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Rationale Abklärung von Palpitationen
Jatros
Autor:
Dr. Robert Schönbauer
Abteilung für Kardiologie<br> Landesklinikum Baden-Mödling<br> E-Mail: robert.schoenbauer@moedling.lknoe.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Palpitationen haben eine sehr hohe Prävalenz und machen immerhin bis zu 16 % der allgemeinmedizinischen Konsultationen aus. Außerdem sind sie nach pektanginösen Beschwerden das zweithäufigste Symptom, weswegen ein Kardiologe aufgesucht wird. Aufgrund des Umfangs des Themas wird in diesem Artikel ausschließlich die konservative diagnostische Abklärung bei Palpitationen und nicht das weitere therapeutische Vorgehen der zugrunde liegenden Erkrankungen behandelt.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Genügend Zeit für die Anamnese nehmen.</li> <li>Grundlegende Beurteilung des 12-Kanal-Ruhe-EKGs.</li> <li>Zur Risikostratifizierung ist im begründeten Fall eine weitere Abklärung mittels Echokardiografie und Ergometrie sinnvoll.</li> <li>Unbedingt Symptom-EKG-Korrelation herstellen und hierfür das richtige Tool ­wählen.</li> </ul> </div> <h2>Definition</h2> <p>Von der Definition her sind Palpitationen das Wahrnehmen des eigenen Herzschlages. Dies kann als brady- oder ­tachykard, rhythmisch oder arrhythmisch oder aber auch als Herzstolpern geschildert werden. In Situationen mit deutlich erhöhtem Sympathotonus erlebt jeder Mensch Episoden von „Herzklopfen“. Diese situationsassoziierten „physiologischen“ Palpitationen müssen natürlich von den „nicht physiologischen“ Palpitationen unterschieden werden, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in vielen Fällen auch komplett situationsunabhängig („wie aus heiterem Himmel“) auftreten können.</p> <h2>Einteilung</h2> <p>Die Ursachen von nicht physiologischen Palpitationen können grob in vier Gruppen unterteilt werden (Tab. 1): kardial, psychosomatisch, medikamenten- oder drogenassoziiert, systemische Ursachen. Allerdings machten in einer prospektiven Studie, in der 190 Patienten eingeschlossen waren, die Arrhythmien mit 41 % sowie psychosomatische Ursachen (in erster Linie Angst- und Panik­attacken) mit 31 % zusammen fast drei Viertel aller Ursachen aus. Die Prognose war in dieser Untersuchung mit einer Einjahresmortalität von 1,6 % sehr gut, wobei man dies sicher nicht verallgemeinern kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1603_Weblinks_Seite47_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Arrhythmien vs. psychosomatische ­Ursachen</h2> <p>Im Rahmen von psychosomatischen Störungen kann es durch eine abnorme Steigerung des Sympathotonus auch zu Sinustachykardien kommen, welche dann als tachykarde Palpitationen wahrgenommen werden, oder aber auch dazu, dass der eigene Herzschlag generell sehr stark wahrgenommen wird. Daher lassen sich in bestimmten Fällen Panikattacken gar nicht so leicht von echten Herzrhythmusstörungen unterscheiden. In einer retrospektiven Analyse von 107 Patienten mit diagnostizierter supraventrikulärer Tachykardie (SVT) erfüllten immerhin 67 % nach DSM-IV die Diagnosekriterien einer Panikattacke. Bei 30 % ging der richtigen Diagnose der SVT zunächst die Fehldiagnose einer Panik-, Angst- oder Stress-assoziierten Sinustachykardie voraus. Einige eventuell hilfreiche anamnestische Unterscheidungsmerkmale gibt es aber doch. Bei der Panikattacke steht die Panik bzw. die Angst im Vordergrund und weniger die Tachykardie. Der Onset der Tachykardie ist nicht plötzlich und die Herzfrequenz rhythmisch und meist nicht so tachykard. Als weiteres Unterscheidungsmerkmal kann noch nachgefragt werden, was denn zuerst da war: die Panik oder das Herzrasen. Einige Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass nicht nur wie eben schon erwähnt Tachykardien Panikattacken-ähnliche Zustände verursachen können, sondern auch emotionaler Stress „echten“ Herzrhythmusstörungen zugrunde liegen kann.