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Medizinische Trainingstherapie

Sport und Bewegung in der Onkologie

Regelmäßige Bewegung und physische Fitness sind Grundlagen der körperlichen Selbstständigkeit und fördern damit entscheidend die Aufrechterhaltung einer guten Lebensqualität. Auch in der Betreuung onkologischer Patient:innen ist die medizinische Trainingstherapie ein wichtiger Teil im multidisziplinären Behandlungskonzept.

Keypoints

  • Körperliche Aktivität ist die unabdingbare Voraussetzung zur Aufrechterhaltung der motorischen Funktionen. Muskelgewebe, das nicht benützt wird, atrophiert!

  • Sport und körperliches Training haben in der Onkologie präventive Wirkung und können auch in der Therapie Lebensqualität und Mortalität positiv beeinflussen.

  • Medizinische Trainingstherapie sollte heute ein fixer Bestandteil in der multimodalen Krebsbehandlung sein. Die onkologische Rehabilitation ist der ideale Ort, um die adäquate „Dosis“ für die Patient:innen individuell festzulegen.

Demografie, Alter, Inaktivität

Die Verbesserung der Ernährungssituation, soziale Errungenschaften, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt enorme Fortschritte in der Medizin haben zu einer stetigen Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung geführt. Naturgemäß ist das verbunden mit einer Zunahme all jener Veränderungen, die mit steigendem Lebensalter einhergehen, d.h. typischer altersassoziierter Erkrankungen. Dies betrifft speziell so große Gruppen wie die Arteriosklerose-Erkrankungen (KHK, PAVK, CAVK), COPD und die Tumorerkrankungen (Abb. 1).

Abb. 1: Altersverteilung und altersspezifische Inzidenz bzw. Mortalität aller Malignome, 2017–2019. Modifiziert nach Statistik Austria4

Mit dem Alter geht allerdings nicht nur eine Zunahme des Auftretens dieser Erkrankungen einher, sondern auch eine Abnahme der Muskelmasse und der körperlichen Leistungsfähigkeit. Von einer Sarkopenie sprechen wir, wenn es zu übermäßigem Muskelverlust kommt. Entscheidend hierfür ist in erster Linie Inaktivität. Aus energetischen Gründen atrophiert Muskelgewebe, das nicht verwendet wird.

Erkrankungen und damit einhergehende vermehrte Inaktivität führen zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit, bei Unterschreiten der „Grenze der Hilfsbedürftigkeit“ letztendlich auch zu einem Verlust der Selbstständigkeit und zu vermehrter Pflegebedürftigkeit (Abb. 2). Ziel der medizinischen Trainingstherapie ist es, den Verlust an Leistungsfähigkeit zu stoppen bzw. zu verlangsamen, um die Lebensqualität zu verbessern und die Selbstständigkeit zu erhalten.

Abb. 2: Verlust der Leistungsfähigkeit im Altersverlauf. Durch Training kann die Kurve angehoben werden. Modifiziert nach Haber P5

Energieumsatz und Trainingsintensität

Unser gesamter Energieumsatz setzt sich primär aus dem Grundumsatz (entspricht dem Energieverbrauch im Liegen) und dem Leistungsumsatz zusammen. Dies kann als PAL („physical activity level“)ausgedrückt werden, wobei ein PAL=1 der Aktivität des Ruhezustandes und damit dem Grundumsatz entspricht.

Die technischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts brachten uns im Arbeitsleben und im Alltag einige Erleichterungen. Allerdings ging dies auch immer mit einer Reduktion des täglichen Leistungsumsatzes einher. In Industrieländern werden mehr als 50% der Wachphase inaktiv verbracht. Nur ca. ein Drittel unseres Tagesenergieumsatzes erbringen wir durch körperliche Aktivität, was einem PAL=1,5 entspricht.

Abb. 3: Bewegung und Sport bei Krebs. Modifiziert nach Baumann FT, Bloch W & Schülke K6

Im Vergleich dazu hatten unsere Vorfahren ohne den umfassenden Einsatz mechanischer Hilfsmittel einen PAL zwischen 2 und 2,5, was einem Wert ähnlich dem der meisten Säugetiere entspricht (PAL 2–3).

