<p class="article-intro">In-vivo- und In-vitro-Untersuchungen zeigen, dass sich allogener Spenderknochen als Trägermaterial für verschiedene Antibiotikatypen zur Infektionsprophylaxe sehr gut eignet.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Regeneration von fehlendem Knochen ist ein integraler Bestandteil bei der Behandlung ossärer Defekte und oftmals unabdingbar, um die physiologische Funktion sowie die mechanische Belastbarkeit betroffener Strukturen wiederherzustellen. Der Verlust von Knochengewebe kann im gesamten Körper auftreten und zahlreiche Ursachen haben. Während in der Orthopädie und Unfallchirurgie ein Großteil dieser Fälle auf Traumata zurückzuführen ist, lässt sich in der Kieferchirurgie häufig eine Resorption des Kieferknochens aufgrund von Zahnlosigkeit und der damit verbundenen fehlenden Kaubelastung feststellen. Weiterhin können Tumoren, Zysten, systemische Erkrankungen und Osteomyelitiden einen substanziellen Knochenverlust bewirken.<br /> Bei jedem chirurgischen Eingriff an knöchernen Strukturen besteht das Risiko, dass Krankheitserreger in den Defektbereich gelangen und zu einer Entzündung führen. Da eine Osteomyelitis häufig eine persistierende Infektion darstellt, welche mit schwerwiegenden Komplikationen sowie einer aufwendigen Behandlung assoziiert ist, gilt es, diese in jedem Fall zu vermeiden. Oftmals werden Eingriffe zwar unter Gabe einer systemischen prä-, peri- oder postoperativen Antibiotikaprophylaxe durchgeführt, diese kann jedoch lediglich ein begrenztes Spektrum von Erregern erfassen und substanzspezifische Nebenwirkungen verursachen.<sup>1</sup> Bei einer bereits bestehenden Osteomyelitis sollte eine Probe zur mikrobiologischen Untersuchung entnommen werden. Mithilfe des hieraus erstellten Antibiogramms kann der Chirurg dann festlegen, welche Antibiotika für die Behandlung des Erregers indiziert sind.<br /> Neben einer umfangreichen Therapie, welche eine systemische Antibiotikagabe, mehrmaliges Débridement, Jet-Lavagen und mikrobiologische Untersuchungen beinhalten sollte, bietet die Möglichkeit einer lokalen Antibiotikabehandlung ein wertvolles Instrument zur gezielten Wirkstofffreisetzung.<sup>1</sup> Vor allem in der Orthopädie hat sich das Beladen der eingesetzten Biomaterialien mit Antibiotika als valides Konzept für die Infektionsprophylaxe und Behandlung etabliert, findet aber teilweise auch bereits bei kieferchirurgischen Eingriffen Anwendung.<sup>2, 3</sup><br /> Die lokale Applikation der Antibiotika bietet gegenüber der systemischen Gabe einige Vorteile. Hiermit können eine hohe lokale Wirkstoffkonzentration oberhalb der minimalen bakteriziden und/oder hemmenden Wirkstoffkonzentration (ohne eine systemische Belastung) sowie eine kontinuierliche Freisetzung im Defektbereich erzielt werden, wodurch das Risiko einer Resistenzbildung maßgeblich vermindert wird.<sup>1–3</sup> Hierfür ist es essenziell, dass sich das verwendete Biomaterial als Trägerstoff eignet und als Reservoir, aus welchem das Antibiotikum retardiert freigesetzt wird, fungiert. Gegenwärtig werden hierfür im orthopädischen Gebrauch häufig antibiotikabeladene Knochenzemente, verstärkt jedoch auch andere Materialien wie gefriergetrockneter menschlicher Spenderknochen erfolgreich eingesetzt.<sup>3, 4</sup><br /> Mineralisierter allogener Spenderknochen („mineralized bone allograft“, MBA) genannt, hat sich als ideales Material bei der Regeneration großer und ausgedehnter Knochendefekte bewährt und findet zunehmend Anwendung in der Orthopädie, Traumatologie und Zahnheilkunde.<sup>4</sup> Die Umsetzbarkeit einer Antibiotikabeladung von humanem Spenderknochen zur Infektionsprophylaxe wurde bereits in einigen Studien untersucht, welche gezeigt haben, dass diverse Antibiotika sehr gut am Knochengewebe adhärieren und aus diesem verzögert freigesetzt werden können. So kann das humane Knochengranulat vor der Einbringung mit einer beliebigen Kombination aus Aminoglykosiden, Betalaktamen, Lincosamiden, Glykopeptiden, Ansamycinen und Fluorchinolonen beladen werden.<sup>4</sup> In diesem Zusammenhang haben klinische Untersuchungen bereits gezeigt, dass hohe lokale Antibiotikakonzentrationen im Transplantationsbereich körpereigenen Gewebezellen einen selektiven Vorteil gegenüber Pathogenen bei der Besiedlung des Fremdmaterials ermöglichen und die Knochengewebeheilung hierdurch nicht unterbunden wird.