
Therapie der ANCA-assoziierten Vaskulitis: Gibt es steroidfreie Alternativen?
Bericht:
Dr. Corina Ringsell
Redaktorin
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Noch in den 1950er-Jahren verstarben rund 90% der Patient:innen, die an einer mit antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA) assoziierten Vaskulitis litten, im ersten Jahr nach Therapiebeginn.1 Dies hat sich dank neuer Therapien geändert, wobei inzwischen deren Nebenwirkungen im Fokus stehen. Dies gilt besonders für die Steroidgabe. Welche Alternativen es dazu gibt, war Thema des Vortrags von Dr. med. Cédric Jäger, Leitender Arzt Nephrologie, Universitäres Zentrum Innere Medizin, Kantonsspital Baselland.
Keypoints
-
Die Induktionstherapie zeigt gute Remissionsraten, weist aber eine hohe Morbidität durch Nebenwirkungen der Steroide auf.
-
Die Dosis und die Therapiedauer sind entscheidend für die Nebenwirkungen.
-
Niedrigdosisregime sind vorteilhaft.
-
Avacopan reduziert den Steroidbedarf.
DieANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV)sind chronische Autoimmunkrankheiten, die mit systemischen Entzündungen und Nekrosen in kleinen Blutgefässen einhergehen.2Sie sind mit einer Inzidenz von etwa 20/1000000 Einwohner/Jahr sehr selten. Auf die Schweiz bezogen, ergibt das laut Jäger etwa 180 Neuerkrankungen pro Jahr.
Klinisch werden mehrere Phänotypen unterschieden: Die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, ehemals Morbus Wegener) ist in Europa die häufigste Form, gefolgt von der mikroskopischen Polyangiitis (MPA), am seltensten ist die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA, früher Churg-Strauss-Syndrom).
Hintergrund: Was kennzeichnet ANCA-assoziierte Vaskulitiden?
Die AAV ist eine Systemerkrankung mit verschiedenen Organmanifestationen. Betroffen sind vor allem die Lunge (GPA, MPA: 60–80%) und die Nieren (GPA: 60–80%, MPA: 80%). Sehr oft (bis 95%) sind bei einer GPA auch Hals, Nase und Ohren befallen. Weitere häufige Manifestationen sind Haut, Augen und periphere Nerven.3 Begünstigt wird das Entstehen einer AAV durch ein Zusammenspiel von genetischen Prädispositionen durch Polymorphismen verschiedener HLA-Gene und Umweltfaktoren wie Luftschadstoffe, speziell Silikate, Infektionen oder Drogen, vor allem Kokain.4 Für Nikotin wurde eine Assoziation mit der MPA nachgewiesen. Die Folge ist eine Dysregulation des Immunsystems mit einem Verlust der Immuntoleranz von T-Zellen gegenüber Antigenen der neutrophilen Granulozyten.
Pathophysiologie und Diagnostik der ANCA-assoziierten Vaskulitis
Verschiedene Trigger führen zu einem Priming von Neutrophilen und zu einer Antigentranslokation, vor allem von PR3 und MPO, an die Oberfläche.3 Die Antigene werden als fremd erkannt, und neu gebildete Antikörper (ANCA) gegen PR3 oder MPO aktivieren die Neutrophilen. Die Folge sind Entzündungsreaktionen mit Schädigung des Endothels der kleinen Blutgefässe. Gleichzeitig wird ein alternativer Komplementweg aktiviert, wobei speziell das Anaphylatoxin C5a involviert ist.4,5
Diagnostisch spielt der Nachweis der ANCA eine zentrale Rolle. Hier unterscheiden sich GPA, wo häufiger Antikörper gegen PR3 nachgewiesen werden, und MPA, bei der vermehrt MPO-Antikörper zu finden sind.5 Jäger betonte jedoch, dass fehlende ANCA die Krankheit nicht ausschliessen, da es auch ANCA-negative Vaskulitiden gibt. Dann sind eine Biopsie und eine histologische Untersuchung angezeigt.5
Therapie von ANCA-assoziierten Vaskulitiden
Ziele der Therapie sind es, eine Remission zu erreichen und diese zu erhalten. Dazu wird über drei bis sechs Monate eine Induktionstherapie eingesetzt, um den Entzündungsprozess einzudämmen und den Gewebeschaden zu minimieren. Daran schliesst sich eine Erhaltungstherapie über 24 bis 48 Monate an, um einen Rückfall zu verhindern.6 Neuere Studien zeigen laut Jäger jedoch, dass eine längere Erhaltungstherapie nötig sein könnte.
