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Behandlungsalgorithmus einer infizierten Prothese
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. O. Borens
<br>Service d‘orthopédie et de traumatologie,<br> Centre Hospitalier universitaire vaudois (CHUV),<br> Lausanne
Autor:
Dr. med. A. Antoniadis
E-Mail: alexander.antoniadis@chuv.ch
Autor:
Dr. méd. S. Steinmetz
30
Min. Lesezeit
26.09.2019
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<p class="article-intro">Periprothetische Infektionen stellen weiterhin eine wichtige Herausforderung dar, eine Steigerung der Inzidenz ist zu erwarten. Der Mechanismus der Biofilmentstehung muss bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden. Durch ein interdisziplinäres Management, den Einsatz moderner Diagnostikverfahren und konsequente Einhaltung der Therapierichtlinien können periprothetische Infektionen zu einem hohen Prozentsatz erfolgreich behandelt werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die periprothetische Infektion (PPI) ist eine schwerwiegende Komplikation, die in etwa 1–2 % nach Primäreingriffen und 4 % nach Revisionseingriffen auftritt.<sup>1–4</sup> <br />Die wahre Inzidenz liegt wahrscheinlich aufgrund von nicht erkannten «Low grade»-Infektionen deutlich höher.<sup>5</sup> Darüber hinaus verbleibt lebenslang das Risiko einer PPI durch eine hämatogene Streuung. Dies wird je nach Studienlagen bei etwa 0,5 % pro Jahr für die ersten 2 Jahre und 0,2 % im weiteren Verlauf geschätzt.<sup>1</sup> Mit einer stetig wachsenden Anzahl von Prothesen- Implantationen steigt auch die Zahl der PPI kontinuierlich an. Jedoch wird unabhängig von dieser Entwicklung in den letzten Jahren eine überproportionale Erhöhung der Infektionsraten beobachtet.<sup>6</sup> Durch die Entwicklung moderner Nachweisverfahren (Sonikation, «polymerase chain reaction» [PCR], «alpha defensin lateral flow» [DADLF]) können heutzutage chronische Infektionen nachgewiesen werden, die früher undetektiert blieben. <br />Das Ziel der Behandlung einer PPI ist die Eradikation der Infektion bei Wiederherstellung der Gelenkfunktion. Die Therapieansätze sollten individualisiert werden und erfordern eine enge Kooperation durch ein interdisziplinäres Team. Die adäquate chirurgische Therapie sollte nach kritischer Durchsicht der anamnestischen, klinischen und mikrobiologischen Faktoren entschieden werden und wird durch einen Behandlungsalgorithmus erleichtert (Abb. 1 und 2). Diese wird mit einer passenden antimikrobiellen Therapie kombiniert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1903_Weblinks_lo_ortho_1903_s6_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1487" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1903_Weblinks_lo_ortho_1903_s7_abb2.jpg" alt="" width="2150" height="1221" /></p> <h2>Chirurgische Therapie</h2> <p>Die wesentlichen chirurgischen Ansätze zur Behandlung von PPI umfassen das chirurgische Débridement mit Erhalt des Implantats sowie den ein- oder zweizeitigen Prothesenwechsel. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Infektionen, da bei den akuten PPI mit einem unreifen Biofilm und in der Regel günstigen lokalen Bedingungen (nicht kompromittierte Weichteile/ Knochen) die Prothese erhalten werden kann. Bei akuten, jedoch komplizierten oder chronischen PPI ist ein Prothesenwechsel unausweichlich. Abhängig von klinischen sowie mikrobiologischen Kriterien wird ein ein- oder zweizeitiger Wechsel durchgeführt. Aktuelle Daten zeigen eine höhere Erfolgsquote der chirurgischen Therapie, wenn der Eingriff von einem «High volume»-Chirurgen durch geführt wird, sodass im Bedarfsfall der Transfer eines Patienten mit einer PPI in ein spezialisiertes Zentrum erwogen werden sollte.