
Das digitale Ganzkörper-Röntgen
Autoren:
Dr. med. Sonja Häckel 1
Prof. Dr. med. Aristomenis K. Exadaktylos 2
Prof. Dr. med. Marius J. B. Keel 3
PD Dr. med. Sven Hoppe 1
1 Universitätsklinik für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie, Inselspital, Bern
2 Universitäres Notfallzentrum, Inselspital, Bern
3 Trauma Zentrum Hirslanden, Zürich
Korrespondierende Autorin:
Dr. med. Sonja Häckel
E-Mail: sonja.haeckel@insel.ch
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Lodox Statscan, ein digitales und strahlenarmes Ganzkörper-Röntgensystem, hat sich in den letzten 20 Jahren zu einem zeitsparenden Werkzeug, vor allem im Rahmen der Notfalldiagnostik, entwickelt. Ein Röntgenbild des kompletten Körpers ist innerhalb von 13 Sekunden fertiggestellt. Dieser Artikel bietet einen Überblick über das breite Spektrum der Einsatzmöglichkeiten des Lodox und seine diagnostische Genauigkeit.
Keypoints
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Lodox Statscan ist ein digitales Ganzkörper-Röntgensystem, das innerhalb von 13 Sekunden den gesamten Körper durchleuchtet.
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Im Rahmen der Polytraumaversorgung hat es sich zu einem zeit- und strahlensparenden Diagnosewerkzeug entwickelt, vor allem in Regionen mit medizinischer Unterversorgung, z.B. in Südafrika.
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Die diagnostische Genauigkeit hängt von der Körperregion und der Erfahrung des Betrachters ab: Verletzungen an Extremitäten haben eine höhere diagnostische Sensitivität als Verletzungen der Wirbelsäule.
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Das CT bleibt weiterhin der Goldstandard bei der Diagnostik von Wirbelsäulenverletzungen.
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Weitere Einsatzmöglichkeiten des Lodox sind bspw. forensische Medizin oder Urologie.
Lodox Statscan (LS) ist ein digitales Ganzkörper-Röntgensystem (Lodox Systems, Pty, Johannesburg, Südafrika) (Abb.1). Anfang der 1990er-Jahre wurde diese Technik speziell für die Aufdeckung von Diamantendiebstählen in der südafrikanischen Bergbauindustrie entwickelt. Dabei stellt das Lodox-System eine Weiterentwicklung dieser Technologie dar. 1999 wurde der erste Prototyp im Groote-Schuur-Krankenhaus in Kapstadt (Südafrika) in Betrieb genommen. Von der Food and Drug Administration (FDA) wurde das System 2002 und von der Europäischen Union 2004 für die diagnostische digitale Röntgenbildgebung zugelassen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat es sich zu einem zeitsparenden und strahlenarmen Diagnoseinstrument entwickelt, sodass bis heute weltweit 131 LS-Systeme in Gebrauch sind.
