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Kardiometabolische Erkrankungen: Grundlagenforschung und epidemiologische Studien
Leading Opinions
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10.05.2018
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<p class="article-intro">Neben klinisch-praktischen Themen wurden am diesjährigen AGLA Update Meeting in den beiden Hauptvorträgen auch interessante Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung und aus epidemiologischen Studien präsentiert. So war zu erfahren, wie braunes Fettgewebe, die Darmmikrobiota und die metabolische Homöostase zusammenhängen und welchen Einfluss Luftverschmutzung und Verkehrslärm auf die Entwicklung von kardiometabolischen Erkrankungen haben.</p>
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<p class="article-content"><h2>Braunes Fettgewebe, Darmmikrobiota und metabolische Homöostase</h2> <p>Neben den weissen Fettzellen, deren Funktion die Energiespeicherung ist, findet man bei Tieren, die einen Winterschlaf machen, bei Nagetieren sowie bei neugeborenen Säugetieren einschliesslich menschlichen Säuglingen auch braune Adipozyten, welche für die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur verantwortlich sind.<sup>1</sup> Durch Verbrennen von Lipiden und Glukose kann im braunen Fettgewebe Wärme produziert werden, wodurch der Energieverbrauch des Organismus erhöht wird. Zusätzlich zum klassischen braunen Fettgewebe findet man bei erwachsenen Nagern vorwiegend im weissen Fettgewebe auch die sog. beigen Adipozyten, die den braunen Fettzellen ähnlich sind und als physiologische Antwort auf chronische Kälteexposition gebildet werden.<sup>1</sup> Die Entstehung von beigen Fettzellen im weissen Fettgewebe, die durch Kälte, aber auch körperliche Aktivität ausgelöst werden kann, wird als Browning bezeichnet.<sup>2</sup> Das braune Fettgewebe ist metabolisch aktiv und kontrolliert – zumindest bei Mäusen – den Blutzuckerspiegel, reduziert den Triglyzerid- und Cholesterinspiegel und wirkt antiatherogen.<sup>3–5</sup> Das Gleiche gilt möglicherweise auch für die beigen Adipozyten. Die Aktivierung des braunen Fettgewebes durch eine 24-stündige Kälteexposition führt bei Mäusen zu positiven Auswirkungen auf Übergewicht, Insulinresistenz und Hyperlipidämie.<sup>3</sup> Die Aktivierung des braunen Fettgewebes und die Stimulation des Brownings könnten also eine interessante Option zur Behandlung von metabolischen Störungen und Adipositas sein.</p> <p>«Lange dachten wir, dass erwachsene Menschen kein braunes Fettgewebe haben », sagte Prof. Mirko Trajkovski, Forscher am Departement für Zellphysiologie und Metabolismus der Universität Genf. «Obwohl es bereits 2002 in einer PETStudie Hinweise darauf gab, dass bei erwachsenen Männern aktiviertes braunes Fettgewebe vorhanden ist,<sup>6</sup> wurde die Relevanz dieser Erkenntnis erst einige Jahre später erkannt.» 2009 konnten Forscher der Universität Maastricht, nach Kälteexposition (16°C für 2 Stunden) bei 96 % der untersuchten gesunden Männer braunes Fettgewebe nachweisen, wobei dessen Aktivität bei den übergewichtigen Probanden signifikant niedriger war als bei den schlanken.<sup>7</sup> «Braunes und beiges Fettgewebe scheinen für die Regulation der Dyslipidämie sehr wichtig zu sein. Aber womit, ausser mit Kälteexposition, können wir die Aktivität dieses Fettgewebes erhöhen?», fragte Trajkovski. Hier kommt nun die Darmmikrobiota ins Spiel.<br /> Es ist bekannt, dass übergewichtige Menschen eine andere Zusammensetzung der Darmmikrobiota haben als schlanke. Trajkovski und Kollegen zeigten, dass Kälteexposition die Zusammensetzung der Darmmikrobiota verändert und dass durch die Transplantation dieser kälteadaptierten Mikrobiota bei keimfreien Mäusen ein verstärktes Browning ausgelöst, die Insulinsensitivität verbessert und der Energieverbrauch gesteigert werden kann.<sup>8</sup> «Die kälteadaptierte Mikrobiota konnte bei diesen Mäusen also die metabolisch vorteilhaften Effekte der Kälteexposition auslösen, ohne dass die Mäuse selbst der Kälte ausgesetzt worden wären», so Trajkovski. Das Forscherteam der Universität Genf hat ausserdem herausgefunden, dass das Browning auch durch eine Dezimierung der Mikrobiota durch Antibiotika induziert werden kann.