
Neuigkeiten in der Diagnostik der stabilen koronaren Herzkrankheit
Autoren:
Dr. med. Panagiotis Antiochos
Dr. med. Pierre Monney
Département Cœur-Vaisseaux,
Division de Cardiologie
Centre hospitalier universitaire vaudois, CHUV
Lausanne
E-Mail: panagiotis.antiochos@chuv.ch
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Die Diagnostik der stabilen koronaren Herzkrankheit (KHK) umfasst insgesamt sechs Schritte. Die neuen Empfehlungen für das Management der stabilen KHK beinhalten Neuerungen bei den Schritten 4 und 5, d.h. bei der Beurteilung der klinischen (Vortest-)Wahrscheinlichkeit einer stabilen KHK sowie der Wahl der am besten geeigneten diagnostischen Verfahren.
Die diagnostische Strategie bei Verdacht auf stabile koronare Herzkrankheit (KHK) wurde in den neuesten Empfehlungen der European Society of Cardiology (ESC) sowie des American College of Cardiology (ACC) überarbeitet.1,2 Zusammengefasst beinhaltet die Diagnostik insgesamt sechs Schritte (Abb. 1):
Abb. 1: Strategie für die Erstdiagnostik bei Patienten mit Verdacht auf koronare Herzkrankheit (KHK)
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Schritt 1: rasche Identifikation von Patienten mit instabiler Angina pectoris (AP) oder akutem Koronarsyndrom (ACS), da diese umgehend im Spital versorgt werden müssen;
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Schritt 2: Beurteilung des Allgemeinzustands (AZ), der Komorbiditäten und der Lebensqualität des Patienten;
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Schritt 3: Basisdiagnostik mit Laboruntersuchungen, Ruhe-EKG und echokardiografischer Beurteilung der linksventrikulären (LV) Funktion;
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Schritt 4: Abschätzen der klinischen Wahrscheinlichkeit einer obstruktiven stabilen KHK;
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Schritt 5: Durchführen geeigneter Untersuchungen zur Bestätigung der Diagnose;
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Schritt 6: falls sich die Diagnose stabile KHK bestätigt, Berechnung des individuellen Risikos des Patienten, um die optimale Therapiestrategie (medikamentöse Therapie +/– Myokardrevaskularisation) zu definieren.
Im Vergleich zu den vorherigen Empfehlungen betreffen die Neuerungen bei der Diagnostik der stabilen KHK vor allem die Schritte 4 und 5, d.h. die Beurteilung der klinischen Wahrscheinlichkeit (Vortestwahrscheinlichkeit, VTW) einer stabilen KHK sowie die Wahl der am besten geeigneten diagnostischen Verfahren.
Schritte 1–3: Beurteilung der Symptome und Basisuntersuchungen
Eine sorgfältige Anamnese bildet den Grundstein der AP-Diagnostik (Schritt 1). Die Anamnese muss sämtliche kardiovaskulären (CV) Manifestationen umfassen und sich besonders auf die CV Risikofaktoren konzentrieren, d.h. Familienanamnese, Dyslipidämie, Diabetes, Hypertonie, Tabakkonsum und weitere Faktoren im Zusammenhang mit der Lebensweise wie etwa Adipositas oder Bewegungsmangel.
Die klinische Charakterisierung der anginösen Symptome erfolgt anhand dreier einfacher Kriterien: 1) mit einem Enge-/Druckgefühl einhergehende Brustschmerzen oder Schmerzen, die in Hals, Kiefer, Schulter oder Arm ausstrahlen; 2) Verstärkung der Schmerzen bei körperlicher Anstrengung oder Stress; 3) rasche Schmerzlinderung durch Ruhe oder Einnahme von Nitraten. Bei typischer AP sind alle 3 Kriterien erfüllt, bei atypischer AP nur 2. Wenn nur eines der Kriterien erfüllt ist, werden die Schmerzen als «nichtanginös» bezeichnet. Diese Klassifikation ist – trotz ihres subjektiven Charakters – in der Praxis einfach anwendbar und hat sich bei der Stratifikation der Vortestwahrscheinlichkeit einer obstruktiven stabilen KHK als effektiv erwiesen.3
Bevor eine diagnostische Untersuchung veranlasst wird, ist es wichtig, den AZ des Patienten, seine Komorbiditäten und seine Lebenserwartung zu beurteilen (Schritt2). Wenn eine Revaskularisation von vornherein als inakzeptabel eingestuft wird, da sie angesichts der Schwere der Komorbiditäten zu aggressiv wäre, stellt eine einfache probatorische Behandlung mit einem antianginösen Medikament mitunter die beste Strategie zur Symptomkontrolle dar, auch wenn formal keine Diagnose einer stabilen KHK gestellt wurde.