Abb. 1: Die ANCA-assoziierte Vaskulitis ist eine systemische Krankheit, die unterschiedliche Symptome verursachen kann
Bei der Induktionstherapie wird unterschieden, ob es sich um eine organ- oder lebensbedrohliche Ausprägung der Krankheit handelt oder nicht.6 In seinem Bereich, der Nephrologie, seien es in der Regel die organ- oder lebensbedrohlichen Formen, erklärte Jäger. Die Induktionstherapie besteht dann aus der Kombination aus Glukokortikoiden und dem monoklonalen Anti-CD20-Antikörper Rituximab oder dem Alkylans Cyclophosphamid. Beide wirken auf der Ebene der Kommunikation zwischen T- und B-Zellen. Rituximab depletiert die B-Zellen, Cyclophosphamid wirkt primär auf die T-Zellen.6 Beide seien mehr oder weniger gleich effektiv, aber die meisten Zentren favorisierten mittlerweile Rituximab wegen des besseren Nebenwirkungsprofils, so Jäger. Die Steroidgabe erfolgte traditionell gemäss den früheren Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR) hoch dosiert über neun bis 15 Monate.7 Dies kann die bekannten, zum Teil schweren Nebenwirkungen verursachen, unter anderem Infektionen, Gewichtszunahme, Insulinresistenz, gesteigertes kardiovaskuläres Risiko, Knochenabbau.8 Die aktuellen EULAR-Empfehlungen raten daher zu einer schrittweisen Reduktion der Steroiddosis.6
Erhöhte Sterblichkeit bei ANCA-assoziierter Vaskulitis – auch therapiebedingt?
Während in den 1950er-Jahren etwa 90% der Patient:innen mit AAV im ersten Jahr der Monotherapie mit Kortikosteroiden verstarben, waren es 2000 nach fünf Jahren rund 20%. Doch diese Rate ist immer noch höher als in der Allgemeinbevölkerung.1 Bei genauerer Betrachtung gebe es aber Unterschiede, ob man im ersten Jahr der Therapie schaut oder nach dem ersten Jahr, sagte Jäger. So stirbt im ersten Jahr ein grosser Teil der Patient:innen an einer Infektion, wofür die Steroide verantwortlich sein könnten. Danach dominieren kardiovaskuläre Todesfälle und Malignome.1
Eine retrospektive Observationsstudie aus Japan untersuchte, ob die hohen Infektionsraten im ersten Jahr von der Steroid-Pulstherapie oder der Dauer der Steroidgabe verursacht werden.9 Eingeschlossen waren 167 Patient:innen mit einem medianen Alter von 77 Jahren, rund 80% davon hatten eine MPO-assoziierte Vaskulitis. Es zeigte sich, dass Patient:innen, die hohe Steroiddosen in Form der Pulstherapie bekommen hatten, in den ersten 90 Tagen, aber auch darüber hinaus eine längere Zeit ein höheres Infektionsrisiko hatten als Patient:innen, die niedrigere Steroiddosen erhalten hatten. Dies wirkte sich auch auf die Sterblichkeitsrate aus: Patient:innen, die aufgrund einer schweren Infektion (viral, bakteriell, pilzbedingt) hospitalisiert wurden oder wegen einer bakteriellen Infektion Antibiotika i.v. erhielten, wiesen eine deutlich erhöhte Sterblichkeit auf.9
Doch auch die Dauer der Steroidtherapie hat einen Einfluss, wie Daten aus den USA zeigen.10 Bei 147 Patient:innen mit einer AAV ergab sich, dass diejenigen, die Steroide länger als sechs Monate erhalten hatten, deutlich höhere Infektionsraten aufwiesen als jene, die weniger als sechs Monate behandelt worden waren.10
2020 wurde die PEXIVAS-Studie publiziert, bei der es eigentlich um die Frage ging, ob bei einer AAV eine Plasmapherese nötig ist oder nicht. Dabei wurden auch zwei verschiedene Steroid-Tapering-Schemata untersucht.11 Die Ausgangsdosis war in beiden Studienarmen gleich (60mg/d), doch in einem Arm wurde sie rascher gesenkt (5mg/d in Woche 15–16 vs. 5mg/d in Woche 23–52). Hinsichtlich Remissionen oder einer terminalen Niereninsuffizienz unterschieden sich die beiden Regime nicht. Allerdings kam es unter der niedrigeren Steroiddosis zu weniger Infektionen innerhalb des ersten Jahres.11
Steroide weiter reduzieren oder ganz vermeiden?
