
©
Getty Images/iStockphoto
Update Herzchirurgie 2015 bis 2016
Jatros
Autor:
Dr. Nikolaos Bonaros, MD, PhD, FECTS, FESC
Assoziierter Professor für Herzchirurgie<br> Medizinische Universität Innsbruck<br> E-Mail: nikolaos.bonaros@i-med.ac.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Das vergangene Jahr kann durch die Bestätigung von zwei vor längerer Zeit erkannten Trends gekennzeichnet werden: einerseits der Sicherstellung der hohen Qualitätsstandards in der Koronarchirurgie (inkl. der bisher niedrigsten Komplikationsrate) und andererseits der Bekräftigung des Wandels in der Behandlung der Aortenklappenstenose, wobei bereits 2014 die Anzahl der katheterbasierten Klappenimplantationen in Deutschland diejenige der chirurgischen Eingriffe überschritten hat (Abb. 1).</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Koronare Herzerkrankung: Der allgemeine Trend zeigt eine Konsolidierung der Koronar­chirurgie. Von besonderem Interesse sind die STICHES- und die BEST-Studie.</li> <li>Aortenklappenerkrankungen: Das vergangene Jahr wurde von einer Erweiterung der Indikationen für die Transkatheterbehandlung der Aortenstenose gekennzeichnet. Die TAVI wurde allerdings im Herbst 2015 von Daten überschattet, die Hinweise für eine erhöhte Inzidenz von Mobilitätseinschränkung der Klappentasche nach TAVI zeigten.</li> <li>Mitralklappenerkrankungen: In den letzten Jahren publizierte Langzeitergebnisse der minimal invasiven Mitralklappenchirurgie legen die Latte für Alternativverfahren sehr hoch.</li> <li>Zukunft: Das PERSIST-AVR-Trial zur „sutureless“ Bioprothese vs. konventioneller gestenteter Prothese und das FARGO-Trial zur chirurgischen koronaren Revaskularisation anhand einer konventionellen quantitativen Angiografie vs. FFR-Messung sollen in diesen Fragen neue Erkenntnisse bringen.</li> </ul> </div> <h2>Koronare Herzerkrankung</h2> <p>Der allgemeine Trend zeigt eine Konsolidierung der Koronarchirurgie nach der Veröffentlichung der 5-Jahres-Ergebnisse der SYNTAX-Studie. Die Anzahl der isolierten Koronareingriffe bleibt sowohl in Österreich (etwas mehr als 30 Bypassoperationen pro 100.000 Einwohner/Jahr) als auch in Deutschland (knapp 50 Bypassoperationen pro 100.000 Einwohner/Jahr) in den letzten 3 Jahren stabil. Die linke A. mammaria wird routinemäßig (94 % der Patienten) verwendet, wobei der Trend einer stetigen Steigerung der Koronarchirurgie mittels bilateraler Mammaria fortgesetzt wurde. Jeder sechste Patient in Österreich wurde 2013 mit zwei Mammarien versorgt, ein Anteil, der weit über dem USA-Durchschnitt liegt und der in den letzten 3 Jahren eine 3 % ige Steigerungstendenz pro Jahr zeigte. Viel befürchtete Komplikationen, wie z.B. der Schlaganfall mit bleibenden Folgen oder eine tiefe Wundinfektion, treten mit einer Inzidenz von 0,58 % respektive 1 % viel seltener als in der SYNTAX-Studie auf.<sup>1, 2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1603_Weblinks_Seite73_1.jpg" alt="" width="573" height="442" /></p> <p>Aus wissenschaftlicher Sicht sind zwei Studien, die sich mit der Koronarchirurgie bei Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie beschäftigen, von besonderem Interesse. Bei der ersten Studie handelt es sich um die Surgical Treatment for IsChemic Heart failure Extension Study (STICHES), die Nachfolgestudie des bekannten STICH-Trials.