
Biomimetisches Biomaterial für die Knorpelregeneration
Jatros
Autor:
Dr. Sylvia Nürnberger
Klinische Abteilung für Unfallchirurgie,<br> Univ.-Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: sylvia.nuernberger@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
13.02.2020
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<p class="article-intro">Biomaterialien haben in der Knorpelregeneration einen maßgeblichen Anteil an der naturgetreuen Neubildung von Gelenksknorpel. Derzeit verfügbare Biomaterialien weisen jedoch suboptimale Eigenschaften für diese Aufgabe auf und stehen möglicherweise in Zusammenhang mit verschiedenen postoperativen Problemen. Ein neues Biomaterialkonzept, basierend auf dezellularisiertem aurikulärem Knorpel, soll die Knorpelregeneration besser und zuverlässiger machen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Die Entwicklung</h2> <p>Über 20 Jahre nach Einführung der zellbasierten Knorpelregeneration durch Mats Brittberg in den 1990er-Jahren<sup>1</sup> und mehreren Biomaterial-basierten Folgegenerationen ist die Wiederherstellung der Funktionalität von verletzten Gelenken nach wie vor nicht vollständig zufriedenstellend. Obwohl es zu einer wesentlichen Verbesserung der klinischen Symptome kommt, kann vor allem bei sportlichen Patienten das ursprüngliche Aktivitätsniveau häufig nicht wieder erreicht werden. In bis zu 20 % der Fälle kommt es zu Transplantatversagen, welches einen erneuten chirurgischen Eingriff notwendig macht.<sup>2, 3</sup> Langzeituntersuchungen zeigen eine sekundäre Verschlechterung der Symptome nach über zwei Jahren anhaltender Verbesserung.<sup>4</sup> Während für Transplantatversagen erneute postoperative Traumata oder unzureichende Einhaltung von Physiotherapie offensichtliche Gründe sind, ist für unzureichende Regeneration oder eine späte Verschlechterung keine eindeutige Ursache bekannt. Besonders problematisch sind Defekte über 2 cm<sup>2</sup>, da bei dieser Größe die Belastung auf die Defektregion und den umliegenden Knorpel steigt und die Regeneration daher umso schwieriger wird, gleichzeitig aber auch die Qualität des Regeneratgewebes für die Funktionalität umso bedeutsamer für den klinischen Erfolg ist.</p> <h2>Die Problematik</h2> <p>Endoskopische Untersuchungen zeigen selbst in erfolgreich therapierten Fällen eine meist klar erkennbare, rauere Defektregion und somit eine unvollständige Regeneration der Knorpeloberfläche, deren Funktion jedoch wesentlich für die Gewichtsverteilung und Gleiteigenschaften ist.<sup>5</sup> Die wenigen verfügbaren Biopsien aus Defektregionen erfolgreich behandelter Patienten lassen überdies erkennen, dass auch die tieferen Regionen des Regeneratgewebes dem nativen Knorpel nicht entsprechen. Selbst wenn die Intensität der histologischen Färbungen einen hohen Kollagen-Typ-II-Anteil vermuten lassen, ist das Gewebe faserig und nicht ausreichend mit Glykosaminoglykanen versehen („maskiert“). Weiters ist die Faserorientierung ungeordnet und entspricht somit nicht der strukturellen Organisation im nativen Knorpel, in welchem die Hauptfaserrichtung perpendikulär zur Oberfläche verläuft. Da sowohl Faserorientierung als auch ein hoher Glykosaminoglykan-Anteil Grundvoraussetzung für die Biomechanik und Nährstoffversorgung des von Diffusion abhängigen Gewebes sind,<sup>6</sup> lassen die morphologischen Charakteristika funktionelle Schwächen vermuten.</p> <h2>Die Ursache</h2> <p>Hinweise für mögliche Ursachen der inadäquaten Entwicklung des Knorpelregenerats haben sich in der Zellqualität<sup>7</sup>wie auch den Biomaterialien<sup>8</sup> gezeigt. Während die Zellqualität bei autologer Verwendung nur bedingt beeinflussbar ist, stellen die Biomaterialien eine patientenunabhängige Möglichkeit zur Verbesserung dar. Die Biomaterialien, im Englischen auch treffend als „scaffold“ („Gerüst“) bezeichnet, haben die Aufgabe, die eingebrachten Zellen im Defekt zu verteilen, zu stabilisieren und vor mechanischen Einflüssen zu schützen.