Der bewegliche C-Bogen des Lodox ermöglicht einen Bildgebungswinkel zwischen 0° (anteroposteriore [AP] Aufnahme) und 90° (laterale Aufnahme). Der C-Arm fährt um den Patienten und erzeugt eine AP-Ganzkörper-Aufnahme in etwa 13 Sekunden, sodass die Erstellung eines Bildes auf dem Bildschirm maximal 15 Sekunden dauert. Studien haben gezeigt, dass das Lodox im Vergleich zum konventionellen Röntgen die primäre Bildgebungszeit von 25,7 auf 3,5 Minuten deutlich reduziert.1
Das System basiert auf einer linearen Scanner-Technik. Der hochgradig kollimierte (laserähnliche) Röntgenstrahl breitet sich dabei nur in eine Richtung aus. Im Gegensatz dazu hat ein konventionelles Röntgensystem einen breiten Kegelstrahl, der mehr Raumstreuung verursacht und die Gesamtstrahlenbelastung für den Patienten erhöht. Die Strahlenbelastung für eine AP-Thorax- und AP-Pelvis-Aufnahme mit konventionellen Röntgensystemen beträgt 680μSv und ist damit im Vergleich zu einer AP-Ganzkörper-Aufnahme mit 99 μSv wesentlich höher.2 Insgesamt beträgt also die Strahlendosis des Lodox nur 72% (Thorax) und 2% (Pelvis) der Dosis eines konventionellen Röntgens.3
Trotz der geringeren Strahlenbelastung ist die Bildqualität des Lodox der des konventionellen Röntgens nicht unterlegen. Die Röntgenröhre, der Röntgenfächerstrahl, der Kollimationsschlitz und der Detektor des LS bewegen sich gemeinsam auf einem linearen Scan-Pfad und erzeugen Bilder von 100x100mmbis zu 1800x680mm im Vergleich zu etwa 400mm2 bei herkömmlichen Röntgensystemen.4
Das Lodox-System wird hauptsächlich in der Notfallversorgung und der Forensik eingesetzt. Die meisten LS-Geräte werden in Afrika und im Mittleren Osten betrieben und dort vor allem in überfüllten Notaufnahmen. In Nordamerika und Europa hingegen werden die meisten LS-Geräte in Instituten für forensische Medizin eingesetzt.
Das einzige Lodox in der Schweiz wurde in Bern im Rahmen des modifizierten Berner Advanced Trauma Life Support (ATLS) 2007 eingeführt. Die herkömmlichen Röntgenaufnahmen der lateralen Halswirbelsäule sowie die AP-Thorax- und AP-Beckenaufnahmen wurden durch das digitale Ganzkörper-Röntgen Lodox ersetzt. Seither wurden an unserem Universitätsspital in Bern umfangreiche Forschungsarbeiten durchgeführt. Weltweit wurden bis heute mehr als 50 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht, die die Einsatzmöglichkeiten und Sicherheit sowie die diagnostische Sensitivität und Spezifität vor allem in der Notfallmedizin und Traumatologie untersucht haben.
Diagnostik im Rahmen der Notfallversorgung
Vor allem in Notfallsituationen ist eine schnelle und zuverlässige (radiologische) Diagnostik dringend erforderlich. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass die Verzögerung der Ganzkörper-CT-Untersuchung nach konventionellen Röntgenaufnahmen des Thorax und des Beckens (wie im ATLS-Algorithmus empfohlen) etwa 47 Minuten beträgt.5 Diese Verzögerung kann durch die Durchführung einer AP-Lodox-Bildgebung verringert werden (die Zeitspanne zwischen AP-Lodox und einem Ganzkörper-CT-Scan beträgt etwa 37 Minuten).6 Insbesondere in Notaufnahmen an Standorten mit begrenzten finanziellen Mitteln, Infrastrukturen und Ressourcen kann dies zu einer geringeren Morbidität und Mortalität führen.
