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MUW startet kardiale Stammzelltherapie an Patienten
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Mariann Gyöngyösi
Innere Medizin II – Kardiologie<br> Medizinische Universität Wien
Autor:
Dr. med. univ. Denise Traxler
Innere Medizin II – Kardiologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: denise.traxler-weidenauer@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
01.03.2018
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<p class="article-intro">Die Zahl der Patienten, welche infolge eines Myokardinfarktes an einer chronisch ischämischen Herzinsuffizienz leiden und trotz Ausschöpfung aller etablierten evidenzbasierten Therapiemöglichkeiten weiterhin symptomatisch sind, steigt konstant. An der Medizinischen Universität Wien wurde zu Beginn des Jahres 2017 eine neue kardiale Regenerationstherapie (SCIENCE-Studie) für dieses Patientenkollektiv gestartet.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li><span xml:lang="de-DE">Die Zahl von Patienten mit einer chronisch ­ischämischen Kardio</span><span xml:lang="de-DE">myopathie, die trotz bestmöglicher</span><span xml:lang="de-DE">evidenzbasierter Therapiekonzep­</span><span xml:lang="de-DE">te noch symptomatisch sind, steigt.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Die kardiale Regenerations­therapie mit Stammzellen hat ­bereits im chronischen Setting (z.B. ­ischämische Kardio­­myopathie) einen positiven Effekt auf Mortalität, Morbidität, Belastungskapazität und ­Lebensqualität gezeigt.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Die Gewinnung und Kultivierung sowie ihre klinische Anwendung sind mit den bisher getesteten ­Zelltypen aufgrund des hohen Aufwandes schwierig.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">An der MedUni Wien wird nun im Rahmen einer EU-geförderten multizentrischen Studie die Therapie der chronisch ischämischen Kardiomyopathie mit ASCs (einer leichter zu gewinnenden und ­expandierbaren Stammzellform) geprüft.</span></li> </ul> </div> <h2>Epidemiologie der koronaren Herzkrankheit</h2> <p>Die koronare Herzkrankheit (KHK) und ihre Folgen stellen mit jährlich 17 Mio. Todesfällen weltweit die häufigste Todesursache dar und sind in den Industrieländern für eine hohe Anzahl von Krankenhausaufenthalten verantwortlich. In Österreich sterben trotz eines deutlichen Rückgangs der Mortalität immer noch ca. 15 000 Patienten pro Jahr aufgrund von KHK und assoziierten Krankheitsbildern. Ob der Häufigkeit entstehen als Folge der KHK auch hohe volkswirtschaftliche Kosten (30,2 Mio. Euro der Spitalskosten jährlich aufgrund von kardiovaskulären Ereignissen in Österreich).<sup>1, 2</sup><br />KHK ist zumeist die Manifestation der Arteriosklerose an den Herzkranzarterien. In weiterer Folge treten akute oder chronische Durchblutungsstörungen des Herzmuskels auf, welche sich klinisch als Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt und Herzrhythmusstörungen manifestieren. Konventionelle Therapien haben zwar die Mortalität der KHK und des Myokardinfarktes deutlich reduziert, jedoch steigt die Zahl an Patienten mit chronischer KHK und/oder Herzinsuffizienz, denen keine weiteren Therapieoptionen zur Verfügung stehen, stetig. In der Gesamtbevölkerung sind ca. 1–2 % von einer Herzinsuffizienz betroffen, bei den Patientinnen und Patienten jenseits des 70. Lebensjahres steigt die Inzidenz auf über 10 % . Die damit einhergehende steigende Morbidität in unserer alternden Bevölkerung stellt eine große Belastung für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem dar.