
Custom-made-Prothesen bei Glenoiddefekten – ein Überblick
Autoren:
Dr. Michael Stephan Gruber
Priv.-Doz. DDr. Reinhold Ortmaier
Abteilung für Orthopädie, Ordensklinikum Linz GmbH Barmherzige Schwestern
Korrespondierender Autor:
Priv.-Doz. DDr. Reinhold Ortmaier
E-Mail:
r.ortmaier@gmail.com
Knochendefekte führen im Rahmen der Endoprothesenversorgung oft zu herausfordernden Situationen. Während bei Hüft- oder Knieprothesen verschiedene Möglichkeiten zum Überbrücken des Defekts bereitstehen, ist die Auswahl des Implantats bei glenoidalen Knochendefekten eingeschränkt. Metallaugmentierte, speziell an den Defekt angepasste und angefertigte Glenoidkomponenten, sogenannte Custom-made-Prothesen, stellen eine Behandlungsoption für besonders schwierige Fälle dar.
Keypoints
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Die Custom-made-Glenoidprothese bietet eine Erweiterung des Behandlungsspektrums bei ausgeprägten Knochendefekten des Glenoids.
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Durch Planung der Schraubenlänge und -richtung sowie einer möglichst großen Kontaktfläche zwischen Prothese und Knochen wird trotz oftmals großer Knochendefekte die maximal mögliche Verankerungsstabilität erreicht.
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Über ein „statistical shape modeling“ kann außerdem die ursprüngliche Gelenkslinie (Joint-Line) wiederhergestellt werden.
Der Custom-made-Gelenksersatz wurde in den 1990er-Jahren entwickelt und ursprünglich im Bereich der Tumororthopädie, vor allem an Hüfte und Knie, eingesetzt. Winkelmann et al. beschrieben bereits 1981 die Verwendung einer speziell angefertigten Prothese, wobei der Begriff hier für eine Prothese zum totalen Ersatz von langen Röhrenknochen stand.1
Schließlich beschrieben Stoffelen et al. 2015 und Eraly et al. 2016 die Verwendung individueller Glenoidprothesen auch in der Schulterendoprothetik.2,3
Die stetig steigenden Zahlen in der primären und Revisionsendoprothetik des Schultergelenks erfordern Möglichkeiten, um desaströse Situationen zu meistern.4 Die Komplikationsrate bei der primären Totalendoprothese der Schulter (STEP) beträgt bis zu 15% und bei Revisionsoperationen bis zu 40%.5 Eine besondere Herausforderung stellt der glenoidale Knochendefekt dar. Der Knochenstock des Glenoids ist insgesamt sehr klein und vulnerabel. Durch Revisionsoperationen, Infekte oder bei rheumatoider Arthritis können teils beträchtliche Knochenverluste am Glenoid resultieren.
Trotzdem gilt es auch in solchen Situationen, das Implantat suffizient mit einer korrekten Version und Inklination zu verankern und die Joint-Line wiederherzustellen.
Es stehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Korrektur und zum Aufbau von glenoidalen Knochendefekten zur Verfügung. Defekte können mittels autologen oder homologen Knochenmaterials oder mittels metallaugmentierter Basisplatten aufgebaut werden. Diese Methoden kommen zum Tragen, wenn sich das Ausmaß der Destruktion in Grenzen hält.
