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Vorhofflimmern
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. Dr. Michael Lichtenauer, PhD
<br>Universitätsklinikum für Innere Medizin II<br> Kardiologie und internistische Intensivstation<br> Universitätsklinikum Salzburg<br> E-Mail: miriam.eber@hotmail.com
Autor:
Dr. Miriam Eber
30
Min. Lesezeit
19.12.2019
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<p class="article-intro">Das Vorhofflimmern (VHF, FA, AF) zählt mit der Sinustachykardie zu den häufigsten Formen der supraventrikulären Tachykardie. Sie betrifft rund 1–2 % der Weltbevölkerung, darunter etwa 6 Millionen Europäer, und ist somit neben der Extrasystolie die häufigste Herzrhythmusstörung. Zur Diagnose ist das EKG unerlässlich.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keyponts</h2> <ul> <li>Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen und mit einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko assoziiert.</li> <li>Die Diagnose Vorhofflimmern darf nur mittels Elektrokardiogramm (EKG), Langzeit-EKG oder Event-Recorder gestellt werden.</li> <li>Es gibt diagnostische Kriterien im Oberflächen-EKG: Flimmerwellen und absolute Arrhythmie der Kammerkomplexe.</li> <li>Im klinischen Alltag bestehen oftmals Herausforderungen, ein VHF sicher richtig zu diagnostizieren.</li> <li>In der Therapie werden orale Antikoagulanzien zur Schlaganfallprophylaxe empfohlen, die Rhythmuskontrolle mittels Kardioversion bzw. einer Pulmonalvenenisolation.</li> </ul> </div> <p>Die Inzidenz des Vorhofflimmerns steigt mit zunehmendem Alter, sodass bereits ab dem 70. Lebensjahr rund 15 % der Gesamtbevölkerung betroffen sind. Circa 30 % aller Vorhofflimmerepisoden werden von den Betroffenen wahrgenommen. Diese reichen von leichteren bis hin zu größeren Einschränkungen in Lebensqualität und Belastbarkeit der Patientinnen und Patienten im Alltag, wie Palpitationen, Müdigkeit sowie Schlafstörungen. VHF kann jedoch auch schwere Folgeerkrankungen wie einen Schlaganfall nach sich ziehen sowie eine Herzinsuffizienz auslösen. VHF ist nicht nur mit einem erhöhten Morbiditäts-, sondern auch Mortalitätsrisiko assoziiert.<sup>1, 2</sup></p> <h2>Ätiologie des Vorhofflimmerns</h2> <p>Die Ursache dieser Herzrhythmusstörung ist noch nicht vollständig geklärt. Häufig ist sie Folge einer kardiologischen Grunderkrankung, wie etwa eines Mitralklappenvitiums, einer koronaren Herzkrankheit oder einer Herzinsuffizienz. Extrakardiale Ursachen wie Hyperthyreose, Pulmonalembolie und Perikarditis könnten ebenfalls für die Entwicklung eines Vorhofflimmerns verantwortlich sein. VHF ist nicht nur oft Folge einer Erkrankung, sondern begünstigt oftmals die Progression der Grunderkrankung. In nur rund 15 % der Fälle tritt das VHF idiopathisch auf, gelegentlich mit familiärer Disposition, genannt „lone atrial fibrillation“.</p> <h2>Pathophysiologie des Vorhofflimmerns</h2> <p>Pathophysiologisch liegt beim Vorhofflimmern eine chaotische Erregungsbildung mit mehreren Reentry-Kreisen (> 5) vor, die den Ursprung am häufigsten im linken Vorhof im Bereich der Pulmonalvenen haben (Abb. 1). Folglich kommt es zu einer völlig ungeordneten Erregung der Vorhöfe mit einer Frequenz von 350–600 Schlägen pro Minute Vorhofsfrequenz. Diese ektopen tachykarden atrialen Impulsen werden vom AV-Knoten teilweise abgefangen und anschließend völlig ungeordnet auf die Kammern übergeleitet, ohne rhythmische Kammeraktivität. Man spricht von einer absoluten Arrhythmie der Kammerkomplexe.