</p> <h2>Kardiale Stammzelltherapie</h2> <p>Eine Erfolg versprechende Alternative für diese Patienten stellen Stammzell-basierte Therapien dar. In einer rezenten Metaanalyse, welche die Applikation von körpereigenen Stammzellen im akuten Myokardinfarkt untersuchte, konnte kein Benefit der Stammzelltherapie gezeigt werden.<sup>3</sup> Jedoch zeigte eine weitere Metaanalyse einen vielversprechenden Effekt im chronischen Setting (v.a. ischämische Kardiomyopathie). In der Gruppe der Patienten, welche an einer chronischen Herzinsuffizienz leiden und mit Stammzellen behandelt wurden, wurden ein Rückgang der Mortalität und Morbidität sowie eine Verbesserung der Lebensqualität und der Belastungskapazität nachgewiesen.<sup>4</sup><br />Mesenchymale Stammzellen (MSCs) sind vermehrt in den Fokus der Forschung gerückt, da ihnen eine gute regenerative Kapazität aufgrund ihrer aktiven parakrinen Funktion zugeschrieben wird. Der exakte Wirkungsmechanismus von intramyokardial applizierten Stammzellen ist bis heute nicht vollständig geklärt. In den letzten Jahrzehnten galt die These, dass sich injizierte Stammzellen zu neuen Kardiomyozyten oder Endothelzellen differenzieren, als vorherrschend. Dieser Hypothese wird jedoch von Fachkreisen deutlich widersprochen. Man vermutet, dass die injizierten Zellen nur für einen kurzen Zeitraum im Gewebe verbleiben und sie vielmehr als Fabrik für Faktoren (z.B. Wachstumsfaktoren, Zytokine, Chemokine) fungieren. Die ausgeschütteten Faktoren wiederum induzieren die Regeneration des geschädigten Herzmuskels. Da die Zellen nicht dauerhaft im Gewebe verbleiben, minimiert sich auch die krebserzeugende Wirkung.<br />Initial wurde vor allem mit autologen Stammzellen gearbeitet; da jedoch die regenerative Kapazität der Stammzellen von Patienten mit einem sich verschlechternden Gesundheitszustand abnimmt („kranke Zellen von kranken Patienten“), wird nun vor allem die Applikation von allogenen Zellen getestet. Ein Aspekt, der im Zuge der Diskussion bezüglich der Anwendung allogener Zellen genannt wird, ist eine mögliche Aktivierung des Immunsystems und in weiterer Konsequenz eine Abstoßungsreaktion. Da MSCs keine Oberflächenmarker besitzen, werden diese auch nicht von dem Immunsystem erkannt. Des Weiteren haben MSCs eine immunsuppressive Wirkung, welche durch In-vitro-Versuche gezeigt werden konnte. Somit wird keine Immunogenität durch die Applikation der Zellen erwartet. Obwohl bis dato mehr Studien mit BMDMSCs (MSCs isoliert aus dem Knochenmark) durchgeführt wurden, wird die Wirkung der „adipose-derived stem cells“ (ASCs – eine Subklasse der MSCs aus dem Fettgewebe) gleichwertig eingestuft. Jedoch bieten ASCs einen wichtigen Vorteil: Ihre Gewinnung ist, verglichen mit der von BMDMSCs, leicht, ertragreich sowie weniger invasiv. Eine große Menge ASCs kann durch Liposuktion von gesunden jungen Spendern gewonnen werden. Des Weiteren sind die Kultivierung und die Vermehrung von ASCs in der Zellkultur oder einem Bioreaktor ertragreicher und schneller.<br />In Studien zu beiden oben genannten Zelltypen wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse dokumentiert, welche mit dem allogenen Charakter der Zellen assoziiert waren. Allogene BMDMSCs wurden bereits bei verschiedensten kardiologischen Krankheitsentitäten getestet (Myokardinfarkt, dilatative und ischämische Kardiomyopathie). Allogene ASCs wurden bereits in Therapiestudien einer Vielzahl von Krankheitsbildern (Morbus Crohn<sup>5</sup>, Colitis ulcerosa<sup>6</sup>, ischämischer Schlaganfall<sup>7</sup>, „acute respiratory distress syndrome“<sup>8</sup>, zerebelläre Ataxie<sup>9</sup>, rheumatoide Arthritis<sup>10</sup>) geprüft. Die aktuelle Datenlage weist deutlich auf einen vielversprechenden Benefit einer sicheren Stammzelltherapie hin. Die Applikation von leicht zu gewinnenden und expandierbaren ASCs, welche im Rahmen dieser Studie verwendet werden, als Therapie der chronisch ischämischen Kardiomyopathie ist bis dato nur in kleineren klinischen Studien getestet worden.