Die Basisdiagnostik (Schritt 3) umfasst bei den meisten Patienten mit Verdacht auf stabile KHK: 1) Blutuntersuchungen, 2) ein Ruhe-EKG, 3) eine Echokardiografie und – bei ausgewählten Patienten – 4) ein Thoraxröntgen. An Laboruntersuchungen sehen die neuen Empfehlungen ein grosses Blutbild, die Bestimmung von Nüchternblutzucker und HbA1c, ein vollständiges Lipidprofil und die Kontrolle der Nieren- und Schilddrüsenfunktion vor. Das Troponin wird nur bei klinischem Verdacht auf ACS bestimmt (vgl. Schritt 1). Das Ruhe-EKG ist als Untersuchung unverzichtbar, um Anzeichen einer akuten Ischämie auszuschliessen, die auf ein ACS hindeuten (vgl. Schritt 1). Ergänzend zum EKG wird eine Echokardiografie empfohlen, die wichtige Informationen über Funktion und Anatomie des Herzens liefert. Die LVEF ist bei Patienten mit stabiler KHK zwar meist normal, eine eingeschränkte LV Funktion und/oder regionale Kinetikstörungen deuten jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine schwere stabile KHK hin.
Schritt 4: Beurteilung der Vortestwahrscheinlichkeit einer stabilen KHK
Es muss betont werden, dass die diagnostische Genauigkeit der verschiedenen verfügbaren Untersuchungsverfahren stark von der Prävalenz der Erkrankung in der untersuchten Population, d.h. der VTW einer stabilen KHK des jeweiligen Patienten, abhängt. Bei Patienten mit VTW im Randbereich (d.h. entweder mit einer sehr niedrigen oder sehr hohen Wahrscheinlichkeit basierend auf den klinischen Merkmalen) ist es deshalb sinnvoll, auf weitere diagnostische Untersuchungen zu verzichten, die die ursprüngliche Wahrscheinlichkeit nur marginal verändern würden, und stattdessen allein anhand der klinischen Untersuchung über die Behandlung zu entscheiden.
In der Praxis wird die VTW einer obstruktiven stabilen KHK anhand von Alter, Geschlecht und Symptomatik geschätzt (Abb. 2). Bei Patienten mit einer VTW <5% ist die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung so gering, dass diagnostische Untersuchungen grundsätzlich nicht empfohlen werden und nach einer anderen, nichtkardialen Ursache gesucht werden sollte. Umgekehrt ist es bei Patienten mit hoher VTW einer obstruktiven stabilen KHK – insbesondere bei Symptomen, die nicht auf die medikamentöse Therapie ansprechen, oder typischer AP, die bereits bei geringer Anstrengung auftritt – sinnvoll, direkt mit einer Koronarangiografie fortzufahren, ohne zuvor weitere nichtinvasive diagnostische Untersuchungen durchzuführen.
