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Achillessehnenruptur: Operation oder konservativ?
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16.05.2019
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<p class="article-intro">Wie man eine gerissene Achillessehne behandeln soll, wird kontrovers diskutiert. Jetzt bringt eine Metaanalyse von Forschern aus den Niederlanden mehr Klarheit: Die Operation reduziert zwar das Risiko für eine Reruptur mehr als das konservative Vorgehen mit Gips und Orthese, aber erneute Rupturen kommen allgemein selten vor und die absolute Risikodifferenz ist gering. Dafür kommt es bei der Operation – was nicht überrascht – häufiger zu Komplikationen, meist Infektionen.<sup>1</sup></p>
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<p class="article-content"><p>Belasten und bewegen konnten die Patienten beider Gruppen das Sprunggelenk nach vergleichbarer Zeit. «Das heisst jetzt aber nicht, dass die Behandlungsstrategie egal ist», sagt Dr. med. Jörn Dohle, Präsident der Deutschen Assoziation für Fuss und Sprunggelenk und Leiter der Abteilung für Orthopädie am Helios Klinikum Schwelm in Nordrhein-Westfalen. «Die Entscheidung hängt von individuellen Faktoren ab. Um diese alle zu berücksichtigen, muss man sich Zeit für das Patientengespräch nehmen.»<br /> Ohne Behandlung besteht das Risiko, dass die Sehne zu lang bleibt. «Die Sehne wird dann bei jedem Schritt gedehnt», sagt Dohle. «Ich sehe regelmässig Patienten, die nicht registriert haben, dass ihnen die Achillessehne gerissen ist, oder die das ignoriert haben. Die Patienten können dann zwar gehen, aber nicht mehr schnell joggen oder auf Zehenspitzen gehen, weil ihnen die Kraft fehlt.»</p> <h2>Kein Aus für den konservativen Ansatz</h2> <p>Gerne erzählt der Orthopäde die Geschichte von den Sklaven in der Antike: «Ihnen hat man mit einer Tonscherbe die Achillessehne durchtrennt. So konnten sie zwar noch gehen und arbeiten, aber nicht mehr weglaufen – das ist für jeden Patienten das schlagende Argument, dass man die gerissene Sehne vernünftig behandeln muss.»<br /> Die neue Metaanalyse bestätigt, worauf frühere Studien hingewiesen haben: Zwar kommt es beim konservativen Vorgehen öfter zu Rerupturen, aber der Unterschied ist klinisch wenig relevant. Vorteile der Operation erkauft man sich mit einem etwas höheren Komplikationsrisiko. Die niederländischen Forscher werteten 29 Studien aus Europa, den USA und Neuseeland mit insgesamt 15 862 Patienten aus. 9375 wurden operiert, 6487 konservativ behandelt. Die Patienten waren im Schnitt 41 Jahre alt, die meisten waren Männer. Bei 2,3 % der operierten Patienten und bei 3,9 % der konservativ behandelten Patienten riss die Sehne während des Nachbeobachtungszeitraumes noch einmal – das entspricht einer absoluten Risikodifferenz von 1,6 Prozentpunkten.<sup>1</sup> «Den Unterschied sieht man zwar in Zahlen, aber er ist so klein, dass das kein Aus für das konservative Vorgehen bedeutet», sagt Dohle.<br /> Nach der Operation kam es bei 4,9 % der Patienten zu Komplikationen, bei den konservativ therapierten Patienten in 1,6 % der Fälle, was einer absoluten Risikodifferenz von 3,3 Prozentpunkten entspricht. An Komplikationen wurden Lungenembolie, Beinvenenthrombose, Wund- oder Hautinfektionen, Verletzungen des Nervus suralis, chronische Schmerzen und Narbenverklebungen beschrieben. Infektionen traten dabei mit 2,8 % bei den operierten Patienten am häufigsten auf.<sup>1</sup> «Die Achillessehne ist für Infektionen prädisponiert», sagt Dohle. «Die Haut ist dünn und an dieser Stelle schlecht durchblutet.» Deshalb würde er bei Patienten mit einem Risiko für Wundheilungsstörungen eher von der Operation abraten.<br /> Das funktionelle Outcome wurde mit dem «Achilles tendon Total Rupture Score» (ATRS) ermittelt, dieser unterschied sich langfristig nicht zwischen operativem und konservativem Vorgehen. Auch die Zeit, bis die Patienten wieder arbeiten oder Sport betreiben konnten, war vergleichbar.</p> <h2>Wundheilung selbst bei Gesunden kritisch</h2> <p>«Beide Methoden führen zu guten Ergebnissen », sagt Dohle. «Aber jedes Verfahren hat Vor- und Nachteile, die es bei der individuellen Entscheidung zu berücksichtigen gilt.» Klarer Vorteil des konservativen Vorgehens ist, dass keine Narkose notwendig ist, dass die Behandlung weniger kostet und keine Wundheilungsstörungen auftreten können. «Das ist wirklich ein Problem, das man nicht unterschätzen darf», sagt Dohle. «An dieser Stelle ist die Wundheilung selbst bei gesunden jungen Patienten oft kritisch. Wenn noch Diabetes oder Durchblutungsstörungen dazukommen, steigt das Risiko deutlich.»<br /> Die konservative Behandlung hat allerdings den Nachteil, dass die Sehne etwas verlängert ausheilen könnte. Die Betroffenen sind dann nicht mehr in der Lage, sich beim Gehen, Laufen oder Treppensteigen kräftig vom Boden abzustossen; die Probleme ähneln denen bei einer chronischen Achillessehnenruptur. «Man kann eine elongierte Sehne zwar operieren, aber so ein Eingriff ist technisch erheblich schwieriger als eine primäre Operation», so Dohle. «Es dauert länger, bis die Patienten wieder fit sind und das Ergebnis ist meistens schlechter, als wenn man sofort operiert hätte.»