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Kardiologische Rehabilitation in Europa

<p class="article-intro">Grundsätzlich steht die kardiologische Rehabilitation in allen Ländern Europas zur Verfügung. Die Programme sind aber sehr heterogen und das Interesse dafür entspricht noch lange nicht der therapeutischen Bedeutung. Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz sind dringend erforderlich. Eine bessere Ergebnisdokumentation der kardiologischen Rehabilitation in Europa und deren Standardisierung über „best evidence“ zu „best practice“ sind Herausforderungen der Zukunft .</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Kardiologische Rehabilitationsprogramme werden in praktisch allen L&auml;ndern Europas angeboten, es werden jedoch noch viel zu wenige Patienten zugewiesen.</li> <li>Die angebotenen Programme sind noch auffallend heterogen und Ma&szlig;nahmen zur Standardisierung &uuml;ber &bdquo;best evidence&ldquo; zu &bdquo;best practice&ldquo; sind erforderlich.</li> <li>Besonders im Argen liegt die Langzeitrehabilitation, mit Ausnahme von &Ouml;sterreich und Deutschland ist diese vielerorts nicht sichtbar, da nur unstrukturiert und privat organisiert.</li> <li>Eine besondere Herausforderung ist in den kommenden Jahren die Behandlung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz.</li> </ul> </div> <p>Durch die enormen Anstrengungen der letzten Jahrzehnte zur Einf&uuml;hrung moderner Behandlungsma&szlig;nahmen in der Akutversorgung von Herz-Kreislauf-Patienten konnte deren Sterblichkeit bezogen auf das Lebensalter deutlich gesenkt werden.<sup>1</sup> Diese oft lebensrettenden Behandlungsma&szlig;nahmen sind jedoch nicht in jedem Fall ausreichend, um eine nachhaltige Stabilisierung der Grunderkrankung herbeizuf&uuml;hren. In diesem Stadium des Krankheitsverlaufs hat die kardiologische Rehabilitation einen nachgewiesenen Effekt und sollte deshalb einen fixen Platz in der Behandlungskette einnehmen. Die vom Patienten direkt wahrgenommenen Effekte sind eine Zunahme der k&ouml;rperlichen Leistungsf&auml;higkeit und der gesundheitsbezogenen Lebensqualit&auml;t und eine Abnahme der neuerlichen Spitalsbed&uuml;rftigkeit. Die indirekten Effekte &auml;u&szlig;ern sich in einer signifikanten Verbesserung der Langzeit&uuml;berlebensrate nach einem kardiovaskul&auml;ren Ereignis.<sup>2</sup><br /> Die aktuellen Guidelines zur Pr&auml;vention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen der European Society of Cardiology (ESC) weisen der kardiologische Rehabilitation deshalb bei Patienten nach einem kardiovaskul&auml;ren Ereignis wie einem akuten Koronarsyndrom und/oder einer koronaren Revaskularisation und bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Empfehlungsklasse I, Evidenzgrad A, zu (Tab. 1).<sup>3</sup><br /> Kardiologische Rehabilitationsprogramme werden in ganz Europa grunds&auml;tzlich f&uuml;r alle Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen angeboten. Die wichtigsten Eckpunkte sind in einem Positionspapier der ESC definiert worden.