
Medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlung nach Revaskularisation
Autoren:
Priv.-Doz. DDr. Mahdi Sareban1
Dr. Jan Gerrit van der Stouwe2
PD Dr. David Niederseer, PhD, BSc2
1Universitätsinstitut für präventive und rehabilitative Sportmedizin,
Uniklinikum Salzburg
2Klinik für Kardiologie
Universitäres Herzzentrum
Universitätsspital & Universität Zürich
E-Mail: m.sareban@salk.at
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Die medikamentöse Therapie nach Revaskularisation ist ein essenzieller Bestandteil der Behandlung von Patient:innen mit koronarer Herzkrankheit (KHK). Ziel der Therapie sind die Prävention von kardiovaskulären (CV)Ereignissen sowie die Reduktion von belastungsinduzierter Ischämie und pektanginösen Beschwerden.
Keypoints
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Medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapien nach Revaskularisation ergänzen einander.
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Neben prognostisch relevanten Substanzen können auch Medikamente in symptomatischer Indikation zum Einsatz kommen.
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Nichtmedikamentöse Therapieoptionen umfassen Trainingstherapie, Lebensstilmaßnahmen und psychologische Intervention.
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Alle multimodalen Therapieinhalte können zusätzlich zur Optimierung der medikamentösen Therapie im Rahmen einer kardiologischen Rehabilitation strukturiert angeboten werden.
Medikamentöse Behandlung
Prognostisch relevante Therapie
Um kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern, werden Thrombozytenaggregationshemmer (TAH), orale Antikoagulanzien (OAK), lipidsenkende Medikamente sowie Medikamente, die in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System eingreifen, eingesetzt.1 Bei den TAH bildet die lebenslange Therapie mit Aspirin (75–100mg/Tag) die Grundlage und ist bei allen Patient:innen, die diese Therapie vertragen, empfohlen. Sie wird nach perkutaner Revaskularisation um einen potenteren TAH aus der Gruppe der P2Y12-Inhibitoren ergänzt. Dazu gehören Clopidogrel und Prasugrel, die zunächst verstoffwechselt werden und dann P2Y12 irreversibel hemmen, und Ticagrelor, ein reversibler P2Y12-Inhibitor,der keine metabolische Aktivierung benötigt. Nach einer elektiven und unkomplizierten perkutanen Revaskularisation wird die Therapie mit Aspirin unabhängig vom Stenttyp um Clopidogrel (75mg/Tag) für zumindest 6 Monate ergänzt. Bei sehr hohem Blutungsrisiko kann die Dauer der Clopidogrel-Therapie auf 1–3Monate reduziert werden. Prasugrel (10mg/Tag bzw. 5mg/Tag bei Körpergewicht von <60kg oder Alter >75Jahre) und Ticagrelor (90mg 2-mal täglich) werden nach einem akuten Koronarsyndrom zusätzlich zu Aspirin für 1 Jahr eingesetzt. Zudem können Prasugrel und Ticagrelor bei erhöhtem Risiko für eine Stentthrombose oder bei Aspirinunverträglichkeit eingesetzt werden. Bei Vorliegen eines Vorhofflimmerns ist nach unkomplizierter perkutaner Revaskularisation eine OAK mit einem nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAK) anstelle der Therapie mit Aspirin empfohlen. NOAK sollten mit Clopidogrel und nie mit Prasugrel oder Ticagrelor und Aspirin verordnet werden. Bei Patient:innen mit erhöhtem Risiko für gastrointestinale Blutungen sollte an die Gabe von Protonenpumpen-Inhibitoren gedacht werden.
