
ESMO: Communication and support
Autor:
Friedrich Stiefel, MD
Department of Psychiatry
University of Lausanne
E-Mail: frederic.stiefel@chuv.ch
Leitlinien zur Kommunikation in der Onkologie
Ziel dieser Leitlinie ist es, zusammenzufassen, wie Kommunikation mit Krebspatient:innen konzeptuell verstanden werden kann, welche Aspekte besonders berücksichtigt werden müssen und welche Angebote an Fort- und Weiterbildung aufgebaut werden sollten. Es geht in diesen Leitlinien weniger darum, aufgrund von wissenschaftlichen Studien Empfehlungen zu verabschieden, sondern eher darum, die grundsätzlichen Elemente der Kommunikation in der onkologischen Klinik zu thematisieren und problematisieren.
Verständnis klinischer Kommunikation in der Onkologie
Unsere Leitlinien weichen von der bis anhin noch dominierenden Ansicht ab, dass klinische Kommunikation auf kommunikative Fähigkeiten („Skills“) der Kliniker:innen reduziert werden kann. Klinische Kommunikation ist weit mehr als eine Fähigkeit, die definitionsgemäß technische, messbare und evaluierbare Aspekte aufweist. Klinische Kommunikation ist immer kontextabhängig, das heißt, dass die äußeren Umstände Kommunikation beeinflussen. Dazu gehören die gesellschaftlichen Diskurse zu Krebs und wie Krebs begegnet werden sollte (Stichworte: „Krieg gegen Krebs“, der „Wille zu kämpfen“, „Sheroes“ anstatt Brustkrebsüberlebende etc.) und die institutionellen Rahmenbedingungen (Stichworte: Zeitnot, Konzentration auf technische Aspekte und klinische Produktivität, Verlust der Kontinuität in der Betreuung etc.). Andererseits wird die klinische Kommunikation aber auch stark von psychologischen und interaktionellen Elementen geprägt: Die psychische Verfassung der Patient:innen wird beeinflusst durch die klinische Situation, aber auch durch subjektive Krankheitsverarbeitung und biografische Prägung des Erlebens, durch die Psychologie der Kliniker:innen, ihre Auffassung des Berufs und die damit verbundene Verantwortung, ihren Umgang mit Grenzen, Ohnmacht und Verlusten, ihre Ängste und Abwehr von Leiden und letztendlich durch die interaktionellen Dimensionen, die sich zwischen Patient:innen und Kliniker:innen bilden: die Beziehung, die eine Kommunikation darstellt, die sich nicht auf den Informationsaustausch beschränkt und sich teilweise dem Bewusstsein der Protagonist:innen entzieht.
Konsequenzen für die Klinik
Ein umfassendes Verständnis von Kommunikation bedeutet für den klinischen Alltag, dass Kommunikation immer situiert ist, also von den oben aufgeführten Dimensionen beeinflusst wird, und dass Kommunikation nicht von technischer Fertigkeit bestimmt wird, sondern immer Urteilsvermögen benötigt. Es gibt keine standardisierten Empfehlungen, Kliniker:innen müssen je nach Situation entscheiden, wie kommuniziert wird. Selbst das Ansprechen von Gefühlen und Empathie können unangebracht sein, z.B. bei narzisstisch verletzlichen oder introvertierten Menschen. Im Gegenteil, unsere Leitlinien gehen davon aus, dass Empfehlungen dazu, wie kommuniziert werden soll, eher kontraproduktiv sind, da dadurch die Singularität der einzelnen Patient:innen nicht mehr wahrgenommen wird.
Was ist in den Leitlinien zu finden?
Die Leitlinien vermitteln einen konzisen Überblick, wie klinische Kommunikation verstanden werden kann, durch welche kontextuellen Rahmenbedingungen sie beeinflusst wird, mit welchen psychologischen und interaktionellen Herausforderungen sowohl Patient:innen als auch Kliniker:innen im Gespräch konfrontiert sind und wie theoretische und konzeptuelle Modelle wie das biopsychosoziale Modell oder die Bindungstheorie eine Hilfe sein können, um angemessen zu kommunizieren. Ein eher praktischer Teil der Leitlinien vermittelt, welche Aspekte bei den vier Dimensionen einer onkologischen Konsultation – Rahmenbedingungen und Struktur, Informationsvermittlung und -gewinn, Umgang mit Emotionen und Beziehungsaufbau – beachtet werden sollten. Im letzten Teil werden einige spezifische Gesprächssituationen besprochen, wie interprofessionelle Kommunikation, Krebsüberleben, Familiengespräche etc.
Institutioneller Kontext, Fort- und Weiterbildung, Forschung
Die verschiedenen Empfehlungen, verankert in einem umfassenden Literaturverzeichnis, fordern, dass Institutionen Verantwortung für die kontextuellen Dimensionen der klinischen Kommunikation übernehmen (Überdenken von klinischen Abläufen, Schaffen von Raum für Reflexion und Diskussion usw.). In Bezug auf die Fort- und Weiterbildung wird empfohlen, auch die psychologischen Aspekte, insbesondere die Psychologie der Kliniker:innen, und die interaktionellen Dimensionen der Kommunikation zu berücksichtigen („second generation communication trainings“) und die Angebote entsprechend anzupassen (beispielsweise individuelle Supervision durch Psychoonkolog:innen). Forschung, schlussendlich, sollte sich darum bemühen, klinisch relevantere Ergebnismessung für die klinische Kommunikation zu schaffen und die Fort- und Weiterbildungsangebote aus sinnvolleren, qualitativen Perspektiven zu evaluieren.
Quelle:
Stiefel F et al.: Communication and support of patients and caregivers in chronic cancer care: ESMO Clinical Practice Guideline. ESMO Open 2024
Das könnte Sie auch interessieren:
Erhaltungstherapie mit Atezolizumab nach adjuvanter Chemotherapie
Die zusätzliche adjuvante Gabe von Atezolizumab nach kompletter Resektion und adjuvanter Chemotherapie führte in der IMpower010-Studie zu einem signifikant verlängerten krankheitsfreien ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...