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AWMF-Leitlinien, Therapieansätze und Zukunftsperspektiven

Tinnitusmanagement 2025

Die Behandlung von Tinnitus hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Die AWMF-Leitlinien zum Tinnitusmanagement bieten evidenzbasierte Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie des chronischen Tinnitus.1 Darüber hinaus gibt es Zukunftsperspektiven, die neue Ansätze in der Neurostimulation und personalisierten Medizin umfassen. Wie können die evidenzbasierten Empfehlungen und moderne Therapieansätze die Patientenversorgung verbessern? Dieser Artikel gibt einen Überblick über aktuelle Behandlungsmethoden und beleuchtet zukünftige Perspektiven, um neue, effektive Ansätze zur Linderung von Tinnitus zu präsentieren.

Keypoints

  • Individuelle und multimodale Behandlungsansätze sind entscheidend: Aufgrund der variierenden Symptome und Ursachen von Tinnitus ist eine massgeschneiderte Behandlung unter Einbezug verschiedener Fachdisziplinen unerlässlich.

  • Evidenzbasierte Verfahren wie kognitive Verhaltenstherapie und Hörtherapie sind zentrale Bausteine: Diese Therapien haben sich als besonders wirksam erwiesen, um die Belastung durch Tinnitus zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern.

  • Innovative Ansätze wie Neurostimulation und personalisierte Therapien bieten vielversprechende Lösungen für das Tinnitusmanagement der Zukunft.

  • Tinnitus-Counseling und psychosoziale Unterstützung sind unverzichtbar. Eine fundierte Aufklärung und der Austausch in Selbsthilfegruppen helfen den Patienten, besser mit den Symptomen umzugehen und die Lebensqualität zu steigern.

Tinnitus wird in den AWMF-Leitlinien als die Wahrnehmung von Geräuschen (wie z.B. Rauschen, Summen oder Zischen) ohne äusseren akustischen Reiz definiert. Diese Wahrnehmung ist subjektiv und variiert in ihrer Intensität, sie wird ausschliesslich vom betroffenen Patienten erlebt.

Tinnitus ist ein weitverbreitetes Gesundheitsproblem, das Millionen von Menschen weltweit betrifft. Schätzungen zufolge leidet etwa jeder zehnte Erwachsene an chronischem Tinnitus, wobei die Symptome von leicht bis schwer variieren können. In der Schweiz sind schätzungsweise 500000 Personen von Tinnitus betroffen, 80000 davon schwer. Die Ursachen reichen von Lärmschäden über Alterungsprozesse bis hin zu spezifischen Grunderkrankungen. Tinnitus kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, da die Betroffenen oft unter Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen und emotionalen Belastungen leiden.

Kategorisierung von Tinnitus gemäss den AWMF-Leitlinien

  • Akuter Tinnitus: tritt für weniger als 3Monate auf, häufig nach einem spezifischen Auslöser wie Lärmeinwirkung oder Ohrenentzündungen.

  • Chronischer Tinnitus: hält länger als 3Monate an und kann erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität des Patienten haben, wie Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme.

  • Subjektiver Tinnitus: die häufigste Form, bei der das wahrgenommene Geräusch weder gemessen noch von anderen gehört werden kann.

  • Objektiver Tinnitus: eine seltene Form, bei der das wahrgenommene Geräusch während einer Untersuchung auch vom Kliniker gehört werden kann (z.B. verursacht durch vaskuläre Probleme).

Darüber hinaus kann Tinnitus auch anhand seiner Auswirkungen kategorisiert werden:

  • Nicht beeinträchtigender Tinnitus: ein milder Tinnitus, der den Alltag des Patienten nicht wesentlich beeinträchtigt (Stadium 1–2 nach Jahnke).

  • Beeinträchtigender Tinnitus: ein schwerer Tinnitus, der das tägliche Leben erheblich einschränkt und eine medizinische Intervention erfordert (Stadium 3–4 nach Jahnke).

Diagnostik des chronischen Tinnitus

Die Diagnostik des chronischen Tinnitus erfordert einen multidisziplinären Ansatz, um die Ursachen zu identifizieren und massgeschneiderte Therapien zu entwickeln. Leitlinienkonform wird zunächst eine ausführliche Anamnese erhoben, die die Krankengeschichte, den Beginn, die Dauer sowie mögliche Begleitsymptome umfasst. Es folgt eine klinische Untersuchung, bei der der Gehörgang und das Trommelfell geprüft und neurologische, neurootologische sowie kardiovaskuläre Tests durchgeführt werden. In der audiologischen Diagnostik werden Hörtests durchgeführt, um den Tinnituscharakter zu bestimmen. Bei Verdacht auf zentrale oder vaskuläre Ursachen können bildgebende Verfahren wie MRT oder CT zum Einsatz kommen. Zudem werden psychometrische Tests angewendet, um die subjektive Belastung des Patienten sowie etwaige Begleiterkrankungen zu erfassen.

Behandlung des chronischen Tinnitus

Die Behandlung des chronischen Tinnitus variiert oft je nach Stadium und Schweregrad der Erkrankung (Abb.1). In der frühen Phase kann ein Tinnitus ohne Hörminderung durch Klangtherapie oder kognitive Verhaltenstherapie (KVT) behandelt werden. In fortgeschrittenen oder persistierenden Fällen, insbesondere wenn der Zustand das tägliche Leben stark beeinträchtigt, ist oft ein multidisziplinärer Ansatz erforderlich. Dies kann eine Kombination aus medizinischen Behandlungen, psychologischer Unterstützung und Anpassungen des Lebensstils umfassen, um die physischen und emotionalen Belastungen durch den Tinnitus zu bewältigen. Eine auf die spezifischen Bedürfnisse des Patienten abgestimmte Therapie ist entscheidend für die Verbesserung der Lebensqualität.