<sup>7</sup></p> <p><strong>Débridement mit Erhalt des Implantates («débridement, antibiotics and implant retention», [DAIR])<br /></strong>Bei akuten postoperativen PPI < 4 Wochen oder akuten hämatogenen Infektionen mit einer Symptomdauer < 3 Wochen ist das chirurgische Débridement mit Erhalt des Implantates gefolgt von einer antibiotischen Therapie die Behandlung der Wahl. Dabei erfolgen ein radikales Débridement der infizierten Gewebe, eine Synovektomie, Exzision einer eventuellen vorhandenen Fistel, gründliche Spülung mit mehreren Litern steriler Kochsalzlösung sowie ein Wechsel der mobilen Teile. Frühe Studien zu diesem Behandlungskonzept zeigten eine hohe Versagerquote.<sup>8</sup> Dies konnte jedoch durch neuere Studien weitgehend widerlegt werden. Aktuelle Daten zeigen, dass 90 % der akuten PPI mit dem DAIR-Vorgehen erfolgreich behandelt werden können, vorausgesetzt die Prothese ist stabil, die Weichteile sind intakt und die nachgewiesenen Erreger sensitiv auf Rifampicin (grampositive Keime) oder Ciprofloxacin (gramnegative Keime).<sup>9</sup> Ein arthroskopisches Vorgehen ist mit einer hohen Versagerquote vergesellschaftet und nicht zu empfehlen.<sup>10, 11</sup> Ebenso geht ein Nicht-Wechsel der mobilen Teile mit schlechteren Ergebnissen einher.<sup>12, 13</sup></p> <p><strong>Einzeitiger Prothesenwechsel<br /></strong>Bei längerer Symptomdauer mit Entwicklung eines reifen Biofilmes ist eine komplette Entfernung der Prothese unausweichlich, sofern eine Infekteradikation angestrebt wird. Jahrzehntelang galt der zweizeitige Wechsel als der Goldstandard. Jedoch zeigen neue Daten bei ausgewählten Patienten ähnliche Erfolgsraten bei einem einzeitigen Wechsel, sodass der zweizeitige Wechsel für eine hohe Anzahl an Patienten als «overtreatment» angesehen wird und mit einer erhöhten Morbidität, längerer Hospitalisation, schlechterem Outcome und höheren Gesundheitskosten einhergeht.<sup>14</sup> Der einzeitige Wechsel ist für Patienten mit intakten oder nur gering kompromittierten Knochen und Weichteilen ohne Fistelbildung die Therapie der Wahl. Zudem sollte eine antibiotische Therapie mit Biofilm-aktiven Antibiotika möglich sein. Der Nachweis von «difficult-to- treat» Mikroorganismen, welche potenziell resistent auf Biofilm-aktive Antibiotika sind, schliesst einen einzeitigen Wechsel aus. Bei korrekter Indikation besteht die Erfolgsrate des einzeitigen Wechsels 85 % bis 90 %.<sup>14</sup></p> <p><strong>Zweizeitiger Prothesenwechsel<br /></strong>Hierbei wird die Prothese komplett ausgebaut gefolgt anschliessend von einer verzögerten Reimplantation. Dabei wird ein kurzes (2 –4 Wochen) und ein langes Intervall (4 – 8 Wochen) unterschieden. Auch Patienten mit multiplen Voroperationen, schwer kompromittierten Weichteilen, vorliegender Fistel können in der Regel mit einem kurzen Intervall behandelt werden, vorausgesetzt der Keim ist bekannt und gilt als «easy to treat». Bei unbekannten Mikroorganismen oder «difficult-to- treat» Keimen wie Enterokokken oder Fungi gilt das lange Intervall als der Goldstandard. Dies erlaubt eine optimierte antimikrobielle Behandlung im Prothesen-freien Intervall. Noch längere Intervalle (> 8 Wochen) sollten vermieden werden, insbesondere wenn Zementspacer eingesetzt wurden, da die Antibiotikakonzentration im Knochenzement allmählich abnimmt und nach dieser Zeit die Schwelle der minimalen Hemmkonzentration unterschritten wird und sich so der Spacer infizieren kann.