<p class="article-intro">Der 19. European Congress of Trauma and Emergency Surgery (ECTES) fand vom 6. bis 8. Mai im Kongresspalast in Valencia unter dem Motto „Bringing the Light“ statt. Organisiert durch ein international besetztes Komitee und unterstützt von der Spanish Surgeons Association (AEC) wurde ein sehr breit gefächertes Programm geboten. Wie in den Jahren zuvor waren auch diesmal die einzelnen Blöcke analog den verschiedenen ESTES-Sektionen, z.B. „Emergency Surgery“, „Disaster & Military“, „Skeletal Trauma & Sports Medicine“, „Polytrauma“, „Visceral Trauma“ und „Education“ geordnet, was die Orientierung auf dem Kongress wesentlich erleichterte. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Tag 1</p> <p>Als neues Format wurden zum Beispiel „Pro and con“-Sessions ins Kongressprogramm integriert, und diese erwiesen sich zum Teil als besonders spannende und lehrreiche Streitgespräche. Zum Thema „Bleeding Control in Pelvic Trauma“ debattierten Prof. Demitriades (Los Angeles) und Prof. Giannoudis (Leeds) über den Routineeinsatz des „pelvic binder“. Während Prof. Giannoudis den Einsatz als berechtigt und bestens bewährt darstellte, hinterfragte Demitriades ihn sehr kritisch. In dessen Untersuchung von mehreren hundert instabilen Beckenringfrakturen in Kalifornien zeigte sich nämlich nur bei sehr wenigen Fällen ein potenzieller Vorteil (klassische B-Verletzung/„open book“), jedoch bei der Mehrzahl der Patienten (laterale Kompressionsfrakturen etc.) ein potenzielles Risiko für Sekundärverletzungen. Aus dieser Kontroverse ergab sich eine ausgesprochen lehrreiche Session. Auch wenn in der abschließenden Befragung des Auditoriums die Mehrzahl weiterhin für den Einsatz des „pelvic binder“ plädierte, so war zumindest der eindringliche Appell von Prof. Demitriades, den unkritischen Einsatz von neuen, „fancy“ und scheinbar hilfreichen Instrumenten einer entsprechenden wissenschaftlichen Analyse zu unterziehen, als berechtigt im Publikum aufgenommen worden. <br />Im weiteren Verlauf der Session wurde über wachsende Indikationen der angiografischen/interventionellen Blutungskontrolle (Prof. Lustenberger) sowie die Indikationen zum „pelvic packing“ (Munoz Vives) bzw. zur REBOA („resuscitative endovascular balloon occlusion of the aorta“) diskutiert. <br />Das EFORT-Gastsymposium befasste sich mit dem Problem proximaler Femurfrakturen, insbesondere im Kontext einer Antikoagulation und der aktuellen Evidenz. Als hilfreiches Instrument im klinischen Alltag wurde der EFORT-Algorithmus für antikoagulierte Patienten mit hüftgelenksnahen Femurfrakturen vorgestellt. Zudem wurde die Modifikation der Garden-Klassifikation (1+2 = A) vorgestellt, die eine günstigere Interobserver-Übereinstimmung erwarten lässt. Prof. Josten aus Leipzig betonte in seinem Vortrag ausdrücklich, dass ein Versagen der primären Osteosynthese bei pertrochantären Femurfrakturen zu einer deutlichen Steigerung der Morbidität und Mortalität führt. Bei Versagen müsse die Revisionsoperation eine definitive Lösung darstellen. Dr. Muños Vives aus Andorra referierte über implantatassoziierte Frakturen und demonstrierte mehrere Kasuistiken mit verschiedene Varianten des Osteosyntheseversagens und das entsprechende operative Komplikationsmanagement. <br />Prof. Marzi (Frankfurt), Herausgeber des Standardwerkes „Kindertraumatologie“ und des „European Journal of Trauma and Emergency Surgery“, führte durch den Posterbereich „Pediatric Trauma“. Dr. Weber stellte in dieser Session seine Arbeit zu pädiatrischen Halsgefäßverletzungen vor. <br />Eine weitere höchst interessante Session mit dem Titel „Torso above Diaphragm“ fand Sonntagabend vor der Eröffnungszeremonie statt. Zunächst regte Christine Gaarder aus Oslo eine breite Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer präklinischen Clam-Shell-Thorakotomie in Europa an. Hier wurde vor allem auf die geringe Fallzahl hingewiesen, die ein suffizientes Training aller aktiven Notärzte de facto unmöglich macht. Auch nach den nächsten beiden Vorträgen bezüglich Rippenverplattungen nahm die Debatte kein Ende, wobei insgesamt ein doch deutlicher Trend zur Versorgung zu erkennen war. Ein interessanter Aspekt dieser Diskussion war auch die Frage, wer für die Versorgung von Rippenfrakturen zuständig ist: Thorax- oder Unfallchirurg. Hier sprach sich die Mehrheit der Teilnehmer für einen interdisziplinären Zugang aus. Abgerundet wurde die Session noch durch eine interessante Fallpräsentation.