Abb. 1: Nach Schweregrad abgestufter Behandlungsalgorithmus bei chronischem Tinnitus gemäss AWMF-Leitlinie (adaptiert nach: Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. 2021)1

Evidenzbasierte Therapieansätze

Ziel der Therapie bei Tinnitus ist es, die Belastung der Betroffenen zu verringern und die Lebensqualität zu verbessern. Zu den etablierten Therapieformen zählen unter anderem die Klangtherapie, bei der Hintergrundgeräusche verwendet werden, um das Tinnitusgeräusch zu überdecken, sowie die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die hilft, die Wahrnehmung des Geräusches zu verändern und den emotionalen Umgang damit zu verbessern. Darüber hinaus wird auch eine Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT) eingesetzt, bei der die habituelle Anpassung an das Geräusch gefördert wird, um es weniger störend zu machen.

Neue, vielversprechende Behandlungsansätze befinden sich in der Forschung, darunter neurostimulative Verfahren und pharmakologische Behandlungen. Neurostimulationstechniken, wie die transkranielle Magnetstimulation (TMS) oder die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), zielen darauf ab, die neuronale Aktivität im Gehirn zu modulieren und somit die Wahrnehmung des Tinnitus zu verringern. Diese Verfahren zeigen vielversprechende Ergebnisse, sind jedoch noch nicht als Standardbehandlung etabliert. Auch pharmakologische Ansätze, die bestimmte Medikamente zur Modulation von Gehirnaktivität oder zur Reduktion von Entzündungen im Innenohr einsetzen, werden intensiv erforscht, haben jedoch bislang keine breite klinische Anwendung gefunden. Es bleibt abzuwarten, wie diese neuen Therapien in Zukunft in die Behandlung von Tinnitus integriert werden können.

Verschiedene Therapieansätze haben sich zusätzlich als wirksam bei der Behandlung von Tinnitus erwiesen. Die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) hat sich als hilfreich erwiesen, da sie die emotionale Reaktion auf den Tinnitus verändert.

Sound- und Musiktherapien bieten zwar kurzfristige Linderung, es fehlen jedoch Langzeitstudien, die deren dauerhafte Wirksamkeit belegen. Eine Hörrehabilitation durch ein Hörgerät oder ein Cochlea-Implantat hat bei Tinnitus mit gleichzeitiger Hörminderung einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung des Ohrgeräusches.

Patientenaufklärung und Beratung

Über das Tinnitus-Counceling wird die Bedeutung der psychosozialen Unterstützung in der Behandlung erörtert. Tinnitus wird oft durch Angst, Depressionen und Stress verschärft, daher ist es entscheidend, diese psychischen Gesundheitsfaktoren anzusprechen und zu behandeln. Durch Hervorheben der patienteneigenen Stressregulation wird die auditive Ursache des Tinnitus erörtert. Dies entkräftet den Kontrollverlust und stärkt die Steuerbarkeit der Wahrnehmung des Ohrgeräuschs. Durch den Kontakt zu Selbsthilfegruppen können Betroffene sowohl emotionale Unterstützung erhalten als auch über praktische Bewältigungsstrategien informiert werden.

Fazit

Die Behandlung des chronischen Tinnitus erfordert einen individuellen Ansatz, da die Wahrnehmung und der Leidensdruck von Person zu Person unterschiedlich sind. Bewährte Verfahren wie die kognitive Verhaltenstherapie und die Hörtherapie stehen im Mittelpunkt der Behandlung. Die kognitive Verhaltenstherapie hilft den Betroffenen, negative Gedankenmuster zu durchbrechen und eine positivere Einstellung zum Tinnitus zu entwickeln, während die Hörtherapie darauf abzielt, das Gehör zu trainieren und die Wahrnehmung störender Geräusche zu verringern.

Ein wichtiger Bestandteil der Therapie ist das Tinnitus-Counseling, bei dem Patienten umfassend über die Ursachen und Mechanismen des Tinnitus sowie über die Behandlungsmöglichkeiten informiert werden. Diese Aufklärung kann Ängste reduzieren und einen konstruktiven Umgang mit den Ohrgeräuschen fördern.

Zusätzlich kann die Teilnahme an einer Tinnitus-Selbsthilfegruppe von grossem Nutzen sein. Der Austausch mit anderen Betroffenen ermöglicht es, Erfahrungen zu teilen, Strategien zur Bewältigung zu erlernen und ein Gefühl der Gemeinschaft zu entwickeln, was die psychische Belastung erheblich verringern kann.

Entscheidend für den Behandlungserfolg sind realistische Erwartungen und die aktive Beteiligung der Patienten an ihrer Therapie. Durch eine Kombination aus professioneller Unterstützung und eigenständigen Massnahmen können langfristige Verbesserungen erzielt werden.

1 Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V.: S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus. https://register.awmf.org/assets/guide-lines/017-064l_S3_Chronischer_Tinnitus_2021-09_1.pdf ; zuletzt aufgerufen am 9.4.2025

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