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Spannende Abstracts vom ESC-Kongress 2017
Leading Opinions
Autor:
Reno Barth
Medizinjournalist
30
Min. Lesezeit
21.12.2017
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<p class="article-intro">Aus der am ESC-Kongress 2017 in Barcelona präsentierten Fülle an neuen Daten haben wir einige besonders interessante Abstracts für Sie zusammengestellt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Myokardinfarkt</h2> <p><strong>Sauerstoffgabe bei Infarkt infrage gestellt</strong><br /> Sauerstoff gehörte lange Zeit zur nicht hinterfragten Begleittherapie bei akutem Myokardinfarkt. Studiendaten, die dies begründen würden, gibt es aber nicht. Die DETO2X-AMI-Studie ist nun dieser Frage nachgegangen und hat in einer grossen multizentrischen und randomisierten Analyse mit 6629 Patienten keinerlei Vorteil für die Sauerstoffgabe zeigen können. So führte die Sauerstoffgabe mit offener Gesichtsmaske zu keiner signifikanten Änderung der 1-Jahres-Mortalität (5,0 % in der Sauerstoffgruppe und 5,1 % in der Kontrolle) und auch zu keiner Beeinflussung des sekundären Endpunkts, der Rehospitalisierung wegen Myokardinfarkts und kardiovaskulären Tod umfasste. Auf der Basis dieser grossen Real-World-Kohorte kann eine generelle Sauerstoffgabe bei Myokardinfarkt nicht mehr empfohlen werden. <em>Hofmann R et al.; DETO2X–SWEDEHEART Investigators: Oxygen therapy in suspected acute myocardial infarction. N Engl J Med 2017; 377: 1240-9 (ESC 2017: 3067)</em><br /><br /> <strong>DAPT-Preloading bei STEMI nicht unumstritten</strong><br /> Leitliniengerecht wurden Patienten mit STEMI bislang möglichst beim ersten medizinischen Kontakt neben dem Aspirin auch mit einer Loading-Gabe eines P2Y12- Hemmers behandelt. Eine retrospektive Analyse aus dem SCAAR-Register stellt dieses Vorgehen infrage. Für die 6964 der insgesamt 44 804 Patienten mit STEMI, die kein Preloading erhalten hatten, wurde weder ein Nachteil in der 30-Tages- Mortalität noch ein Unterschied in Bezug auf den initialen Gefässbefund, kardiogenen Schock sowie neurologische Komplikationen oder Blutungskomplikationen gefunden. Vor dem Hintergrund dieser Daten ist zumindest bei Patienten mit hoher Blutungsneigung das Preloading vor Kenntnis des Katheterbefundes und der definitiven Therapieentscheidung zu hinterfragen.<br /><em> Omerovic E et al.: Pretreatment with P2Y12 receptor antagonists is not associated with improved clinical outcomes in STEMI: a report from SCAAR. ESC 2917: 4971</em><br /><br /> <strong>Rückenwind für Lysetherapie?</strong><br /> Eine interessante kleinere Studie mit 350 Patienten hat die pharmakoinvasive Therapie aus Fibrinolyse und verzögerter PCI (3–24 Stunden) mit der möglichst frühzeitigen primären PCI verglichen. Alle Patienten hatten einen STEMI von weniger als 6 Stunden Dauer und eine erwartete Zeit bis zum Herzkatheter von >60 Minuten. Zur Fibrinolyse wurde die halbe übliche Dosierung für Alteplase gewählt. In diesem Vergleich zeigte sich, dass mit der pharmakoinvasiven Therapie eine verbesserte Myokardperfusion erreicht werden konnte. Allerdings war auch die Zahl von Blutungen signifikant erhöht, was jedoch nur auf eine Erhöhung der Zahl von «minor bleedings» zurückzuführen war.