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Kardiologische Rehabilitation in Europa
Jatros
Autor:
Univ.-Doz. Dr. Werner Benzer
Praxis für innere Medizin und Kardiologie, Sportmedizin und Prävention<br> Feldkirch<br> E-Mail: office@herzpraxis-benzer.at<br> Homepage: www.herzpraxis-benzer.at
30
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31.05.2017
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<p class="article-intro">Grundsätzlich steht die kardiologische Rehabilitation in allen Ländern Europas zur Verfügung. Die Programme sind aber sehr heterogen und das Interesse dafür entspricht noch lange nicht der therapeutischen Bedeutung. Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz sind dringend erforderlich. Eine bessere Ergebnisdokumentation der kardiologischen Rehabilitation in Europa und deren Standardisierung über „best evidence“ zu „best practice“ sind Herausforderungen der Zukunft .</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Kardiologische Rehabilitationsprogramme werden in praktisch allen Ländern Europas angeboten, es werden jedoch noch viel zu wenige Patienten zugewiesen.</li> <li>Die angebotenen Programme sind noch auffallend heterogen und Maßnahmen zur Standardisierung über „best evidence“ zu „best practice“ sind erforderlich.</li> <li>Besonders im Argen liegt die Langzeitrehabilitation, mit Ausnahme von Österreich und Deutschland ist diese vielerorts nicht sichtbar, da nur unstrukturiert und privat organisiert.</li> <li>Eine besondere Herausforderung ist in den kommenden Jahren die Behandlung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz.</li> </ul> </div> <p>Durch die enormen Anstrengungen der letzten Jahrzehnte zur Einführung moderner Behandlungsmaßnahmen in der Akutversorgung von Herz-Kreislauf-Patienten konnte deren Sterblichkeit bezogen auf das Lebensalter deutlich gesenkt werden.<sup>1</sup> Diese oft lebensrettenden Behandlungsmaßnahmen sind jedoch nicht in jedem Fall ausreichend, um eine nachhaltige Stabilisierung der Grunderkrankung herbeizuführen. In diesem Stadium des Krankheitsverlaufs hat die kardiologische Rehabilitation einen nachgewiesenen Effekt und sollte deshalb einen fixen Platz in der Behandlungskette einnehmen. Die vom Patienten direkt wahrgenommenen Effekte sind eine Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und eine Abnahme der neuerlichen Spitalsbedürftigkeit. Die indirekten Effekte äußern sich in einer signifikanten Verbesserung der Langzeitüberlebensrate nach einem kardiovaskulären Ereignis.<sup>2</sup><br /> Die aktuellen Guidelines zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen der European Society of Cardiology (ESC) weisen der kardiologische Rehabilitation deshalb bei Patienten nach einem kardiovaskulären Ereignis wie einem akuten Koronarsyndrom und/oder einer koronaren Revaskularisation und bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Empfehlungsklasse I, Evidenzgrad A, zu (Tab. 1).<sup>3</sup><br /> Kardiologische Rehabilitationsprogramme werden in ganz Europa grundsätzlich für alle Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen angeboten. Die wichtigsten Eckpunkte sind in einem Positionspapier der ESC definiert worden.<sup>4</sup> Trotzdem bestehen nach wie vor große Unterschiede in der Struktur, der Länge und dem Inhalt der Rehabilitationsprogramme in den einzelnen Ländern, auch verursacht durch eine unterschiedliche nationale Gesetzgebung. Das Fehlen einer internationalen Standardisierung wirkt sich negativ auf die Qualität der Programme aus, was wiederum einen nachteiligen Effekt auf die Ergebnisqualität der angebotenen Behandlungsmaßnahmen mit sich bringt. Deshalb hat sich die ESC entschlossen, zwei große Studien durchzuführen, die einerseits die nationalen Strukturen der kardiologischen Rehabilitation analysieren sollen und andererseits einen Überblick über die Prozess- und Ergebnisqualität in den Rehabilitationsprogrammen verschaffen sollen. Dies sind:</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite75_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="648" /></p> <h2>„European Cardiac Rehabilitation Inventory Survey“ (ECRIS)<sup>5</sup></h2> <p>Zur Analyse standen zu allen Phasen der kardiologischen Rehabilitation Daten aus 28 europäischen Ländern zur Verfügung. In über 80 % der Länder Europas wird eine Phase-I-Rehabilitation unmittelbar nach