<sup>1–4</sup></p> <h2>Antibiotikabeladung der C+TBAAllografts und Freisetzungskinetik</h2> <p>In einer Studie, welche die Cells + Tissuebank Austria (C<sup>+</sup>TBA) in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Gießen, dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie der Medizinischen Universität Innsbruck durchgeführt hat, wurde die Eignung des allogenen Spenderknochens der C<sup>+</sup>TBA als Trägersubstanz für Clindamycin, Gentamicin, Vancomycin sowie eine Kombination aus Vancomycin und Rifampicin evaluiert. Hierfür wurde zunächst die Aufnahmefähigkeit der Knochenblöcke für die jeweiligen Antibiotika bzw. die Antibiotikakombination getestet. Dazu wurden Lösungen der jeweiligen Antibiotika hergestellt. Da im Rahmen der Anwendung der C<sup>+</sup>TBA-Allografts ohnehin eine Rehydratation der Knochensubstanz mittels Plasma, Blut oder Salzlösungen empfohlen wird, wurden in dieser Studie hierfür die verschiedenen Antibiotikalösungen eingesetzt. Die Beladung des Materials gestaltet sich somit sehr einfach und ist nach einer zehnminütigen Inkubation bei einem Mischungsverhältnis von 1mL Granulat je 1mL Lösung (1:1) abgeschlossen, was die klinische Handhabung sehr einfach macht. Die Arzneistoffkonzentrationen im Knochengranulat wurden anschließend semiquantitativ über einen Hemmhoftest bestimmt. Hierfür wurde eine Regressionsanalyse mittels einer Verdünnungsreihe und der korrespondierenden Hemmhofgröße durchgeführt.<br /> Bei der Kontrollmessung der initialen Antibiotikakonzentration im Spenderknochen unmittelbar nach der Beladung zeigte Clindamycin mit 364,6mg/mL die höchste Konzentration, gefolgt von Gentamicin mit 41,44mg/mL, der Kombination von Vancomycin und Rifampicin mit 27,03mg/mL und schließlich Vancomycin, welches mit 14,58mg/mL die geringste Konzentration aufwies (Abb. 1).<br /> Der spongiöse Knochen der C<sup>+</sup>TBA bietet mit seinem Netzwerk aus interkonnektiven Poren eine große Oberfläche für die Adsorption der Antibiotika, diese wird jedoch neben der Kapazität und Beschaffenheit der Trägersubstanz durch weitere Faktoren bestimmt. So ist beispielsweise die Löslichkeit der antibiotischen Agenzien eine zentrale Determinante für deren Aufnahme und Freisetzung. Da das humane Knochengranulat der C<sup>+</sup>TBA einen Kollagenanteil von etwa 30 % besitzt, ist es weiterhin sehr wahrscheinlich, dass die Eiweißbindung der Antibiotika einen Einfluss auf deren Konzentration im Träger nimmt. Die Gesamtmenge eines Antibiotikums im Knochengranulat besitzt jedoch keine Aussagekraft bezüglich der Wirksamkeit, sodass es deutlich wichtiger ist, die minimale bakterizide bzw. hemmende Konzentration zu betrachten (Tab. 1). Hier zeigt sich, dass die Ausgangskonzentration aller Antibiotika innerhalb der Knochenblöcke weit über der minimalen Hemmkonzentration liegt.<sup>5</sup><br /> Um die Freisetzung der Antibiotika aus dem humanen Knochengranulat in vivo zu bestimmen, wurden diese zur Füllung von Knochendefekten in der Tibia von Kaninchen verwendet. Die mit den Antibiotika beladenen Knochenblöcke wurden für 24 und 72 Stunden implantiert, um anschließend den restlichen Wirkstoffgehalt und damit die Freisetzung der Antibiotika zu bestimmen. Hierfür wurde erneut die zuvor erstellte Regressionsgerade zur semiquantitativen Konzentrationsbestimmung verwendet. Da nur ein Teil des Antibiotikums in die humane Spongiosa aufgenommen werden kann, ist eine erhöhte initiale Wirkstofffreisetzung unmittelbar nach der Implantation zu erwarten, welche zu einer starken bakteriziden und/oder bakteriostatischen Wirkung im Defektbereich führt und somit eukaryotischen Zellen einen Vorteil bei der Materialbesiedlung bietet. Dadurch wird das Risiko für Infektionen und Komplikationen bei der Defektheilung deutlich reduziert. Die Ergebnisse der ausführlichen Studie zeigten, dass sich die Wirkstofffreisetzung der untersuchten Antibiotika aus dem humanen Knochengranulat im Falle aller getesteten Antibiotika bzw. der Antibiotikakombination unterschied (Abb. 2). Der kumulative verbleibende Wirkstoffgehalt in den Knochenblöcken betrug nach 24 Stunden 0,197mg/ mL für Clindamycin, 0,073mg/mL für Vancomycin, 0,00065mg/mL für Gentamicin und 0,3949mg/mL für die Kombination aus Vancomycin und Rifampicin und somit das 788-, 98-, 2,6- und 1580-Fache der für diese Wirkstoffe ermittelten minimalen Hemmkonzentration, bei welcher 90 % von 240 untersuchten MRSA-Stämmen kein Wachstum mehr zeigen.