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Periphere arterielle Verschlusskrankheit – was ist neu?
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Marianne Brodmann
Klinische Abteilung für Angiologie<br> Universitätsklinik für innere Medizin<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: marianne.brodmann@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Das Update der ESC Guidelines<sup>1</sup> wurde 2017 erstmals zusammen mit der Fachgesellschaft der Europäischen Gefäßchirurgen verfasst. Somit konnte ein großer Konsensus in der Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) geschaffen werden. Im Folgenden möchte ich auf die in den neuen Richtlinien für die Praxis relevanten Punkte eingehen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Wenn wir von PAVK (PAD = „peripheral arterial disease“) sprechen, beziehen sich die Richtlinien wie schon zuvor (2011) auf alle Gefäßgebiete, die nicht intrazerebral oder koronar sind oder die Aorta umfassen. Wenn möglich soll ein multidisziplinärer Ansatz in der Diagnostik und Therapie gewählt werden. In Gefäßzentren sollte ein multidisziplinäres Team den jeweiligen Patienten betreuen.</p> <h2>Neue Ansätze und Änderungen pro Gefäßgebiet</h2> <p><strong>Carotisstromgebiet</strong><br /> Als Carotisstenose wird eine Lumeneinengung >50 % bezeichnet. Für die Diagnostik ist nach wie vor die Duplexsonografie mit Bestimmung des Stenosegrades nach den NASCET-Kriterien das diagnostische Verfahren der 1. Wahl. Weitere diagnostische Maßnahmen (CTA/MRA oder Angiografie) sind nur indiziert, wenn eine Sanierung der Stenose angedacht wird. Unabhängig von der Symptomatik ist bei einer Carotisstenose >50 % die Einleitung einer Monotherapie mit einem Plättchenaggregationshemmer indiziert, aufgrund des hohen konkordanten kardiovaskulären Risikos.<br /> Hinsichtlich der Sanierung der Carotisstenose wurde die Unterscheidung nach Symptomen gewählt:</p> <ol style="list-style-type: lower-latin;"> <li>Eine asymptomatische Stenose mit einem Stenosegrad >60 % und geringem Gesamtrisiko des Patienten kann vorzugsweise chirurgisch saniert werden; ist das Team in endovaskulären EIngriffen erfahren, auch mittels Stenting.</li> <li>Ist die Stenose symptomatisch (Symptome <6 Monate, Stenosegrad >50 % ), sollte möglichst rasch eine Sanierung angestrebt werden, auch hier wiederum vorzugsweise chirurgisch; ist das Team in endovaskulären Eingriffen erfahren, auch mittels Stenting. Wenn der Patient ein hohes Operationsrisiko hat, ist der endovaskulären Behandlung der Vorzug zu geben.</li> <li>Eine prophylaktische Behandlung vor aortokoronarer Bypassoperation ist nicht indiziert.</li> </ol> <p><strong>Nierenarterienstenose (NAST)</strong> <br />Ein Screening auf Nierenarterienstenose ist generell nicht nötig, sie hat praktisch keinen Einfluss auf die Therapie. Ein Screening hinsichtlich NAST ist nur dann indiziert, wenn ein arterieller Hypertonus vor dem 30. Lebensjahr oder rezidivierende hypertensive Krisen mit Lungenödem auftreten oder ein therapierefraktärer Hypertonus besteht. Die Diagnosemethode der Wahl ist die Duplexsonografie, eine Nierenszintigrafie ist aufgrund der geringen Aussagekraft nicht mehr indiziert. Sollte eine NAST diagnostiziert werden, ist eine endovaskuläre Therapie nur im Falle einer fibromuskulären Hyperplasie indiziert, im Falle einer arteriosklerotischen NAST nur bei rezidivierenden schweren Hypertoniekrisen. In diesem Falle ist ein Stenting der NAST möglich. Die weit verbreitete generelle Therapie einer Nierenarterienstenose mittels Stent ist somit kontraindiziert, da kein therapeutischer Benefit zu erwarten ist. <br /><br /><strong>LEAD (AVK der unteren Extremitätenarterien)</strong><br /> Für den Bereich unteren Extremitätenarterien (LEAD, „lower extremity arterial disease“) wurden 3 neue Konzepte geschaffen:</p> <ol style="list-style-type: lower-latin;"> <li>Die gültigen Einteilungskriterien nach Symptomatik (Rutherford/Fontaine) bleiben bestehen, aber es wurde die Klassifikation „masked LEAD“ etabliert. Damit wird die Tatsache bezeichnet, dass es asymptomatische Patienten gibt, die fälschlicherweise als asymptomatisch gelten, weil sie aufgrund ihres Allgemeinzustandes nie ihre Symptome spüren (geriatrische Patienten, Patienten mit Neuropathie, …). Diese Patienten haben aber das gleiche kardiovaskuläre Risiko wie Patienten mit Claudicatio intermittens.