Um den Energieverbrauch verschiedener Aktivitäten zu vergleichen, verwenden wir auch das metabolische Äquivalent (MET). Hierbei entspricht ein MET dem Energieverbrauch des Grundumsatzes mit ca. 1kcal/kgKG/h. Dementsprechend können wir Bewegungsintensitäten als leicht (<3 MET), moderat (3–6 MET) und schwer (>6 MET) einstufen.

Beim Training unterscheiden wir weiters zwischen absoluter und relativer Intensität. Beschreibt die absolute Intensität den notwendigen Energiebedarf zur Verrichtung physischer Aktivitäten, basierend auf objektiven, physikalisch chemischen Größen wie MET, so wird mit der relativen Intensität, auf individueller physiologischer Basis, der Grad der Anstrengung zur Verrichtung einer Aktivität beschrieben. Dies berücksichtigt Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Dekonditionierung oder Krankheiten. An der relativen Intensität orientieren wir uns auch, wenn wir die Belastungsstärke für das Ausdauertraining vorgeben.

Bei Trainingsempfehlungen werden üblicherweise Belastungsintensitäten in Bezug auf die maximale Sauerstoffaufnahme (%VO2max), die maximale Herzfrequenz (%Hfmax)5 oder auch den subjektiven Anstrengungsgrad (Borg-Skala) angegeben.

Sport und Krebs

In der Vergangenheit wurde Patien-t:innen mit einer Krebserkrankung Schonung und wenig körperliche Aktivität empfohlen. Dies wurde mit der Angst vor Überlastung und der Annahme, dass die Belastung einen negativen Einfluss auf die Immunlage habe, begründet. Durch Schonung sollten Energie- und Kraftreserven für mögliche spätere krankheits- und therapiebedingte Belastungen zur Verfügung stehen.

Demgegenüber sehen wir heute den Bewegungsmangel, immer wieder auch behandlungsbedingt durch Phasen der Immobilität während ambulanter und stationärer Behandlung, als einen entscheidenden Kofaktor in einem Teufelskreis, der zu immer mehr Kraftverlust und damit Immobilität führt.

Die Aufrechterhaltung der Aktivität und das regelmäßige körperliche Training sind relevante Bausteine in einer modernen multidisziplinären Krebsbehandlung. Unabhängig von klinischen Situationen und Grunderkrankungen kann durch regelmäßiges Training die Mortalität gesenkt werden.1 Dies konnte in zahlreichen Studien auch für onkologische Erkrankungen gezeigt werden.

Die positiven Effekte sehen wir sowohl in der Prävention von Tumorerkrankungen als auch in der therapeutischen Anwendung zur Mortalitätssenkung. In großen Kohortenstudien wurde die präventive Wirkung des Sports untersucht. Es konnten dabei sowohl die Krebshäufigkeit als auch die Krebssterblichkeit um bis zu 30% reduziert werden.2

In systematischen Übersichtsarbeiten ist der Effekt der physischen Aktivität auf die Mortalität im Verlauf der onkologischen Erkrankung belegt.3Daraus geht hervor, dass auch für Menschen, die vor einer Erkrankung kaum oder gar keinen Sport betrieben haben, eindrucksvolle Mortalitätssenkungen erreicht werden können, sogar wenn erst bei der Tumordiagnosestellung mit dem Training begonnen wurde.

Gelingt es nach Diagnosestellung, die physische Aktivität im Vergleich zur Ausgangssituation zu steigern, sehen wir eine Senkung der Mortalität. Umgekehrt erhöht sich die Mortalität bei deren Abnahme.