<sup>3</sup> Die Studie vergleicht die 10-Jahres Ergebnisse des chirurgischen Arms des STICH-Trials, wobei Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie und eingeschränkter Linksventrikelfunktion (EF <35 % ) 1:1 zur Bypassoperation mit anschließender optimaler medikamentöser Therapie vs. isolierte optimale Herzinsuffizienztherapie randomisiert wurden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1603_Weblinks_Seite73_2.jpg" alt="" width="571" height="1302" /></p> <p>Die Autoren konnten einen signifikanten Überlebensvorteil der Patienten nach Bypassoperation zeigen, der sowohl die Gesamt- (HR: 0,84; 95 % CI: 0,73–0,97; p=0,02) als auch die kardio­vaskuläre Mortalität (HR: 0,79; 95 % CI: 0,66–0,93; p=0,006) betrifft (Abb. 2). Noch eindeutiger ist das Ergebnis für den kombinierten Endpunkt Mortalität plus Hospitalisation kardiovaskulärer Ursache (HR: 0,72; 95 % CI: 0,64–0,82; p<0,001). In Anbetracht dessen, dass 62,5 % der Patienten bereits 10 Jahre nach der Randomisierung tot waren, geht die Durchführung einer Bypassoperation bei diesen Patienten mit einer Lebensverlängerung von 18 Monaten und mit einem geretteten Leben in jedem 14. Patienten einher.<br /> Die BEST Trial Investigators verfolgten das Prinzip der SYNTAX-Studie und verglichen die Ergebnisse der koronaren Bypassoperation mit der perkutanen Intervention mittels Everolimus-beschichteter Stents.<sup>4</sup> Ziel der Studie war, ein potenzielles Bias der Ergebnisse der perkutanen Intervention für die Behandlung der koronaren Mehrgefäßerkrankung durch die Verwendung der ersten Generation beschichteter Stents auszuschließen. Die Ergebnisse zeigten – analog zur SYNTAX-Studie – die Unterlegenheit der perkutanen Intervention gegenüber der Bypassoperation insbesondere bei Patienten mit komplexeren Koronarstenosen 2 und 4 Jahre nach Revaskularisation.</p> <h2>Aortenklappenerkrankungen</h2> <p>Die Behandlung der Aortenklappenerkrankungen wird von den Entwicklungen der Transkathetertechniken maßgeblich beeinflusst. Das vergangene Jahr wurde von einer Erweiterung der Indikationen für die Transkatheterbehandlung der Aortenstenose gekennzeichnet, die obligatorisch zu einer Re­krutierung von Patienten mit ­geringerem Operationsrisiko führte. Zwei große Studien, je eine für den jeweiligen Repräsentanten der modernen Transkatheter-Aortenklappenimplantation, waren angekündigt, wobei SURTAVI die Verwendung von selbstexpandierbaren Prothesen und PARTNER II die Implantation von ballonexpandierbaren Klappen beschrieb. Letztere Studie wurde im „New England Journal of Medicine“ zeitgleich mit der Präsentation der Ergebnisse im Rahmen des ACC-Kongresses veröffentlicht.<sup>5</sup> Ziel der multizentrischen prospektiv randomisierten Studie war es, die 2-Jahres-Ergebnisse der TAVI vs. konventionellen Aortenklappenersatz zu vergleichen, bei Patienten mit intermediärem perioperativem Mortalitätsrisiko. Das Patienten­kollektiv war im Durchschnitt 80 Jahre alt mit einem errechneten STS-Mortalitätsrisiko von 5,8 % . Die Autoren konnten keine Unterlegenheit der TAVI im Vergleich zum konventionellen Aortenklappenersatz hinsichtlich des kombinierten Endpunktes Mortalität und Schlaganfall nachweisen. Ganz im Gegenteil, TAVI-Patienten, die über einen transfemoralen Zugang behandelt wurden, wiesen einen signifikanten Vorteil gegenüber der offenen Chirurgie für den oben genannten kombinierten Endpunkt auf. Als Nebenbefund ergab sich eine zu erwartende höhere Rate von paravalvulären Regurgitationen gefolgt von einer verbesserten Prothesenöffnungsfläche nach TAVI im Vergleich zu den konventionellen Bioprothesen.<br /> <br /> Diese positive Entwicklung für TAVI-Verfechter wurde allerdings im Herbst 2015 von Daten überschattet, die Hinweise für eine erhöhte Inzidenz von Mobilitätseinschränkung der Klappentasche nach TAVI zeigte.