Abb. 2: Beispiel für eine mit dem anterior-posterioren Lodox Statscan (AP-LS) übersehene instabile Verletzung. Eine instabile Wirbelsäulenverletzung des 2. und 3. Brustwirbels, dargestellt in AP-LS (A) und die Ganzkörper-CT-Aufnahme (B) eines 46-jährigen Mannes nach einem Sturz aus grosser Höhe. Keiner der drei Beobachter erkannte die Verletzung in AP-LS9
Yang et al. veröffentlichten 2016 eine systematische Übersichtsarbeit zum Einsatz eines digitalen Ganzkörper-Röntgenbildgebungssystems bei akuten medizinischen Notfällen.7 Sie analysierten 23 Artikel, die sich hauptsächlich mit polytraumatisierten Patienten (Erwachsene und Kinder) befassten. Darüber hinaus schlossen sie Studien ein, welche das Lodox für die Diagnostik von verschluckten Fremdkörpern, multiplen Schussverletzungen und Schädel-Maxillofazialverletzungen untersuchten. Im Rahmen der Diagnostik von Polytraumapatienten konnte diese Studie zeigen, dass die Sensitivität des Lodox zwischen 62% und 73% und die Spezifität zwischen 99% und 100% im Vergleich zum CT lagen, was denjenigen von konventionellen Röntgenaufnahmen entspricht. Die Untersuchungszeit mit Lodox lag zwischen 3,5 und 13,9 Minuten im Vergleich zu 8–25,7 Minuten bei konventioneller Röntgenbildgebung. Es gab jedoch keine Hinweise darauf, dass es die Reanimationszeit oder die Verweildauer in der Notaufnahme verkürzte. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass das Lodox-Gerät in der Lage ist, den gesamten Körper schnell zu scannen, und es im Vergleich zu herkömmlichen Röntgenaufnahmen ein gleichwertiges Diagnoseinstrument darstellt. Zudem kann durch das Lodox die kumulative Strahlendosis für Notfallpatienten im Vergleich zum konventionellen Röntgen reduziert werden.7
In einer 2019 publizierten Studie konnte gezeigt werden, dass bei peripheren Skelettverletzungen die diagnostische Genauigkeit von Lodox stark von der Expertise des beurteilenden Klinikers sowie dem klinischen Verdacht und dem Traumamechanismus abhängt.8
Wie gut lassen sich Wirbelsäulenverletzungen mit Lodox erkennen?
Trotz seiner Vorteile bei akuten Notfällen war Lodox beim Ausschluss von Verletzungen der Halswirbelsäule weniger effektiv.7 In unserer kürzlich veröffentlichten Studie haben wir die diagnostische Genauigkeit des AP-Lodox zum Ausschluss schwerer Wirbelsäulenverletzungen bei polytraumatisierten Patienten untersucht.9 Wir analysierten die diagnostische Genauigkeit und die Interrater-Reliabilität. Innerhalb von 3Jahren wurden die AP-Lodox-Aufnahmen von 320 polytraumatisierten Patienten (Injury Severity Score ≥16) von drei unabhängigen Beobachtern retrospektiv analysiert. Wir berechneten die Sensitivität und Spezifität der korrekten Diagnostik einer Wirbelsäulenverletzung mittels AP-Lodox im Vergleich zum CT-Scan und konnten zeigen, dass das Lodox nur eine geringe Sensitivität von 9% bei einer hohen Spezifität von 99% aufwies. Die Sensitivität war bei Verletzungen der Brustwirbelsäule am höchsten (14%). Insgesamt wurden potenziell instabile Wirbelsäulenverletzungen eher erkannt als stabile Verletzungen (Sensitivität 18% bzw. 6%). Die Interrater-Reliabilität zwischen den drei Untersuchern (Wirbelsäulenchirurg, Assistenzarzt Orthopädie und Radiologie) war dabei gering. Bei polytraumatisierten Patienten stellt das in den ATLS-Algorithmus integrierte Lodox ein hilfreiches Instrument zur Diagnose lebensbedrohlicher Verletzungen dar, allerdings ist bei Verdacht auf Wirbelsäulenverletzungen für eine korrekte Diagnose eine Ganzkörper-CT erforderlich.