Zusätzlich zur TAH verhindern lipidsenkende Medikamente kardiovaskuläre Ereignisse, wobei die Therapie mit hochpotenten Statinen (Atorvastatin und Rosuvastatin) empfohlen wird. Ziel ist eine Senkung des LDL-Wertes um 50% des Ausgangswertes und auf <1,4mmol/l (<55mg/dl). Wird die Therapie nicht vertragen oder sollten die Zielwerte nicht erreicht werden, stehen Ezetimib, PCSK-9-Inhibitoren (Evolocumab, Alirocumab) und neuestens auch „small interfering RNA“ (Inclisiran) oder Bempedoinsäure zur Verfügung.2,3 ACE-Hemmer werden bei Patient:innen mit Hypertonie und/oder Diabetes empfohlen, wobei bei einer Unverträglichkeit auf einen Angiotensin-II-Rezeptorblocker (ARB) gewechselt werden sollte. Die Verwendung eines Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitors (ARNI) in Kombination mit einem ARB, einem Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten (MRA), SGLT2-Inhibitoren und einem Betablocker sind bei Patient:innen mit Herzinsuffizienz mit eingeschränkter Pumpfunktion indiziert. Ob Patient:innen nach ACS mit normaler Auswurffraktion einen Betablocker benötigen, ist Gegenstand von randomisierten Studien.4
Symptomatische Therapie
Die antiischämische Therapie dient hauptsächlich der Symptomkontrolle, verhindert jedoch keine Ereignisse bei Patient:innen nach Revaskularisation. Dabei stellen Betablocker oder Kalziumkanalblocker (CCB) die Erstlinientherapie dar. Sollte eine Monotherapie nicht zur Besserung der Symptome führen, können diese Therapien in einem zweiten Schritt kombiniert werden. Nach Anpassung der Therapie sollte das Ansprechen jeweils nach 2–4 Wochen beurteilt werden. Betablocker sollten bis zu einer Herzfrequenz von 55–60/Minute aufdosiert werden. Bei den CCB ist zwischen Dihydropyridinen (DHP; Amlodipin, Felodipin, Nifedipin), die einen Anstieg der Herzfrequenz verursachen, und Nichtdihydropyridinen (Nicht-DHP; Verapamil, Diltiazem), die eine bradykardisierende Wirkung haben, zu unterscheiden. Dementsprechend sollten bei Herzfrequenzen <50/Minute primär DHP und bei Herzfrequenzen >80/Minute Nicht-DHP als Monotherapie oder in Kombination mitBetablockern eingesetzt werden. Beim Einsatz von Nicht-DHP sind regelmäßige Nachkontrollen bezüglich Bradykardien notwendig, und die Anwendung bei Patient:innen mit eingeschränkter Pumpfunktion ist kontraindiziert. Als Zweitlinientherapie stehen langwirksame Nitrate zur Verfügung, die oral oder transdermal appliziert werden können. Dabei ist aufgrund einer Toleranzwirkung bei Langzeitanwendung ein medikamentenfreies Intervall von 12 Stunden empfohlen. Zur Therapie von akuten belastungsabhängigen pektanginösen Beschwerden werden kurzwirksame Nitrate (Nitroglyzerinspray, -kapsel) empfohlen. Sollten weiterhin pektanginöse Beschwerden bestehen, kann die Therapie mit Ivabradin (If-Kanalblocker), Nicorandil (Nitratderivat von Nicotinamid), Ranolazin (Na+-Kanal-Inhibitor) oder Trimetazidin (Stoffwechselmodulator) erfolgen. Zu beachten sind jeweils die Komorbiditäten der Patient:innen.
