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STEMI : Die Uhr beginnt mit dem ersten EKG zu ticken
Jatros
30
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24.05.2018
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<p class="article-intro">Neuigkeiten auf dem Gebiet der interventionellen Kardiologie: Seit vergangenem Herbst gelten neue Empfehlungen der ESC zum Management des STEMI-ACS. Und die Ergebnisse der ORBITA-Studie werfen die Frage auf, ob eine Revaskularisation bei Patienten mit stabiler KHK überhaupt einen Vorteil bringt.</p>
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<p class="article-content"><p>Im Vergleich zu ihrem Vorgängerdokument aus dem Jahr 2012 hat die neue ESC-Leitlinie zum Management des akuten Myokardinfarkts mit ST-Streckenhebung (STEMI) deutlich an Volumen zugelegt. Die Leitlinie umfasst mittlerweile auf 66 Seiten fast 500 Zitate.<sup>1</sup> „Im Vergleich zu 2012 ist eine große Menge an Studiendaten hinzugekommen und in die Empfehlungen eingeflossen“, sagt Univ.- Prof. Dr. Bernhard Metzler von der Abteilung für Kardiologie an der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin und betont, dass es beim STEMI in aller Regel um den Typ-1-Herzinfarkt gehe, der durch eine Plaqueruptur mit Thrombus verursacht wird (während ein Typ-2-Infarkt etwa durch einen Vasospasmus ausgelöst wird).<br /><br /> Die neue Leitlinie fasst den Zeitrahmen für Diagnose und Therapie enger. Eine Hebung der ST-Strecke sollte im Zentrum bereits innerhalb von zehn Minuten mittels EKG diagnostiziert werden. So schnell wie möglich soll auch Blut abgenommen werden, obwohl, so Metzler, das Troponin für die STEMI-Diagnose nicht wichtig ist. Opiate zur Schmerzbehandlung sollten nur dann eingesetzt werden, wenn der Patient unter unerträglichen Schmerzen leidet. Der Nachteil der Opiate liegt, so Metzler, in der möglichen Hemmung der Resorption oraler Medikamente, die beispielsweise die Anti-Plättchen-Therapie behindern kann.<br /><br /> Ein STEMI-Patient sollte, wenn möglich, 24 Stunden auf einer Intensivstation verbringen. Eine Echokardiografie wird empfohlen, wenn sich der Patient im kardiogenen Schock befindet. Auf keinen Fall sollte die Echokardiografie den Weg ins Katheterlabor verzögern. Metzler: „Wenn die Diagnose STEMI feststeht, braucht der Patient keinen Ultraschall, sondern sollte so schnell wie möglich behandelt werden. Auch ein CT wird ausdrücklich nicht empfohlen. Das ist in dieser Situation völlig sinnlos.“</p> <h2>Reperfusion im Zentrum innerhalb einer Studie</h2> <p>Geändert haben sich auch die Zeitvorgaben. Diese werden nun beginnend mit der Diagnose einer Hebung der ST-Strecke im EKG gerechnet. Der Begriff der „Door to balloon“-Zeit ist damit obsolet. Die Behandlung der Wahl für den STEMI ist die perkutane Intervention (PCI). Nur wenn ein PCI-Zentrum nicht innerhalb von 120 Minuten erreicht werden kann, ist die Fibrinolyse als Reperfusionsstrategie indiziert, wobei laut aktueller Guideline zehn Minuten nach der STEMI-Diagnose mit der Lyse begonnen werden soll. Wie schnell die PCI erfolgen soll, richtet sich nach dem Zentrum. Erfolgt die Diagnose in einem PCI-Zentrum, soll die Reperfusion innerhalb von 60 Minuten nach der STEMI-Diagnose erfolgen. Bei Diagnose im Rettungswagen oder in einem Zentrum ohne Herzkatheter lautet die Zeitvorgabe 90 Minuten ab dem EKG. Eine Reperfusion ist innerhalb der ersten 12 Stunden nach einer STEMI-Diagnose in jedem Fall durchzuführen, auch wenn der Patient bereits beschwerdefrei ist. Vergehen allerdings 48 Stunden und mehr zwischen der Diagnose und einer Aufnahme im Zentrum, so soll das verschlossene Gefäß nicht mehr interventionell angegangen werden.