<br /><em> Pu J et al.; EARLY-MYO Investigators: Efficacy and safety of a pharmaco-invasive strategy with half-dose alteplase versus primary angioplasty in ST-segment-elevation myocardial infarction: EARLY-MYO trial (early routine catheterization after alteplase fibrinolysis versus primary PCI in acute ST-segment- elevation myocardial infarction). Circulation 2017; 136: 1462-73 (ESC 2017: 1918)</em></p> <h2>Lipidsenkende Therapie</h2> <p><strong>PCSK9-Inhibitoren erhöhen Diabetesrisiko nicht</strong><br /> PCSK9-Inhibitoren erhöhen das Risiko, an Diabetes zu erkranken, nicht. Das zeigt eine Metaanalyse, die Daten zu insgesamt mehr als 68 000 Patienten erfasst hat. Eine gewisse Sorge im Hinblick auf das Diabetesrisiko unter Therapie mit PCSK9-Inhibitoren hatte bestanden, weil einerseits LDL-C-Senkung mit Statinen zu einer leichten Erhöhung der Diabetesinzidenz führt, andererseits aber auch Mutationen des PCSK9-Gens mit Diabetes assoziiert sind. Auf Basis der Analyse von 20 klinischen Studien mit einer medianen Beobachtungsdauer von 48 Wochen kann nun Entwarnung gegeben werden. Im Vergleich zu Placebo stieg der Nüchternblutzucker unter Anti-PCSK9-Therapie um 2 % pro Jahr und das HbA1c um 0,05 % pro Jahr. Das relative Risiko der Inzidenz von Diabetes war nicht signifikant erhöht.<br /><em> Carvalho LSF et al.: Proprotein convertase subtilisin/kexin type 9 (PCSK9) inhibitors and incident type 2 diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis with over 10,000 patients. Eur Heart J 2017; 38(Suppl 1): 5966</em><br /><br /> <strong>Suboptimale Lipideinstellung bei Frauen</strong><br /> Frauen werden häufiger unzureichend gegen Dyslipidämie behandelt als Männer. Das zeigen die Ergebnisse der Dyslipidemia International Study (DYSIS), die in Europa, Kanada, Südafrika, dem Nahen Osten und China durchgeführt wurde und unter anderem der Frage nachging, in welchem Umfang der für Hochrisikopatienten empfohlene LDL-C-Zielwert von 1,8mmol/l im klinischen Alltag erreicht wird. Rund 40 % der in der Studie erfassten Personen waren Frauen. Im Vergleich zu den Männern hatten die teilnehmenden Frauen mehr Risikofaktoren, dabei jedoch seltener kardiovaskuläre Ereignisse in der Anamnese. Frauen wurden häufiger mit weniger wirksamen Statinen und niedrigeren Dosierungen behandelt. Das hatte Folgen: Nur 17,5 % der Frauen erreichten das LDL-C-Ziel von <1,8mmol/l – im Vergleich zu 24 % der Männer (p<0,001).<br /><em> Gitt AK et al.: Undertreatment of female patients in lipid-lowering for secondary prevention in Europe, Canada, South Africa, Middle East and China: results of the Dyslipidemia International Study (DYSIS). Eur Heart J 2017; 38(Suppl 1): P629</em></p> <h2>Vorhofflimmern</h2> <p><strong>Bessere Therapie, besserer Herzrhythmus</strong><br /> Die RACE-3-Studie zeigt, dass ein konsequentes Management bekannter Risikofaktoren bei Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern (VHF) auch die Rhythmuskontrolle verbessert. Die intensivierte Therapie («upstream therapy») bestand aus kardialer Rehabilitation, Mineralokortikoidrezeptor- Antagonisten, Statinen sowie ACE-Inhibitoren bzw. Angiotensinrezeptor- Blockern. Die intensivierte Therapie begann mindestens drei Wochen vor einer elektrischen Kardioversion und wurde für mindestens 12 Monate weitergeführt. Primärer Endpunkt war der Sinusrhythmus nach einem Jahr, diagnostiziert mit Holter-Monitoring über eine Woche. Nach einem Jahr waren in der intensiv therapierten Gruppe 89 von 119 (75 % ) Patienten im Sinusrhythmus, im Vergleich zu 79 von 126 (63 % ) Patienten in der Kontrollgruppe. Hinsichtlich des Bedarfs an antiarrhythmischen Medikamenten oder der Zahl der elektrischen Kardioversionen bestand kein Unterschied zwischen den Gruppen.