<sup>4</sup> Trotzdem bestehen nach wie vor gro&szlig;e Unterschiede in der Struktur, der L&auml;nge und dem Inhalt der Rehabilitationsprogramme in den einzelnen L&auml;ndern, auch verursacht durch eine unterschiedliche nationale Gesetzgebung. Das Fehlen einer internationalen Standardisierung wirkt sich negativ auf die Qualit&auml;t der Programme aus, was wiederum einen nachteiligen Effekt auf die Ergebnisqualit&auml;t der angebotenen Behandlungsma&szlig;nahmen mit sich bringt. Deshalb hat sich die ESC entschlossen, zwei gro&szlig;e Studien durchzuf&uuml;hren, die einerseits die nationalen Strukturen der kardiologischen Rehabilitation analysieren sollen und andererseits einen &Uuml;berblick &uuml;ber die Prozess- und Ergebnisqualit&auml;t in den Rehabilitationsprogrammen verschaffen sollen. Dies sind:</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite75_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="648" /></p> <h2>&bdquo;European Cardiac Rehabilitation Inventory Survey&ldquo; (ECRIS)<sup>5</sup></h2> <p>Zur Analyse standen zu allen Phasen der kardiologischen Rehabilitation Daten aus 28 europ&auml;ischen L&auml;ndern zur Verf&uuml;gung. In &uuml;ber 80 % der L&auml;nder Europas wird eine Phase-I-Rehabilitation unmittelbar nach Behandlung des akuten kardiovaskul&auml;ren Ereignisses noch im Akutspital angeboten. Die typische Dauer dieser Programme ist weniger als 10 Tage. Die Kosten der Programme sind grunds&auml;tzlich durch die Kosten des Spitalsaufenthaltes abgedeckt. Auch die Phase-II-Rehabilitation ist in allen L&auml;ndern Europas etabliert. Es bestehen jedoch markante Unterschiede im Inhalt und in der Dauer der Programme. In den meisten L&auml;ndern werden sowohl station&auml;re als auch ambulante Programme angeboten. Die station&auml;ren Programme dauern in der Regel 3 bis 4 Wochen, die ambulanten durchschnittlich 6 bis 12 Wochen. Fast alle L&auml;nder in Europa sind in der Lage, eine Phase-III-Rehabilitation anzubieten. Dieser Abschnitt der Rehabilitation wird meist von sogenannten Herzsportgruppen &uuml;bernommen. Viele L&auml;nder verf&uuml;gen aber &uuml;ber ein zu geringes Angebot an Herzsportgruppen. Die meisten dieser Gruppen sind in der Lage, wenigstens einmal w&ouml;chentlich ein k&ouml;rperliches Training anzubieten. Die Dauer der Phase-III-Rehabilitation ist im Idealfall lebensl&auml;nglich. Lediglich in &Ouml;sterreich ist die Phase-III-Rehabilitation so wie die Phase I und II institutionalisiert und verl&auml;uft nach einem strukturierten Programm, das auch von den Pensions- bzw. Krankenversicherungen finanziert wird. Damit verf&uuml;gt &Ouml;sterreich &uuml;ber das l&auml;ngste strukturierte Rehabilitationsprogramm aller L&auml;nder in Europa. Dieses wirkt sich entsprechend positiv auf die Nachhaltigkeit der angebotenen Rehabilitationsma&szlig;nahmen aus.<sup>6</sup></p> <p>Ob in Europa vorwiegend eine ambulante oder station&auml;re Rehabilitation zur Anwendung kommt, wird nicht von den Programminhalten bestimmt, sondern von der Tradition der Gesetzgebung und den Versicherungssystemen der einzelnen L&auml;nder. In den deutschsprachigen L&auml;ndern k&ouml;nnen sowohl station&auml;re als auch ambulante Rehabilitationsprogramme oder phasenkonform sogar beides in Anspruch genommen werden. Sowohl station&auml;re als auch ambulante Programme haben ihre speziellen Charakteristika und k&ouml;nnen je nach Situation, bevorzugt aber auch einander erg&auml;nzend, eingesetzt werden. Ambulante Rehabilitationsprogramme sind besonders geeignet, um die initial erreichten Rehabilitationsziele auch langfristig zu stabilisieren. In den deutschsprachigen L&auml;ndern ist ein ausreichendes Angebot an station&auml;ren Rehabilitationspl&auml;tzen vorhanden. Dem steht allerdings ein viel zu geringes Angebot an ambulanten Einrichtungen gegen&uuml;ber, vor allem f&uuml;r die Phase-III-Rehabilitation.