<sup>9</sup> «Wir stellten deshalb die Hypothese auf, dass das Browning durch eine negative Energiebilanz ausgelöst wird – sei dies durch erhöhten Energiebedarf bei körperlicher Aktivität oder Kälte oder aufgrund der dezimierten Mikrobiota und der damit einhergehenden ungenügenden Nährstoffzufuhr. Die Frage war nun, ob Browning auch durch Kalorienrestriktion induziert werden kann.» Und tatsächlich konnten die Genfer Forscher am Mausmodell zeigen, dass durch Kalorienrestriktion die Entwicklung von beigen Adipozyten im subkutanen und im viszeralen Fettgewebe stimuliert wird, wobei das Immunsystem eine wesentliche Rolle spielt.<sup>10</sup> Man darf gespannt sein auf weitere Erkenntnisse und deren Umsetzung in den klinischen Alltag.</p> <h2>Luftverschmutzung und Verkehrslärm verursachen kardiometabolische Erkrankungen</h2> <p>Umweltfaktoren können den Weg ebnen für nicht übertragbare chronische Krankheiten. Die mit Abstand wichtigsten umweltbezogenen Risikofaktoren sind Luftverschmutzung und Verkehrslärm. Aus empirischen und epidemiologischen Daten gibt es immer mehr Evidenz dafür, dass Luftverschmutzung und Lärm auf stereotype Weise unabhängig oxidativen Stress auslösen und zu einer vaskulären Dysfunktion und einem autonomen Ungleichgewicht führen, wodurch die Auswirkungen der klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren verstärkt werden. Dabei scheinen, wie Münzel et al. in einer 2017 publizierten Übersichtsarbeit darlegen, im Wesentlichen vier pathophysiologische Mechanismen von Bedeutung zu sein: 1. Störung des autonomen Nervensystems und/oder Aktivierung des sympathoadrenergen Systems; 2. Freisetzung von Entzündungsmediatoren, veränderten Lipiden oder Phospholipiden und Aktivierung von Leukozytenpopulationen; 3. endotheliale Dysfunktion verursacht durch oxidativen Stress sowie 4. Aktivierung der prothrombotischen Achse.<sup>11</sup> Die Folgen davon sind Adipositas, chronische systemische Entzündung, Hypertonie, Diabetes und Arteriosklerose. Abbildung 1 zeigt ein von Jerrett und Kollegen vorgeschlagenes Rahmenkonzept, in dem dargestellt wird, für welche verkehrsbedingten Faktoren ein Zusammenhang mit kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen gezeigt worden ist und welche Mechanismen daran beteiligt sein könnten.<sup>12</sup><br /> «Um sinnvolle präventive Massnahmen ergreifen resp. bei den Behörden anstossen zu können, müssen wir jedoch wissen, welche dieser Faktoren kausale Effekte haben», so Prof. Dr. Nicole Probst-Hensch, Leiterin des Departements Epidemiologie und Public Health am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) in Basel. «Dafür benötigen wir epidemiologische Langzeitstudien wie beispielsweise die Schweizer SAPALDIA-Studie. »<sup>13</sup> Die bevölkerungsbezogene Kohortenstudie SAPALDIA (Swiss study on Air Pollution And Lung Disease In Adults) wurde 1991 konzipiert, um den Einfluss der Luftverschmutzung auf die Atemwege zu untersuchen. Einige Jahre später wurde der Fokus erweitert auf kardiometabolische Störungen und chronische Erkrankungen und in der jüngsten Erhebung (SAPALDIA 4) wurden zusätzlich Daten zum Altern gewonnen. Seit 2002 wird parallel dazu eine Biodatenbank aufgebaut. «So können wir sehr komplexe Daten gewinnen, die es uns ermöglichen, komplexe Erkrankungen und präklinische Phänotypen zu verstehen», sagte Probst-Hensch.<br /> In Bezug auf kardiometabolische Erkrankungen haben die SAPALDIA-Daten schon zu einigen Erkenntnissen geführt. So konnte beispielsweise eine signifikante Assoziation zwischen einer chronischen Feinstaubbelastung und der Intima-Media- Dicke der Karotis gezeigt werden,<sup>14</sup> was die Vermutung aus früheren Studien untermauert, wonach Luftverschmutzung die Entwicklung einer Atherosklerose beeinflusst.<sup>15</sup> Die Analyse der SAPALDIADaten ergab aber auch eine positive Assoziation zwischen der Langzeitfeinstaubbelastung und der Diabetesprävalenz.<sup>16</sup> In einer weiteren Studie stellten die Autoren fest, dass auch Verkehrslärm mit der Entwicklung von Diabetes assoziiert und wahrscheinlich relevanter ist als die Luftverschmutzung.