© Getty Images/iStockphoto

Bedeutung des „Fracture Liaison Service“ in der sekundären Frakturprävention

<p class="article-intro">Wer bereits eine osteoporosebedingte Fraktur erlitten hat, hat ein deutlich höheres Risiko für weitere Frakturen im Vergleich zu jenen, die noch keine Fraktur hatten. Daher ist es bei Patienten, die mit einer Fragilitätsfraktur vorstellig werden, unbedingt erforderlich, dass nicht nur die Fraktur behandelt wird, sondern auch begonnen wird, der nächsten vorzubeugen. Um sicherzugehen, dass dies wirklich geschieht, ist eine spezielle Form der klinischen Organisation notwendig, nämlich ein „Fracture Liaison Service“ (FLS).</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Behandlung eines Patienten mit einer Fragilit&auml;tsfraktur ist nicht abgeschlossen, solange keine Ma&szlig;nahmen ergriffen worden sind, um die n&auml;chste Fraktur zu verhindern.</li> <li>Das &bdquo;Fracture Liaison Service&ldquo; (FLS) ist eine Form einer klinischen Dienstleistung, die sicherstellt, dass sekund&auml;re Pr&auml;vention nachweisbar durchgef&uuml;hrt wird.</li> <li>Die Schl&uuml;sselkomponente eines FLS ist ein Koordinator, wie z.B. eine FL-Schwester.</li> <li>Die meisten F&auml;lle k&ouml;nnen von einer FL-Schwester alleine entsprechend dem vorgesehenen Protokoll und unter der Anleitung oder Aufsicht eines Osteoporose Experten organisiert werden.</li> <li>Essenziell ist die Einbindung des Allgemeinmediziners, der den Patienten behandelt, sodass eine lebenslange Pr&auml;vention sichergestellt werden kann.</li> </ul> </div> <p>Weltweit f&uuml;hrt die &Uuml;beralterung der Bev&ouml;lkerung zur massiven Zunahme der Inzidenz von Fragilit&auml;tsfrakturen. In L&auml;ndern mit starkem Bev&ouml;lkerungswachstum wird f&uuml;r die n&auml;chsten Jahrzehnte eine Zunahme der H&uuml;ftfrakturinzidenz auf das Sechsfache erwartet. F&uuml;r Europa wird eine Verdoppelung der Inzidenz prognostiziert. Um diese dramatische Entwicklung bew&auml;ltigen zu k&ouml;nnen, m&uuml;ssen die Gesundheitssysteme nicht nur die Effizienz erh&ouml;hen, mit der sie solche F&auml;lle managen (durch Innovationen, wie z.B. das orthogeriatrische Komanagement von Patienten), sondern auch danach trachten, die H&auml;ufigkeit von Fragilit&auml;tsfrakturen durch pr&auml;ventive Ma&szlig;nahmen zu reduzieren.</p> <h2>Sekund&auml;re Pr&auml;vention ist kosteneffektiver als die prim&auml;re</h2> <p>Ungef&auml;hr die H&auml;lfte der Patienten, die mit einer H&uuml;ftfraktur vorstellig werden, hat vorher bereits mindestens eine Fragilit&auml;tsfraktur erlitten, w&auml;hrend in der Gesamtbev&ouml;lkerung von Frauen &uuml;ber 50 Jahre nur ungef&auml;hr 16 % eine Fraktur erleiden (die Zahlen beziehen sich auf Gro&szlig;britannien). Wenn man sich also f&uuml;r eine Zielgruppe f&uuml;r die Pr&auml;vention entscheidet, ist es offensichtlich effektiver, diese 16 % zu behandeln, von denen 50 % in der Zukunft eine H&uuml;ftfraktur erleiden werden, als die restlichen 84 % , von denen niemand bisher jemals eine Fraktur erlitten hat. Mit anderen Worten: Die sekund&auml;re Pr&auml;vention ist kosteneffektiver als die prim&auml;re.