Nichtmedikamentöse Behandlung
Zu den evidenzbasierten Therapieoptionen bei KHK zählen neben der Koronarrevaskularisation und der medikamentösen Therapie nichtmedikamentöse Therapieinhalte. Dazu werden die Trainingstherapie, die Ernährungsberatung, die Raucherberatung und die psychologische Intervention gezählt. Im Rahmen der kardiologischen Rehabilitation Phase II und III werden diese Therapieinhalte in einem strukturierten, multimodalen Programm vermittelt. Aufgrund der überzeugenden wissenschaftlichen Evidenzlage wird der kardiologischen Rehabilitation von unterschiedlichen Fachgesellschaften der höchste Empfehlungsgrad (IA) zugesprochen, auch für die Indikation nach Koronarrevaskularisation.5
Trainingstherapie
Die Trainingstherapie zur Sekundärprävention der KHK umfasst hauptsächlich das Ausdauer- und Krafttraining. Generell sollen alle Patient:innen mit KHK möglichst früh an einem individuell dosierten und kontrollierten Ausdauertraining nach der Dauermethode teilnehmen und dieses auch langfristig fortsetzen. Nach unkomplizierter perkutaner Koronarrevaskularisation ist ab dem 4. Tag ein individuell angepasstes Training möglich.6 Nach operativer Koronarrevaskularisation war in einer rezenten Arbeit der Beginn der supervidierten Trainingstherapie im Rahmen einer kardiologischen Rehabilitation 2 Wochen nach Sternotomie genauso effektiv wie der übliche Beginn 6 Wochen nach Sternotomie ohne Unterschied zwischen den Gruppen bezogen auf unerwünschte Ereignisse.7 Das Trainingsprogramm sollte auf Optimierung des Gesamtenergieverbrauchs abzielen, der sich aus dem Produkt von Trainingsfrequenz, Trainingsdauer und Trainingsintensität zusammensetzt.8 Eine spiroergometrisch valide Bestimmung der Trainingsintensitäten ermöglicht eine effizientere Trainingsplanung und kurzfristigere klinische Vorteile.
Zusätzlich soll zweimal wöchentlich ein muskelkräftigendes Training für die großen Muskelgruppen mit 12 bis 15 Wiederholungen pro Satz durchgeführt werden.5 Bei der Gestaltung des Trainingsprogramms sollten die Patient:innen im Sinne einer partizipativen Entscheidung eingebunden werden, damit die Trainingsempfehlungen langfristig fortgesetzt werden. Auch intensive Sporteinheiten und sogar die Teilnahme an Wettkämpfen bei Sportarten mit hoher Belastung ist bei Patient:innen nach einer Koronarrevaskularisation möglich. Hierfür ist jedoch eine weiterführende Risikoeinschätzung mittels maximaler Ergometrie und Echokardiografie obligat, um das sportbedingte Risiko besser abschätzen zu können.9
Lifestyle-Änderungen
Nach aktuellen ESC-Empfehlungen haben drei diätische Maßnahmen aufgrund der vorliegenden Evidenz für ihre primär- als auch sekundärpräventive Wirkung für KHK eine Klasse-IA-Indikation: (1) eine mediterrane Ernährungsweise, (2) der Ersatz von gesättigten durch ungesättigte Fette und (3) die Reduktion der Kochsalzzufuhr auf unter 5g am Tag.10Ein weiterer Grundsatz der Ernährungstherapie ist,die Kalorienbilanz ausgeglichen zu gestalten bzw. eine negative Kalorienbilanz, wenn eine Gewichtsreduktion beabsichtigt ist.
Bei einer Therapie mit SGLT2-Inhibitoren sollte von einer ausgeprägten Kohlenhydrat-reduzierten Diät (z.B. ketogene Diät) aufgrund des erhöhten Risikos einer diabetischen Ketoazidose abgeraten werden. Nahrungsergänzungsmittel sollen nicht generell empfohlen werden. Eine intensive Beschäftigung mit dem Thema Ernährung ist im Rahmen einer kardiologischen Rehabilitation möglich, weshalb die Ernährungsberatung während einer kardiologischen Rehabilitation auch von großer Bedeutung isr.