<br /> Die Metaanalyse sei zwar gut gemacht, habe aber einen grossen Schwachpunkt: «Die Funktion der Achillessehne ist nicht adäquat beurteilt worden. Der ATRS gibt nur einen oberflächlichen, subjektiven Eindruck des Patienten wieder.» Wirklich die Funktion zu messen sei aber aufwendig. «Man müsste vernünftige Studien mit verschiedenen Tests machen und die Patienten zum Beispiel auf einem Bein hüpfen oder auf Zehenspitzen laufen lassen oder die Kraftentfaltung der Wadenmuskulatur technisch messen. Derartige Studien sind sehr aufwendig, weshalb die Fallzahlen meistens nur klein sind, was dann die Aussagekraft reduziert.»</p> <h2>Die individuelle Entscheidung braucht Zeit</h2> <p>Viel Zeit nimmt sich der Orthopäde, um dem Patienten Vor- und Nachteile der jeweiligen Behandlung zu erklären und um sich ein Bild davon zu machen, von welcher Behandlung er am meisten profitieren würde. Als grobe Altersgrenze gilt 55 Jahre – darunter wird eher operiert, darüber eher konservativ vorgegangen. «Das ist aber nur ein Aspekt, enorm wichtig ist auch der Lebensstil.» So sei womöglich für eine 25-jährige, ansonsten gesunde Joggerin eine Operation besser, aber für einen 57-jährigen übergewichtigen Sportmuffel Gips und Orthese – er braucht nicht so viel Kraft im Fuss wie ein Sportler und durch sein Übergewicht hat er ein erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen. Auch eine 35-jährige Übergewichtige, die als Sport allenfalls moderat Fahrrad fährt, würde eher vom konservativen Vorgehen profitieren. Geht sie aber gerne Tango tanzen, wäre womöglich eine Operation besser.<br /> Einem 75-Jährigen würde Dohle eher zur konservativen Strategie raten, auch wenn er sportlich ist. «Ich kenne wenige 75-Jährige, die engagierte Hobbyfussballer sind oder sonst viel Kraft beim Abstossen brauchen», sagt er. «Dafür ist das Risiko wegen des höheren Alters und der dünnen Haut für Wundheilungsstörungen so gross, dass man es nicht unbedingt riskieren sollte – vor allem wenn er zusätzlich noch eine Arteriosklerose hat.» Ist der 75-Jährige aber noch so fit und sportlich, dass er ein biologisches Alter von 65 hat, könne man über eine Operation durchaus nachdenken. «Wir Ärzte können nur versuchen, dem Patienten alle Aspekte verständlich zu erklären – entscheiden muss er sich letztendlich selbst», so Dohle.<br /> Wenn operiert wird, sollte man alle Massnahmen treffen, um Wundheilungsstörungen zu vermeiden. «Die minimal invasiven Techniken sind ein echter Gewinn », sagt Dohle. Dass man schonend operiert, versteht sich von selbst, auch dass Gips und Orthese postoperativ so angelegt werden, dass keine Druckstellen entstehen.<br /> Das «Sorgenkind» der präventiven Massnahmen sei der Rauchstopp, den nur wenige schaffen. Vor einer geplanten Achillessehnen-Naht versucht Dohle einzuschätzen, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Patient aufhört zu rauchen. «Habe ich das Gefühl, er schafft es nicht, rate ich lieber von dem Eingriff ab. Das ist die ärztliche Kunst, dass wir hier nicht nur die körperlichen Aspekte im Blick haben müssen, sondern auch die Psyche.»</p> <h2>Prozedere bei Achillessehnenruptur<sup>2</sup></h2> <p>Die Ruptur der Achillessehne ist eine der häufigsten Verletzungen. Am häufigsten sind Menschen zwischen 35 und 45 Jahren betroffen, aber weil immer mehr ältere Menschen sportlich aktiv sind, könnte die Inzidenz im höheren Lebensalter steigen. Prädisponierend wirken lokale Kortisoninjektionen in die Sehne, eine systemische Kortikoidtherapie und eine Immunsuppression, etwa bei Nierentransplantation oder rheumatischen Erkrankungen.<br /> Die Sehne reisst in der Regel durch indirekte Zugwirkung, meist komplett in der Mitte, 2–6 cm proximal des Ansatzes. Bei der konservativen Behandlung wird der Fuss in Plantarflexion in einem Spezialschuh oder einer Orthese fixiert und der Patient angehalten, sich mit Unterarmstützen weiter zu mobilisieren.<br /> Operationsstandard ist heutzutage das minimal invasive Vorgehen, das gegenüber der offenen Naht mit einem geringeren Infektionsrisiko einhergeht. Nach der Operation wird der Fuss mit Unterschenkelgips oder Walkerstiefel in Plantarflexionsstellung mit zeitlich gestaffelter Reduktion der Absatzerhöhung für 4–6 Wochen ruhig gestellt, dann erfolgt die funktionelle Nachbehandlung mit Spezialschuh oder Orthese.<br /> Alle Patienten sollten begleitend Physiotherapie mit Koordinationsübungen erhalten. Ist die Sehne geheilt, stehen Krafttraining, Bewegungsübungen und Gangschulung auf dem Programm.</p> <p><br /><em>Lesen Sie auch:</em> <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001617">«Wesentlich sind die Auswirkungen auf die Muskulatur»</a></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Ochen Y et al. BMJ 2019; 364: k5120 <strong>2</strong> Richter M: Aktualisierte Leitlinien Fuss und Sprunggelenk. Fuss & Sprunggelenk 2010; 8: 268-87</p>
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