Anschlussfrakturen nach perkutaner Zementierung osteoporotischer Wirbelkörpersinterungen

<p class="article-intro">Zementaugmentierungen osteoporotischer Wirbelkörper können die Wahrscheinlichkeit erneuter Frakturen erhöhen. Relevante Risikofaktoren liegen biologisch bei deutlich verminderter Knochendichte sowie biomechanisch bei erhöhter Kyphosierung sowohl lokal als auch global vor. Auch die Steifigkeit des verwendeten Augmentationsmaterials kann eine Rolle spielen. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Eine erste osteoporotische Wirbelk&ouml;rperfraktur stellt grunds&auml;tzlich ein hohes Risiko f&uuml;r weitere Frak&shy;turen dar.</li> <li>Eine Zementaugmentierung kann das Risiko einer erneuten Fraktur vor allem im kranial gelegenen Wirbel er&shy;h&ouml;hen.</li> <li>Wichtigste Risikofaktoren f&uuml;r erneute Frakturen sind einerseits die Knochendichte, andererseits die Kyphosierung der Wirbels&auml;ule, sowohl im betroffenen Abschnitt als auch global.</li> <li>Neue Materialien k&ouml;nnen unter Umst&auml;nden das Risiko erneuter Frakturen ver&shy;mindern.</li> </ul> </div> <p>Zur Behandlung osteoporotischer Wirbelk&ouml;rperfrakturen bietet sich in vielen F&auml;llen eine perkutane Zementaugmentierung des betroffenen Wirbels an. In den letzten Jahren scheint die Anzahl der durchgef&uuml;hrten Prozeduren zwar insgesamt etwas zur&uuml;ckgegangen zu sein, die Zementaugmentierung hat aber &ndash; insbesondere bei sehr ausgepr&auml;gten Schmerzbildern oder im Verlauf zunehmender Sinterung &ndash; ihren Stellenwert behalten. <br />Grunds&auml;tzlich ist die Vertebroplastik &ndash; als reine Zementf&uuml;llung des frakturierten Wirbels &ndash; zu unterscheiden von Techniken, die vor der eigentlichen Zementierung anstreben, die Wirbelk&ouml;rpersinterung zu reponieren, wobei diese meist mithilfe eines Ballons geschieht (Kyphoplastik). Verschiedene vergleichende Studien beider Techniken haben &auml;hnlich positive Ergebnisse im Hinblick auf die Schmerzreduktion gezeigt. Die Kyphoplastik hat aber Vorteile im Hinblick auf die M&ouml;glichkeiten der lokalen Aufrichtung des Wirbels ebenso wie bez&uuml;glich der potenziellen Komplikation einer Zementextrusion. Auch wenn eine solche klinisch meist asymptomatisch ist, kann sie dennoch &ndash; z.B. bei einer Embolie &ndash; zumindest in Einzelf&auml;llen dramatische Konsequenzen haben. <br />Die schmerzlindernde Wirkung einer Zementaugmentierung eines frakturierten Wirbels steht eigentlich ausser Frage und ist durch zahlreiche Studien auch im pro&shy;spektiv randomisierten Vergleich zu konservativen Therapieverfahren gut dokumentiert. Die Auswirkungen einer Zementierung auf die Nachbaretagen und m&ouml;gliche Provokationen erneuter Frakturen werden aber unterschiedlich diskutiert. Dieser Artikel m&ouml;chte einige Aspekte anf&uuml;hren, die in dieser Thematik eine Rolle spielen.</p> <h2>Klinische Daten</h2> <p>Die Rate neuer Frakturen nach einer ersten Wirbelk&ouml;rperfraktur ist grunds&auml;tzlich auch im nat&uuml;rlichen Verlauf hoch. Selbst in F&auml;llen rein konservativer Behandlung kommt es bei ca. 20 % der Patienten innerhalb eines Jahres zu einer weiteren Wirbelk&ouml;rperfraktur. Dies entspricht einem f&uuml;nffach erh&ouml;hten Risiko gegen&uuml;ber der Patientengruppe ohne bisherige Fraktur. <br />Bei derart hoher Wahrscheinlichkeit ist es statistisch schwierig zu evaluieren, ob die Zementierung eines frakturierten Wirbels ein zus&auml;tzliches Risiko f&uuml;r eine erneute Fraktur darstellt, ob also eine Zementierung eine erneute Fraktur auch provozieren kann. Diese Frage wird dementsprechend in der Literatur auch unterschiedlich beantwortet. Einige Metaanalysen und Reviews kommen zu dem Schluss, dass nach einer Zementierung kein erh&ouml;htes Risiko einer erneuten Fraktur besteht, andere vergleichende Studien postulieren aber einen