Abb. 1: Designvorschlag des Herstellers. Deutlich sichtbar ist der Unterschied zwischen dem präoperativen und dem geplanten postoperativen Rotationszentrum
Aufbau und Kompatibilität
Die aktuellen Custom-made-Prothesen bestehen im Allgemeinen aus einer metallenen Grundplatte mit oder ohne Zapfen („Peg“) sowie einem dem Defekt angepassten Mesh-Material zur Defektauffüllung. Bei der Vorbereitung auf die Operation wird eine CT-Untersuchung nach dem vom Hersteller vorgegebenen Protokoll durchgeführt. Das daraus erstellte Planungsprotokoll enthält eine Klassifizierung des Knochendefekts, eine Berechnung der Knochenqualität und die über „statistical shape modeling“ errechnete Rekonstruktion der ursprünglichen Gelenksebene.6
Der Einsatzbereich der Custom-made- Glenoidprothese umfasst sowohl anatomische als auch inverse Prothesenmodelle. Sie wird, je nach Indikation, vor allem in Revisionsfällen, aber auch als primäre Operationsmethode eingesetzt. Kritisch zu sehen ist in beiden Fällen der Abstand zwischen der Prothesen-/Knochengrenze und dem Rotationszentrum des Gelenksersatzes. Diese Problematik ist seit jeher vor allem in der inversen Schulterendoprothetik ein großes Thema, da ein zunehmender Abstand gleichbedeutend mit höheren Scherkräften ist. Das wiederum führt potenziell zu Glenoidkomponentenlockerungen. Der extensive Knochenverlust, durch Infektion, Abnutzung oder Voroperationen verursacht, führt bei dem Versuch der Wiederherstellung des Rotationszentrums unweigerlich zu großen Abständen zwischen der Prothesen-/Knochengrenze und dem Rotationszentrum.
In den aktuell vorliegenden Untersuchungen der Custom-made-Glenoidprothese wird die Befürchtung häufiger Lockerungen nicht bestätigt (Tab.1). Lediglich bei 2 von insgesamt 56 Fällen (3,6%) wurden radiologische Lockerungszeichen festgestellt, und selbst diese führten im durchschnittlichen Beobachtungszeitraum der betreffenden Studie von 31,7 Monaten zu keiner Revisionsoperation. Auch in einer eigenen, gerade veröffentlichten Arbeit wird diese Tendenz sichtbar.7
Planung
Die Planung beginnt mit der Selektion geeigneter Patienten. Zur Einteilung eines extensiven glenoidalen Knochenverlusts stehen mehrere Klassifikationen zur Verfügung. Diese beschreiben in verschiedener Art und Weise den jeweiligen Knochendefekt. Die Klassifikation nach Kocsis et al. gewährt eine einfache und reproduzierbare Hilfestellung zu den Methoden der Glenoidrekonstruktion.8 Eine weitere, kürzlich vorgestellte Klassifikation zur Unterstützung bei der intraoperativen Entscheidungsfindung ist jene nach Gupta et al.9
Bei Vorliegen eines ausgedehnten glenoidalen Knochendefekts wird ein Planungs-CT nach dem Protokoll des Herstellers durchgeführt. Dieser erstellt anschließend einen Designvorschlag entsprechend dem Knochendefekt, der Knochenqualität und der mittels „statistical shape modeling“ rekonstruierten Gelenksebene (Abb.1). Im Rahmen der Planungsgespräche kann über das Feedback des Operateurs wichtiger Input betreffend die Schraubenpositionierung und das Design der Prothese und der Einbringinstrumente gegeben werden.
Nach Freigabe der Planung und Bestätigung des Operationstermins durch den Operateur wird die geplante Prothese gefertigt und an die durchführende Institution versandt. Dort muss präoperativ noch die Sterilisierung erfolgen. Zur Unterstützung während der Implantation steht eine detaillierte Anleitung zur Verfügung, aus welcher die Präparation des Operationsgebiets, das Einbringen und die Positionierung des Implantats hervorgehen.
Eine adäquate Planung schafft in mehreren Punkten die Grundlage für das bestmögliche Ergebnis im Sinne der funktionellen Verbesserung, aber auch einer geringen Lockerungsrate. Folgende drei Punkte sind besonders hervorzuheben:
die Rekonstruktion des Gelenks in möglichst anatomischer Form
die Positionierung der Schrauben in Abhängigkeit von der Knochenqualität mit maximaler knochengedeckter Länge und divergierendem Winkel
das Entstehen einer maximalen Kontaktfläche mit dem noch vorhandenen Knochen durch die an den Defekt angepasste Prothesenrückfläche
Postoperativ kann je nach gewähltem Hersteller auch der Operationserfolg überprüft werden. Es ergeben sich hieraus Informationen betreffend die Implantat- und Schraubenpositionierung. Abbildung2 zeigt dies anhand eines unserer Fälle, der einen sehr guten Match zwischen prä- und postoperativer Situation darstellt.