<br /><em> van Gelder I: Routine versus aggressive upstream rhythm control for prevention of early atrial fibrillation in heart failure, the RACE 3 study. ESC 2017: 1145</em><br /><br /> <strong>Gute Daten für die Katheterablation</strong><br /> Die im Rahmen der Hotline des ESC 2017 vorgestellten Ergebnisse der prospektiven, randomisierten Studie CASTLE- AF zeigen die Überlegenheit der Katheterablation im Vergleich zu medikamentösen Massnahmen in der Therapie von VHF bei herzinsuffizienten Patienten. Die Ablation brachte eine geringere Gesamtsterblichkeit sowie eine Reduktion der Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz (kombinierter, primärer Endpunkt). In einem Kollektiv von Patienten mit einer linksventrikulären Auswurffraktion unter 35 % wurde durch die Ablation über eine mediane Beobachtungszeit von 37,8 Monaten im Hinblick auf den primären Endpunkt eine Risikoreduktion von 38 % erreicht (HR: 0,62; 95 % CI: 0,43–0,87; p=0,007). Auch im Hinblick auf die einzelnen Komponenten des kombinierten Endpunkts war die Ablation überlegen. Das Mortalitätsrisiko wurde um 47 % reduziert.<br /><em> Marrouche NF et al.: Catheter ablation versus standard conventional treatment in patients with left ventricular dysfunction and atrial fibrillation: the CASTLE-AF trial. ESC 2017: 1148</em><br /><br /> <strong>Verbesserte Diagnose von Vorhofflimmern</strong><br /> Die Studie REHEARSE-AF zeigt, dass EKG-Home-Monitoring durch Patienten in Kombination mit professioneller Analyse der Daten die Diagnose von VHF erleichtert. In die Studie eingeschlossen waren mehr als 1000 Personen mit Risikofaktoren für Schlaganfall. Patienten in der Interventionsgruppe nahmen zweimal täglich mithilfe eines mobilen Geräts ihr EKG auf und übertrugen es zur Auswertung an ein Kardiologenteam. Ergebnis: In der Interventionsgruppe wurden innerhalb von 12 Monaten 19 Fälle von VHF diagnostiziert, im Vergleich zu fünf Fällen in der Kontrollgruppe (HR: 3,9; 95 % CI: 1,4– 10,4; p=0,007).<br /><em> Halcox J et al.: Assessment of REmote HEArt Rhythm Sampling using the AliveCor heart monitor to scrEen for Atrial Fibrillation (the REHEARSE-AF study). ESC 2017: 4740</em><br /><br /> <strong>Prognose bei ischämischer Kardiomyopathie</strong><br /> GARFIELD-AF ist eine internationale, multizentrische Beobachtungsstudie zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit neu diagnostiziertem nvVHF. In einer neuen Analyse wurden nun Vergleichsdaten zu Patienten mit ischämischer versus Patienten mit nicht ischämischer Kardiomyopathie präsentiert. Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie machten insgesamt rund 30 % der analysierten Kohorte aus und waren häufiger in den NYHAKlassen III und IV (38,6 % vs. 28,8 % ), die Diagnosen erfolgten öfter im Spital und seltener bei niedergelassenen Ärzten. Sie erhielten häufiger Antiplättchentherapie, jedoch seltener eine Herzinsuffizienzmedikation verschrieben und hatten insgesamt eine schlechtere Prognose, sowohl im Hinblick auf die Gesamt- als auch auf die kardiovaskuläre Mortalität sowie auf neue Myokardinfarkte.<br /> <em>Corbalan R et al.: One-year clinical outcomes and management of patients with ischaemic vs non-ischaemic cardiomyopathy and newly diagnosed atrial fibrillation: results from GARFIELD-AF. Eur Heart J 2017; 38(Suppl 1): P3237</em></p> <h2>Herzklappenerkrankungen</h2> <p><strong>Gute Langzeitdaten für die TAVI</strong><br /> Die ersten, experimentellen Implantationen von Transkatheter-Aortenklappen in Menschen erfolgten im Jahr 2002. Aus den ersten mit TAVI befassten Zentren stehen daher mittlerweile 15-Jahres-Daten zur Verfügung. Im Rahmen des ESC 2017 wurden nun Langzeitergebnisse eines französischen Zentrums präsentiert. Ausgewertet wurden alle Patienten, die in den Jahren 2002 bis 2017 an diesem Zentrum eine TAVI erhalten hatten und damit in ein prospektives Register aufgenommen worden waren. Diese Daten zeigen nicht zuletzt, wie sehr die Methode in den vergangenen Jahren verbessert worden und in den Routinebetrieb gerückt ist. So lag die 30-Tages-Mortalität mit den ersten als «compassionate use» implantierten Klappen bei 22,1 % im Vergleich zu 2,2 % mit der seit 2014 verwendeten SAPIEN-3-Klappe (p<0,0001). Der Anteil des transfemoralen Zugangs stieg von 47 % auf 94,9 % (p<0,0001), die Komplikationsraten nahmen deutlich ab. Langzeitdaten zeigen keine Hinweise auf eingeschränkte Haltbarkeit der Klappen.