Psychologische Intervention
Bei der psychologischen Intervention werden durch psychotherapeutisch geschultes Fachpersonal etablierte psychologische Theorien und Methoden (1)zur Förderung der emotionalen Krankheitsbewältigung, (2) zur Förderung der Stressbewältigung und (3) zur Unterstützung bei der Verbesserung des Gesundheitsverhaltens eingesetzt.11 Psychosozialer Stress zeigt eine Dosis-Wirkungs-Beziehung mit dem Fortschreiten einer KHK, unabhängig von traditionellen Risikofaktoren und Geschlecht.9 Unterschiedliche Screeningfragebögen ermöglichen die rasche Identifikation von psychologischen Stressfaktoren, und deren Nutzung wird von mehreren Fachgesellschaften empfohlen.
Auch psychiatrische Begleiterkrankungen wirken sich negativ auf die Prognose von Patient:innen mit KHK aus.9 Daher gilt eine IIa-Indikation (Evidenzstufe B) für eine intensivierte psychologische Betreuung (Einzeltherapie) für KHK-Patient:innen mit erhöhtem psychologischem Stress oder bekannter psychiatrischer Begleiterkrankung.10 Dabei ist zu beachten, dass auch die Verbesserung des Gesundheitsverhaltens, z.B. durch die Trainingstherapie oder eine Rauchentwöhnung, die mentale Gesundheit positiv beeinflusst.6 Der Raucherstatus sollte bei allen Patient:innen erfragt und dokumentiert werden und im Falle eines Nikotinabusus soll Hilfe bei der Rauchentwöhnung durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen oder Nikotinersatzstoffe angeboten werden.
Resümee
Durch eine integrative und multimodale Präventionsstrategie, unter Berücksichtigung von medikamentösen und nichtmedikamentösen Aspekten (Abb. 1), kann die Prognose von Patient:innen nach Revaskularisation substanziell gebessert werden. Die kardiologische Rehabilitation bietet einen optimalen Rahmen, um mittels verschiedener medikamentöser und nichtmedikamentöser Maßnahmen zu intervenieren.
Abb. 1: Medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapie nach Revaskularisation (eigene Darstellung angelehnt an Knuuti et al. 2020)1
Quelle:
Erstpublikation in „Universum Innere Medizin“; Ausgabe 6/2023: 2-4
Literatur:
1 Knuuti J et al.: 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J 2020; 41(3): 407-77 2 Ray KK et al.: Two phase 3 trials of Inclisiran in patients with elevated LDL cholesterol. N Engl J Med 2020; 382(16): 1507-19 3 Nissen SE et al.: Bempedoic acid and cardiovascular outcomes in Statin-intolerant patients. N Engl J Med 2023; 388(15): 1353-64 4 McDonagh TA et al.: 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2021; 42(36): 3599-726 5 Ambrosetti M et al.: Secondary prevention through comprehensive cardiovascular rehabilitation: From knowledge to implementation. 2020 update. A position paper from the Secondary Prevention and Rehabilitation Section of the European Association of Preventive Cardiology. Eur J Prev Cardiol 2021; 28(5): 460-95 6 Schwaab B et al.: Cardiac rehabilitation in German speaking countries of Europe - evidence-based guidelines from Germany, Austria and Switzerland. LLKardReha-DACH—Part 2. J Clin Med 2021; 10(14): 3071 7 Ennis S et al.: Effectiveness and safety of early initiation of poststernotomy cardiac rehabilitation exercise training: The SCAR randomized clinical trial. JAMA Cardiol 2022; 7(8): 817-24 8 Hansen D et al.: Exercise intensity assessment and prescription in cardiovascular rehabilitation and beyond: why and how: A position statement from the secondary prevention and rehabilitation section of the European Association of Preventive Cardiology. Eur J Prev Cardiol 2022; 29(1): 230-45 9 Pelliccia A et al.: 2020 ESC Guidelines on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease. Eur Heart J 2021; 42(1): 17-96 10 Visseren FLJ et al.: 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J 2021; 42(34): 3227-337 11 Rauch B et al.: Cardiac rehabilitation in german speaking countries of Europe - evidence-based guidelines from Germany, Austria and Switzerland LLKardReha-DACH—Part 1. J Clin Med 2021; 10(10): 2192
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