<sup>6</sup> Dieser computertomografische Befund betraf überwiegend eine spezielle selbstexpandierbare Transkatheterklappenprothese, konnte aber auch in anderen TAVI-Prothesen diagnostiziert werden. Die Frage nach der klinischen Relevanz bleibt interessant, einerseits durch die nachgewiesene Assoziation zu den erhöhten transvalvulären Gradienten und andererseits zu beobachteter Risikoerhöhung für Embolie-bedingte neurologische Komplikationen.</p> <h2>Mitralklappenerkrankungen</h2> <p>Die chirurgische Behandlung der degenerativen Mitralinsuffizienz stellt sich als das beste Beispiel einer kausalen Behandlung der zugrunde liegenden Pathologie über einen minimal invasiven und in spezialisierten Zentren total­endoskopischen (Port-Loch-Technik) Zugang dar. Obwohl im Jahr 2015 fast 3 Milliarden Dollar bei Zusammenführungen und Übernahmen von Firmen mit Produkten für einen perkutanen Mitralklappenersatz ausgegeben wurden, zeigt die Durchdringung der minimal invasiven Mitralrekonstruktion einen stetigen Anstieg. Analog zu diesem Anstieg legen mittlerweile die in den letzten Jahren publizierten Langzeitergebnisse der minimal invasiven Mitralklappenchirurgie die Latte für Alternativverfahren sehr hoch. Eine im Jahr 2015 publizierte Arbeit einer sehr aktiven Gruppe aus Massa ergab eine erfolgreiche anatomische Rekonstruktion der Mitralklappe von 95 % bei degenerativer Pathologie.<sup>7</sup> In einem Drittel der Fälle konnte über den gleichen Zugang eine konkomitante Pathologie der Trikuspidalklappe, eine linksatriale Ab­lation als Therapiemodalität gegen paroxysmales oder persistierendes Vorhofflimmern oder ein Verschluss einer interatrialen Kommunikation erfolgreich durchgeführt werden. Die 10-Jahres-Reoperationsfreiheit nach Klappenrekonstruktion betrug 94 % , sodass man von einem mehr oder weniger garantierten Langzeiterfolg der Methode sprechen kann.<br /> <br /> Anders als in der Mitralinsuffizienz degenerativer Genese stellt die Behandlung der funktionellen Mitralinsuffizienz die chirurgische Behandlung auf die Probe. Die 2-Jahres-Ergebnisse der CTSN Investigators zeigten, dass die Behandlung der moderaten Mitralinsuffizienz im Rahmen der Bypassoperation keinen Vorteil hinsichtlich der Mortalität, des linksventrikulären Remodellings, der „major adverse cardiac events“ (MACE) oder der Rehospitalisation gegenüber einer isolierten Bypassoperation brachte.<sup>8</sup> Im Gegenteil, die Rekonstruktion der ischämischen Mitralinsuffizienz ging mit einem erhöhten Risiko für neurologische Komplikationen und supraventrikuläre Arrhythmien einher. Diese Daten sind ausschlaggebend für die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Kombinationseingriffe im Rahmen der koronaren Revaskularisation. Anhand dessen scheint die Mitralrekonstruktion bei Patienten mit moderater funktioneller Mitralinsuffizienz weniger sinnvoll zu sein.<br /> <br /> Eine weitere Studie beschäftigte sich mit der Art der chirurgischen Behandlung der hochgradigen Mitralinsuffizienz bei dem gleichen Patientenkollektiv, wobei die 2-Jahres-Ergebnisse der Rekonstruktion vs. Ersatz verglichen wurden.<sup>9</sup> In diesem speziellen Fall und im Gegensatz zu den Ergebnissen der degenerativen MI waren die Ergebnisse der Rekonstruktion – die überwiegend mittels restriktiver Ringanuloplastie durchgeführt wurde – mehr als enttäuschend (59 % der Patienten wiesen eine relevante Rezidivinsuffizienz 2 Jahre nach Rekonstruktion auf). Daraus resultierend waren die klinischen Endpunkte Herzinsuffizienz und Rehospitalisationen – bei vergleichbarer Mortalität – signifikant häufiger nach Ringanuloplastie als nach Herzklappenersatz.