solchen Zusammenhang. Wieder andere beschreiben eine zeitliche Komponente im Ablauf neuer Frakturen in dem Sinne, dass diese nach einer Zementierung zu einem fr&uuml;heren Zeitpunkt auftreten. Zwei Aspekte bleiben aber bei den meisten Untersuchungen problematisch: Zum einen ist die Zahl der analysierten F&auml;lle h&auml;ufig niedrig, was die statistische Analyse beider Gruppen bei grunds&auml;tzlich hohem Risiko einer erneuten Fraktur schwierig macht, und zum anderen sind die Zeitr&auml;ume der Verlaufsbeobachtung teilweise sehr kurz. Exemplarisch sei hier die Arbeit von Han et al (2015) erw&auml;hnt, die in einer Metaanalyse zwar &uuml;ber 2500 Patienten erfasst, allerdings zur Dauer der Verlaufsbeobachtung keine Aussagen macht. Selbst in dieser Arbeit bleibt im Vergleich der zementaugmentierten mit der konservativ behandelten Gruppe der statistische Nachweis aus, dass eine Augmentation das Risiko einer erneuten Fraktur erh&ouml;ht, es ist aber von einem &laquo;Trend&raquo; in diese Richtung die Rede. <br />Ein anderer kritischer Aspekt vieler Studien betrifft die Definition einer &laquo;erneuten Fraktur&raquo;. H&auml;ufig werden im Verlauf lediglich die Frakturen erfasst, die auch klinisch mit erneuten Schmerzen relevant werden, was nat&uuml;rlich nicht der Gesamtzahl der neuen Frakturen entspricht. <br />Auch wenn somit der statistische Aspekt schwierig zu beurteilen ist, entsteht im Einzelfall des klinischen Alltags h&auml;ufig der Eindruck eines Zusammenhanges einer erneuten Fraktur mit einer vorangegangenen Zementierung, insbesondere wenn sich diese neue Fraktur direkt benachbart zum vorbehandelten Wirbel ereignet. Die Analyse m&ouml;glicher Risikofaktoren ist daher auch Thema zahlreicher klinischer und auch biomechanischer Studien. Grunds&auml;tzlich lassen sich zwei Bereiche definieren, die Risikofaktoren f&uuml;r das Auftreten erneuter Wirbelk&ouml;rperfrakturen darstellen k&ouml;nnen. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite29.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Risikofaktor &laquo;Biologie&raquo;</h2> <p>Individuelle biologische Parameter der Patienten spielen eine grosse Rolle. An erster Stelle ist dabei die Knochendichte (BMD) zu nennen. Praktisch alle Studien, die das Risiko erneuter Frakturen mit der BMD korrelieren, kommen zu dem Schluss, dass eine deutlich verminderte BMD das Risiko erneuter Frakturen erh&ouml;ht. Dies &uuml;berrascht nat&uuml;rlich eigentlich nicht, zumal dieser Zusammenhang auch f&uuml;r Patienten gilt, deren Frakturen mit konservativen Massnahmen behandelt werden, d.h. auch ohne Zementaugmentation. Daraus folgt aber auch, dass bei Patienten mit stattge&shy;habter Fraktur in jedem Falle sp&auml;testens nach Diagnose der Fraktur eine Evaluation der Knochendichte mit der daraus resultierenden Therapie durchgef&uuml;hrt werden sollte. In der Tat l&auml;sst sich nachweisen, dass Patienten, deren Osteoporose nach einer Fraktur ad&auml;quat behandelt wird, weniger h&auml;ufig neue Frakturen erleiden als Patienten in der Vergleichsgruppe ohne weitere Therapie. <br />Andere biologische Faktoren, die zu einem erh&ouml;hten Risiko f&uuml;r erneute Frakturen f&uuml;hren k&ouml;nnen, sind hohes Patientenalter, weibliches Geschlecht, Rheumaerkrankungen, zus&auml;tzliche Steroid-Einnahmen und andere, wobei diese letztendlich statistisch h&auml;ufig Kofaktoren zu einer Verminderung der Knochendichte darstellen.