<br /><em> Durand E et al.: Up to 10-years longterm durability after transcatheter aortic valve implantation using balloon-expandable transcatheter valves: experience from the pioneer center. Eur Heart J 2017; 38(Suppl 1): P460</em><br /><br /> <strong>KHK hat keinen Einfluss auf TAVI-Mortalität</strong><br /> Koronare Herzerkrankung beeinflusst das kurzfristige und langfristige Überleben von Patienten nach TAVI nicht. Das legen Daten aus dem FRANCE-2(«FRench Aortic National Core-Valve and Edwards»)- Register nahe. Auch die Zahl stenosierter Gefässe hatte über drei Jahre keinen Einfluss auf die Mortalität. Lediglich für die Stenose des Ramus interventricularis anterior wurde eine Assoziation mit Mortalität gefunden. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine systematische Revaskularisierung vor TAVI nicht indiziert erscheint.<br /><em> Didier R et al.: Impact of coronary artery disease in patients undergoing transcatheter aortic valve replacement: inside the FRANCE-2 registry. Eur Heart J 2017; 38(Suppl 1): P458</em><br /><br /> <strong>Wer soll einen MitraClip bekommen?</strong><br /> Die Auswahl von geeigneten Patienten für die MC-Prozedur bleibt eine grosse Herausforderung. Randomisierte, kontrollierte Studien zu Clip-Prozeduren bei Herzinsuffizienz und funktioneller Mitralinsuffizienz fehlen. Nun wurden in einer prospektiven Studie an Patienten mit Mitralinsuffizienz und stark reduzierter Linksventrikelfunktion mittels kardialer MRT die akuten und späten Veränderungen der rechten und linken Ventrikelfunktion erhoben. Die Studie zeigte, dass die Clips zwar die Regurgitation durch die Mitralklappe signifikant reduzieren, dass dies jedoch bei so ausgeprägt herzinsuffizienten Patienten keine Auswirkungen auf den Herzindex (Quotient aus dem Herzminutenvolumen und der Körperoberfläche) mehr hat. Damit konnte mittels MRT jedoch keine objektive Verbesserung festgestellt werden.<br /><em> Blazek S et al.: Acute and chronic remodeling after interventional edge-to-edge repair of mitral regurgitation using cardiac magnetic resonance imaging. Eur Heart J 2017; 38(Suppl 1): P1366<br /></em><br /> <strong>Clip-System für die Trikuspidalklappe</strong><br /> Die Insuffizienz der Trikuspidalklappe stellt nach wie vor ein ungelöstes Problem der Kardiologie dar. Zum ersten Mal wurde nun im Rahmen des ESC 2017 eine grosse Fallserie zur Reparatur der Trikuspidalklappe mit einem Clip-System vorgestellt. Die Eingriffe erfolgten isoliert oder in Kombination mit einem Mitralklappen- Repair. Der Zugang erfolgte über die rechte Vena femoralis. Nach sechs Monaten war das Ergebnis bei 19 von 23 Patienten stabil, was zu einer signifikanten Verbesserung der Herzinsuffizienz führte. Die Ergebnisse bedeuten Hoffnung für Patienten mit Trikuspidalklappeninsuffizienz und hohem Operationsrisiko. Fazit: Die Therapie mittels Clip-Systems ist möglich und sicher, viele Fragen bleiben aber natürlich noch offen.<br /><em> Hausleitner J et al.: Six-month results of transcatheter edge-to-edge repair of severe tricuspid regurgitation. Eur Heart J 2017; 38(Suppl 1): P3000</em></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: ESC-Kongress, 29.–31. August 2017, Barcelona
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