<br /><br /> Auch hinsichtlich des Prozederes der Katheterintervention gibt es neue Empfehlungen. So wird nun der radiale Zugang mit Klasse-1-Empfehlung empfohlen und es sollen „drug-eluting stents“ statt „bare metal stents“ zum Einsatz kommen. Das Aspirieren des Thrombus wird routinemäßig nicht mehr empfohlen, kann jedoch, so Metzler, in Einzelfällen bei hoher Thrombuslast eine gute und wichtige Maßnahme sein. Während in der Guideline von 2012 lediglich empfohlen wurde, das vom Infarkt direkt betroffene Areal zu revaskularisieren, so eröffnet die neue Leitlinie auch die Option der kompletten Revaskularisation. Metzler: „Wir wissen, dass rund 50 Prozent der Patienten mit STEMI noch eine oder zwei wirksame Läsionen aufweisen. Die neue Leitlinie sieht nun vor, dass man diese Läsionen in derselben Sitzung oder zumindest vor Entlassung aus dem Krankenhaus beheben sollte.“<br /><br /> Bei den Empfehlungen zum Medikamenteneinsatz gibt es keine Veränderungen. Empfohlene Substanzen für die duale Anti-Plättchen-Therapie sind nach wie vor Aspirin, Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor. Loading ist wichtig, Metzler weist aber darauf hin, dass die Substanz, mit welcher geloadet wird, relativ beliebig ist: „Wenn Sie als Notarzt nur Clopidogrel zur Verfügung haben, dann loaden Sie mit Clopidogrel. Man kann später jederzeit wieder auf einen potenteren Plättchenhemmer umloaden.“ Auch ein Umloading von Prasugrel oder Ticagrelor auf das konservativere Clopidogrel ist möglich.<br /><br /> Nach einem STEMI ist die Einnahme von Aspirin lebenslang indiziert, die duale Plättchenhemmung sollte über 12 Monate erfolgen, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Eine Verlängerung der dualen Anti-Plättchen-Therapie kann bei ausgewählten Patienten sinnvoll sein. Bei bestimmten Patienten nach STEMI (beispielsweise bei Vorhofflimmern) kann orale Antikoagulation indiziert sein. Damit ergibt sich bei diesen Patienten eine Dreifachtherapie mit Aspirin, Clopidogrel und OAK, die jedoch aufgrund des hohen Blutungsrisikos nur für sechs Monate durchgeführt werden soll. Danach ist auf eine duale Therapie mit Clopidogrel und OAK umzustellen. Je nach Blutungsrisiko kann die Tripeltherapie auch nur für einen Monat oder gar nicht indiziert sein. Metzler verweist auch auf zwei rezente Studien, die sich in den kommenden Jahren als einflussreich für die Praxis erweisen könnten. In PEGASUS TIMI 54 wurde demonstriert, dass eine DAPT mit Aspirin und Ticagrelor über mehr als ein Jahr zu einer signifikanten Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse führt.<sup>2</sup> In ATLAS ACS2- TIMI 51 brachte orale Antikoagulation mit Rivaroxaban bei Patienten nach akutem Koronarsyndrom eine Reduktion der kardiovaskulären Endpunkte.<sup>3</sup> Die Ergebnisse dieser Studien sind als „Kann“-Empfehlungen (IIb) in die aktuelle Leitlinie eingeflossen. Der Einsatz von Prasugrel oder Ticagrelor in Kombination mit Anti-Plättchen- Therapie wird nicht empfohlen. Ein klinischer DAPT-Score ermöglicht eine Abschätzung von Nutzen und Risiko einer verlängerten dualen Anti-Plättchen-Therapie.<sup>4</sup></p> <h2>Wer braucht bei stabiler KHK den Herzkatheter?</h2> <p>Während nach einem STEMI das interventionelle Management der relevanten Läsion Vorgehen der Wahl ist, liegen die Dinge im Fall der stabilen KHK komplizierter. Zumindest hat die ORBITA-Studie hier für einige Verwirrung gesorgt. ORBITA war die erste placebokontrollierte PCIStudie, es wurde also ein Teil der Studienpatienten verblindet einer Schein-PCI unterzogen. Hypothese dieser Studie war, dass eine PCI die Belastungszeit stärker verlängert als die Scheinprozedur, primärer Endpunkt war daher die Zunahme der Belastungszeit in den beiden Armen. Hinsichtlich dieses primären Endpunkts wurde in ORBITA keine signifikante Differenz zwischen PCI und Placebo-PCI gefunden.<sup>5</sup><br /><br /> Prim. Priv.