Abb. 2: Oben: tabellarische Übersicht über die Vortestwahrscheinlichkeit (VTW) einer obstruktiven stabilen KHK je nach Alter, Geschlecht und kardialen Symptomen. Blau: geringe Wahrscheinlichkeit (VTW <5%); Untersuchung zur Diagnose einer stabilen KHK nicht indiziert. Rot: Wahrscheinlichkeit im niedrigen intermediären Bereich (VTW 5–15%); bildgebendes Verfahren in Betracht ziehen. Schwarz: Wahrscheinlichkeit im hohen intermediären Bereich (VTW >15%); bildgebendes Verfahren empfohlen. Unten: Definition des erhöhten Risikos von CV Ereignissen für verschiedene Verfahren zur Diagnose einer stabilen KHK
Der Nutzen der nichtinvasiven Diagnostik ist somit am höchsten, wenn die VTW einer stabilen KHK im intermediären Bereich liegt. Bei einer VTW >15% ist die Durchführung einer diagnostischen Untersuchung klar indiziert, um eine obstruktive stabile KHK als Ursache der Symptome zu bestätigen oder auszuschliessen. Bei einer VTW von 5–15% ist die Durchführung einer Untersuchung in den meisten Fällen immer noch gerechtfertigt; es ist jedoch wichtig, in dieser Situation weitere Parameter zu berücksichtigen, wie das Bestehen von CV Risikofaktoren, ein unauffälliges Ruhe-EKG, die globale und regionale systolische LV Funktion, die Ergebnisse eines Belastungs-EKGs sowie den mittels CT ermittelten koronaren Calcium-Score. So kann es in Fällen, in denen all diese Basisparameter normal sind und die klinische Beurteilung ebenfalls gegen eine stabile KHK spricht, zulässig sein, die Schätzung der VTW nach unten zu korrigieren und zunächst auf die Durchführung kostenintensiverer Untersuchungen zu verzichten. Insbesondere eine fehlende Kalzifikation der Koronararterien (Agatston-Score = 0) ist mit einer niedrigen Prävalenz einer obstruktiven stabilen KHK (<5%) und einem geringen Risiko für Mortalität oder nicht letalen Myokardinfarkt (<1%/Jahr) assoziiert.
Schritte 5–6: Auswahl geeigneter diagnostischer Verfahren und Prognose nach der Diagnostik
In Situationen, in denen das Risiko als «intermediär» eingestuft wird, wird eine nichtinvasive diagnostische Untersuchung empfohlen. In diesem Kontext haben sich mehrere bildgebende Verfahren als sehr nützlich erwiesen. Diese lassen sich in zwei Kategorien einteilen: 1) funktionelle bildgebende Verfahren, die eine allfällige Myokardischämie nachweisen (Stress-Echokardiografie, Stress-MRT des Herzens, Stress-PET), und 2) anatomische bildgebende Verfahren zur Untersuchung der Koronararterien mittels Koronar-CT.
In diesem Zusammenhang ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass sich das Belastungs-EKG in klinischen Studien, in denen die diagnostische Genauigkeit des Belastungs-EKGs mit der bildgebender Verfahren verglichen wurde, im Hinblick auf die Bestätigung («rule-in») und den Ausschluss («rule-out») einer obstruktiven stabilen KHK als ungenau erwiesen hat. Entsprechend empfehlen die Experten bei Verdacht auf stabile KHK nun offiziell eine bildgebende Untersuchung anstelle des Belastungs-EKGs, auch wenn Letzteres bei dieser Indikation bisher die Untersuchung der Wahl war. Wie bereits erwähnt, ist das Belastungs-EKG bei geringer Wahrscheinlichkeit einer stabilen KHK (VTW von 5–15%) jedoch weiterhin bis zu einem gewissen Grad von Nutzen, um das geschätzte Risiko zu modifizieren. Ausserdem ist es nach wie vor nützlich, um die Reproduzierbarkeit der unter Belastung auftretenden Symptome zu dokumentieren, die körperliche Leistungsfähigkeit und das Blutdruckprofil unter Belastung zu beurteilen und unter Belastung auftretende Arrhythmien nachzuweisen.
