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Kardiovaskuläre Rehabilitation: Wozu, für wen und wie?

Die kardiale Rehabilitation (Kardio-Reha) ist nach wie vor eine zu wenig genutzte Intervention, die jedoch aus medizinischer Sicht von entscheidender Bedeutung ist. Gemäss den europäischen Richtlinien zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen wird die Kardio-Reha bei allen Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder Herzinsuffizienz empfohlen. Der umfassende, multidisziplinäre Ansatz der Kardio-Reha-Programme, der sich auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten konzentriert, ermöglicht eine effiziente Bereitstellung aller Facetten der kardiovaskulären Prävention. Die weitere Förderung der Kardio-Reha ist daher eine wichtige Aufgabe, um die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität in der Schweiz weiter zu senken.

Keypoints

  • Die kardiale Rehabilitation ist für Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) oder Herzinsuffizienz angezeigt.

  • Es sollten ambulante und stationäre Rehabilitationsprogramme in Erwägung gezogen werden, und dem Patienten sollte das für seine individuellen Bedürfnisse am besten geeignete Programm empfohlen werden.

  • Die Patienten sollten ermutigt werden, das Programm vollständig zu absolvieren, um den grösstmöglichen Nutzen zu erzielen.

  • Um die regelmässige körperliche Aktivität über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, sollte ein Programm der Phase 3 angeboten werden.

Definition und Geschichte in der Schweiz

Die Kardio-Reha ist laut WHO definiert als «die Gesamtheit der erforderlichen Aktivitäten, um den Verlauf der kardiovaskulären (CV) Erkrankung positiv zu beeinflussen und den Patienten die bestmögliche körperliche, geistige und soziale Verfassung zu verschaffen, damit sie durch eigene Anstrengungen einen möglichst normalen Platz im Leben der Gemeinschaft bewahren oder wieder einnehmen können».1

In der Schweiz begann die Kardio-Reha Ende der 1960er-Jahre in stationären Rehabilitationskliniken. 1972 wurden die ersten ambulanten Kardio-Reha-Programme in Zürich und Bern und Anfang der 1980er-Jahre in Genf eingeführt. Die «Schweizerische Arbeitsgruppe für kardiale Rehabilitation» (SAKR) wurde 1985 gegründet und stellte 1992 ihre ersten Qualitätskriterien auf, an die sich alle Kardio-Reha-Programme in der Schweiz halten müssen, um die offizielle Anerkennung durch die SAKR zu erhalten und den Kriterien der ESC (European Society of Cardiology) zu entsprechen.2,3 Im Jahr 2017 wurde mit der Integration der Sportkardiologie der Name der Arbeitsgruppe in «Swiss Working Group for Cardiovascular Prevention, Rehabilitation and Sports Cardiology» (SCPRS) geändert. Sie bietet zurzeit 67 ambulante und 15 stationäre Kardio-Reha-Programme an.4

Kardio-Reha: wozu?

Die Schwerpunkte der kardialen Rehabilitation sind: körperliches Training (Ausdauer, Kraft und Koordination), Änderung des Lebensstils, Kontrolle der CV Risikofaktoren (Raucherentwöhnung, Blutdruck- und Diabeteseinstellung, Optimierung der Blutfettwerte, Vermeidung von Übergewicht usw.), Förderung der Therapietreue und psychologische Unterstützung (Abbau von Stress und Angst sowie Steigerung der Motivation) (Abb. 1).5

Abb. 1: Die Säulen der kardialen Rehabilitation

Die wissenschaftliche Evidenz, die den Nutzen der kardialen Rehabilitation in Bezug auf Symptome, klinische Ereignisse und Lebensqualität der Patienten nach akutem Koronarsyndrom oder bei solchen mit Herzinsuffizienz belegt, stützt sich auf verschiedene randomisierte klinische Studien.6,7

Eine grosse prospektive Kohortenstudie an einem tertiären Referenzzentrum in der Schweiz bestätigte die Daten der jüngsten Metaanalysen, indem sie eine wesentliche Reduktion der Mortalität jeglicher Ursache sowie der CV Mortalität bei Patienten, die an einem kardialen Rehabilitationsprogramm teilnahmen, im Vergleich zur üblichen Versorgung nachwies.8 Insbesondere war das Ergebnis unabhängig vom sozioökonomischen Status oder Migrationshintergrund, wahrscheinlich teilweise deshalb, weil in der Schweiz kardiale Rehabilitationsprogramme von den gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet werden.