-Doz. Dr. Hannes Alber von der Abteilung für Innere Medizin und Kardiologie am Klinikum Klagenfurt unterstreicht die hohe Zahl an Katheterinterventionen, die wegen stabiler KHK gegenwärtig vorgenommen werden. Angesichts der Daten aus ORBITA stelle sich die Frage, ob dieses Vorgehen sinnvoll und gerechtfertigt sei. In diesem Zusammenhang müsse auch die COURAGE-Studie aus dem Jahr 2007 in Erinnerung gerufen werden, die keine Reduktion der Mortalität oder der kardiovaskulären Endpunkte durch PCI bei stabiler KHK fand.<sup>6</sup><br /><br /> Allerdings seien die Ergebnisse beider Studien, so Alber, mit einiger Vorsicht zu interpretieren. Dies beginnt bereits bei der Auswahl der Patienten. So wurden in COURAGE von mehr als 35 000 gescreenten Patienten letztlich nur 2287 (6,4 % ) in die randomisierte Phase der Studie aufgenommen. Alber verweist in diesem Zusammenhang auf eine Netzwerk-Metaanalyse, die bei stabiler KHK für die Bypasschirurgie im Vergleich zur rein medikamentösen Therapie einen Mortalitätsvorteil zeigte.<sup>7</sup> Dies sei im Zusammenhang mit der PCI insofern interessant, als es sich bei den Bypasspatienten um eine Patientengruppe mit ausgeprägter Ischämie handelt. Tatsächlich zeigt auch eine Subgruppenanalyse der Patienten in COURAGE, dass die Ereignisrate über fünf Jahre stark mit der Ischämielast bei Einschluss in die Studie korrelierte.<sup>8</sup> Hinzu kommt, dass diese Patienten zwischen 1999 und 2004 rekrutiert wurden, dass also zum allergrößten Teil „bare metal stents“ zum Einsatz kamen, die heute nicht mehr empfohlen werden. Die zuvor erwähnte Netzwerk- Metaanalyse aus dem Jahr 2014 zeigt bei Einsatz der neueren Stents einen Mortalitätsvorteil durch die Intervention, bei älteren Stents jedoch nicht. Alber: „Je moderner der Stent war, desto besser schnitten die Patienten ab.“<br /><br /> Auch das Design von ORBITA bietet Angriffspunkte für Kritik. In den teilnehmenden Zentren wurde im Schnitt alle 1,3 Monate ein Patient eingeschlossen. Angesichts der hohen Patientenzahlen in diesen spezialisierten Zentren könne aus dieser langsamen Rekrutierung auf ein hohes Maß an Patientenselektion geschlossen werden. Auch das kurze Follow-up von zweimal sechs Wochen sei nicht ideal. Druckdrahtuntersuchungen wurden zwar bei allen Patienten durchgeführt, flossen jedoch nicht in die Entscheidungen ein. Es sei angesichts der Daten davon auszugehen, dass fast ein Drittel der Patienten keine nachgewiesene Ischämie hatte. Alber: „Wenn wir bei stabiler KHK intervenieren, dann müssen wir zuerst sicherstellen, dass überhaupt eine Ischämie vorliegt.“ Dieser Ansatz wurde in der FAME- 2-Studie verfolgt. Diese zeigte, dass bei Patienten mit relevanter Stenose nach PCI die Ereignisrate vergleichbar war mit der bei Patienten ohne signifikante Stenose. Im Gegensatz dazu kommt es bei Patienten mit relevanter Stenose, die ausschließlich medikamentös behandelt werden, signifikant häufiger zu kardiovaskulären Ereignissen.<sup>9</sup> Alber: „Wenn ich wirklich sicher bin, dass eine Stenose Ischämie erzeugt, dann ist die Revaskularisation die bessere Option.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 2. Hauptsitzung des 20. Kardiologie-Kongresses Innsbruck,
8. März 2018, Innsbruck
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<p><strong>1</strong> Ibanez B et al.: Eur Heart J 2018; 39(2): 119-77<strong> 2</strong> Bonaca MP et al.: N Engl J Med 2015; 372: 1791-800 <strong>3</strong> Mega JL et al.: N Engl J Med 2012; 366: 9-19 <strong>4</strong> Stefanescu Schmidt AC et al.: Circulation 2017; 135(18): 1720-32 <strong>5</strong> Al-Lamee R et al.: Lancet 2018; 391(10115): 31-40 6 Boden WE et al.: N Engl J Med 2007; 356(15): 1503-16 <strong>7</strong> Windecker S et al.: BMJ 2014; 348: g3859 <strong>8</strong> Shaw LJ et al.: Circulation 2008; 117(10): 1283-91 <strong>9</strong> Fearon WF et al.: Circulation 2018; 137(5): 480-7</p>
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