<br /> Ein eklatantes therapeutisches Ungleichgewicht besteht in Europa zwischen den f&uuml;r eine Rehabilitation infrage kommenden Patienten und den tats&auml;chlich in ein strukturiertes Programm aufgenommenen Rehabilitanden. Geht man von einer Indikation von 100 % aus, sieht man eine tats&auml;chliche Aufnahme von 35 % (Spanien) bis zu 90 % (Litauen). In nur drei L&auml;ndern Europas (Deutschland, Island, Litauen) werden mehr als 50 % der f&uuml;r eine kardiologische Rehabilitation geeigneten Patienten auch wirklich in ein station&auml;res oder ambulantes Programm aufgenommen (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite76_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="1943" /></p> <h2>&bdquo;European Cardiac Rehabilitation Registry&ldquo; (EuroCaReD)<sup>7</sup></h2> <p>Insgesamt wurden 2054 Datens&auml;tze von Patienten aus 69 Rehabilitationszentren in 12 europ&auml;ischen L&auml;ndern analysiert. Das mittlere Alter der Patienten betrug 58&plusmn;16 Jahre. Auff&auml;llig war, dass von diesen Patienten nur 24 % Frauen waren. Erwartungsgem&auml;&szlig; wurden die meisten Patienten nach einem kardialen Ereignis wegen einer koronaren Herzkrankheit (83 % ) in ein Rehabilitationszentrum eingewiesen. Als kardiales Ereignis wurde am h&auml;ufigsten ein akutes Koronarsyndrom angegeben (40 % ). Auff&auml;llig niedrig war die Anzahl der eingewiesenen Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (4 % ).<br /> Die in ein Rehabilitationsprogramm aufgenommenen Patienten wiesen zwar die typischen kardiovaskul&auml;ren Risikofaktoren auf, es zeigten sich jedoch bemerkenswerte Unterschiede in der Verteilung der Risikofaktoren in den verschiedenen L&auml;ndern Europas. Demnach berichteten weit mehr Patienten in Russland &uuml;ber eine Hypertonie (95 % ) als in Spanien (50 % ). Weit mehr Patienten in Kroatien (95 % ) als in der Schweiz (52 % ) gaben eine Hypercholesterin&auml;mie an. Raucher waren wiederum mehr in &Ouml;sterreich (55 % ) als in Belgien (29 % ) zu verzeichnen.<br /> Schon zu Beginn des Rehabilitationsprogramms waren die meisten medikament&ouml;s beeinflussbaren Risikofaktoren im Hinblick auf deren Zielwerte gut korrigiert. Eine weitere Optimierung war durch die Rehabilitationsma&szlig;nahmen kaum mehr m&ouml;glich. Die Werte aus den strukturierten, auf k&ouml;rperlichem Training basierenden EuroCaReD- Rehabilitationsprogrammen waren aber vergleichsweise besser als jene, die in einem anderen Interventionsprogramm durch eine alleinige lebensstilmedizinische Beratung erreicht wurden (z.B. EuroAction<sup>8</sup>) (Tab. 3). Mit einem medizinisch exakt vorgeschriebenen und auch kontrollierten k&ouml;rperlichen Training konnte eine durchschnittliche Leistungssteigerung von zumindest 25 Watt erreicht werden.<br /> Patienten, die in ein ambulantes oder station&auml;res kardiologisches Rehabilitationsprogramm aufgenommen wurden, beendeten dieses auch in &uuml;ber 85 % der F&auml;lle. Daraus l&auml;sst sich schlie&szlig;en, dass die Patienten das ihnen angebotene Rehabilitationsprogramm annehmen und auch durchhalten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite77_tab3.abb1.jpg" alt="" width="2150" height="659" /></p> <h2>Kritische Analyse der aktuellen Situation</h2> <p>Die Phase-I- und Phase-II-Rehabilitation wird in praktisch allen L&auml;ndern Europas angeboten. Traditionell wird die &uuml;berwiegende Anzahl der Patienten besonders in Mittel- und Osteuropa zur kardiologischen Rehabilitation station&auml;r aufgenommen. Das ist f&uuml;r schwerer kranke Patienten und Hochrisikopatienten von Vorteil, weil diese dort schneller stabilisiert und besser mobilisiert werden k&ouml;nnen als in ambulanten Programmen. Allerdings haben ambulante Programme wieder den Vorteil, dass diese l&auml;nger dauern und damit auch effektiver sind, berufsbegleitend in Anspruch genommen werden k&ouml;nnen und wegen des Wegfalls der Hotelkomponente auch kosteng&uuml;nstiger kalkuliert werden k&ouml;nnen.