</p> <h2>SCIENCE-Studie</h2> <p>Zu Beginn des Jahres 2017 wurde an der Medizinischen Universität Wien die SCIENCE-Studie (Stem Cell therapy in IschEmic Non-treatable Cardiac diseasE; eine durch die Europäische Kommission im Rahmen des Förderungsprogramms Horizon 2020 geförderte Studie) begonnen. Das Ziel dieses Projektes ist es, eine effektive Stammzelltherapie mit einer neuen Form von Stammzellen (ASCs, Stammzellen aus dem Fettgewebe von gesunden Probanden; hergestellt in einem hochsterilen Bioreaktor in Dänemark) zu etablieren, um die Herzfunktion von Patienten mit KHK und Herzinsuffizienz zu verbessern. Dies soll im Rahmen einer multizentrischen placebokontrollierten randomisierten klinischen Phase-II-Studie an sechs Zentren in Europa (Dänemark, Deutschland, Polen, Niederlande, Slowenien, Österreich) erfolgen. Allogene ASCs werden hierbei intramyokardial mit dem NOGA XP® System appliziert. Das NOGA XP® System ermöglicht eine anatomische und elektrophysiologische Darstellung des linken Ventrikels in Echtzeit und so die Identifizierung der „Borderzone“, in welche die Zellen injiziert werden (Abb. 1). Die „Borderzone“ des Myokardinfarktes ist charakterisiert als eine Zone mit verminderter Viabilität und Wandbewegungen. Des Weiteren sind die Perfusion und auch der Metabolismus in dieser Zone vermindert. Aus der Verabreichung von Therapeutika in die „Borderzone“ resultiert nachweislich ein größerer Therapieeffekt.<sup>11</sup> Als Placebosubstanz wird isotonische Kochsalzlösung ebenfalls intramyokardial mit dem NOGA XP® System verabreicht.<br />Die Studienzielgruppe sind Patienten im Alter von 30 bis 80 Jahren, welche an einer symptomatischen chronisch ischämischen Kardiomyopathie mit einer reduzierten systolischen Funktion leiden und bereits das volle Ausmaß der medikamentösen Therapie erhalten. Symptomatisch bedeutet, dass die Patienten bei leichter bzw. schwerer körperlicher Anstrengung, jedoch nicht in Ruhe, Dyspnoe verspüren (NYHA II–III). Eingeschlossen werden können Patientinnen und Patienten mit einer linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF) ≤45 % und einem NT-proBNP-Wert >300pg/ml. Ausschlusskriterien sind schwere Nebendiagnosen (chronische Entzündung, aktive Krebserkrankung, reduzierte Immunantwort) sowie eine Penicillinallergie. Europaweit werden 138 Patienten eingeschlossen und an der Medizinischen Universität Wien sollen insgesamt 30 Patienten mit dieser neuartigen Stammzelltherapie behandelt werden.<br />Ziel der SCIENCE-Studie ist eine Verbesserung der Herzfunktion (gemessen als endsystolisches Volumen – dieses hat bei Patienten mit einer reduzierten linksventrikulären Funktion einen besseren prädiktiven Wert als die LVEF) 6 Monate nach Therapie. Weitere Ziele stellen die Verbesserung der Symptomatik, der Belastungskapazität sowie die Lebensqualität der Patienten im Follow-up-Zeitraum von 12 Monaten dar. Des Weiteren soll geprüft werden, ob es durch die Therapie zu einer Reduktion der Inanspruchnahme der Leistungen des Gesundheitssystems kommt und somit die Kosten reduziert werden können. Die Implementierung einer effektiven regenerativen Stammzell-basierten Therapie zur Verbesserung der Herzinsuffizienz bei Patienten, welche an einer chronisch ischämischen Kardiomyopathie leiden, soll somit ermöglicht werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1801_Weblinks_s8.jpg" alt="" width="1417" height="980" /></p> <h2>Resümee</h2> <p>Die