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Klappenvitien im Fokus: neue Daten zu MitraClip und TAVI
Jatros
30
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05.09.2019
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<p class="article-intro">Neben vielen anderen hochwertigen Vorträgen zu Wissenschaftlichkeit und Ethik sowie Artificial Intelligence und Workshops für die Kardiologen von morgen, umreißt Dr. Max-Paul Winter, Kardiologe an der Medizinischen Universität Wien, die aktuellen Diskussionspunkte zu den Klappenvitien des heurigen österreichischen Kardiologenkongresses (ÖKG), der gemeinsam mit den Kardiochirurgen in Salzburg stattgefunden hat.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Mitralinsuffizienz: Insgesamt steigt aktuell die minimal invasive Variante der Sanierung einer symptomatischen funktionellen MI mittels MitraClip mit diesen neuen Daten wieder in ihrem Evidenzniveau.</li> <li>Perkutaner Aortenklappenersatz: Das Outcome der TAVI ist auch bei Niedrigrisiko-Patienten einer chirurgischen Intervention statistisch nicht unterlegen – daher könnte diese Indikation auch für jüngere Patienten und solche mit niedrigem Operationsrisiko gestellt werden.</li> <li>Aortenstenose und Mitralinsuffizienz: Nach einer TAVI empfiehlt sich ein zweizeitiges Vorgehen, da sich in zwei Dritteln der Fälle eine Besserung der MI einstellt.</li> </ul> </div> <h2>Ist der MitraClip wieder im Rennen?</h2> <p>Die sekundäre (funktionelle) Mitralinsuffizienz (MI) resultiert aus einem Missverhältnis zwischen Klappengröße und dilatiertem linkem Ventrikel auf Basis der Linksherzinsuffizienz. 90 % der MI sind sekundär bzw. funktionell (fMI). Zur Sanierung stehen aktuell die offene Herzchirurgie wie auch der minimal invasive MitraClip über einen perkutanen, transfemoralen Zugang mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen zur Verfügung. Nachdem am letzten Kongress der European Society of Cardiology (ESC; 25.–29. August 2018, München, Deutschland) die negativen Daten der MITRA-FR-Studie<sup>1</sup> vorgestellt worden waren, war die Indikation für den MitraClip schwächer geworden. Darüber hinaus stellt sich aktuell zunehmend die Frage nach der besten Definition des Schweregrades der fMI und des richtigen Cut-offs zur Identifikation von Hochrisikopatienten, die von einer Klappenintervention profitieren.</p> <h2>Mitralinsuffizienz – ein diagnostisches Dilemma</h2> <p>Die Definitionen der echokardiografischen Grenzwerte zur Einteilung des Schweregrades einer MI unterscheiden sich derzeit zwischen der europäischen und der amerikanischen kardiologischen Gesellschaft nicht unwesentlich. Neben einer einheitlichen Befundung stellt sich natürlich die Frage hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Studien wie auch der Indikationsstellung zur Intervention. Dieses Themas hat sich die Gruppe um Goliasch angenommen. In ihrer 2019 hochrangig publizierten Arbeit<sup>2</sup> hat sie die unterschiedlichen Grenzwerte für niedrig-, mittel- und hochgradige MI bezüglich ihres prognostischen Wertes überprüft. Es konnten neue Grenzwerte für die „effective regurgitant orifice area“ (EROA), das Regurgitationsvolumen (RegVol) und die Regurgitationsfraktion (RegFrac) des Risikoprofils eines Patienten (relatives 5-Jahres- Mortalitätsrisiko) mittels Spline-Curve- Analyse ermittelt werden. Ein neuer Algorithmus diskriminiert nun zwischen Niedrig- und Hochrisikopatienten und wurde mittels Kaplan-Meier-Analysen bezüglich des Outcomes Mortalität evaluiert. Diese neuen EROA- und RegVol-Cut-offs teilen die Betroffenen in eine Low-, eine Intermediate- und eine High-Risk-Gruppe ein, wobei die Intermediate-Risk-Gruppe durch die Ermittlung der RegFrac (< 50 % ) der Low-Risk- und (> 50 % ) der High-Risk- Gruppe zugeordnet werden kann (Tab. 1). „Diese wesentliche Arbeit aus Wien könnte zur Vereinheitlichung internationaler Standards, aber auch zur Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Studien und nicht zuletzt zur exakteren Indikationsstellung für invasive Verfahren beitragen. Zukünftig wird dieser Algorithmus auch hinsichtlich seines prognostischen Wertes für invasive Maßnahmen bei High-Risk-Patienten zu evaluieren sein“, betont Dr. Winter.