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Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls

Susanne Wegener: Reperfusionsversagen betrifft nicht nur Schlaganfall

Prof. Dr. med. Susanne Wegener ist leitende Ärztin an der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich. Neben ihrer klinischen Arbeit ist sie stark in der Forschung tätig. Einer ihrer Schwerpunkte ist das Reperfusionsversagen bei Schlaganfall, zu dem sie am SFCNS-Kongress auch einen Vortrag hielt. Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie hat vorab mit ihr über die Fortschritte in diesem Bereich gesprochen.

Frau Prof. Wegener, warum sollten sich alle Neurolog:innen und Psychiater:innen für das Thema Reperfusionsversagen interessieren?

S. Wegener: Schlaganfall ist sehr häufig. Etwa 20000 Menschen pro Jahr haben in der Schweiz einen Schlaganfall. Viele Menschen sind schwer betroffen, weshalb das Thema auch vielen Neurolog:innen und Psychiater:innen bekannt ist. Die Therapie konzentriert sich stark auf die Akutphase. Wir können bei dem akuten Schlaganfall viel erreichen, indem wir bei dem ischämischen Schlaganfall versuchen, das verstopfte Gefäss wiederzueröffnen. Aber wir haben immer noch nicht alles erreicht und sehen bei vielen eine ungenügende Reperfusion des Hirngewebes trotz Akutbehandlungen.

Das Thema ist aber auch interessant, weil es nicht nur Schlaganfall betrifft, sondern viele neurologische Erkrankungen, die an die Durchblutung gekoppelt sind. Man weiss, dass bei einigen Demenzen die Durchblutung bestimmter Hirnareale vermindert ist. Das merkt man nicht so stark wie bei einem Schlaganfall, aber auch hier könnte eine Behandlung, die auf eine bessere Durchblutung kleiner Gefässe abzielt, etwas erreichen. Reperfusionsversagen ist ein Konzept, das aus anderen medizinischen Bereichen wie der Kardiologie und Anästhesie in die Schlaganfallforschung kam, aber womöglich auf weitere Erkrankungen ausdehnbar ist. Zudem ist es topmodern und es tut sich extrem viel in dem Bereich.

Welche Hinweise auf den Einfluss der Durchblutung bei neurologischen und psychiatrischen Krankheiten gibt es derzeit, abseits von oftmals hoch-regulierten Wachstumsfaktoren?

S. Wegener: Vieles ist noch im experimentellen Bereich. Bei Tiermodellen von Alzheimer wurde gezeigt, dass die Hirndurchblutung global niedriger ist als bei Tieren, die nicht Alzheimer haben. Wenn man die Durchblutung verbesserte, wurde die kognitive Leistung besser. Ein anderes Beispiel sind die positiven Effekte von kardiovaskulärem Training auf Migräne, Schlaganfallrisiko oder die Psyche. Hier könnte der positive Effekt auf die Mikrozirkulation entscheidend sein.

Dabei handelt es sich zwar nicht um Reperfusionsversagen, aber das Prinzip, die Durchblutung der kleinen Gefässe zu verbessern, die im Alter meist schlechter wird, ist ein interessantes Konzept.

In der Literatur existieren verschiedene Termini zu Problematiken rund um die Reperfusion beim Schlaganfall. Wie unterscheiden sich diese?

S. Wegener: Der Begriff «futile recanalization» bezieht sich auf die Klinik. Eine Patientin kommt mit einem Schlaganfall in die Klinik, man entfernt das Gerinnsel, es kommt zu einer Rekanalisation des grossen Gefässes, aber es bringt klinisch nichts oder es kommt zu Komplikationen. Das nennen wir «futile recanalization».

Reperfusionsversagen («reperfusion failure») bezieht sich mehr auf die Prozesse in den kleinen Gefässen. Man bezieht sich weniger auf den klinischen Erfolg, sondern auf die Perfusion der kleinen Gefässe im Gehirn, und stellt fest, dass die nicht richtig wiederhergestellt ist.

Dann gibt es die «reperfusion injury». Wir haben wieder ein verstopftes grosses Gefäss, das rekanalisiert wird. Die Reperfusion, die nun stattfindet, ist aber «nicht gesund». Normale Gefässe sind in der Lage, den Blutfluss zu regulieren, indem sie ihre Gefässwände erweitern oder zusammenziehen. Wenn ganz viel Blut kommt, dann können die Gefässe den Einstrom regulieren. Bei der «reperfusion injury» ist das gestört. Man muss sich das so vorstellen, als würde plötzlich ganz viel Blut wie durch ein starres Rohr ins Gehirn einfliessen. Somit kann Reperfusion sogar Schaden anrichten, indem es zu Blutungen kommt, die Blut-Hirn-Schranke gestört wird et cetera.

Das sind drei Aspekte desselben Problems, die uns zeigen: Es ist wichtig, dass wir den grossen Clot entfernen, aber das ist nicht alles, sondern auf die Gewebeperfusion in den kleinen Gefässen kommt es an. Das ist das, woran wir arbeiten.

Welcher Teil interessiert Sie hier am meisten?

S. Wegener: Ich finde alle diese Aspekte sehr interessant! Für die Patienten und Patientinnen ist natürlich der klinische Erfolg am wichtigsten, daher hat die «futile recanalization» einen hohen Stellenwert. Aber die anderen Prozesse beschreiben die potenziellen Mechanismen, deswegen ist es auch sehr interessant, sich das anzugucken: Was können wir da machen?

Vor zehn Jahren erschienen mehrere wegweisende Studien, die die Überlegenheit der endovaskulären Schlaganfalltherapie aufzeigten. Welche Fortschritte gab es seitdem?