Studienlage
In den vergangenen Jahren wurden mehrere Studien zu Custom-made-Glenoidprothesen publiziert. Alle bisher veröffentlichten Ergebnisse stammen aus retrospektiven, meist als Multicenterstudien ausgeführten Untersuchungen. Die aktuelle Literatur zeigt durchaus vielversprechende Ergebnisse, wie die Übersicht in Tabelle1 zusammenfasst. Auch die Nachuntersuchung unserer operierten Custom-made-Glenoidprothesen ergibt sehr gute funktionelle und radiologische Ergebnisse und unterstützt als retrospektive Singlecenter-Studie die aktuelle Datenlage.
Bei den genannten Studien muss zwischen Multi- und Singlecenter unterschieden werden, wobei hier nur Rangarajan et al. und unsere aktuelle Studie Daten aus einem Zentrum präsentieren. Die erstgenannte Studie umfasst mit 18 Patienten die meisten Studienteilnehmer, weist jedoch auch die größte Rate an intra- sowie postoperativen Komplikationen auf.11Unsere Studie bewegt sich mit 10 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten im Mittel der präsentierten Studien, untersucht allerdings nur Revisionsfälle und damit ein homogenes Kollektiv.7 Radiologische Lockerungszeichen zeigten sich nur bei Porcellini et al., wobei hier beide Male Anzeichen im Sinne einer Saumbildung festgestellt wurden.10 Die funktionelle und klinische Verlaufskontrolle zeigte bei allen Patienten mit vorliegenden prä- und postoperativen Daten eine signifikante Verbesserung.
Zusammenfassend kann berichtet werden, dass die Custom-made-Glenoidprothese eine adäquate Erweiterung der Therapiemöglichkeiten bei umfassenden Knochendefekten des Glenoids darstellt. Aufgrund der Neuartigkeit fehlen naturgemäß noch Studien zu Langzeitergebnissen.
Literatur:
1 Winkelmann W: Die chirurgische Behandlung des Ewing-Sarkoms. Klin Padiatr 1981; 193(3): 243-4 2 Stoffelen DVC et al.: The use of 3D printing technology in reconstruction of a severe glenoid defect: a case report with 2.5 years of follow-up. J. Shoulder Elb Surg 2015; 24(8): e218-22 3 Eraly K et al.: A patient-specific guide for optimizing custom-made glenoid implantation in cases of severe glenoid defects: an in vitro study. J Shoulder Elbow Surg 2016; 25(5): 837-45 4 Padegimas EM et al.: Future patient demand for shoulder arthroplasty by younger patients: national projections. Clin Orthop Relat Res 2015; 473(6): 1860-7 5 Barco R et al.: Complications in reverse shoulder arthroplasty. EFORT Open Rev 2016; 1(3): 72-80 6 Salhi A et al.: Statistical shape modeling approach to predict missing scapular bone. Ann Biomed Eng 2020; 48(1): 367-79 7 Ortmaier R et al.: Functional and radiological outcomes after treatment with custom-made glenoid components in revision reverse shoulder arthroplasty. J Clin Med 2022; 11(3): 551 8 Kocsis G et al.: A new classification of glenoid bone loss to help plan the implantation of a glenoid component before revision arthroplasty of the shoulder. Bone Joint J 2016; 98-B(3): 374-80 9 Gupta et al.: Management of glenoid bone defects with reverse shoulder arthroplasty — surgical technique and clinical outcomes. J Shoulder Elbow Surg 2018; 27(5): 853-62 10 Porcellini G et al.: Custom-made reverse shoulder arthroplasty for severe glenoid bone loss: review of the literature and our preliminary results. J Orthop Traumatol 2021; 22(1): 2 11 Rangarajan R et al.: Early results of reverse total shoulder arthroplasty using a patient-matched glenoid implant for severe glenoid bone deficiency. J Shoulder Elbow Surg 2020; 29(7S): S139-48 12 Bodendorfer BM et al.: Short-term outcomes of reverse shoulder arthroplasty using a custom baseplate for severe glenoid deficiency. J Shoulder Elbow Surg 2021; 30(5): 1060-7 13 Debeer P et al.: Treatment of severe glenoid deficiencies in reverse shoulder arthroplasty: the Glenius Glenoid Reconstruction System experience. J Shoulder Elbow Surg 2019; 28(8): 1601-8
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