinne von Ansatztendinopathien bzw. PASTA-L&auml;sionen. In wenigen F&auml;llen hatte sich schon eine C1-Ruptur entwickelt. Ein Knorpelschaden bzw. eine manifeste Instabilit&auml;tsarthrose konnte ebenso bei nur wenigen Patienten festgestellt werden.</p> <p><strong>Operationstechnik</strong><br /> Die Operationen finden in standardisierter &bdquo;Beach chair&ldquo;-Position unter kombinierter Allgemeinnarkose mit Plexuskatheter statt. Ein hinteres Optikportal und ein anterolaterales Arbeitsportal werden angelegt. Im Rahmen eines diagnostischen Rundganges werden alle anatomischen Strukturen auf m&ouml;gliche Sch&auml;den evaluiert. Besonderes Augenmerk muss auf das vordere Labrum, die Bizepssehnen speziell im Pulleybereich, die ISP-Sehne sowie das vordere und hintere inferiore glenohumerale Band gelegt werden. Es sollte immer eine intraoperative Stabilit&auml;tspr&uuml;fung in &bdquo;Apprehension&ldquo;-Position durchgef&uuml;hrt werden. Bei entsprechender Labruml&auml;sion und vorhandener Instabilit&auml;t wird eine Kapsel-Labrum-Refixation im Sinne eines klassischen Bankart- Repairs durchgef&uuml;hrt (Abb. 7).<br /> Je nach intraoperativem Situs kann bei einer zu straffen hinteren Kapsel auch ein hinteres Kapselrelease gemacht werden. Die sekund&auml;ren Struktursch&auml;den werden ebenfalls, wenn notwendig, entsprechend versorgt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s30_abb7.jpg" alt="" width="350" height="379" /></p> <p><strong>Rehabilitation</strong><br />Zur Optimierung des Operationsergebnisses wird zus&auml;tzlich ein spezieller, individueller Trainingsplan postoperativ erstellt.</p> <p><strong>Postoperative Ergebnisse</strong><br /> Es gab keine intraoperativen Komplikationen. Postoperativ entwickelten 4 Patienten eine deutliche Bewegungseinschr&auml;nkung bzw. Schultersteife, welche in einem Fall neuerlich operiert werden musste. Die &uuml;brigen Patienten zeigten eine deutliche Verbesserung bez&uuml;glich der k&ouml;rperlichen Symptomatik, des subjektiven Empfindens, der Arbeits- und Gesamtsituation.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Die richtige Diagnose beim jungen, sportlichen, &uuml;berkopft&auml;tigen Patienten mit chronischen therapieresistenten Schulterschmerzen kann schwierig sein. Es zeigt sich oft ein unklares klinisches Bild, da bereits vorhandene Sekund&auml;rsch&auml;den klinisch und radiologisch im Vordergrund stehen und die wahre Ursache verschleiern. In unserer Studie konnte ein Zusammenhang zwischen vorderer unterer Instabilit&auml;t ohne Trauma und einem spezifischen Symptomkomplex, bestehend aus klinischer Symptomatik, radiologischen und intraoperativen Befunden, hergestellt werden.<br /> Wir verwenden den Begriff &bdquo;Plumbersyndrom&ldquo;, da der typische Patient ein junger, sportlicher, hyperlaxer &uuml;berkopft&auml;tiger Mensch ist und sich immer wieder Installateure (Klempner) in unserem Patientenkollektiv befanden. Durch repetitive Mikrotraumen in Abduktion und Au&szlig;enrotation kommt es zu Sch&auml;den am vorderen unteren Labrum mit subtiler Instabilit&auml;t und konsekutiver Erweiterung des vorderen Kapselbandapparates mit reaktiver Synovialitis und Verk&uuml;rzung der hinteren Kapsel. Ein stadienhafter Verlauf mit Sekund&auml;rsch&auml;den an der Bizepssehne und Rotatorenmanschette, Impressionen am dorsalen Humeruskopf und Knorpelsch&auml;den bis zur Arthrose k&ouml;nnen folgen.<br /> Die Diagnose &bdquo;Plumbersyndrom&ldquo; mit seinem auf eine subtile vordere untere Instabilit&auml;t hinweisenden Symptomkomplex ist wichtig, da die arthroskopische Stabilisierung eine gute und effektive L&ouml;sung darstellt. Eine eventuell vorliegende Muskelschw&auml;che, eine Scapuladyskinesie, die kinetische Kette und auch die neuromuskul&auml;re Koordination sollten unbedingt miteinbezogen werden, sowohl pr&auml;operativ zur Aussch&ouml;pfung der konservativen Therapie als auch postoperativ zur Optimierung des Therapieerfolges.</p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Die Diagnose einer subtilen, chronischen anteroinferioren Instabilit&auml;t ist beim jungen, hyperlaxen Patienten zu ber&uuml;cksichtigen, bevor man die Symptome anderen Diagnosen zuordnet. Der typische Patient ist jung, sportlich, hyperlax und &uuml;berkopft&auml;tig mit einem tiefen vorderen Schulterschmerz. Klinisch ist der Schmerz in vorderer &bdquo;Apprehension&ldquo;-Position (Arm in Abduktion und Au&szlig;enrotation) reproduzierbar und es kann durch den Relokationstest eine Schmerzminderung erreicht werden.<br /> In Zusammenschau von Anamnese, klinischer Symptomatik, radiologischen Befunden und intraoperativem Situs zeigt sich ein typischer Symptomkomplex und es kann die Diagnose des &bdquo;Plumbersyndroms&ldquo; gestellt werden. Die arthroskopische Stabilisierung durch Kapsel-Labrum- Refixation kann zu guten Ergebnissen f&uuml;hren und &Uuml;berkopft&auml;tigkeiten k&ouml;nnen wieder durchgef&uuml;hrt werden. Bei bereits bestehenden Sekund&auml;rsch&auml;den ist ebenfalls eine entsprechende arthroskopische Sanierung durchzuf&uuml;hren. Die postoperative Rehabilitation ist individuell anzupassen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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