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Zukunft in der neurologischen Praxis

Künstliche Intelligenz in der Medizin: Revolution oder Hype?

Die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) in der klinischen Neurologie birgt ein enormes Potenzial, die Diagnose, Behandlung und Versorgung zu revolutionieren. Durch die Analyse großer Datenmengen kann KI Ärzt:innen helfen, Muster zu erkennen, die menschlichen Augen verborgen bleiben, und so präzisere Diagnosen ermöglichen. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Möglichkeiten, wie KI bereits heute und in Zukunft in der neurologischen Praxis eingesetzt werden kann, um die Effizienz zu steigern und die Behandlungsergebnisse zu verbessern.

Keypoints

  • Setzen Sie KI zunächst für nichtmedizinische Aufgaben ein.

  • Suchen Sie nach Aufgaben mit sehr wenig Risiko, die aber häufig erledigt werden müssen.

  • Probieren Sie viele Einsatzgebiete aus, auch wenn die Technologie noch unausgereift erscheint.

  • Betrachten Sie die KI als Ihre Copilotin anstatt als Rivalin.

Sie haben es vielleicht geahnt: Dieser Einstiegstext ist vollständig von einer KI generiert worden und veranschaulicht, warum die Aufregung rund um KI nicht enden wollend erscheint. Grundsätzlich definieren wir KI als die Fähigkeit von Computersystemen, Aufgaben zu bewältigen, die üblicherweise menschliche Intelligenz braucht – beispielsweise Lernen, Schlussfolgern oder das Erkennen von Mustern. Diese Technologie ist nicht neu und auch Sie nutzen sie bereits seit vielen Jahren. Tippen Sie beispielsweise in einer Suchmaschine die ersten Worte eines Satzes, werden Ihnen einige vervollständigte Sätze zur Auswahl angeboten – im Hintergrund wird hier Wissen über ähnliche Anfragen, Ihren Standort, Ihr Gerät und vieles mehr verarbeitet, um personalisierte und sehr oft hilfreiche Vorschläge zu generieren. Schachspieler:innen unter Ihnen werden wissen, dass Computer für Menschen nicht mehr schlagbar sind, weil sie in kürzester Zeit eine fast unendliche Menge an möglichen Zügen und daraus resultierenden Stellungen simulieren und bewerten können. Die Pilotin in Ihrem letzten Linienflug hat in der Regel weniger als 15% der Zeit das Flugzeug gelenkt, den Rest hat der Autopilot übernommen.

Diese und viele andere Systeme begleiten uns also schon seit langer Zeit und haben beispielsweise in der Radiologie eine offensichtliche Anwendung gefunden – die Analogie zur Copilotin, die bei der Befundung von Routinebildgebung hilft, ist hier sicherlich passend. Für die aktuelle Debatte müssen wir uns aber einer speziellen Technologie zuwenden: „large language models“ (engl.: große Sprachmodelle, LLMs). Sie kombinieren statistische Methoden des maschinellen Lernens mit dem technischen Kniff, echte Sprache in kleine Einheiten, sogenannte Tokens, zu verpacken. Auf diese Weise kann mit diesen KI-Anwendungen in Konversation getreten werden – beispielsweise beim bekannten ChatGPT. Diese Modelle wurden von den herstellenden Firmen mit immensem Aufwand und riesigen Mengen an Daten trainiert, um letztlich fast immer vorhersagen zu können, welcher Token auf den nächsten folgen wird – oder anders gesagt, welches Wort das nächstwahrscheinliche ist und welches danach, und so weiter und so fort, bis ein vollständiger Satz erstellt worden ist. Im Hintergrund wird für jedes Wort auch eine Art Umgebung berechnet und so eine zweite wesentliche Verbesserung von KI-Modellen ermöglicht: das Verstehen von Kontext. Bislang war es für Computer schwierig bis unmöglich, Feinheiten der Sprache wie Ironie oder Ambiguität zu verstehen, da sich diese aus oft subtilen Kontexten ergeben. Moderne LLMs haben damit in der Regel kein Problem und vermeiden Situationen wie in der Abbildung (Quelle: Gemini 2.5).

Verbunden mit den enormen Kapazitäten an Rechenleistung (Anbieter lassen Atomkraftwerke reaktivieren, um den Bedarf an Energie zu decken) können LLMs also vor allem dafür genutzt werden, mit großen Mengen Daten in natürlicher Sprache umzugehen und daraus Informationen zu extrahieren oder diese zu verarbeiten.