<sup>5</sup> Da Osteomyelitiden häufig durch Staphylokokkenstämme verursacht werden, ist gerade die Wirksamkeit der Antibiotika gegenüber Erregern dieser Gattung sehr wichtig und aussagekräftig.<br /> Der kumulative verbleibende Wirkstoffgehalt in der Trägersubstanz beträgt nach 72 Stunden 0,1474mg/mL für Clindamycin, 0,0243mg/mL für Vancomycin, 0,00005mg/ mL für Gentamicin und 0,0291mg/mL für die Kombination aus Vancomycin und Rifampicin und liegt damit, abgesehen von Gentamicin, erneut maßgeblich über der MHK90.<br /> Der Vergleich der beiden Zeitpunkte verdeutlicht, dass ein Großteil der Antibiotikafreisetzung bereits innerhalb der ersten 72 Stunden stattfindet. Hierdurch werden die hohe anfängliche Freisetzung des Wirkstoffs aus dem Knochengranulat sowie die Praktikabilität einer Antibiotikabeladung von humanem Knochengranulat verdeutlicht.</p> <p>Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie, dass die allogenen Knochenblöcke der C<sup>+</sup>TBA sich hervorragend mit verschiedenen Antibiotika beladen lassen und initiale Wirkstoffkonzentrationen, welche um ein Vielfaches über der für 240 MRSAStämme ermittelten MHK90 liegen, erzielt werden können. Trotz der hohen initialen Wirkstofffreisetzung, welche zu einer deutlichen Abnahme der Antibiotikakonzentration im Träger innerhalb der ersten 72 Stunden führt, wird die MHK90 in den explantierten Proben für keine der getesteten Substanzen hiernach unterschritten und auch nach 72 Stunden liegt die Konzentration mit Ausnahme von Gentamicin deutlich über der MHK90. Die hohe lokale Wirkstofffreisetzung kann damit einer Infektion im Defektbereich vorbeugen oder dazu dienen, Erreger bei einer bereits bestehenden Osteomyelitis effektiv und ohne systemische Belastung zu bekämpfen.<br /> Da die Oberflächen von in den Körper eingebrachten Implantaten wie beispielsweise Hüftimplantaten von biofilmbildenden Mikroorganismen befallen werden können, ist es außerdem interessant, dass die Kombination von Vancomycin und Rifampicin die geringste Freisetzung aus dem Knochengranulat aufweist und somit über einen längeren Zeitraum eine wirksame Konzentration dieser Antibiotika im Träger verbleibt. Die Behandlung von Biofilmbildnern gestaltet sich oftmals langwierig und komplex, da sich bei diesen häufig Resistenzbildungen beobachten lassen. So zeigte eine kürzlich veröffentlichte In-vitro-Studie die Resistenz eines biofilmbildenden Staphylococcus-epidermidis- Stammes gegenüber Vancomycin, Teicoplanin, Oxacillin, Rifampicin und Gentamicin, wobei die getesteten Glykopeptide die Biofilmbildung sogar verstärken. Die Kombination von Glykopeptiden mit Ansamycinen (Vancomycin mit Rifampicin) zeigte jedoch eine bakterizide Wirkung auf die Biofilmbildner, sodass eine Beladung von allogenem Spenderknochen mit einer Kombination aus diesen Antibiotika ausgezeichnet für die Prävention und Therapie einer Biofilmbildung verwendet werden kann.<br /> Zusammenfassend lässt sich sagen, dass allogener Spenderknochen einen hervorragenden Trägerstoff für verschiedene Antibiotikatypen zur Infektionsprophylaxe darstellt. Alle der hier getesteten Substanzen weisen eine bakteriostatische oder bakterizide Wirkung gegenüber Staphylokokken, welche die häufigsten Erreger von Osteomyelitiden repräsentieren, auf und verbleiben mit Ausnahme von Gentamicin auch nach 72 Stunden noch in einer ausreichenden Konzentration im Knochenblock, um das Wachstum von Mikroorganismen effektiv zu unterbinden. Die starke initiale Wirkstofffreisetzung aus dem Knochengranulat, wodurch hohe Wirkstoffspiegel im Defektbereich erzielt werden dürften, verdeutlicht zusätzlich die Möglichkeit einer adjuvanten Behandlung bei bereits bestehender Osteomyelitis. Nach einem umfangreichen Débridement kann das wirkstoffbeladene Knochengranulat in den Defektbereich eingebracht werden und so den behandelnden Arzt zusätzlich zu den chirurgischen Maßnahmen und einer systemischen Antibiotikagabe unterstützen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s39_abb1+2+tab1.jpg" alt="" width="1419" height="2245" /></p></p>