<br />Zum Abschluss des ersten Tages wurde der Kongress durch ESTES-Präsident Marius Keel und Kongresspräsident Isidro Casas eröffnet. Nach zwei sehr mitreißenden Ansprachen wurden im Anschluss die Preisverleihungen durchgeführt. Abgerundet wurde die Feier dann durch eine Bühnen-Show mit traditionellem Flamenco und spanischen Snacks.</p> <h2>Tag 2</h2> <p>Der zweite Tag startete mit der Session „Damage control orthopaedics: severe extremity injuries“, ein weiterer sehr interessanter Vortragsblock. Zunächst führten Stuart Matthews (Leeds) und Pedro Caba (Madrid) eine hitzige Debatte über die primäre Versorgung von Tibiaschaftfrakturen mittels Nagel oder externer Fixateurs. Beide Vortragenden warnten aber vor der Gefahr eines Kompartmentsyndroms im Rahmen der Verletzung und betonten, wie wichtig eine vorzeitige Fasziotomie ist. Der nächste Vortragende, Peep Talving (Tallinn), versuchte, verschiedene Methoden zur Rettung einer Extremität bei Vorliegen einer Gefäßverletzung zu erörtern. Besonders interessant war hier die provisorische Versorgung des Gefäßes mittels Shunt, der abhängig von der Lokalisation bis zu 48 Stunden belassen werden kann. Als nächster Punkt wurde von Bore Bakota (Karlovac) das Thema der vorzeitigen Lappendeckung angesprochen. Nach aktueller Datenlage profitiert der Patient von einer primären Deckung der Fraktur innerhalb der ersten 72 Stunden. Louis Riddez aus Stockholm empfahl in seinem Vortrag, aufwendige Untersuchungen auf ein Minimum zu beschränken, insbesondere sind Ganzkörper-CT in diesem Setting nur sehr selten indiziert. Der Fokus soll auf dem ABC-Schema liegen.<br />Abschließend wurde eine neue Methode zur Behandlung von chronischen Wunden mittels des Inhalationsnarkotikums Sevofluran präsentiert, mit dem bis dato sehr beeindruckende Ergebnisse erzielt worden sind.<br />Nach dem Mittagsblock fand die zweite Posterbegehung statt, in der Dr. Eibinger seine Arbeit über den Korrekturverlust nach Metallentfernung bei A3/A4-Frakturen im Bereich der thorakolumbalen Wirbelsäule vorstellte. <br />Die Behandlung von Patienten mit proximalen Femurfrakturen unter thrombozytenaggregationshemmender Medikation stellt eine besondere Herausforderung für den Chirurgen dar, da zwischen dem Blutungsrisiko und dem Komplikationsrisiko bei verzögerter Versorgung abgewogen werden muss. Dieser Fragestellung widmete sich auch die im Zuge der Posterbegehung von Dr. Stockinger präsentierte Studie „Osteosynthetic surgery of proximal femoral fractures in patients on antiplatelet therapy“ mit dem Ergebnis, dass die frühzeitige Versorgung unter fortlaufender thrombozyteninhibierender Medikation möglich ist. Auch die im Zuge des EFORT-Gastsymposiums vorgestellte Metaanalyse von Soo et al. empfiehlt bei der Behandlung dieses Patientenkollektivs eine frühzeitige operative Versorgung.</p> <h2>Tag 3</h2> <p>In der Vortragsreihe „Bleeding and resuscitation“ wurde über Indikationen von REBOA diskutiert, wobei derzeit die Indikation nur für eine sehr kleine Patientenklientel mit spezifischen abdominalen oder Beckentraumata gegeben ist. Zurzeit gibt es für den zivilen Einsatz keine starke Evidenz, dass REBOA die Überlebensrate erhöht, insbesondere ersetzt es keinesfalls die Notfall-Thorakotomie aufgrund unterschiedlicher Indikationen. <br />Im Rahmen des ATLS-Gastsymposiums hatte Dr. Eibinger noch die Möglichkeit, über die ETC(European Trauma Course)-basierende Schockraumversorgung zu berichten und diese mit dem ATLS zu vergleichen. Die Konklusion der Diskussion war, dass der Behandlungsalgorithmus der beiden großen Kursformate in Europa sehr ähnlich ist und der wesentliche Unterschied in der Zugangsweise liegt (interdisziplinär vs. primärchirurgisch). Ein weiterer sehr interessanter Beitrag in dieser Session von Sten Saar zeigte auf, wie in Estland in wenigen Jahren ein komplettes Traumanetzwerk mit entsprechenden prä- und innerklinischen Strukturen aufgebaut wurde.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Die Teilnahme am ECTES 2018 in Valencia war aufgrund der guten wissenschaftlichen Vorträge, der vielfältigen Postersessions, der spannenden Vorträge bzw. Streitgespräche von erfahrenen Experten und des internationalen Austausches ein großer Gewinn für uns. Wir danken der ÖGU für die großzügige Möglichkeit, unsere Beiträge dort zu präsentieren, und empfehlen allen jungen Kolleginnen und Kollegen die Bewerbung um das nächste ÖGU-Stipendium für die Teilnahme am ECTES 2019.</p></p>