Abb. 3: Beispiel für eine mit dem anterior-posterioren Lodox Statscan (AP-LS) korrekt identifizierte instabile Verletzung. C-Typ-Verletzung des 12. Brust- und 1. Lendenwirbels, dargestellt in AP-LS (A) und der entsprechenden Ganzkörper-CT-Aufnahme (B) eines 36-jährigen Mannes nach einem Autounfall. Diese Verletzung wurde von zwei der drei Beobachter (Radiologe und orthopädischer Oberarzt) richtig erkannt9
Weitere Einsatzbereiche
Das Lodox-System wird mittlerweile erfolgreich auch ausserhalb der Polytraumadiagnostik eingesetzt. Beispiele hierzu sind die Visualisierung von ventrikuloperitonealen Shunts (VP) oder die Arteriografie in der Notaufnahme (ERA), die Erkennung von Fremdkörpern und die pädiatrische Notfallbildgebung. Durch den grossformatigen Scan mittels Lodox kann die Visualisierung eines grösseren Bereichs des Körpers ermöglicht werden, was insbesondere bei der VP-Shunt-Überwachung von Vorteil ist.10 Weitere Anwendungsbereiche am Lebenden kommen bspw. aus der Urologie, wo mittels Lodox Harnleitersteine identifiziert wurden. Die Autoren konnten hohe Identifikationsraten und niedrige Strahlendosen zeigen.11
Ein Grossteil der Lodox-Geräte wird, insbesondere in den USA, in der forensischen Medizin eingesetzt. Ausserdem stellt das Lodox-Gerät ein kostengünstiges Röntgensystem dar. Dies ist vor allem vorteilhaft in Instituten, in denen eine CT-Bildgebung und die Unterstützung durch einen Radiologen nicht finanzierbar sind. Zudem ist in unterfinanzierten Leichenhallen der Einsatz fortschrittlicher radiologischer Modalitäten aufgrund der hohen Fallzahlen nicht möglich. In einer Studie aus Südafrika konnte gezeigt werden, dass der Lodox-Scanner die Qualitätssicherung verbessert, Zeit spart und bei der Untersuchung von natürlichen und unnatürlichen Todesfällen kosteneffizient ist.12 In einem anderen spannenden Fallbeispiel zeigten die Autoren, wie mittels Lodox eine Bromoform-Vergiftung als Todesursache gefunden wurde. Dabei zeigte sich in den Röntgenaufnahmen röntgendichtes Material im Gastrointestinaltrakt.13
Die Inhalte dieses Artikels waren Thema beim Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU), 26.–29. Oktober 2021, Berlin
Literatur:
1 Exadaktylos AK et al.: Total-body digital X-ray in trauma. An experience report on the first operational full body scanner in Europe and its possible role in ATLS. Injury 2008; 39: 525-9 2 Mantokoudis G et al.: How reliable and safe is full-body low-dose radiography (LODOX Statscan) in detecting foreign bodies ingested by adults? Emerg Med J 2013; 30: 559-64 3 Beningfield S et al.: Report on a new type of trauma full-body digital X-ray machine. Emerg Radiol 2003; 10: 23-9 4 Lodox PTY LTD. Lodox X-Ray Technology: an Explanation 1. www.lodox.com 5 Hudson S et al.: Plain radiography may be safely omitted for selected major trauma patients undergoing whole body CT: database study. Emerg Med Int 2012; 2012: 432537 6 Jöres APW et al.: Diagnostic accuracy of full-body linear X-ray scanning in multiple trauma patients in comparison to computed tomography. RoFo 2016; 188(2): 163-71 7 Yang L et al.: Use of a full-body digital X-ray imaging system in acute medical emergencies: a systematic review. Emerg Med J 2016; 33: 144-51 8 Holdt FCF, Pitcher RD: An audit of the polytrauma fracture detection rate of clinicians evaluating lodox statscan bodygrams in two South African public sector trauma units. Injury 2019; 50: 1511-5 9 Häckel S et al.: Anterior-posterior view by full-body digital X-ray to rule out severe spinal injuries in polytraumatized patients. BMC Emerg Med 2021; 21(1): 27 10 Whiley SP et al.: A review of full-body radiography in nontraumatic emergency medicine. Emerg Med Int 2012; 2012: 108129 11 Fiechter S et al.: Identification of ureteral stones at reduced radiation exposure: a pilot study comparing conventional versus digital low-dosage linear slot scanning (Lodox®) radiography. World J Urol 2020; 38(4): 1065-71 12 du Plessis M et al.: Lodox®: the invaluable radiographic solution in the forensic setting. Int J Legal Med 2020; 134(2): 655-62 13 du Plessis M et al.: Double rarity: an unusual case of bromoform poisoning detected by post-mortem radiography. Int J Legal Med 2020; 134(2): 703-8
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