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1903_Weblinks_jatrois_kardio_1903_s13_tab1_kienbacher.jpg" alt="" width="550" height="435" /></p> <h2>Mitralinsuffizienz – Evidenz für den MitraClip</h2> <p>In der bereits eingangs erwähnten, im Rahmen des ESC 2018 vorgestellten, MITRA- FR-Studie wurde der MitraClip mit der konservativen medikamentösen Therapie („best medical care“; BMC) verglichen. Für die beiden Endpunkte Mortalität (alle Ursachen, nicht nur kardiovaskulär) und Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz konnte in dieser Studie kein signifikanter Vorteil durch den MitraClip gezeigt werden.<sup>1</sup> Bei der darauf folgenden 30<sup>th</sup> Transcatheter Cardiovascular Therapies Conference im selben Jahr (TCT; 21.–25. 9. 2018, San Diego, Kalifornien, USA) wurde mit COAPT der MitraClip ebenfalls gegenüber der medikamentösen Standardtherapie für Herzinsuffizienz evaluiert und war in dieser Studie der konservativen Therapie diesmal nicht unterlegen.<sup>3</sup> Dies galt sowohl für die primären Endpunkte (Rehospitalisierung wegen Herzinsuffizienz und 2-Jahres-Mortalität) als auch für alle 10 weiteren sekundären Endpunkte. Mit diesen zwei widersprüchlichen Ergebnissen wurde die Diskussion auch bei der diesjährigen ÖKG-Jahrestagung eröffnet, berichtet der Kardiologe Dr. Winter. Warum war die Studie MITRA-FR negativ ausgefallen und die Studie COAPT positiv? Die Antworten der kardiologischen Community bezüglich der möglichen Ursachen waren vielfältig. Einerseits unterschied sich das Patientenkollektiv in der COAPT-Studie (durchschnittliche EROA: 40 mm<sup>2</sup>) wesentlich von jener in MITRA-FR (durchschnittliche EROA: 30 mm<sup>2</sup>). Aber es zeigte sich, dass Subgruppen von COAPT, die jenen von MIT-RA-FR glichen, ebenfalls nicht von der Prozedur profitierten. Auch war in den beiden Studien das Verhältnis von EROA zum linksventrikulären Volumen und zur medikamentösen Herzinsuffizienztherapie entschieden unterschiedlich. Diese Punkte könnten neben weiteren entscheidenden Aspekten (wie statistische Diskussionen zu Power und Effect Size) das unterschiedliche Outcome zumindest teilweise begründen. Dementsprechend wurde durch die Diskussion klar, dass die Population genau selektiert und die Indikation für einen MitraClip zum richtigen Zeitpunkt gestellt werden muss. „Die aktuellen Daten können aktuell so interpretiert werden, dass Patienten mit moderater fMI (EROA < 30 mm<sup>2</sup>) bezüglich eines Einflusses auf die Prognose eher nicht vom MitraClip zusätzlich zu BMC profitieren. Wird die Klappeninsuffizienz hochgradiger (also die EROA größer), die Patienten symptomatisch und die linksventrikuläre Funktion schlechter, scheint dies eher der Fall zu sein. Diese Patienten würden auch in die Hochrisiko-Gruppe der Goliasch-Studie2 fallen“, fasst Dr. Winter zusammen. <br />Insgesamt steigt aktuell die minimal invasive Variante der Sanierung einer symptomatischen funktionellen MI mittels MitraClip mit diesen neuen Daten wieder in ihrem Evidenzniveau.</p> <h2>Perkutaner Aortenklappenersatz auch bei Patienten mit niedrigem perioperativem Risiko?