<br />In einigen Fällen, z. B. bei verlängerter Sekretion nach dem initialen Ausbau sowie bei persistierenden Infektzeichen trotz adäquater lokaler und systemischer antimikrobieller Therapie, ist ein mehrstufiges Vorgehen angezeigt. Hierbei kann in einem Zwischenintervall nach 2 – 4 Wochen der Zementspacer ausgetauscht und ein erneutes Débridement durchgeführt werden. Sollte ein primärer Wundverschluss nicht möglich sein, sollte frühzeitig eine plastische Deckung erfolgen. Von einer Unterdruck- Wundtherapie ist abzuraten, da sich bereits nach einigen Tagen eine Kolonisation des Schwammes mit Mikroorganismen zeigt, insbesondere bei multiresistenten gramnegativen Keimen sowie Candida spp.<sup>15</sup> <br />In seltenen Fällen, wenn eine Infekteradikation nicht möglich erscheint, kann eine permanente Entfernung der Prothese mit Langzeit-suppressiver antibiotischer Therapie erwogen werden. Alternativ kann iatrogen eine stabile Fistel angelegt werden, wobei in dem Fall eine antibiotische Therapie nicht nötig ist und aufgrund möglicher Resistenzbildung auch nicht erfolgen sollte.</p> <h2>Antimikrobielle Therapie</h2> <p>Eine antibiotische Therapie ohne vorherige operative Therapie wird nicht empfohlen und sollte nur in Ausnahmefällen erfolgen, wenn der Patient eine Operation ablehnt oder inoperabel ist. Nach erfolgtem Débridement und Reduktion der Keimlast kann eine empirische Breitspektrum- Antibiose verabreicht werden. Unmittelbar nach Keimnachweis wird auf eine gezielte keimbezogene Therapie gewechselt. Eine Oralisierung sollte frühestens nach 14 Tagen erfolgen, vorausgesetzt es bestehen trockene Wundverhältnisse, die Entzündungsmarker sind gesunken und eine – passend zum Keim – orale Substanz mit guter Knochendurchgängigkeit und hoher Bioverfügbarkeit ist verfügbar. In Abhängigkeit der Keime, z. B. im Falle von Streptokokken, kann potenziell eine längere intravenöse Therapie erforderlich sein. <br />Präoperativ sollte wie üblich eine prophylaktische antibiotische Therapie 30 – 60 Minuten vor Hautschnitt verabreicht werden, da diese keinen negativen Einfluss auf die Sensitivität der intraoperativen Proben hat.<sup>16, 17</sup> <br />Bei einem mehrstufigen Vorgehen ist das Ziel der antibiotischen Therapie im prothesenfreien Intervall die maximale Keimreduktion und diese sollte nahtlos bis zur Reimplantation fortgesetzt werden. Das in früheren Konzepten Antibiotika- freie Fenster mit erneuter Gelenkpunktion bzw. Biopsie vor Reimplantation wird nicht mehr empfohlen, da ein Wiederaufflammen des Infektes riskiert wird ohne jeglichen therapeutischen oder diagnostische Nutzen.<sup>18</sup> Nach der Reimplantation wird die antibiotische Therapie (maximal bakterizid und Biofilm-aktiv) fortgesetzt, um eine Gesamtdauer von 3 Monaten Therapie zu erreichen, auch wenn die intraoperativen Proben negativ sind. Sollte ein Keim bei der Reimplantation nachgewiesen werden, wird die antibiotische Therapie für 12 Wochen fortgesetzt. <br />Die Rolle von Rifampicin als einziges Biofilm-aktives Antibiotikum für die meisten grampositiven Erreger ist äusserst entscheidend in der Behandlung von Protheseninfekten. Diese wertvolle Substanz muss jedoch behutsam eingesetzt werden, um eine Resistenzentwicklung zu vermeiden. Bei gramnegativen Keimen wird, falls möglich, Ciprofloxacin eingesetzt. <br />Weitere Optionen zur Behandlung und Prophylaxe von Prothesen-assoziierten Infektionen beinhalten die lokale antibiotische Therapie, die spezielle Beschichtung von Implantaten sowie den Einsatz von Bakteriophagen zur Eradikation bakterieller Biofilme.