<br /> Au&szlig;erdem sind bei dieser Strategie geringe Kosten f&uuml;r das &bdquo;case finding&ldquo; involviert, da die Patienten dem Gesundheitssystem wegen der Frakturen, die bereits stattgefunden haben, bekannt sind. Die Patienten haben uns gefunden. Wir m&uuml;ssen uns nicht mehr nach ihnen umsehen.</p> <h2>Wo stehen wir heute? Was k&ouml;nnen wir erreichen?</h2> <p>Studien zu osteoporosespezifischen Medikamenten haben gezeigt, dass die Therapie das zuk&uuml;nftige Frakturrisiko um etwa 50 % reduziert. Wenn also alle Patienten, die bereits Fragilit&auml;tsfrakturen erlitten haben, gegen die Osteoporose behandelt werden w&uuml;rden, w&uuml;rde die Inzidenz zuk&uuml;nftiger H&uuml;ftfrakturen um 50 % von 50 % reduziert werden &ndash; eine 25 % ige Reduktion des Risikos. Deshalb ist es offensichtlich, dass alle Patienten mit Fragilit&auml;tsfrakturen hinsichtlich der Osteoporose abgekl&auml;rt und, wenn n&ouml;tig, behandelt werden m&uuml;ssen. Da die meisten Frakturen (ausgenommen vertebrale Frakturen) aus St&uuml;rzen resultieren, macht es zus&auml;tzlich Sinn, auch Risikofaktoren f&uuml;r St&uuml;rze zu identifizieren und gegebenenfalls zu eliminieren. Die Evidenz f&uuml;r die Effizienz in der Sturzpr&auml;vention ist noch nicht vergleichbar mit derjenigen f&uuml;r die Effizienz der Osteoporosepr&auml;vention. Sie nimmt aber st&auml;ndig zu.<br /> Leider zeigen &Uuml;berblicksstudien in vielen L&auml;ndern immer wieder, dass nur etwa 20 % der Patienten mit Fragilit&auml;tsfrakturen auf diese Art und Weise abgekl&auml;rt werden, sogar in Krankenh&auml;usern mit gut funktionierender Osteoporose- und Sturzpr&auml;ventionsbetreuung. Der Unfallchirurg oder der Orthop&auml;de fokussiert seine Behandlung auf die aktuell aufgetretene Fraktur, ohne daran zu denken, warum diese passiert ist. Der auf Osteoporose spezialisierte Arzt hingegen interessiert sich f&uuml;r interessante F&auml;lle und ignoriert damit die gr&ouml;&szlig;te Gruppe von Patienten, diejenigen mit dem h&ouml;chsten Frakturrisiko. Deshalb ist unbedingt ein Mechanismus erforderlich, der diese beiden Dienstleistungen zusammenf&uuml;hrt: Das Fracture Liaison Service (FLS) kann sicherstellen, dass jeder Patient, der mit einer Fragilit&auml;tsfraktur vorstellig wird, wenn n&ouml;tig bez&uuml;glich seines Osteoporose- und Sturzrisikos abgekl&auml;rt und behandelt wird.</p> <h2>Wie kann das erreicht werden?</h2> <p>Offensichtlich funktioniert es nicht, wenn man darauf wartet, dass der Arzt, der die Fraktur behandelt, das Risiko des Patienten selbst erhebt oder den Patienten zu einem anderen Arzt zur Abkl&auml;rung &uuml;berweist. Dieses System f&uuml;hrt gegenw&auml;rtig dazu, dass nur einer von f&uuml;nf Patienten therapeutisch das bekommt, was er wirklich braucht. Die Erfahrungen in verschiedenen L&auml;ndern haben klar gezeigt, dass das Schl&uuml;sselkriterium f&uuml;r den Erfolg die Anstellung eines Koordinators ist, dessen Hauptrolle darin besteht, den Patienten mit Fraktur mit einem Osteoporose- und Sturzpr&auml;ventionsdienst zusammenzubringen. In den meisten F&auml;llen ist diese Person eine &bdquo;Fracture Liaison&ldquo;-Schwester (FL-Schwester), deren Hauptarbeitsplatz die Station ist, auf der Patienten mit Frakturen behandelt werden. Sie f&uuml;hrt unter der Supervision eines Geriaters oder Osteoporosespezialisten ihre T&auml;tigkeit durch. In Abbildung 1 werden die Hauptelemente dieser Position dargestellt. Erstens &bdquo;findet&ldquo; sie die Patienten, indem sie auf der unfallchirurgisch-orthop&auml;dischen Station bez&uuml;glich Fragilit&auml;tsfrakturen screent. Sie nimmt an den Visiten und Besprechungen der Unfallchirurgie teil und achtet auf jeden Patienten &uuml;ber 50 Jahre. Damit sollten die meisten F&auml;lle effizient identifiziert werden k&ouml;nnen. Um jedoch alle Patienten komplett zu erfassen, sollten zwei weitere Zielgruppen avisiert werden:</p> <ul> <li>Patienten mit Schambein- oder Humerusfrakturen, die auf einer geriatrischen oder internen Station zur konservativen Therapie aufgenommen wurden,</li> <li>Patienten, bei denen Wirbelk&ouml;rperfrakturen auf einem R&ouml;ntgenbild, das wegen anderer Ursachen aufgenommen wurde (z.B. aufgrund von pulmonalen Problemen), identifiziert wurden.</li> </ul> <p>Die FL-Schwester stellt sich-er, dass die behandelnden &Auml;rzte &uuml;ber diese F&auml;lle informiert sind, indem sie die Verbindung zwischen den &Auml;rzten auf den Stationen und der Radiologie herstellt.<br /> Die Identifikation von Patienten mit Wirbelk&ouml;rperfrakturen ist besonders wichtig. Manche dieser Patienten pr&auml;sentieren sich klinisch mit starken Schmerzen. Bei vielen anderen verlaufen Wirbelk&ouml;rperfrakturen aber relativ schmerzfrei und k&ouml;nnen nur radiologisch nachgewiesen werden.<br /> Trotzdem erh&ouml;hen die klinisch schmerzlos verlaufenden Frakturen das Risiko f&uuml;r weitere Frakturen genauso wie die stark schmerzhaften. Vom Blickwinkel der sekund&auml;ren Pr&auml;vention sind diese beiden gleich wichtig.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite22.jpg" alt="" width="614" height="868" /></p> <h2>Was passiert bei der FLS-Besprechung?</h2> <p>Jeder identifizierte Patient wird eingeladen, an einer sogenannten FLS-Besprechung teilzunehmen, die von der FL-Schwester geleitet wird. Die FL-Schwester geht unter der Aufsicht eines Arztes, der Experte f&uuml;r Osteoporose ist, anhand eines Protokolls vor. Sie kl&auml;rt bei den Patienten das individuelle Frakturrisiko mittels FRAX oder &auml;hnlicher Methoden, bei welchen die Familienanamnese, fr&uuml;here Frakturen, Lebensstilfaktoren oder eine Glukokortikoidtherapie ber&uuml;cksichtigt werden. Unter Ber&uuml;cksichtigung der lokalen Richtlinien plant sie auch eine Knochenmineraldichtemessung mittels DXA. Wenn m&ouml;glich, sollte die DXA-Untersuchung eine seitliche Aufnahme der Wirbels&auml;ule beinhalten. Mit deren Hilfe kann man &auml;ltere, bisher nicht bekannte Wirbelk&ouml;rperfrakturen identifizieren. Sind solche Frakturen zus&auml;tzlich zur Indexfraktur vorhanden, &auml;ndert sich die Indikation f&uuml;r die Therapie. Die FL-Schwester nimmt auch eine vorl&auml;ufige Abkl&auml;rung hinsichtlich des Sturzrisikos vor.