<sup>3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb1.jpg" alt="" width="250" height="367" /></p> <h2>Diagnose von Vorhofflimmern</h2> <p>Die Diagnose Vorhofflimmern kann und darf ausschließlich gestellt werden, wenn sie mittels Elektrokardiogramm (EKG), Langzeit-EKG oder Event-Recorder dokumentiert werden konnte. Berichtete Palpationen des Patienten hingegen sind nicht ausreichend. Erst kürzlich konnte die deutsche FIND-AF-Studie zeigen, dass nach einem durchgemachten Schlaganfall mit einem intensiven Holter-EKG-Monitoring (dreimal zehn Tage mit Langzeit-EKG) im ersten Jahr deutlich früher und häufiger ein bislang unentdecktes Vorhofflimmern detektiert wird als bei konventioneller Abklärung mit einem 24-Stunden-EKG. Bei einem implantierten Aggregat, wie etwa einem Schrittmacher oder einem ICD, ist für die Diagnose eines VHF laut den aktuellen Guidelines eine VHF-Episode von mindestens 5–6 Minuten notwendig.<sup>4</sup><br /> In der rezenten Apple-Heart-Study wurde überprüft, ob es möglich ist, durch den Pulssensor einer Smart-Watch Herzrhythmusstörungen, vor allem Vorhofflimmern, zu detektieren. Lediglich 0,5 % der circa 400 000 Teilnehmer erhielten einen Warnhinweis auf unrhythmischen Puls. Bei 450 dieser Probanden konnte anschließend ein EKG ausgewertet und in 34 % der Fälle ein Vorhofflimmern aufgezeichnet werden. Diese etwas enttäuschenden Resultate ließen in dieser Studie somit mehrere Fragen offen, wie etwa zur fehlerhaften Diagnostik oder auch zur Überdiagnostik mittels Smart-Watch und zur Kosteneffektivität, und geben Raum für Diskussion.<sup>5 </sup></p> <h2>Das Vorhofflimmern im EKG</h2> <p>Elektrokardiografisch finden sich beim VHF absolut unregelmäßig auftretende Flimmerwellen, die in ihrer Morphologie, Amplitude und Frequenz variieren. Soweit die Frequenz beim VHF überhaupt bestimmbar ist, liegt die mittlere Herzfrequenz in etwa bei 350–600/min im Vorhof. Das zweite diagnostische Kriterium ist die absolute Arrhythmie der Kammerkomplexe. Definitionsgemäß ist dies der Fall, wenn jeder RR-Abstand von unterschiedlicher Dauer ist beziehungsweise maximal – und das rein zufällig – zwei identische RR-Abstände im EKG-Streifen vorzufinden sind (Abb. 2). <br />Anhand der Amplitude kann das Vorhofflimmern in feinschlägig, relativ feinschlägig und grobschlägig unterteilt werden. Grobe Flimmerwellen weisen eine ähnliche elektrische Aktivität wie das Vorhofflattern auf und sind meist besonders gut in den Ableitungen II, III und rechtspräkordial in V1 sichtbar. Grobe Flimmerwellen mit Frequenzen unter 400/min werden eher bei intermittierendem und noch nicht lange bestehendem Vorhofflimmern oder auch bei Linksventrikelhypertrophie beobachtet. Bei länger bestehendem Vorhofflimmern oder ischämischer Schädigung des Herzens finden sich meist feine Flimmerwellen mit einer kaum bis nicht mehr erkennbaren elektrischen Aktivität.<sup>1</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb2.jpg" alt="" width="300" height="210" /></p> <h2>Herausforderungen bei der Diagnosestellung</h2> <p>Das VHF scheint durch seine zwei EKGKriterien Flimmerwellen und absolute Arrhythmie der Kammerkomplexe recht leicht im Oberflächen-EKG erkennbar zu sein. Im klinischen Alltag steht man jedoch auch hier oftmals vor der Herausforderung, ein VHF richtig zu diagnostizieren (Abb. 3–5). Flimmerwellen können beispielsweise vor allem im Rahmen eines relativ fein- bis grobschlägigen VHF als P-Wellen fehlgedeutet werden. Auch extrakardiale Artefakte, wie etwa Zittern oder ein Morbus Parkinson können als Flimmerwellen fehlinterpretiert werden. Auch an andere Rhythmen mit ebenfalls möglichen unregelmäßigen RR-Abständen müssen ausgeschlossen werden. Hierzu zählen fokale (multifokale) atriale Schläge bzw. Tachykardien oder auch ein atriales Flattern mit variierendem AV-Block. Meist sind hier im Gegensatz zum VHF deutliche, jedoch oftmals abnormale oder auch variable P-Wellen im EKG vorhanden. Als diagnostisch schwierig erweist sich zudem eine Breitkomplextachykardie mit unregelmäßiger Überleitung. Hier gilt es zu unterscheiden, ob eine schwere Herzrhythmusstörung (polymorphe ventrikuläre Tachykardie) oder ein Vorhofflimmern mit aberranter oder akzessorischer Weiterleitung vorliegt. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Unterscheidung zwischen einem Vorhofflimmern mit schneller ventrikulärer Überleitung und einer paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie dar. Unter Adenosin-Gabe zeigt sich bei Patienten mit Vorhofflimmern kein Effekt. Bei Patienten mit einem AV-Block III°, bei der die Leitungseigenschaft im AV-Knoten die Kammerfrequenz bestimmt, sowie bei ventrikulärer Schrittmacherstimulation kann ebenfalls ein VHF vorliegen, das im Oberflächen- EKG jedoch nicht detektierbar ist.<sup>6</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb3.jpg" alt="" width="1301" height="789" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb4.jpg" alt="" width="1300" height="881" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_abb5.jpg" alt="" width="1456" height="794" /></p> <p> </p> <h2>Klassifikation in den Guidelines</h2> <p>Vorhofflimmern wird gemäß den aktuellen ESC-Guidelines unterschiedlich klassifiziert. Zum einen je nach Dauer und Häufigkeit des Auftretens – hier unterscheidet man im klinischen Alltag vorwiegend zwischen paroxysmalem, permanentem und persistierendem VHF –, zum anderen je nach Symptomatik (Tab. 1). Zur Quantifizierung der Symptomatik wird die EHRA-Klassifikation, die häufig in Studien Anwendung findet, herangezogen (siehe Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_tab1.jpg" alt="" width="1578" height="638" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1905_Weblinks_s24_tab2.jpg" alt="" width="1304" height="888" /></p> <h2>Therapieoptionen bei Vorhofflimmern</h2> <p>Ist die Diagnose eines Vorhofflimmerns gesichert, wird anhand des CHA<sub>2</sub>DS<sub>2</sub>VASc-Scores die Indikation einer oralen Antikoagulation (OAK) zur Schlaganfallprophylaxe ermittelt. Laut den aktuellen Guidelines wird ab einem Wert von ≥ 2 bei Männern und ≥ 3 bei Frauen nach zusätzlicher Bestimmung des Blutungsrisikos (HasBled-Score) eine OAK empfohlen. Die Therapie eines Vorhofflimmerns erfolgt individuell. Grob unterschieden wird zwischen der medikamentösen Frequenz- und der medikamentösen oder elektrischen Rhythmuskontrolle mittels Kardioversion. Bei hoch symptomatischen Patienten bzw. mehreren frustranen oder nicht lange anhaltenden Kardioversionsversuchen sollte eine Pulmonalvenenisolation angedacht werden.<sup>7</sup></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Klinge R: Das Elektrokardiogramm. Thieme 2015; 10. Auflage <strong>2</strong> Schuster HP, Trappe HJ: EKG-Kurs für Isabel: Thieme 2017; 7. überarbeitete Auflage <strong>3</strong> Thaler MS. The Only EKG Book You’ll Ever Need. 2018; 9th ed. <strong>4</strong> Wachter R et al.: Holter-electrocardiogram-monitoring in patients with acute ischaemic stroke (Find-AFRANDOMISED): an open-label randomised controlled trial. The Lancet Neurology 2017; 16(4): 282-90 <strong>5</strong> Perez MV et al.: Large-Scale assessment of a smartwatch to identify atrial fibrillation. N Engl J Med 2019; 381(20): 1909-17 <strong>6</strong> Olshansky B.: The electrocardiogram in atrial fibrillation. 2019. <strong>7</strong> Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur heart J 2016; 37(38): 2893-962</p>
</div>
</p>
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