Anzahl von Patienten mit chronisch ischämischer Kardiomyopathie, welche trotz bestmöglicher Therapie immer noch über Symptome klagen, befindet sich kons­tant im Steigen. Die kardiale Regenerationstherapie mit Stammzellen hat im chronischen Setting bereits gute Ergebnisse gezeigt. Die in Vorstudien applizierten Stammzellen konnten zwar eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patienten induzieren, jedoch ist die klinische Umsetzung aufgrund des hohen Aufwandes, verbunden mit der Gewinnung und Verarbeitung dieser Zellen, erschwert. An der Medizinischen Universität Wien wird nun in Kooperation mit Partnern aus ganz Europa im Rahmen einer EU-geförderten klinischen Studie die Applikation von Stammzellen aus dem Fettgewebe bei Patienten mit chronisch ischämischer Kardiomyopathie getestet. Die SCIENCE-Studie soll so den Weg für eine effektive Stammzell-basierte Therapie, die leicht in den klinischen Alltag implementiert werden kann, ebnen.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Burkert N et al.: Herz-Kreislauf-Report für Österreich. ­Erstellt auf Basis von Daten aus der BIG-Datenbank und Interpretation der Ergebnisse unter Einbezug makroökonomischer Indikatoren. Jahresthema 2012. (Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger; Medizinische Universität Graz, 2013) <strong>2</strong> Griebler R et al.: Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Österreich. Angina Pectoris, Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall, periphere ­arterielle Verschlusskrankheit. Epidemiologie und Prävention. (Bundesministerium für Gesundheit, Wien, 2015) <strong>3</strong> Gyöngyösi M et al.: Meta-Analysis of Cell-based CaRdiac stUdiEs (ACCRUE) in patients with acute myocardial ­infarction based on individual patient data. Circ Res 2015; 116: 1346-60 <strong>4</strong> Fisher SA et al.: Meta-analysis of cell therapy trials for patients with heart failure. Circ Res 2015; 116: 1361-77 <strong>5</strong> Cho YB et al.: Long-term results of adipose-derived stem cell therapy for the treatment of Crohn’s fistula. Stem Cells Transl Med 2015; 4: 532-7 <strong>6</strong> Martín-Arranz M et al.: ­Allogeneic Adipose Tissue-derived Mesenchymal Stem Cells for the Induction of Remission in Ulcerative Colitis (ALOASCU) (NCT01914887). https://clinical­trials.gov/ct2/show/NCT 01914887 (2017) <strong>7</strong> Diez-Tejedor E et al.: Reparative therapy for acute ischemic stroke with allogeneic mesenchymal stem cells from adipose tissue: a safety assessment: a phase II randomized, double-blind, placebo-controlled, single-center, pilot clinical trial. J Stroke Cerebrovasc Dis 2014; 23: 2694-2700 <strong>8</strong> Zheng G et al.: Treatment of acute respiratory distress syndrome with allogeneic adipose-derived mesenchymal stem cells: a randomized, placebo-controlled pilot study. Respir Res 2014; 15: 39 <strong>9</strong> Tsai YA et al.: Treatment of spinocerebellar ataxia with mesenchymal stem cells: a phase I/IIa clinical study. Cell Transplant 2017; 26: 503-12 <strong>10</strong> Alvaro-Gracia JM et al.: Intravenous administration of expanded allogeneic adipose-derived mesenchymal stem cells in refractory rheumatoid arthritis (Cx611): results of a multicentre, dose escalation, randomised, single-blind, placebo-controlled phase Ib/IIa clinical trial. Ann Rheum Dis 2017; 76: 196-202 <strong>11</strong> Pavo N et al.: Comparison of NOGA endocardial mapping and cardiac magnetic resonance imaging for determining infarct size and infarct transmurality for intramyocardial injection therapy using experimental data. PLoS One 2014; 9: e113245</p>
</div>
</p>