<sup>9, 10</sup> Im besten Fall sollte das Biomaterial überdies einen chondrogenen Einfluss zur Förderung der Knorpelbildung ausüben. In den frühen Jahren der Knorpelregeneration wurden die Biomaterialien mit patienteneigenen Zellen (Knorpelzellen) vorkultiviert und als Einheit implantiert (zweizeitiges Verfahren). Heutzutage ist die intraoperative Kombination von Biomaterialien und Zellen ein alternatives Verfahren (einzeitiges Verfahren). Die Zellen können dabei direkt im OP gewonnen und aufbereitet werden (Knochenmarkaspirat +/– Knorpelzellen) oder durch Mikrofrakturierung vom subchondralen Knochenmark in den Defektraum eingeleitet werden („scaffold augmented microfracture“).<sup>11</sup><br /> Die meisten der verwendeten Biomaterialien bestehen vorwiegend aus Kollagen Typ I oder Hyaluronan, kombiniert mit unterschiedlichen Zusatzkomponenten (z. B. Kollagen Typ III, Chondroitin-Sulfat), und sind aus Fasern unterschiedlicher Dimensionen und Dichte aufgebaut (Hydrogele, Netzwerke, Vliese). Die Architektur wird durch die Anordnung der Fasern bestimmt, die jedoch meist ungerichtet oder längs und nur in den wenigsten Fällen vertikal orientiert sind, wie es der nativen Knorpelmatrix entspricht. Die Architektur der Biomaterialien ist relevant, da die einzelnen Elemente als Leitstruktur für die Zellen und die Matrixbildung fungieren und die Organisation des neu gebildeten Gewebes beeinflussen. Ein weiteres wesentliches Kriterium für Biomaterialien ist die Festigkeit, welche bei den derzeit klinisch eingesetzten Biomaterialien meist relativ gering ist, wodurch sie den Belastungen im Gelenk nur begrenzt standhalten können.</p> <h2>Die Lösung – das neue Biomaterial AuriScaff</h2> <p>Basierend auf diesen Kenntnissen haben wir uns zum Ziel gesetzt, ein verbessertes Biomaterial für die Knorpelregeneration zu entwickeln. Da eine dem Knorpel entsprechende Feinstruktur mit derzeitigen technischen Mitteln nicht zu imitieren ist, haben wir ein Konzept zur Verwendung von dezellularisiertem Knorpel entwickelt. Die Herausforderung dabei war, die dichte Matrix nach Dezellularisierung wieder zu besiedeln, um eine Verwendung mit Patientenzellen möglich zu machen.<br /> Erreicht wurde dies, indem wir uns die strukturellen Eigenschaften von elastischem (aurikulärem, bovinem) Knorpel zunutze gemacht haben.<sup>12</sup> Elastischer Knorpel ist im Grunde hyaliner Knorpel, der mit elastischen Fasern durchzogen ist. Durch die selektive enzymatische Entfernung dieser elastischen Fasern entstand eine hyaline Matrix, die mit unzähligen Mikrokanälen in der Dimension von Zellen versehen war. Über diese Kanäle konnten Zellen die dichte Matrix durchwandern und gleichmäßig besiedeln und waren damit unmittelbar in eine authentische Knorpelumgebung eingebettet (Abb. 1). Die Besiedelung dieses Biomaterials (AuriScaff) war sowohl in Zellkultur als auch in experimentellen Knorpeldefekten in osteochondralen Zylindern ohne Vorkultivierung der Zellen auf dem Biomaterial möglich, was bedeutet, dass sowohl ein einzeitiges wie auch zweizeitiges Verfahren möglich ist. Um erste Informationen über ein In-vivo-Verhalten der Biomaterialien zu erhalten, wurden die osteochondralen Zylinder mit experimentellem Defekt subkutan in Mäuse implantiert (Abb. 2). Durch die Verwendung von immunsupprimierten (athymischen) Tieren war die Applikation humaner und boviner Zellen und Zylinder möglich. Somit konnten humane Zellen in einem authentischen, tiefen Knorpeldefekt in vivo untersucht werden. In diesem Setting sind sowohl bovine (gut differenzierend) wie auch humane Knorpelzellen älterer Donoren (schlecht differenzierend) und Kokulturen mit Fettstammzellen (als alternative Zellquelle), ohne die Zugabe von zusätzlichen Stimuli, wie mechanische oder hydrostatische Kompression oder Wachstumsfaktoren, differenziert. In den leeren Kanälen der entfernten