Einsatz in der klinischen Neurologie

Auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt, sind LLMs mit generativen (also erzeugenden) Fähigkeiten der breiten Öffentlichkeit erst seit wenigen Jahren bekannt – die Technologie steckt also noch in den Kinderschuhen. Beispielhaft sei daran erinnert, dass es von der Einführung des ersten iPhones bis zur Entwicklung von WhatsApp 2 Jahre, bis zur Entstehung von Instagram fast 4 Jahre brauchte. Dennoch gibt es bereits eine Vielzahl von Anbietern für eine Vielzahl von Anwendungen in der klinischen Medizin und es ist davon auszugehen, dass sich nur wenige durchsetzen werden. Bis es so weit ist, kann KI aber heute schon dabei helfen, den klinischen Alltag zu erleichtern. Da die Arbeitsabläufe und technischen Möglichkeiten extrem breit gefächert sind, macht es Sinn, zunächst nach folgenden Einsatzbereichen zu suchen:

  • sich häufig wiederholende Tätigkeiten ohne wesentlichen kreativen Anteil (Zuweisungen, Normalbefunde)

  • das Übertragen von Informationen von einer Datenquelle in eine andere (Medikamentenlisten)

  • einfaches Wissen, das schlecht in einer klassischen Suchmaschine gefunden wird („welche anfallsupprimierende Medikation in SSW 25 bei einer Kreatinin-Clearance von 29“)

Für Punkt 1 und 2 können kommerzielle Anbieter genutzt werden, insbesondere die Texterkennung auch handschriftlicher Notizen funktioniert sehr gut. Punkt 3 ist beispielhaft für sogenannte domänenspezifische Anwendungen und sicherlich die Zukunft der KI. Hier werden Modelle mit speziellen Datenquellen trainiert und auf die Ausgabe in einem gewissen Format beschränkt. Der kommerzielle, aber kostenfreie Anbieter OpenEvidence beispielsweise beantwortet medizinische Fragen mit direkten Zitaten aus der Fachliteratur, die für jede Antwort aufgerufen werden können.

Bevor man KI im beruflichen Alltag einsetzt, sollte man allerdings folgende Punkte beachten:

  • Das Eingeben von identifizierbaren Patient:innendaten kommt dem Veröffentlichen gleich und darf auf keinen Fall passieren.

  • Viele Anbieter verarbeiten (und speichern) die Daten außerhalb der EU.

  • Die Ergebnisse der KI sollten im Zweifelsfall durch eine zweite Quelle überprüfbar sein.

Zuletzt muss auch die Einbettung in den eigenen Arbeitsablauf funktionieren – hier haben kleine Praxen oder Krankenhäuser sicherlich einen Vorteil gegenüber größeren Einrichtungen, in denen neue IT-Systeme oft viele Jahre bis zur Implementierung brauchen. Beispielhaft können wir in die USA blicken, wo in Praxen häufig „medical scribes“ (in etwa: medizinische Schreibkräfte) angestellt werden, um während der Untersuchung einen Arztbrief zu erstellen. Diese Tätigkeit ist bereits vollständig durch KI automatisierbar: Ein Mikrofon nimmt Arzt/Ärztin und Patient:in auf, erkennt automatisch die Sprechenden, verarbeitet die natürliche Sprache in Text, versteht dies ausreichend, um wesentliche und unwesentliche Informationen zu unterscheiden, und erstellt dann nach spezifischen Vorgaben einen fertigen Brief. Stand heute gibt es dafür mindestens 40 kommerzielle Anbieter.

Auch wenn Skepsis angebracht ist, ob die vollmundigen Versprechungen aus dem Silicon Valley in den nächsten Jahren wirklich in unserem Arbeitsalltag umgesetzt werden, ist doch davon auszugehen, dass KI in Zukunft immer tiefer in unsere (Arbeits-)Welt integriert werden wird. Ich denke, es macht also, ganz egal welcher Generation man sich zugehörig fühlt oder wie interessant man die Technik findet, Sinn, sich damit zu beschäftigen. Damit das gut gelingt, habe ich vier Empfehlungen für Sie:

  1. Setzen Sie KI zunächst für nichtmedizinische Aufgaben ein.

  2. Suchen Sie nach Aufgaben mit sehr wenig Risiko, die aber häufig erledigt werden müssen.

  3. Probieren Sie viele Einsatzgebiete aus, auch wenn die Technologie noch unausgereift erscheint.

  4. Betrachten Sie die KI als Ihre Copilotin anstatt als Rivalin.

beim Verfasser

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