<sup>17</sup> Die Auswirkungen des Strassenlärms waren bei Menschen, die bei offenem Fenster schliefen oder eine schlechte Schlafqualität hatten, besonders ausgeprägt. Lärm löst direkt über die Störung des Schlafs Stress aus, aber auch indirekt durch die dauernde Belästigung. Beides kann über die Aktivierung der Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse zu einer metabolischen Störung und einer Insulinresistenz führen. «Die chronische Belastung durch Verkehrslärm, insbesondere in der Nacht, führt aber auch zu einer verminderten körperlichen Aktivität, was ebenfalls zu einer Erhöhung des kardiometabolischen Risikos beiträgt»,<sup>18</sup> so Probst-Hensch. Auch eine kürzlich publizierte Studie, die auf zwei grossen europäischen Kohorten beruht, fand eine Assoziation zwischen der chronischen Belastung durch Verkehrslärm und Luftverschmutzung und erhöhten Werten für CRP, Triglyzeride, HDL und Blutzucker.<sup>19</sup> Neuere Methoden wie z.B. das Exosom- Konzept, die Mendel’sche Randomisierung, das sog. «Meet-in-the-middle»-Konzept und die Untersuchung der Gen-Umwelt- Interaktionen ermöglichen es, künftig auch Aussagen zu kausalen Zusammenhängen zu machen, was eines der Probleme von epidemiologischen Studien ist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1802_Weblinks_lo_innere_medizin_1802_s39_abb1.jpg" alt="" width="2151" height="1382" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: AGLA Update Meeting, 11. Januar 2018, Bern
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<p><strong>1</strong> Rosenwald M et al.: Bi-directional interconversion of brite and white adipocytes. Nat Cell Biol 2013; 15: 659-67 2 Peirce V et al.: The different shades of fat. Nature 2014; 510: 76-83 <strong>3</strong> Bartelt A, Heeren J: Adipose tissue browning and metabolic health. Nat Rev Endocrinol 2014; 10: 24-36 <strong>4</strong> Hoeke G et al.: Role of brown fat in lipoprotein metabolism and atherosclerosis. Circ Res 2016; 118: 173-82 <strong>5</strong> Berbée JF et al.: Brown fat activation reduces hypercholesterolaemia and protects from atherosclerosis development. Nat Commun 2015; 6: 6356 <strong>6</strong> Hany TF et al.: Brown adipose tissue: a factor to consider in symmetrical tracer uptake in the neck and upper chest region. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2002; 29: 1393-8 <strong>7</strong> van Marken Lichtenbelt WD et al.: Cold-activated brown adipose tissue in healthy men. N Engl J Med 2009; 360: 1500-8 <strong>8</strong> Chevalier C et al.: Gut microbiota orchestrates energy homeostasis during cold. Cell 2015; 163: 1360-74 <strong>9</strong> Suárez-Zamorano N et al.: Microbiota depletion promotes browning of white adipose tissue and reduces obesity. Nat Med 2015; 21: 1497-1501 <strong>10</strong> Fabbiano S et al.: Caloric restriction leads to browning of white adipose tissue through type 2 immune signaling. Cell Metab 2016; 24: 434-46 <strong>11</strong> Münzel T et al.: Environmental stressors and cardio-metabolic disease: part II-mechanistic insights. Eur Heart J 2017; 38: 557-64 <strong>12</strong> Jerrett M et al.: Traffic-related air pollution and obesity formation in children: a longitudinal, multilevel analysis. Environ Health 2014; 13: 49 <strong>13</strong> http://www.sapaldia.ch/de/ <strong>14</strong> Aguilera I et al.: Particulate matter and subclinical atherosclerosis: associations between different particle sizes and sources with carotid intima-media thickness in the SAPALDIA study. Environ Health Perspect 2016; 124: 1700-6 <strong>15</strong> Künzli N et al.: Investigating air pollution and atherosclerosis in humans: concepts and outlook. Prog Cardiovasc Dis 2011; 53: 334-43 <strong>16</strong> Eze IC et al.: Longterm air pollution exposure and diabetes in a population- based Swiss cohort. Environ Int 2014; 70: 95-105 <strong>17</strong> Eze IC et al.: Long-term exposure to transportation noise and air pollution in relation to incident diabetes in the SAPALDIA study. Int J Epidemiol 2017; 46: 1115-25 <strong>18</strong> Foraster M et al.: Long-term transportation noise annoyance is associated with subsequent lower levels of physical activity. Environ Int 2016; 91: 341-9 <strong>19</strong> Cai Y et al.: Long-term exposure to road traffic noise, ambient air pollution, and cardiovascular risk factors in the HUNT and lifelines cohorts. Eur Heart J 2017; 38: 2290-6</p>
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