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STEMI : Die Uhr beginnt mit dem ersten EKG zu ticken

<p class="article-intro">Neuigkeiten auf dem Gebiet der interventionellen Kardiologie: Seit vergangenem Herbst gelten neue Empfehlungen der ESC zum Management des STEMI-ACS. Und die Ergebnisse der ORBITA-Studie werfen die Frage auf, ob eine Revaskularisation bei Patienten mit stabiler KHK überhaupt einen Vorteil bringt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Im Vergleich zu ihrem Vorg&auml;ngerdokument aus dem Jahr 2012 hat die neue ESC-Leitlinie zum Management des akuten Myokardinfarkts mit ST-Streckenhebung (STEMI) deutlich an Volumen zugelegt. Die Leitlinie umfasst mittlerweile auf 66 Seiten fast 500 Zitate.<sup>1</sup> &bdquo;Im Vergleich zu 2012 ist eine gro&szlig;e Menge an Studiendaten hinzugekommen und in die Empfehlungen eingeflossen&ldquo;, sagt Univ.- Prof. Dr. Bernhard Metzler von der Abteilung f&uuml;r Kardiologie an der Innsbrucker Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Innere Medizin und betont, dass es beim STEMI in aller Regel um den Typ-1-Herzinfarkt gehe, der durch eine Plaqueruptur mit Thrombus verursacht wird (w&auml;hrend ein Typ-2-Infarkt etwa durch einen Vasospasmus ausgel&ouml;st wird).<br /><br /> Die neue Leitlinie fasst den Zeitrahmen f&uuml;r Diagnose und Therapie enger. Eine Hebung der ST-Strecke sollte im Zentrum bereits innerhalb von zehn Minuten mittels EKG diagnostiziert werden. So schnell wie m&ouml;glich soll auch Blut abgenommen werden, obwohl, so Metzler, das Troponin f&uuml;r die STEMI-Diagnose nicht wichtig ist. Opiate zur Schmerzbehandlung sollten nur dann eingesetzt werden, wenn der Patient unter unertr&auml;glichen Schmerzen leidet. Der Nachteil der Opiate liegt, so Metzler, in der m&ouml;glichen Hemmung der Resorption oraler Medikamente, die beispielsweise die Anti-Pl&auml;ttchen-Therapie behindern kann.<br /><br /> Ein STEMI-Patient sollte, wenn m&ouml;glich, 24 Stunden auf einer Intensivstation verbringen. Eine Echokardiografie wird empfohlen, wenn sich der Patient im kardiogenen Schock befindet. Auf keinen Fall sollte die Echokardiografie den Weg ins Katheterlabor verz&ouml;gern. Metzler: &bdquo;Wenn die Diagnose STEMI feststeht, braucht der Patient keinen Ultraschall, sondern sollte so schnell wie m&ouml;glich behandelt werden. Auch ein CT wird ausdr&uuml;cklich nicht empfohlen. Das ist in dieser Situation v&ouml;llig sinnlos.&ldquo;</p> <h2>Reperfusion im Zentrum innerhalb einer Studie</h2> <p>Ge&auml;ndert haben sich auch die Zeitvorgaben. Diese werden nun beginnend mit der Diagnose einer Hebung der ST-Strecke im EKG gerechnet. Der Begriff der &bdquo;Door to balloon&ldquo;-Zeit ist damit obsolet. Die Behandlung der Wahl f&uuml;r den STEMI ist die perkutane Intervention (PCI). Nur wenn ein PCI-Zentrum nicht innerhalb von 120 Minuten erreicht werden kann, ist die Fibrinolyse als Reperfusionsstrategie indiziert, wobei laut aktueller Guideline zehn Minuten nach der STEMI-Diagnose mit der Lyse begonnen werden soll. Wie schnell die PCI erfolgen soll, richtet sich nach dem Zentrum. Erfolgt die Diagnose in einem PCI-Zentrum, soll die Reperfusion innerhalb von 60 Minuten nach der STEMI-Diagnose erfolgen. Bei Diagnose im Rettungswagen oder in einem Zentrum ohne Herzkatheter lautet die Zeitvorgabe 90 Minuten ab dem EKG. Eine Reperfusion ist innerhalb der ersten 12 Stunden nach einer STEMI-Diagnose in jedem Fall durchzuf&uuml;hren, auch wenn der Patient bereits beschwerdefrei ist. Vergehen allerdings 48 Stunden und mehr zwischen der Diagnose und einer Aufnahme im Zentrum, so soll das verschlossene Gef&auml;&szlig; nicht mehr interventionell angegangen werden.