S. Wegener: Sehr grosse Fortschritte, weil wir immer mehr Rekanalisierungen wie die Thrombektomie anwenden. Wir führen mehr Patient:innen dieser Therapie zu und es erhalten auch Patient:innen die Therapie, bei denen wir früher noch zurückhaltend waren, wie sehr alte Personen oder Menschen, die erst sehr spät nach einem Schlaganfall kommen. Das hat sich auf jeden Fall in den letzten zehn Jahren verändert. Martin Hänsel aus meiner Arbeitsgruppe hat kürzlich gezeigt, dass die Mortalität durch Schlaganfall in der Schweiz zurückgegangen ist. Das ist ein grosser Erfolg. Erklären könnte man das dadurch, dass mehr Patient:innen in die Spitäler kommen, die Spitäler besser ausgestattet sind und die Therapien mehr angewendet werden.

Liegt der Erfolg auch in neuen Techniken oder Medikamenten, oder liegt es rein an der besseren Implementation?

S. Wegener: Beides. Die kathetergestützte Thrombektomie entwickelt sich immer weiter. Die Katheter werden immer besser. Die Interventionen, die durch unsere Kolleg:innen von der interventionellen Neuroradiologie gemacht werden, werden immer besser und schneller. Die Therapiestandards bei der Lyse, aber auch auf der Stroke Unit sind etabliert und werden stetig aktualisiert. Wir und andere arbeiten auch an neuen Medikamenten gegen den Reperfusionsschaden.

Wie weit ist der Wissensstandzur Pathophysiologie des Reperfusionsschadens und zu dazupassenden Medikamenten?

S. Wegener: Es wird immer mehr in der Klinik akzeptiert, dass es den Reperfusionsschaden gibt. Früher hat man gedacht, das wäre nur ein Artefakt im Tiermodell. Es gibt nun eine bessere Bildgebung, die uns erlaubt, die Gefässe gut zu sehen und die Durchblutung zu erkennen. Der Wissensstand ist so, dass wir sehen, dass diese Blutgefässe, gerade auch die Umgehungskreisläufe, die Kollateralen, individuell sehr unterschiedlich angelegt sind. Diese Kollateralen sind extrem wichtig dafür, wie gut Patient:innen auf die Therapie ansprechen. Der Wissensstand geht dahin, dass wir immer besser verstehen, bei wem die Gefahr hoch ist, dass es zum Reperfusionsschaden kommt.

Bei Medikamenten sind wir noch in der Grundlagenforschung. Da gibt es einige Kandidaten, von denen wir wissen, dass sie die Durchblutung der kleinen Gefässe verbessern. Hier ist der Fokus auch auf dem sogenannten Inflammasom, also den entzündlichen Veränderungen im Blut und im Nervensystem, die schnell bei einem Schlaganfall angestossen werden. Diese Prozesse tragen wahrscheinlich dazu bei, dass die kleinen Blutgefässe nicht richtig durchblutet werden. Früher dachte man, Inflammation tritt erst ein paar Tage nach einem Schlaganfall auf. Aber wir verstehen immer mehr, dass das bereits früh ein Problem darstellt.

Inwiefern bildet sich das Reperfusionsversagen in den Leitlinien ab?

S. Wegener: Bis es eigene Leitlinien zum Reperfusionsversagen gibt, wird es noch einige Jahre dauern. Aber was vielleicht viel früher in Leitlinien Einzug hält, sind Risikogruppen für Reperfusionsversagen und Empfehlungen zur Überwachung. Auch wenn man für die Risikogruppen noch kein Medikament hat, wird man vielleicht feststellen, dass es sich lohnt, diese länger auf der Stroke Unit zu überwachen oder den Blutdruck strenger einzustellen.

Welche Faktoren erhöhen das Risikofür Reperfusionsversagen?

S. Wegener: Das ist das hohe Alter, das sind die Kollateralen, wie lang der Schlaganfall her ist, was die Ursache für den Schlaganfall ist – kommt es vom Herzen oder von Verkalkungen? Das sind die Punkte, die in die Risikobewertung einfliessen. Wir arbeiten gerade an Vorhersagemodellen, um das automatisch nach der Bildgebung zu analysieren, wenn der Patient im Spital ankommt.

Aber hier ist auch noch vieles offen. Es gibt 85-Jährige, die sehr gut auf die Therapie ansprechen, während andere keine Verbesserung zeigen.

Sie haben mir vorhin erzählt, dassSie bei der Planung eines RCT zum Reperfusionsversagen sind. Bevor wir über die Ergebnisse davon reden können, auf welche Resultate Ihrer bisherigen Forschung sind Sie denn besonders stolz?

S. Wegener: Wir konnten zeigen, dass es wirklich die Entzündungszellen sind, die neutrophilen Granulozyten, die bei einem Schlaganfall die kleinen Gefässe verstopfen. Wenn man diese im Tiermodell entfernt, hat man eine bessere Erholung. Wir untersuchen momentan bei Patient:innen mit Schlaganfall das Blut, um mehr darüber zu erfahren, inwieweit die neutrophilen Granulozyten sich im Menschen ähnlich verhalten wie im Tiermodell. Wenn sich das erhärtet, könnte das auch relevant sein für die Prävention von Schlaganfall bei Menschen mit hohem Risiko.

Wo sehen Sie in den nächsten Jahren das grösste Potenzial für die Therapie?

S. Wegener:In Medikamenten, die die Gefässe schützen und Reperfusionsversagen vermindern. Zusätzlich zur Therapie, die wir schon haben. Unsere Rekanalisierungstherapie ist hervorragend, insbesondere mit den Fortschritten der letzten zehn Jahre. Jetzt müssen wir neue Add-on-Medikamente entwickeln, damit das Reperfusionsversagen behandelt werden kann.

Vielen Dank für das Gespräch!
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