Die Koronar-CT bietet die Möglichkeit einer nichtinvasiven anatomischen Untersuchung durch direkte Darstellung der Koronararterien (Lumen und Wand) nach i.v. Injektion eines jodhaltigen Kontrastmittels. Diese Untersuchung, deren Qualität am besten ist, wenn sie bei regelmässigem, leicht bradykardem Herzrhythmus durchgeführt wird, kann mit hoher Sensitivität eine relevante (obstruktive) stabile KHK, aber auch das Bestehen einer subklinischen (nicht obstruktiven) Atherosklerose der Koronararterien nachweisen. Durch ihre hohe Sensitivität bietet sie einen sehr guten negativen prädiktiven Wert und stellt deshalb bei Patienten mit geringer klinischer Wahrscheinlichkeit einer stabilen KHK ohne koronare Vorerkrankungen die Untersuchung der Wahl dar (Abb. 1). Die Möglichkeit, nicht obstruktive atherosklerotische Plaques nachzuweisen, kann zudem auch bei der Definition der kardiovaskulären Präventionsstrategie helfen.6
Mithilfe der nichtinvasiven funktionellen Bildgebungsverfahren (Stress-Echokardiografie, Stress-MRT des Herzens, Stress-PET) wiederum können Anzeichen einer Myokardischämie unter körperlicher oder pharmakologischer Belastung erkannt werden. Die Ischämie lässt sich dabei durch Erhöhung des Sauerstoffbedarfs des Herzens (z.B. körperliche Anstrengung, Stimulation durch Dobutamin) oder maximale Dilatation der Gefässe der koronaren Mikrozirkulation (z.B. durch Adenosin-Infusion) provozieren. Im Gegensatz zur Koronar-CT werden die nichtinvasiven funktionellen Verfahren in erster Linie bei Patienten mit höherer VTW empfohlen, da eine obstruktive stabile KHK damit sowohl sehr gut bestätigt als auch ausgeschlossen werden kann. Erste Wahl sind sie auch bei Patienten mit bereits bekannter stabiler KHK oder Myokardrevaskularisation, da die Koronar-CT in diesen Situationen eine weniger hohe Genauigkeit zeigt. All diese funktionellen Verfahren haben ihre diagnostische Genauigkeit im Vergleich zur invasiven Messung der FFR («Fractional Flow Reserve») erwiesen.7
Auch wenn bei niedrigerer VTW eher die Koronar-CT und bei höherer VTW die Stress-Bildgebung bevorzugt wird, hängt die Wahl des optimalen nichtinvasiven Untersuchungsverfahrens für einen konkreten Patienten von dessen individuellen Merkmalen, der Kompetenz und der Verfügbarkeit der verschiedenen Verfahren vor Ort ab. Eine erhöhte Herzfrequenz und/oder ausgedehnte Kalzifikationen der Koronararterien oder Koronarstents reduzieren beispielsweise die diagnostische Genauigkeit der Koronar-CT, haben jedoch keine Auswirkungen auf die Genauigkeit einer Stress-PET oder -MRT. Bei jungen Patienten wiederum sollte die mit einer Koronar-CT-Angiografie oder mit nuklearmedizinischen Verfahren verbundene Strahlenbelastung möglichst vermieden und stattdessen eine Stress-MRT durchgeführt werden. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die Wahl des Verfahrens auf einer Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses für den einzelnen Patienten basieren muss und nicht gezögert werden sollte, Spezialisten im Bereich der kardialen Bildgebung zu konsultieren, um das am besten geeignete Verfahren auszuwählen.
Als letzter Schritt wird bei jedem Patienten, bei dem ein diagnostisches Verfahren durchgeführt wurde, eine Beurteilung des Risikos von CV Ereignissen empfohlen (Abb. 2). War die Untersuchung ohne Befund, ist das Risiko von Ereignissen gering (Risiko von CV Mortalität oder Myokardinfarkt <1%/Jahr). Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungsverfahren, die mit einem erhöhten Risiko von CV Ereignissen verbunden sind, sind in Abbildung 2 dargestellt. Bei Patienten, die diese Kriterien erfüllen, ist von einem hohen Risiko von Ereignissen auszugehen, sodass neben einer optimalen medikamentösen Therapie auch eine Myokardrevaskularisation erwogen werden sollte.
Literatur:
1 Knuuti J et al.: Eur Heart J 2019; 41: 407-77 2 Gulati M et al.: Circulation 2021; 144: e368-e454 3 Genders TS et al.: BMJ 2012; 344: e3485 4 Juarez-Orozco LE et al.: Eur Heart J Cardiovasc Imaging 2019; 20: 1198-207 5 Douglas PS et al.: N Engl J Med 2015; 372: 1291-300 6 SCOT-HEART Investigators; Newby DE et al.: N Engl J Med 2018; 379: 924-33 7 Nagel E et al.: N Engl J Med 2019; 380: 2418-28
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