<br /><br /> Auch hinsichtlich des Prozederes der Katheterintervention gibt es neue Empfehlungen. So wird nun der radiale Zugang mit Klasse-1-Empfehlung empfohlen und es sollen &bdquo;drug-eluting stents&ldquo; statt &bdquo;bare metal stents&ldquo; zum Einsatz kommen. Das Aspirieren des Thrombus wird routinem&auml;&szlig;ig nicht mehr empfohlen, kann jedoch, so Metzler, in Einzelf&auml;llen bei hoher Thrombuslast eine gute und wichtige Ma&szlig;nahme sein. W&auml;hrend in der Guideline von 2012 lediglich empfohlen wurde, das vom Infarkt direkt betroffene Areal zu revaskularisieren, so er&ouml;ffnet die neue Leitlinie auch die Option der kompletten Revaskularisation. Metzler: &bdquo;Wir wissen, dass rund 50 Prozent der Patienten mit STEMI noch eine oder zwei wirksame L&auml;sionen aufweisen. Die neue Leitlinie sieht nun vor, dass man diese L&auml;sionen in derselben Sitzung oder zumindest vor Entlassung aus dem Krankenhaus beheben sollte.&ldquo;<br /><br /> Bei den Empfehlungen zum Medikamenteneinsatz gibt es keine Ver&auml;nderungen. Empfohlene Substanzen f&uuml;r die duale Anti-Pl&auml;ttchen-Therapie sind nach wie vor Aspirin, Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor. Loading ist wichtig, Metzler weist aber darauf hin, dass die Substanz, mit welcher geloadet wird, relativ beliebig ist: &bdquo;Wenn Sie als Notarzt nur Clopidogrel zur Verf&uuml;gung haben, dann loaden Sie mit Clopidogrel. Man kann sp&auml;ter jederzeit wieder auf einen potenteren Pl&auml;ttchenhemmer umloaden.&ldquo; Auch ein Umloading von Prasugrel oder Ticagrelor auf das konservativere Clopidogrel ist m&ouml;glich.<br /><br /> Nach einem STEMI ist die Einnahme von Aspirin lebenslang indiziert, die duale Pl&auml;ttchenhemmung sollte &uuml;ber 12 Monate erfolgen, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Eine Verl&auml;ngerung der dualen Anti-Pl&auml;ttchen-Therapie kann bei ausgew&auml;hlten Patienten sinnvoll sein. Bei bestimmten Patienten nach STEMI (beispielsweise bei Vorhofflimmern) kann orale Antikoagulation indiziert sein. Damit ergibt sich bei diesen Patienten eine Dreifachtherapie mit Aspirin, Clopidogrel und OAK, die jedoch aufgrund des hohen Blutungsrisikos nur f&uuml;r sechs Monate durchgef&uuml;hrt werden soll. Danach ist auf eine duale Therapie mit Clopidogrel und OAK umzustellen. Je nach Blutungsrisiko kann die Tripeltherapie auch nur f&uuml;r einen Monat oder gar nicht indiziert sein. Metzler verweist auch auf zwei rezente Studien, die sich in den kommenden Jahren als einflussreich f&uuml;r die Praxis erweisen k&ouml;nnten. In PEGASUS TIMI 54 wurde demonstriert, dass eine DAPT mit Aspirin und Ticagrelor &uuml;ber mehr als ein Jahr zu einer signifikanten Reduktion kardiovaskul&auml;rer Ereignisse f&uuml;hrt.<sup>2</sup> In ATLAS ACS2- TIMI 51 brachte orale Antikoagulation mit Rivaroxaban bei Patienten nach akutem Koronarsyndrom eine Reduktion der kardiovaskul&auml;ren Endpunkte.<sup>3</sup> Die Ergebnisse dieser Studien sind als &bdquo;Kann&ldquo;-Empfehlungen (IIb) in die aktuelle Leitlinie eingeflossen. Der Einsatz von Prasugrel oder Ticagrelor in Kombination mit Anti-Pl&auml;ttchen- Therapie wird nicht empfohlen. Ein klinischer DAPT-Score erm&ouml;glicht eine Absch&auml;tzung von Nutzen und Risiko einer verl&auml;ngerten dualen Anti-Pl&auml;ttchen-Therapie.<sup>4</sup></p> <h2>Wer braucht bei stabiler KHK den Herzkatheter?</h2> <p>W&auml;hrend nach einem STEMI das interventionelle Management der relevanten L&auml;sion Vorgehen der Wahl ist, liegen die Dinge im Fall der stabilen KHK komplizierter. Zumindest hat die ORBITA-Studie hier f&uuml;r einige Verwirrung gesorgt. ORBITA war die erste placebokontrollierte PCIStudie, es wurde also ein Teil der Studienpatienten verblindet einer Schein-PCI unterzogen. Hypothese dieser Studie war, dass eine PCI die Belastungszeit st&auml;rker verl&auml;ngert als die Scheinprozedur, prim&auml;rer Endpunkt war daher die Zunahme der Belastungszeit in den beiden Armen. Hinsichtlich dieses prim&auml;ren Endpunkts wurde in ORBITA keine signifikante Differenz zwischen PCI und Placebo-PCI gefunden.<sup>5</sup><br /><br /> Prim. Priv.