</p> <h2>Risikofaktor &laquo;Biomechanik&raquo;</h2> <p>Der zweite Bereich der Risikofaktoren betrifft biomechanische &Uuml;berlegungen. Die Auswirkung einer Zementaugmentierung in Bezug auf die Steifigkeit des Wirbels, &Auml;nderungen des Elastizit&auml;tsmoduls und somit auch auf die Stresskonzentrationen im Bereich des Nachbarwirbels ist recht ausf&uuml;hrlich untersucht, h&auml;ufig auch mit &laquo;Finite element&raquo;-Studien. Die F&uuml;llung eines frakturierten Wirbelk&ouml;rpers zu etwa 30 % stellt die urspr&uuml;ngliche Steifigkeit wieder her, eine weitere F&uuml;llung kann die Steifigkeit signifikant erh&ouml;hen. Bez&uuml;glich der messbaren Stresskonzentrationen, v.a. an der kranial gelegenen Endplatte eines Nachbarwirbels, spielt aber nicht nur das reine F&uuml;llvolumen, sondern auch die intervertebrale Positionierung des Zementes eine Rolle: Je dichter die Zementf&uuml;llung zur kranialen Endplatte hin liegt, umso deutlicher sind die messbaren Auswirkungen am Nachbarwirbel. Im Vergleich der Vertebro- mit der Kyphoplastik konnten hier Vorteile f&uuml;r die Kyphoplastik festgestellt werden, wobei diese einerseits durch die bessere Reposition der frakturierten Endplatte bedingt sein k&ouml;nnen, andererseits durch die &Uuml;berlegung, dass bei der Kyphoplastik durch die Ballontechnik eher eine Knochenummantelung des Zementes entsteht, die nach kranial das Elastizit&auml;tsmodul etwas normalisiert. Eine &auml;hnliche Frage, n&auml;mlich ob eine Zementextrusion in die kraniale Bandscheibe ein zus&auml;tzliches Risiko darstellt, wird aber sowohl in klinischen als auch in In-vitro-Studien unterschiedlich beantwortet. <br />Recht einig sind sich die Studien in der Aussage, dass die Position des betroffenen Segmentes im Sinne einer zus&auml;tzlichen Kyphosierung einen Risikofaktor f&uuml;r eine erneute Fraktur darstellt. Mit einer ausgepr&auml;gten Keildeformit&auml;t des initial frakturierten Wirbelk&ouml;rpers entsteht in der aufrechten K&ouml;rperhaltung ein zus&auml;tzlicher Hebelarm und damit eine entsprechend erh&ouml;hte Kompressionsbelastung der ventralen S&auml;ule. Eine Kyphosierung von 25&ndash;30 % gilt als Grenzwert. Hier sollte die Kyphoplastik zumindest theoretisch durch ihr Repositionspotenzial Vorteile haben, wobei sich dies im klinischen Alltag bis dato nicht klar hat nachweisen lassen. <br />In letzter Zeit wird den Faktoren des globalen Alignments zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt, sicherlich auch im Rahmen der zunehmenden Bedeutung dieses Themas in der Analyse degenerativer Deformit&auml;ten. Mit Verschiebung der vertikalen Achse nach ventral oder auch Verminderung der lumbalen Lordose steigt das Risiko erneuter Frakturen, letztendlich ebenfalls bedingt durch die dadurch steigende Belastung der vorderen S&auml;ule.</p> <h2>Neuere Ans&auml;tze</h2> <p>Aus diesen Studienergebnissen resultiert neben der Notwendigkeit der ad&auml;quaten Behandlung der Osteoporose auch die &Uuml;berlegung, ob mittels anderer Materialien unter Umst&auml;nden g&uuml;nstigere biomechanische Verh&auml;ltnisse herzustellen sind. Die weitaus gr&ouml;sste Zahl der Patienten wird nach wie vor mit PMMA-Zement behandelt, auch die meisten Studien besch&auml;ftigen sich mit diesem Material. &laquo;Finite element&raquo;-Studien haben aber gezeigt, dass &laquo;weichere&raquo; Materialien im Hinblick auf die Nachbar&shy;etage vorteilhaft sein k&ouml;nnen. Eine vergleichende klinische Studie hat dann auch ergeben, dass bei Verwendung von Cortoss&reg; (injizierbares Glaskeramik-Granulat-Gemisch, Stryker) die Rate neuer Frakturen gegen&uuml;ber dem PMMA sinken kann. <br />Auch die pr&auml;ventive Zementierung benachbarter Wirbelk&ouml;rper bereits bei der Erstbehandlung wird diskutiert. Dies scheint vor allem f&uuml;r F&auml;lle Sinn zu machen, bei denen die genannten Risikofaktoren ausgepr&auml;gt vorliegen, d.h. bei deutlich erniedrigter BMD oder auch ausgepr&auml;gter Kyphosierung. Nachteilig kann sicherlich sein, dass das Risiko einer erneuten Fraktur letztendlich nicht nur nach weiter kranial verlagert, sondern insgesamt eventuell sogar erh&ouml;ht wird, da die Gesamtzahl der zementierten Wirbel f&uuml;r das Risiko einer erneuten Fraktur ebenfalls eine Rolle spielt.</p></p>
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