Indikation für eine Kardio-Reha: für wen?

Gemäss den europäischen Richtlinien zur Prävention von CV Erkrankungen wird die Kardio-Reha bei allen Patienten mit koronarer Herzkrankheit (nach CV Ereignissen und/oder Revaskularisation) und bei Patienten mit Herzinsuffizienz empfohlen (Klasse I, Evidenzlevel A). Eine Kardio-Reha ist auch nach einer Herztransplantation oder nach jeder Art von grosser Herz- oder Gefässoperation angezeigt, auch wenn die wissenschaftlichen Nachweise hierbei weniger stark sind.9 Die Indikationen und Kontraindikationen für eine kardiale Rehabilitation sind in Tabelle 1 bzw. Tabelle 2 aufgelistet.

Tab. 1: Indikationen für eine kardiale Rehabilitation

Tab. 2: Kontraindikationen für eine kardiale Rehabilitation

Schliesslich ist festzustellen, dass die Kardio-Reha sicher und gut verträglich ist, sofern die Indikationen beachtet werden. Die Rate an Todesfällen, Herzstillständen, Herzinfarkten oder schweren Verletzungen ist sehr gering.

Indikation für eine Kardio-Reha: wie?

Die CV Beurteilung vor Aufnahme in das Programm umfasst eine Beurteilung der CV Erkrankung, der Krankengeschichte, der CV Risikofaktoren und des Lebensstils des Patienten sowie eine Beurteilung der körperlichen Belastbarkeit und der Lebensqualität.10 Die Dauer hängt von der Modalität der Kardio-Reha ab (8 bis 12 Wochen bei ambulanten und 3 bis 4 Wochen bei stationären Programmen). Letztere werden eher in komplexen Situationen (aus medizinischer, psychosozialer, beruflicher oder präventiver Sicht), bei Patienten mit eingeschränkter Belastbarkeit, bei Fehlen eines ambulanten Kardio-Reha-Programms in der Nähe oder generell bei älteren Patienten empfohlen.

In ambulanten Kardio-Reha-Programmen wird die Belastbarkeit in der Regel durch einen Belastungstest auf dem Fahrradergometer oder Laufband oder durch Ergospirometrie beurteilt. Der 6-Minuten-Gehtest wird hauptsächlich in stationären Kardio-Reha-Programmen durchgeführt, da er für ältere und multimorbide Patienten besser geeignet ist.

Die Beurteilung der Lebensqualität zu Beginn und am Ende eines Kardio-Reha-Programms ermöglicht es, Teilnehmer mit einem Risiko für psychische Erkrankungen zu erkennen und ihnen die am besten geeignete psychologische Unterstützung anzubieten. Depressionen und Angstzustände werden nach einem akuten CV Ereignis häufig beschrieben, und beide Symptome sind mit unerwünschten CV Ereignissen und Rehospitalisierungen assoziiert.11