-Doz. Dr. Hannes Alber von der Abteilung f&uuml;r Innere Medizin und Kardiologie am Klinikum Klagenfurt unterstreicht die hohe Zahl an Katheterinterventionen, die wegen stabiler KHK gegenw&auml;rtig vorgenommen werden. Angesichts der Daten aus ORBITA stelle sich die Frage, ob dieses Vorgehen sinnvoll und gerechtfertigt sei. In diesem Zusammenhang m&uuml;sse auch die COURAGE-Studie aus dem Jahr 2007 in Erinnerung gerufen werden, die keine Reduktion der Mortalit&auml;t oder der kardiovaskul&auml;ren Endpunkte durch PCI bei stabiler KHK fand.<sup>6</sup><br /><br /> Allerdings seien die Ergebnisse beider Studien, so Alber, mit einiger Vorsicht zu interpretieren. Dies beginnt bereits bei der Auswahl der Patienten. So wurden in COURAGE von mehr als 35 000 gescreenten Patienten letztlich nur 2287 (6,4 % ) in die randomisierte Phase der Studie aufgenommen. Alber verweist in diesem Zusammenhang auf eine Netzwerk-Metaanalyse, die bei stabiler KHK f&uuml;r die Bypasschirurgie im Vergleich zur rein medikament&ouml;sen Therapie einen Mortalit&auml;tsvorteil zeigte.<sup>7</sup> Dies sei im Zusammenhang mit der PCI insofern interessant, als es sich bei den Bypasspatienten um eine Patientengruppe mit ausgepr&auml;gter Isch&auml;mie handelt. Tats&auml;chlich zeigt auch eine Subgruppenanalyse der Patienten in COURAGE, dass die Ereignisrate &uuml;ber f&uuml;nf Jahre stark mit der Isch&auml;mielast bei Einschluss in die Studie korrelierte.<sup>8</sup> Hinzu kommt, dass diese Patienten zwischen 1999 und 2004 rekrutiert wurden, dass also zum allergr&ouml;&szlig;ten Teil &bdquo;bare metal stents&ldquo; zum Einsatz kamen, die heute nicht mehr empfohlen werden. Die zuvor erw&auml;hnte Netzwerk- Metaanalyse aus dem Jahr 2014 zeigt bei Einsatz der neueren Stents einen Mortalit&auml;tsvorteil durch die Intervention, bei &auml;lteren Stents jedoch nicht. Alber: &bdquo;Je moderner der Stent war, desto besser schnitten die Patienten ab.&ldquo;<br /><br /> Auch das Design von ORBITA bietet Angriffspunkte f&uuml;r Kritik. In den teilnehmenden Zentren wurde im Schnitt alle 1,3 Monate ein Patient eingeschlossen. Angesichts der hohen Patientenzahlen in diesen spezialisierten Zentren k&ouml;nne aus dieser langsamen Rekrutierung auf ein hohes Ma&szlig; an Patientenselektion geschlossen werden. Auch das kurze Follow-up von zweimal sechs Wochen sei nicht ideal. Druckdrahtuntersuchungen wurden zwar bei allen Patienten durchgef&uuml;hrt, flossen jedoch nicht in die Entscheidungen ein. Es sei angesichts der Daten davon auszugehen, dass fast ein Drittel der Patienten keine nachgewiesene Isch&auml;mie hatte. Alber: &bdquo;Wenn wir bei stabiler KHK intervenieren, dann m&uuml;ssen wir zuerst sicherstellen, dass &uuml;berhaupt eine Isch&auml;mie vorliegt.&ldquo; Dieser Ansatz wurde in der FAME- 2-Studie verfolgt. Diese zeigte, dass bei Patienten mit relevanter Stenose nach PCI die Ereignisrate vergleichbar war mit der bei Patienten ohne signifikante Stenose. Im Gegensatz dazu kommt es bei Patienten mit relevanter Stenose, die ausschlie&szlig;lich medikament&ouml;s behandelt werden, signifikant h&auml;ufiger zu kardiovaskul&auml;ren Ereignissen.<sup>9</sup> Alber: &bdquo;Wenn ich wirklich sicher bin, dass eine Stenose Isch&auml;mie erzeugt, dann ist die Revaskularisation die bessere Option.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 2. Hauptsitzung des 20. Kardiologie-Kongresses Innsbruck, 8. März 2018, Innsbruck </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ibanez B et al.: Eur Heart J 2018; 39(2): 119-77<strong> 2</strong> Bonaca MP et al.: N Engl J Med 2015; 372: 1791-800 <strong>3</strong> Mega JL et al.: N Engl J Med 2012; 366: 9-19 <strong>4</strong> Stefanescu Schmidt AC et al.: Circulation 2017; 135(18): 1720-32 <strong>5</strong> Al-Lamee R et al.: Lancet 2018; 391(10115): 31-40 6 Boden WE et al.: N Engl J Med 2007; 356(15): 1503-16 <strong>7</strong> Windecker S et al.: BMJ 2014; 348: g3859 <strong>8</strong> Shaw LJ et al.: Circulation 2008; 117(10): 1283-91 <strong>9</strong> Fearon WF et al.: Circulation 2018; 137(5): 480-7</p> </div> </p>
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