Neben dem Einfluss auf die Mortalität gibt es umfassende positive Auswirkungen auf die Lebensqualität. Zu nennen sind hier eine Verbesserung der physischen Funktionalität und eine Reduktion von Angst, Depressivität und Fatigue. Immer wieder zeigt sich, dass die Sorge davor, „etwas falsch zu machen“, dazu führt, dass betroffene Patient:innen dazu tendieren, wenig zu trainieren, und dass auch deren medizinische Betreuer:innen geneigt sind, inadäquat niedrige Trainingsbelastungen zu empfehlen.

Im Zuge einer onkologischen Rehabilitation wird allen Betroffenen ein angepasstes Trainingsprogramm angeboten, die Patient:innen werden motiviert und in der Umsetzung unterstützt. Das Vorgehen bei speziellen Situationen wie Training bei einem Lymphödem, Sport für Patient:innen mit einem Stoma oder die adäquate Belastung für Patient:innen mit Knochenmetastasen bedarf einer professionellen multidisziplinären Betreuung.

Medizinische Trainingstherapie

Die größten Effekte der Bewegung zeigen sich am Übergang von „inaktiv“ zu „etwas aktiv“. Somit ist die erste Empfehlung: „Ein bisschen Bewegung ist besser als keine!“ Um aber eine Leistungsverbesserung im Sinne der medizinischen Trainingstherapie zu erzielen, müssen adäquate Trainingsreize gesetzt werden.

Bei der Gestaltung der Behandlung orientieren wir uns in der onkologischen Rehabilitation an den allgemeinen Empfehlungen der medizinischen Trainingstherapie. Dies bedeutet, dass ein Herz-Kreislaufwirksames Ausdauertraining mindestens 3x/Woche durchgeführt wird. Die Dauer der Trainingseinheit sollte 25 Minuten oder mehr betragen.

Zur Angabe der Belastungsintensität eignet sich am besten ein prozentueller Anteil der Herzfrequenzreserve entsprechend der Karvonen-Formel, weil diese Ausgangslage, Trainingszustand und etwaige frequenzsenkende Medikation berücksichtigt. Wir empfehlen Karvonen 60, d.h. Ruheherzfrequenz plus 60% der Herzfrequenzreserve.

Aus Gründen der Praktikabilität wird auch sehr häufig anhand der Borg-Skala mit mittlerer Intensität, die der oben erwähnten Herzfrequenzempfehlung entspricht, trainiert. Für Patient:innen mit bereits eingeschränkter Leistungsfähigkeit hat sich auch das HIIT-Konzept („high intensity interval training“) als gut umsetzbar bewährt. Dabei wird in kurzen Intervallen, die nur wenige Minuten dauern, mit sehr hohen Intensitäten (80–95% der max. Herzfrequenz) trainiert.

Zusätzlich empfehlen wir ein muskelhypertrophieorientiertes Krafttraining zumindest 1x/Woche. Ziel dieses Trainings sind die Steigerung der Maximalkraft und eine Zunahme der Muskelmasse. Auch hier bedarf es eines adäquaten Trainingsreizes. Die Trainingsintensität richtet sich dabei nach dem Gewicht, das bewegt, bzw. dem Widerstand, der durch den zu trainierenden Muskel überwunden werden muss. Dabei sollte die Last so hoch gewählt werden, dass acht bis zwölf Wiederholungen möglich sind.

1 Myers J et al.: Exercise capacity and mortality among men referred for exercise testing. N Engl J Med 2002; 346: 793-801 2 Orsini N et al.: Association of physical activity with cancer incidence, mortality, and survival: a population-based study of men. Br J Cancer 2008; 98(11): 1864-9 3 Schmid D et al.: Association between physical activity and mortality among breast cancer and colorectal cancer survivors: a systematic review and meta-analysis. Ann Oncol 2014; 25(7): 1293-311 4 Statistik Austria. Österreichisches Krebsregister, Stand 19.1.2022, und Todesursachenstatistik 5 Haber P et al.: Leitfaden zur medizinischen Trainingsberatung. Rehabilitation bis Leistungssport. Wien: Springer-Verlag, 20096 Baumann FT, Bloch W & Schülke K: Bewegung und Sport bei Krebs. Bonn, 2011: Deutsche Krebshilfe

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