In einer kleinen Studie mit insgesamt knapp 50 Patien:innen wurde ein spezielles Induktionsschema gewählt. Alle erhielten Rituximab plus Cyclophosphamid; eine Gruppe bekam Methylprednisolon an Tag 0 und 7 und Prednisolon an den Tagen 2–6. Die andere Gruppe erhielt einmalig Methylprednisolon, anschliessend eine Woche lang Prednisolon 60mg/d, dann eine Woche 45mg/d. Alle Patient:innen erreichten eine komplette Remission, aber nur 12% erlitten schwere Infektionen.12 «Wenn man das mit den Daten aus den grossen Vaskulitisstudien vergleicht, in denen bis zu 30% schwere Infektionen auftreten, muss man sagen, dass es eine super Remissionsrate bei weniger Infekten ist», betonte Jäger, schränkte jedoch ein, dass es sich nicht um eine kontrollierte Studie gehandelt habe.
Ob es auch ganz ohne Steroide geht, untersuchte eine Studie mit 11 älteren Patient:innen, die zu 80% eine Nierenbeteiligung hatten. Sie wurden ebenfalls mit Rituximab mit/ohne Cyclophosphamid induziert. Steroide wurden nicht gegeben. Dennoch erreichten alle Patient:innen nach sechs Monaten eine komplette Remission.13
Seit dem vergangenen Jahr ist auch die Induktionstherapie mit Avacopan in der Schweiz zugelassen. Avacopan bindet am C5a-Rezeptor der Neutrophilen und hemmt den alternativen Komplementweg.14 In der Phase-III-Studie ADVOCATE wurden 331 Patient:innen randomisiert und erhielten entweder Avacopan 2x30mg/d oder Steroide zusätzlich zu Rituximab oder Cyclophosphamid. Zu Woche 26 bestanden keine Unterschiede bezüglich der Remission (72% vs. 70%, p<0,001). Hinsichtlich der anhaltenden Remission nach 52 Wochen war Avacopan Prednison signifikant überlegen (66% vs. 55%, p=0,007). Zudem verbesserte Avacopan die eGFR um 7ml/min gegenüber 4ml/min in der Prednison-Gruppe.14 In einer Post-hoc-Analyse wurden Patient:innen mit einer eGFR <20ml/min betrachtet, wobei Patient:innen <15ml/min ausgeschlossen waren. Bei dieser kleinen Subgruppe gab es unter Avacopan einen deutlichen Benefit mit einer Verbesserung der eGFR von 16ml/min (vs. 8ml/min).15 Insgesamt war der Glukokortikoid-Toxizitäts-Index besser, es gab weniger steroidassoziierte Nebenwirkungen, vor allem hinsichtlich der Infektionen.16
Jäger gab zu bedenken, dass die Avacopan-Gruppe aufgrund des Studiendesigns nicht komplett steroidfrei war. In der Screening-Periode, die maximal 14 Tage dauerte, durften noch Steroide eingesetzt werden. Bei Studieneinschluss durften es noch maximal 20mg sein, die innerhalb von vier Wochen ausgeschlichen werden mussten.
Für wen ist Avacopan geeignet?
Jäger nannte drei Gruppen von Patient:innen, die für eine Avacopan-Therapie infrage kommen:
-
bei hohem Risiko für Steroidnebenwirkungen aufgrund von Komorbiditäten
-
bei hohem Risiko für Nebenwirkungen durch wiederholte Therapien infolge eines rezidivierenden oder refraktären Verlaufs
-
bei schwerer renaler Beteiligung17
In der Schweiz werde die Therapie derzeit für maximal ein Jahr von der Krankenkasse bezahlt, betonte Jäger.