<br /> Besonders im Argen liegt in allen L&auml;ndern Europas mit Ausnahme &Ouml;sterreich (Phase III) und Deutschland (Herzgruppen) die Langzeitrehabilitation. Diese ist oftmals nicht sichtbar, da nur unstrukturiert und privat organisiert. Hier k&ouml;nnte das Modell der Herzgruppen aus Deutschland ein Beispiel f&uuml;r die &uuml;brigen europ&auml;ischen L&auml;nder geben.<br /> Wie bereits eingangs erw&auml;hnt, ist die kardiologische Rehabilitation eine evidenzbasierte Ma&szlig;nahme zur Verbesserung der Prognose und der gesundheitsbezogenen Lebensqualit&auml;t von Patienten nach einem kardiovaskul&auml;ren Ereignis. Umso erstaunlicher ist es, dass im europ&auml;ischen Durchschnitt nach wie vor weniger als 50 % der f&uuml;r ein Rehabilitationsprogramm geeigneten Patienten nach Krankenhausentlassung auch wirklich in den Genuss dieser Behandlung kommen. Dies betrifft vor allem Frauen und Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz.<br /> Erfahrungswerte aus Gespr&auml;chen mit Patienten deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach einer kardiologischen Rehabilitation vor allem von der aktiven Empfehlung durch die behandelnden Klinik&auml;rzte abh&auml;ngig ist. Mit ausschlaggebend f&uuml;r die Teilnahme an einem ambulanten kardiologischen Rehabilitationsprogramm ist f&uuml;r viele Patienten auch die Entfernung zwischen Wohnort und Zentrum. Eine besondere Herausforderung f&uuml;r die kardiologischen Rehabilitationszentren ist deshalb die Suche nach geeigneten Ma&szlig;nahmen zur Steigerung der Aufnahmezahl sowohl in kurzfristigen als auch langfristigen Programme.<br /> Neben Aktivit&auml;ten zur Erh&ouml;hung des Frauenanteils in der kardiologischen Rehabilitation ist die besondere Herausforderung der kommenden Jahre die Schaffung besserer Bedingungen f&uuml;r die Rehabilitation von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Die aktuellen ESC-Guidelines geben dazu einen Empfehlungsgrad I &ndash; Evidenzklasse A vor.<br /> Die Rehabilitationsprogramme in Europa sind auffallend heterogen. Dies erfordert Ma&szlig;nahmen zur Standardisierung &uuml;ber &bdquo;best evidence&ldquo; zu &bdquo;best practice&ldquo;. Vorrangiges Ziel sind einheitliche Standards. Voraussetzung daf&uuml;r ist eine bessere Erfassung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualit&auml;t der kardiologischen Rehabilitation in allen europ&auml;ischen L&auml;ndern. Daraus sollten ergebnisbezogene Qualit&auml;tsstandards abgeleitet werden, die als Basis f&uuml;r Zertifizierungsprozesse dienen k&ouml;nnten. Als technisches Instrument dazu k&ouml;nnte ein &bdquo;Quality of Care Continuum&ldquo; der kardiologischen Rehabilitation entwickelt werden (Abb. 1).</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Townsend N et al: Eur Heart J 2016; 3 7(42): 3 232-45 <strong>2</strong> Anderson L et al: J Am Coll Cardiol 2016; 67(1): 1 -12 <strong>3</strong> Piepoli MF et al: Eur Heart J 2016; 37(29): 2 315-81 <strong>4</strong> Piepoli MF et al: Eur J Prev Cardiol 2014; 21(6): 664-81 <strong>5</strong> Bjarnason-Wehrens B et al: Eur J Prev Cardiol 2010; 17(4): 410-8 <strong>6</strong> Niebauer J et al: Wien Klin Wochenschr 2014; 126(5-6): 148-55 <strong>7</strong> Benzer W et al: Int J Cardiol 2016; 228: 58-67 <strong>8</strong> Wood DA et al: Lancet 2008; 371(9629): 1999-2012</p> </div> </p>
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