</li> <li>Bei Patienten mit Claudicatio intermittens wurde festgelegt, dass prinzipiell für einen Zeitraum von 3 Monaten ein Gehtraining und eine optimale medikamentöse Therapie eingeleitet werden sollen und im Falle einer dann noch vorhandenen, für den Patienten Lebensstil- limitierenden Claudicatio intermittens eine gefäßerweiternde Therapie durchzuführen ist. Die Begrenzung der Gehstrecke mit 200m ist somit obsolet. Die Therapie sollte bevorzugt endovaskulär sein. Des Weiteren wurden die TASC-Kriterien, die Verschlusslängen oder Stenosegrade bezeichnen, ebenfalls abgeschafft und es wurde eine Einteilung in kurze oder lange Läsionen gewählt. Für den Bereich der Beckengefäße gilt ein Cut-off von 5cm, im Bereich der Oberschenkelarterien von 25cm.</li> <li>Ein weiterer neuer Terminus betrifft die kritische Extremitätenischämie, die nun als CLTI („critical limb threatening ischemia“) bezeichnet wird. Zur besseren Quantifizierung der Bedrohung der Extremität wird der WIFI-Score gewählt, in diesem fließen hämodynamische Parameter (Doppler-Index), Wundverhältnisse und der Grad der Infektion zusammen. Der Doppler-Index alleine gilt somit nicht mehr zur Bestimmung des Risikos des Grades der Ischämie bei bedrohter Extremität. Jeder Patient mit einer CLTI muss rasch revaskularisiert werden, bevorzugt endovaskulär. Die Abklärung der Gefäßsituation muss mittels Angiografie in Interventionsbereitschaft durchgeführt werden. Eine Amputation ohne vorherige Abklärung durch einen Angiologen oder Gefäßchirurgen ist obsolet und kontraindiziert.</li> </ol> <h2>Antithrombotische Therapie</h2> <p>Ein neues Kapitel und eigenständig ist der Bereich der antithrombotischen Therapie bezogen auf das jeweilige Gefäßstromgebiet. Da im Bereich der einzelnen Gefäßstromgebiete unterschiedliche Evidenz hinsichtlich der antithrombotischen Therapieoptionen besteht, wurde hier für das Karotisstromgebiet sowie für den Bereich LEAD und für Patienten mit einer zwingenden Indikation für eine orale Antikoagulation (Vorhofflimmern) ein Entscheidungsalgorithmus festgelegt (Abb. 1–3).</p> <ol style="list-style-type: lower-latin;"> <li>Die Initiierung einer antithrombotischen Therapie mit Thrombozytenfunktionshemmern sollte sehr genau abgewogen werden, sie kann bei asymptomtischen Patienten nicht generell indiziert werden, da auch bei Monotherapie das Blutungsrisiko relevant erhöht ist. Wenn eine Therapie indiziert wird, dann sollte sie bevorzugt mit Clopidogrel durchgeführt werden.</li> <li>Eine duale Therapie mit Aspirin und Clopidogrel sollte generell nach endovaskulärer Therapie nur für 1 Monat indiziert werden, außer es werden spezielle Therapieverfahren angewandt. Nach chirurgischen Eingriffen ist eine Monotherapie indiziert.</li> <li>Sollte der Patient Vorhofflimmern aufweisen, ist bei stabilen Patienten ohne rezente endovaskuläre Therapien oder chirurgische Sanierungen eine orale Antikoagulation indiziert. Wird der Patient mit einem NOAC therapiert, ist diese Therapie weiterzuführen. Eine additive thrombozytenfunktionshemmende Therapie ist vom Blutungsrisiko abhängig.</li> </ol> <p>Diese kurze Aufstellung ist, wie in der Einleitung erwähnt, nur ein Auszug aus den neu adaptierten Richtlinien für die Diagnostik und Therapie der PAVK. Nachzulesen sind die vollständigen Richtlinien auf der Homepage der ESC: www.escardio.org</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1803_Weblinks_s18_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1360" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1803_Weblinks_s18_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="1473" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1803_Weblinks_s18_abb3.jpg" alt="" width="1417" height="1310" /></p></p>
<p class="article-footer">
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<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Aboyans V et al.; for the ESC Scientific Document Group: 2017 ESC Guidelines on the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases, in collaboration with the European Society for Vascular Surgery (ESVS): Document covering atherosclerotic disease of extracranial carotid and vertebral, mesenteric, renal, upper and lower extremity arteries. Endorsed by: the European Stroke Organization (ESO), The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases of the European Society of Cardiology (ESC) and of the European Society for Vascular Surgery (ESVS). Eur Heart J 2018; 39(9): 763-816. doi: 10.1093/eurheartj/ehx095</p>
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