Fasern und Lakunen der ursprünglichen Knorpelzellen hat sich Kollagen Typ II gebildet. Die Kollagenfibrillen waren entlang der Kanäle und somit in der natürlichen, vertikalen Richtung orientiert (Abb. 2). AuriScaff weist somit nicht nur selbst eine adäquate Zusammensetzung und Struktur auf, sondern fördert auch die Differenzierung und Matrixneubildung in physiologischer Orientierung. Neben den strukturellen Eigenschaften war in mechanischen Tests auch die Festigkeit von AuriScaff dreimal höher als jene bisheriger Biomaterialien, womit davon ausgegangen werden kann, dass sich die aurikuläre Knorpelmatrix auch für die Situation im belasteten Gelenk gut eignet.<br /> Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse des neuen Biomaterials (Patent WO2019 / 07307) im unbelasteten Kleintiermodell ist der nächste Schritt die orthotope Testung in einem großen, belasteten Tiermodell. In der Klinik soll AuriScaff entsprechend der derzeit gängigen Methoden entweder „off the shelf“ für intraoperative Kombination mit Zellen oder mit Vorkultivierung anwendbar sein (Abb. 3). AuriScaff ist die erste, gleichmäßig wiederbesiedelbare Knorpelmatrix, die eine authentische Umgebung für die Zellen liefert und sofortige höhere Belastbarkeit erwarten lässt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s19_abb1.jpg" alt="" width="600" height="486" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s19_abb2.jpg" alt="" width="600" height="612" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s19_abb3.jpg" alt="" width="600" height="481" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Brittberg M et al.: Treatment of deep cartilage defects in the knee with autologous chondrocyte transplantation. N Engl J Med 1994; 331(14): 889-95 <strong>2</strong> Wylie JD et al.: Failures and reoperations after matrix-assisted cartilage repair of the knee: a systematic review. Arthroscopy 2016; 32(2): 386-92 <strong>3</strong> Kon E et al.: Second-generation autologous chondrocyte implantation: results in patients older than 40 years. Am J Sports Med 2011; 39(8): 1668-75 <strong>4</strong> Aldrian S et al.: Clinical and radiological long-term outcomes after matrix- induced autologous chondrocyte transplantation: a prospective follow-up at a minimum of 10 years. Am J Sports Med 2014; 42(11): 2680-8 <strong>5</strong> Grad S et al.: Sliding motion modulates stiffness and friction coefficient at the surface of tissue engineered cartilage. Osteoarthritis Cartilage 2012; 20(4): 288-95 <strong>6</strong> Korhonen RK et al.: Importance of collagen orientation and depth-dependent fixed charge densities of cartilage on mechanical behavior of chondrocytes. J Biomech Eng 2008; 130(2): 021003 <strong>7</strong> Albrecht C et al.: Influence of cell differentiation and IL-1beta expression on clinical outcomes after matrix-associated chondrocyte transplantation. Am J Sports Med 2014; 42(1): 59-69 <strong>8</strong> Nuernberger S et al.: The influence of scaffold architecture on chondrocyte distribution and behavior in matrix- associated chondrocyte transplantation grafts. Biomaterials 2011; 32(4): 1032-40 <strong>9</strong> Brittberg M: Cell carriers as the next generation of cell therapy for cartilage repair: a review of the matrix-induced autologous chondrocyte implantation procedure. Am J Sports Med 2010; 38(6): 1259- 71 <strong>10</strong> Marlovits S et al.: Cartilage repair: generations of autologous chondrocyte transplantation. Eur J Radiol 2006; 57(1): 24-31 <strong>11</strong> Steinwachs MR et al.: Systematic review and meta-analysis of the clinical evidence on the use of autologous matrix-induced chondrogenesis in the knee. Cartilage 2019; 1947603519870846 <strong>12</strong> Nürnberger S et al.: Repopulation of an auricular cartilage scaffold, AuriScaff, perforated with an enzyme combination. Acta Biomater 2019; 86: 207-22</p>
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