<br /> <br /> Die meisten F&auml;lle sind einfach zu beurteilen, und so kann die FL-Schwester dem Allgemeinmediziner entsprechend den Richtlinien Vorschl&auml;ge f&uuml;r den Therapiebeginn zukommen lassen. In einigen L&auml;ndern ist die FL-Schwester auch befugt, Rezepte f&uuml;r Medikamente f&uuml;r den Therapiebeginn, normalerweise Bisphosphonate, auszustellen. Bei komplexen oder ungew&ouml;hnlichen F&auml;llen schickt sie den Patienten zu einem Spezialisten oder in eine Osteoporoseambulanz zur weiteren Abkl&auml;rung. Falls zus&auml;tzlich das Sturzrisiko hoch erscheint oder komplex ist, schickt sie den Patienten zur Abkl&auml;rung des Sturzrisikos an eine entsprechende Ambulanz weiter.<br /> Die wichtigste Aufgabe der FL-Schwester besteht jedoch darin, dass sie den Allgemeinmediziner, der den Patienten mit Fragilit&auml;tsfraktur behandelt, &uuml;ber das erh&ouml;hte Risiko f&uuml;r weitere Frakturen informiert und eine Therapieempfehlung unterbreitet. Der Punkt ist, dass die Osteoporose bis zum Auftreten der ersten Fraktur eine &bdquo;stille&ldquo; Erkrankung ist, weil die Patienten bis dahin zumeist schmerzfrei sind. Sp&auml;testens, wenn sich die erste Fraktur ereignet hat und festgestellt worden ist, dass der Patient fragile Knochen hat und zu St&uuml;rzen neigt, sind f&uuml;r den Rest des Lebens des Patienten vorbeugende Ma&szlig;nahmen notwendig. Dies erfordert die &Uuml;berwachung und F&uuml;hrung des Patienten durch den Allgemeinmediziner. Aufgrund der gro&szlig;en Zahl betroffener Patienten ist eine lebenslange &Uuml;berwachung durch Spezialambulanzen oder Krankenh&auml;user nicht m&ouml;glich.</p> <h2>Wo gibt es detaillierte Informationen?</h2> <p>Dieser Artikel kann nur einen &Uuml;berblick dar&uuml;ber geben, wie ein FLS funktioniert. &Uuml;berall auf der Welt gibt es exzellente Richtlinien, die auf den bisherigen Erfahrungen f&uuml;r die Organisation von effizienten FLS basieren. Zwei gute Beispiele sind das &bdquo;best practice framework&ldquo; der International Osteoporosis Foundation (<a href="http://dx.doi.org/10.1007/s00198-015-3192-0" target="_blank">http://dx.doi.org/10.1007/s00198-015-3192-0</a>) und die &bdquo;clinical standards&ldquo; der UK National Osteoporosis Society (<a href="https://www.nos.org.uk/document.doc?id=1941" target="_blank">https://www.nos.org.uk/document.doc?id=1941</a>). Ein Positionspapier der Europ&auml;ischen Union f&uuml;r geriatrische Medizin ist gerade im Entstehen.</p> <h2>&Uuml;ber den Autor</h2> <p>Prof. David Marsh, Professor emeritus des University College of London, war der Gr&uuml;ndungspr&auml;sident des &bdquo;Fragility Fracture Network&ldquo; (FFN) der &bdquo;Bone and Joint Decade&ldquo;. Die zentrale Philosophie des FFN lautet: Wenn ein Patient mit einer Fragilit&auml;tsfraktur vorstellig wird, sind das multidisziplin&auml;re Management dieser Fraktur und die Pr&auml;vention der n&auml;chsten Fraktur von gleicher Wichtigkeit. Die Vision des FFN ist &bdquo;eine Welt, wo jeder, der eine Fragilit&auml;tsfraktur erleidet, die optimale Wiederherstellung seiner funktionellen Unabh&auml;ngigkeit und Lebensqualit&auml;t erzielen kann, ohne weitere Frakturen erleiden zu m&uuml;ssen&ldquo;.</p></p>
Back to top