</h2> <p>Bis zuletzt wurden Patienten im Wesentlichen auf Basis des STS-Scores (Society of Thoracic Surgeons) und des EuroScores II hinsichtlich ihres operativen Risikos bezüglich Mortalität und Morbidität bei einer offenen Aortenklappenoperation in Patienten mit niedrigem (STS-Score < 4 % ), mittlerem (4–8 % ) und hohem Risiko (> 8 % ) eingeteilt. Dabei war das Argument, ältere und Hochrisikopatienten eher der „minimal invasiveren“ Transkatheter-Aortenklappen- Implantation (TAVI) zuzuführen.<br />Jetzt wurde sowohl in der PARTNER-3-Studie<sup>4</sup> als auch in der Evolut-Studie<sup>5</sup> gezeigt, dass das Outcome der TAVI bei Niedrigrisiko-Patienten einer chirurgischen Intervention statistisch nicht unterlegen ist. Damit ergibt sich ein komplett neues Patientenkollektiv für das minimal invasive Vorgehen mit perkutanem Aortenklappenersatz. Die Indikation für eine TAVI könnte nunmehr für jüngere Patienten und solche mit niedrigem Operationsrisiko gestellt werden. Limitierend hält Dr. Winter fest: „Es fehlen uns natürlich noch die Langzeitdaten. Da wir bislang nur bei betagteren Patienten eine TAVI verwendet haben, wissen wir natürlich nicht, wie sich die modernen Klappen über mehrere Jahre verhalten. Hier müssen wir in kontrollierten Studien noch harte Daten sammeln. Die paravalvuläre Aortenklappeninsuffizienz (AI) nach TAVI sollte jedoch zunehmend weniger problematisch sein, da die produzierenden Firmen dieses Problem erkannt, die Klappen modernisiert und mit zusätzlichen Features versehen haben, die das Auftreten einer postprozeduralen AI minimieren sollen“, ergänzt der Kardiologe.</p> <h2>Kombiniertes Vitium: Aortenstenose und Mitralinsuffizienz – was tun?</h2> <p>Im Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Thomas Schachner, Medizinische Universität Innsbruck, Universitätsklinik für Herzchirurgie, wurde einerseits festgehalten, dass bei 10–30 % der Patienten mit einem hochgradigen Aortenklappenvitium auch mit einer Begleit-MI gerechnet werden muss. Ist Letztere hochgradig, erhöht diese das Mortalitäts- und Rehospitalisierungsrisiko für den jeweiligen Patienten. Dementsprechend sollte auch die Indikation zur Sanierung der Begleit-MI überprüft werden. Als therapeutische Optionen stehen derzeit der chirurgische Aortenklappenersatz mit oder ohne Mitralklappenrekonstruktion (MKR) bzw. Mitralklappenersatz (MKE) und die TAVI gefolgt von einer Mitralklappenintervention bzw. chirurgischen MKR/MKE bei Persistenz der hochgradigen MI zur Verfügung. In der Regel empfiehlt sich nach TAVI ein zweizeitiges Vorgehen, da sich in zwei Dritteln der Fälle eine Besserung der MI einstellt. Tabelle 2 zeigt Entscheidungshilfen für ein primär konservatives versus ein interventionelles Vorgehen bei Mitbeteiligung einer MI nach einem Aortenklappeneingriff.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1903_Weblinks_jatrois_kardio_1903_s13_tab2_kienbacher.jpg" alt="" width="550" height="203" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: ÖKG-Jahrestagung 2019, 29. Mai bis 1. Juni 2019, Salzburg,
Interview: Dr. Max-Paul Winter, Medizinische Universität
Wien, Universitätsklinik für Innere Medizin II, Klinische
Abteilung für Kardiologie
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Obadia JF et al.: Percutaneous repair or medical treatment for secondary mitral regurgitation. N Engl J Med 2018; 379(24): 2297-306 <strong>2</strong> Bartko PE et al.: A unifying concept for the quantitative assessment of secondary mitral regurgitation. J Am Coll Cardiol 2019; 73(20): 2506-17 <strong>3</strong> Stone GW et al.: Transcatheter mitral-valve repair in patients with heart failure. N Engl J Med 2018; 379(24): 2307-18 <strong>4</strong> Mack MJ et al.: Transcatheter aortic-valve replacement with a balloon-expandable valve in low-risk patients. N Engl J Med 2019; 380: 1695-705 <strong>5</strong> Popma JJ et al.: Transcatheter aortic-valve replacement with a self-expanding valve in low-risk patients. N Engl J Med 2019; 380: 1706-15</p>
</div>
</p>