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <ul> <li>Eine PPI ist eine schwerwiegende Komplikation, die jedoch bei Einhalten der Leitlinien und enger Zusammenarbeit von Chirurgen und Infektiologen hohe Heilungsschancen aufweist.</li> <li>Essenziell ist ein optimales chirurgisches Vorgehen mit Reduktion der Keimlast und anschliessender gezielter antibiotischer Therapie mit Biofilm-aktiven bakteriziden Substanzen.</li> </ul> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Corvec S et al.: Epidemiology and new developments in the diagnosis of prosthetic joint infection. Int J Artif Organs 2012; 35(10): 923-34 <strong>2</strong> Kurtz S et al.: Projections of primary and revision hip and knee arthroplasty in the United States from 2005 to 2030. J Bone Joint Surg Am 2007; 89(4): 780-5 <strong>3</strong> Kurtz SM et al.: Prosthetic joint infection risk after TKA in the medicare population. Clin Orthop Relat Res 2010; 468(1): 52-6 <strong>4</strong> Zimmerli W et al.: Prosthetic-joint infections. N Engl J Med 2004; 351(16): 1645-54 <strong>5</strong> Gundtoft PH et al.: The «true» incidence of surgically treated deep prosthetic joint infection after 32,896 primary total hip arthroplasties: a prospective cohort study. Acta Orthop 2015; 86(3): 326-34 <strong>6</strong> Beam E, Osmon D: Prosthetic joint infection update. Infect Dis Clin North Am 2018; 32(4): 843- 59 <strong>7</strong> Fischbacher A et al.: Treatment of prosthetic-joint infections: the role of the surgeon. Swiss Med Wkly 2019; 149 (Suppl 236) <strong>8</strong> Deirmengian C etal.: Limited success with open debridement and retention of components in the treatment of acute Staphylococcus aureus infections after total knee arthroplasty. J Arthroplasty 2003; 18(7 Suppl 1): 22-6 <strong>9</strong> Tschudin-Sutter S et al.: Validation of a treatment algorithm for orthopaedic implant-related infections with device-retention-results from a prospective observational cohort study. Clin Microbiol Infect 2016; 22(5): 457 e1-9 <strong>10</strong> Ilahi OA et al.: Arthroscopic debridement of acute periprosthetic septic arthritis of the knee. Arthroscopy 2005; 21(3): 303-6 <strong>11</strong> Liu CW et al.: Results of infected total knee arthroplasty treated with arthroscopic debridement and continuous antibiotic irrigation system. Indian J Orthop 2013; 47(1): 93-7 <strong>12</strong> Choi HR et al.: Can implant retention be recommended for treatment of infected TKA? Clin Orthop Relat Res 2011; 469(4): 961-9 <strong>13</strong> Tsang SJ et al.: Outcomes following debridement, antibiotics and implant retention in the management of periprosthetic infections of the hip: a review of cohort studies. Bone Joint J 2017; 99-B(11): 1458-66 <strong>14</strong> Zahar A et al.: Ten-year results following one-stage septic hip exchange in the management of periprosthetic joint infection. J Arthroplasty 2019; 34(6): 1221-6 <strong>15</strong> Yusuf E et al.: High bacterial load in negative pressure wound therapy (NPWT) foams used in the treatment of chronic wounds. Wound Repair Regen 2013; 21(5): 677-81 <strong>16</strong> Burnett RS et al.: Prophylactic antibiotics do not affect cultures in the treatment of an infected TKA: a prospective trial. Clin Orthop Relat Res 2010; 468: 127– 34 <strong>17</strong> Bedencic K et al.: Does preoperative antimicrobial prophylaxis influence the diagnostic potential of periprosthetic tissues in hip or knee infections? Clin Orthop Relat Res 2016; 474: 258–64 <strong>18</strong> Tan TL et al.: Determining the role and duration of the «antibiotic holiday» period in periprosthetic joint infection. J Arthroplasty 2018; 33(9): 2976-80</p>
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