Quelle:
FOMF Experten-Forum Update Nephrologie, 6. März 2025, online
Literatur:
1 Flossmann O; European Vasculitis Study Group: Long-term patient survival in ANCA-associated vasculitis. Ann Rheum Dis 2011; 70: 488-94 2 Lamprecht P et al.: Pathogenetic and clinical aspects of anti-neutrophil cytoplasmic autoantibody-associated vasculitides. Front Immunol 2018; 9: 680 3 Kitching AR et al.: ANCA-associated vasculitis. Nat Rev Dis Primers 2020; 6: 71 4 Furuta S, Jayne DR: Antineutrophil cytoplasm antibody-associated vasculitis: recent developments. Kidney Int 2013; 84: 244-9 5 Geetha D, Jefferson JA: ANCA-associated vasculitis: core curriculum 2020. Am J Kidney Dis 2020; 75: 124-37 6 Hellmich B et al.: EULAR recommendations for the management of ANCA-associated vasculitis: 2022 update. Ann Rheum Dis 2024; 83: 30-47 7 Yates M et al.: EULAR/ERA-EDTA recommendations for the management of ANCA-associated vasculitis. Ann Rheum Dis 2016; 75: 1583-94 8 Hoes JN et al.: Current view of glucocorticoid co-therapy with DMARDs in rheumatoid arthritis. Nat Rev Rheumatol 2010; 6: 693-702 9 Waki D et al.: Initial high-dose corticosteroids and renal impairment are risk factors for early severe infections in elderly patients with antineutrophil cytoplasmic autoantibody-associated vasculitis: A retrospective observational study. Medicine 2020; 99: e19173 10 McGregor JG et al.: Glucocorticoids and relapse and infection rates in anti-neutrophil cytoplasmic antibody disease. Clin J Am Soc Nephrol 2012; 7: 240-7 11 Walsh M et al.: Plasma exchange and glucocorticoids in severe ANCA-associated vasculitis. N Engl J Med 2020; 382: 622-31 12 Pepper RJ et al.: A novel glucocorticoid-free maintenance regimen for anti-neutrophil cytoplasm antibody-associated vasculitis. Rheumatology 2019; 58: 260-8 13 Farrah TE et al.: Glucocorticoid-free treatment of severe ANCA-associated vasculitis. Nephrol Dial Transplant 2021 29; 36: 739-42 14 Jayne DRW; ADVOCATE Study Group. Avacopan for the treatment of ANCA-associated vasculitis. N Engl J Med 2021; 384: 599-609 15 Cortazar FB; ADVOCATE Study Group: Renal recovery for patients with ANCA-associated vasculitis and low eGFR in the ADVOCATE trial of avacopan. Kidney Int Rep 2023; 8: 860-70 16 Stone JH et al.: The glucocorticoid toxicity index: Measuring change in glucocorticoid toxicity over time. Semin Arthritis Rheum 2022; 55: 152010 17 van Leeuwen JR et al.: Evaluating avacopan in the treatment of ANCA-associated vasculitis: design, development and positioning of therapy. Drug Des Devel Ther 2025; 19: 23-37
Das könnte Sie auch interessieren:
Neue Klassifikation soll für mehr Klarheit sorgen
Die Glomerulonephritis ist eine komplizierte Angelegenheit. Das liegt auch daran, dass die immunvermittelten Erkrankungen anhand von histopathologischen Mustern beschrieben werden, die ...
Einblicke in die aktuelle Forschung
Schweizer Nephrologinnen und Nephrologen gaben an ihrem Jahreskongress 2024 in Basel spannende Einblicke in ihre aktuelle Forschung. Wir stellen Ihnen hier einige dieser Arbeiten vor.
Spannende Fälle
Neben ihren Forschungsergebnissen stellten Schweizer Nephrologinnen und Nephrologen am Jahreskongress 2024 in Basel auch einige spannende und lehrreiche Fälle vor. Wir präsentieren Ihnen ...