Teilnahme und Adhärenz am kardialen Rehabilitationsprogramm

Trotz der europäischen Richtlinien und der wissenschaftlichen Evidenz scheint die Kardio-Reha zu wenig genutzt zu werden, insbesondere bei Patienten mit chronischem Koronarsyndrom (nach PCI ohne akutes Ereignis), bei Patienten mit Herzinsuffizienz und generell bei Frauen. Die weitere Förderung der Kardio-Reha ist daher eine wichtige Aufgabe, um die CV Morbidität und Mortalität in der Schweiz weiter zu senken. Studien kamen zu dem Schluss, dass die Auswirkungen auf die Adhärenz grösser zu sein schienen, wenn ausgebildete Pflegekräfte oder medizinische Fachpersonen persönlich beteiligt waren.12 Neben den Strategien zur Förderung der Kardio-Reha könnte die Teilnahme an der Kardio-Reha auch dadurch gesteigert werden, dass alternative Modelle wie häusliche Kardio-Reha oder Tele-Rehabilitation genutzt werden. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass die häusliche Kardio-Reha mit oder ohne Telemonitoring die Beteiligung steigern könnte und ebenso wirksam wie die Kardio-Reha in einem Zentrum zu sein scheint.13

Weitere Studien sind in Zukunft erforderlich, um zu zeigen, ob die Tele-Reha die Adhärenz an die Kardio-Reha tatsächlich erhöht und ob sie genauso wirksam ist wie die Reha in einem Zentrum. Wie im Positionspapier «Digital Health» der ESC-Arbeitsgruppe e-Kardiologie dargelegt, scheint die Kardio-Reha vielversprechend zu sein, doch gibt es noch Hindernisse zu überwinden, und sie muss sich nun auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten konzentrieren.14 Dank verschiedener Smartphone-Apps könnte die sekundäre CV Prävention leichter zugänglich und besser auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmt und dadurch eine bessere langfristige Adhärenz ermöglicht werden.

1 World Health Organization (WHO): Needs and action priorities in cardiac rehabilitation and secondary prevention in patients with coronary artery disease. Geneva: WHO Regional Office for Europe; 1993 2 Pfiffner D, Saner H: [The current status of cardiac rehabilitation in Switzerland.] Schweiz Med Wochenschr 1990; 120: 1565-8 3 Abreu A et al.: Standardization and quality improvement of secondary prevention through cardiovascular rehabilitation programmes in Europe: The avenue towards EAPC accreditation programme: A position statement of the Secondary Prevention and Rehabilitation Section of the European Association of Preventive Cardiology (EAPC). Eur J Prev Cardiol 2021; 28: 496-509 4 www.SCPRS.ch 5 Bellmann B et al.: The beneficial effects of cardiac rehabilitation. Cardiol Ther 2020; 9: 35-44 6 Salzwedel A et al.: Effectiveness of comprehensive cardiac rehabilitation in coronary artery disease patients treated according to contemporary evidence based medicine: Update of the Cardiac Rehabilitation Outcome Study (CROS-II). Eur J Prev Cardiol 2020; 27: 1756-74 7 Taylor RS et al.: Exercise-based rehabilitation for heart failure: Cochrane systematic review, meta-analysis, and trial sequential analysis. JACC Heart Fail 2019; 7: 691-705 8 Gonzalez-Jaramillo N et al.: Clinical outcomes and cardiac rehabilitation in underrepresented groups after percutaneous coronary intervention: an observational study. Eur J Prev Cardiol 2022; 29: 1093-1103 9 Visseren FLJ et al.: 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J 2021; 42: 3227-337 10 Ambrosetti M et al.: Secondary prevention through comprehensive cardiovascular rehabilitation: From knowledge to implementation. 2020 update. A position paper from the Secondary Prevention and Rehabilitation Section of the European Association of Preventive Cardiology. Eur J Prev Cardiol 2021; 28: 460-95 11 Strik JJ et al.: Comparing symptoms of depression and anxiety as predictors of cardiac events and increased health care consumption after myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 2003; 42: 1801-7 12 Santiago de Araújo Pio C et al.: Interventions to promote patient utilisation of cardiac rehabilitation. Cochrane Database Syst Rev 2019; 2: CD007131 13 Anderson L et al.: Exercise-based cardiac rehabilitation for coronary heart disease: Cochrane systematic review and meta-analysis. J Am Coll Cardiol 2016; 67: 1-12 14 Frederix I et al.: ESC e-Cardiology Working Group Position Paper: Overcoming challenges in digital health implementation in cardiovascular medicine. Eur J Prev Cardiol 2019; 26: 1166-77

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