</p> <h2>Risikostratifizierung und ­weiterführende Diagnostik</h2> <p>Bevor man sich mit der exakten Diagno­sefindung auseinandersetzt, sollte zuallererst eine Risikostratifizierung stattfinden (Tab. 2). Als Marker für ein hohes Risiko gelten hier das Einhergehen der Palpitationen mit einer (Prä-)Synkope oder mit körperlicher Anstrengung; außerdem auch noch eine positive Familienanamnese bezüglich eines plötzlichen Herztodes und eine strukturelle Herzerkrankung, sodass in vielen Fällen die Durchführung einer Ergometrie und Echokardiografie sinnvoll ist. In bestimmten Fällen sollte auch die weitere Abklärung durch eine kardiale Magnet­resonanztomografie in Betracht gezogen werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die angedachte Diagnose eine strukturelle Herzerkrankung vermuten lässt, die Echokardiografie aber inkonklusiv geblieben ist (z.B. im Falle einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Dysplasie [ARVC]). Dies bringt uns schon zum nächsten Punkt in der Risikostratifizierung bzw. auch weiteren Diagnosefindung, nämlich zur sorgfältigen Evaluierung des 12-Kanal-Ruhe-EKGs. Hier können Auffälligkeiten eventuell auf die Genese der Palpitationen hindeuten, wie z.B. Vorhofflimmern, tiefe Qs als Hinweis auf Narben, Delta-Wellen, selten auch zeltförmige ST-Hebungen in V1/V2 (bei Verdacht auf Brugada-Syndrom) oder Epsilon-Welle in V1 und T-Inversionen bis V3 als Hinweis auf ARVC, um nur einige Beispiele zu nennen. Schließlich sollten noch der Onset, der Zustand während der Palpitationen und auch das Ende der Palpitationen anamnestisch genau evaluiert werden. Ein plötzlicher Onset, ein positives „frog sign“ sowie eine Terminierung unter Valsalvamanöver kann ein Hinweis auf eine AV-(nodale)-Reentrytachykardie sein. Arrhythmische Palpitationen können natürlich ein Hinweis auf ein Vorhofflimmern sein. Deutlicher Schwindel während der Arrhythmie kann als Hinweis auf hämodynamische Instabilität im Rahmen einer ventrikulären Tachykardie interpretiert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1603_Weblinks_Seite47_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Herstellung Symptom-EKG-Korrelation</h2> <p>Das exakte anamnestische Evaluieren der Gesamtsituation rund um das „Event“ der Palpitationen kann wie gesagt entscheidende Hinweise bieten. Um allerdings die richtige Diagnose abzusichern oder ihr zumindest einen entscheidenden Schritt näher zu kommen, ist es unumgänglich, eine Symptom-EKG-Korrelation herzustellen, das heißt, ein EKG aufzuzeichnen während des Symptoms der Palpitationen. Verschiedene Tools stehen uns hier zur Verfügung und auch hier hilft uns die Anamnese, das richtige auszuwählen. Bei relativer Oligosymptomatik und sporadischem Auftreten von länger andauernden Palpitationen kann auch die Empfehlung ausreichen, während der nächsten Episode eine Ambulanz aufzusuchen und ein EKG während bestehender Beschwerden anfertigen zu lassen. Bei nahezu täglichem Herzklopfen ist natürlich ein 24/(48)h-EKG sinnvoll. Treten die Symptome allerdings immer nur gelegentlich und über wenige Minuten auf, kann ein externer Event-Rekorder weiterhelfen, welchen der Patient währenddessen an die Brust halten und so ein EKG aufzeichnen kann. Sollten die Beschwerden mit hämodynamischer Instabilität oder gar einer Synkope einhergehen, so sollte an die Implantation eines Loop-Rekorders gedacht werden. Der Patient kann so nach der Synkope das aufgezeichnete EKG retrospektiv abspeichern.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Das Symptom der Palpitationen ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig eine sorgfältige und exakte Anamnese ist. Die weiterführende Diagnostik kann dadurch entscheidend und zielgerichtet beeinflusst und teure oder unnötige weitere Maßnahmen können vermieden werden (z.B. 24h-EKG bei maximal monatlich auftretenden Palpitationen). In immerhin fast der Hälfte der Fälle kann schon im Rahmen der Erstuntersuchung so die richtige Diagnose gestellt werden.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>• ACC/AHA clinical competence statement on electrocardiography and ambulatory electrocardiography. <br />A report of the ACC/AHA/ACP-ASIM Task Force on ­Clinical Competence (ACC/AHA Committee to Develop a Clinical Competence Statement on Electrocardiography and Ambulatory Electrocardiography). J Am Coll Cardiol 2001; 38: 2091-100<br />• Lessmeier et al: Unrecognized paroxysmal supra­ventricular tachycardia. Potential for misdiagnosis as panic disorder. Arch Intern Med (1997); 157: 537-43<br />• Raviele et al: Management of patients with palpitations. Europace 2011; 13: 920-934<br />• Wolff A et al: 10 steps before your refer for palpitations. Br J Cardiol 2009; 16: 182-6<br />• Weber BE et al: Am J Med 1996; 100: 138-48</p>
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