</p> <h2>Ausblick in die Zukunft</h2> <p>Bei einem kurzen Ausblick in die Zukunft findet man zwei laufende Studien, die vermutlich den herzchirurgischen Alltag in den nächsten Jahren verändern werden:</p> <ul> <li>Das PERSIST-AVR-Trial ist eine prospektiv randomisierte multizentrische Phase-4-Studie, die 1.234 Patienten in 60 Zentren weltweit zwischen „sutureless“ Bioprothese vs. konventioneller gestenteter Prothese randomisiert. Als primärer Endpunkt wurde die MACCE-Freiheit nach 1 Jahr („Safety“-Aspekt) ausgesucht. Die Effektivität der Methode wird mit der zu erwartenden Verkürzung der Herzlungenmaschinen- und Aortenokklusionszeiten evaluiert.</li> <li>Das FARGO-Trial (Fractional Flow Reserve versus Angiography Randomization for Graft Optimization) ist eine monozentrische prospektiv randomisierte Studie, die eine chirurgische koronare Revaskularisation anhand einer konventionellen quantitativen Angiografie vs. FFR-Messung evaluieren wird. Der primäre Endpunkt bezieht sich auf den Anteil der offenen Grafts mit TIMI-3-Fluss nach 6 Monaten und die sekundären Endpunkte beinhalten klinische Parameter wie das Ausmaß der Angina, die Häufigkeit von MACCE sowie Aspekte der Lebensqualität.</li> </ul></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH (AQUA): Qualitätsreport 2014<br /><strong>2</strong> Gesundheit Österreich GmbH, Bundesministerium für Gesundheit: Ergebnisqualität in der Erwachsenen-Herzchirurgie. Ergebnisbericht 2013<br /><strong>3</strong> Velazquez EJ et al for the STICHES Investigators: ­Coronary-artery bypass surgery in patients with ischemic cardiomyopathy. N Engl J Med 2016; 374(16): 1511-20<br /><strong>4</strong> Park SJ et al for the BEST Trial Investigators: Trial of ­everolimus-eluting stents or bypass surgery for coronary disease. N Engl J Med 2015; 372: 1204-12<br /><strong>5</strong> Leon MB et al for the PARTNER 2 Investigators: Transcatheter or surgical aortic-valve replacement in intermediate-risk patients. N Engl J Med 2016; 374(17): 1609-20<br /><strong>6</strong> Makkar RR et al: Possible subclinical leaflet thrombosis in bioprosthetic aortic valves. N Engl J Med 2015; 373(21): 2015-24<br /><strong>7</strong> Glauber M et al: Early and long-term outcomes of ­minimally invasive mitral valve surgery through right minithoracotomy: a 10-year experience in 1604 patients. J Cardiothorac Surg 2015; 10: 181. Doi: 10.1186/s13019-015-0390/y<br /><strong>8</strong> Michler RE et al for the CTSN: Two-year outcomes of surgical treatment of moderate ischemic mitral regurgitation. N Engl J Med April 3 2016. Doi: 10.1056/NEJMoa1602003<br /><strong>9</strong> Goldstein D et al for the CTSN: Two-year outcomes of surgical treatment of severe ischemic mitral regur­gitation. N Engl J Med 2016; 374(4): 344-53<br /><strong>10</strong> Perceval sutureless implant versus standard-aortic valve replacement (PERSIST AVR), ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02673697<br /><strong>11</strong> Fractional Flow Reserve vs Angiography Randomization for Graft Optimization Trial (FARGO). ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02477371<br /><br /></p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
ESC gibt umfassende Empfehlung für den Sport
Seit wenigen Tagen ist die erste Leitlinie der ESC zu den Themen Sportkardiologie und Training für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen verfügbar. Sie empfiehlt Training für ...
ESC-Guideline zur Behandlung von Herzvitien bei Erwachsenen
Kinder, die mit kongenitalen Herzvitien geboren werden, erreichen mittlerweile zu mehr 90% das Erwachsenenalter. Mit dem Update ihrer Leitlinie zum Management kongenitaler Vitien bei ...
Inclisiran bei Patienten mit Statinintoleranz wirksam und sicher
Eine Analyse statinintoleranter Patienten aus dem Phase III Studienprogramm ORION zeigt, dass Inclisiran die LDL-Cholesterinspiegel kardiovaskulärer Hochrisikopatienten, die kein Statin ...