Behandlung des akuten kardiovaskulären Ereignisses noch im Akutspital angeboten. Die typische Dauer dieser Programme ist weniger als 10 Tage. Die Kosten der Programme sind grundsätzlich durch die Kosten des Spitalsaufenthaltes abgedeckt. Auch die Phase-II-Rehabilitation ist in allen Ländern Europas etabliert. Es bestehen jedoch markante Unterschiede im Inhalt und in der Dauer der Programme. In den meisten Ländern werden sowohl stationäre als auch ambulante Programme angeboten. Die stationären Programme dauern in der Regel 3 bis 4 Wochen, die ambulanten durchschnittlich 6 bis 12 Wochen. Fast alle Länder in Europa sind in der Lage, eine Phase-III-Rehabilitation anzubieten. Dieser Abschnitt der Rehabilitation wird meist von sogenannten Herzsportgruppen übernommen. Viele Länder verfügen aber über ein zu geringes Angebot an Herzsportgruppen. Die meisten dieser Gruppen sind in der Lage, wenigstens einmal wöchentlich ein körperliches Training anzubieten. Die Dauer der Phase-III-Rehabilitation ist im Idealfall lebenslänglich. Lediglich in Österreich ist die Phase-III-Rehabilitation so wie die Phase I und II institutionalisiert und verläuft nach einem strukturierten Programm, das auch von den Pensions- bzw. Krankenversicherungen finanziert wird. Damit verfügt Österreich über das längste strukturierte Rehabilitationsprogramm aller Länder in Europa. Dieses wirkt sich entsprechend positiv auf die Nachhaltigkeit der angebotenen Rehabilitationsmaßnahmen aus.<sup>6</sup></p> <p>Ob in Europa vorwiegend eine ambulante oder stationäre Rehabilitation zur Anwendung kommt, wird nicht von den Programminhalten bestimmt, sondern von der Tradition der Gesetzgebung und den Versicherungssystemen der einzelnen Länder. In den deutschsprachigen Ländern können sowohl stationäre als auch ambulante Rehabilitationsprogramme oder phasenkonform sogar beides in Anspruch genommen werden. Sowohl stationäre als auch ambulante Programme haben ihre speziellen Charakteristika und können je nach Situation, bevorzugt aber auch einander ergänzend, eingesetzt werden. Ambulante Rehabilitationsprogramme sind besonders geeignet, um die initial erreichten Rehabilitationsziele auch langfristig zu stabilisieren. In den deutschsprachigen Ländern ist ein ausreichendes Angebot an stationären Rehabilitationsplätzen vorhanden. Dem steht allerdings ein viel zu geringes Angebot an ambulanten Einrichtungen gegenüber, vor allem für die Phase-III-Rehabilitation.<br /> Ein eklatantes therapeutisches Ungleichgewicht besteht in Europa zwischen den für eine Rehabilitation infrage kommenden Patienten und den tatsächlich in ein strukturiertes Programm aufgenommenen Rehabilitanden. Geht man von einer Indikation von 100 % aus, sieht man eine tatsächliche Aufnahme von 35 % (Spanien) bis zu 90 % (Litauen). In nur drei Ländern Europas (Deutschland, Island, Litauen) werden mehr als 50 % der für eine kardiologische Rehabilitation geeigneten Patienten auch wirklich in ein stationäres oder ambulantes Programm aufgenommen (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite76_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="1943" /></p> <h2>„European Cardiac Rehabilitation Registry“ (EuroCaReD)<sup>7</sup></h2> <p>Insgesamt wurden 2054 Datensätze von Patienten aus 69 Rehabilitationszentren in 12 europäischen Ländern analysiert. Das mittlere Alter der Patienten betrug 58±16 Jahre. Auffällig war, dass von diesen Patienten nur 24 % Frauen waren. Erwartungsgemäß wurden die meisten Patienten nach einem kardialen Ereignis wegen einer koronaren Herzkrankheit (83 % ) in ein Rehabilitationszentrum eingewiesen. Als kardiales Ereignis wurde am häufigsten ein akutes Koronarsyndrom angegeben (40 % ). Auffällig niedrig war die Anzahl der eingewiesenen Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (4 % ).<br /> Die in ein Rehabilitationsprogramm aufgenommenen Patienten wiesen zwar die typischen kardiovaskulären Risikofaktoren auf, es zeigten sich jedoch bemerkenswerte Unterschiede in der Verteilung der Risikofaktoren in den verschiedenen Ländern Europas. Demnach berichteten weit mehr Patienten in Russland über eine Hypertonie (95 % ) als in Spanien (50 % ). Weit mehr Patienten in Kroatien (95 % ) als in der Schweiz (52 % ) gaben eine Hypercholesterinämie an. Raucher waren wiederum mehr in Österreich (55 % ) als in Belgien (29 % ) zu verzeichnen.<br /> Schon zu Beginn des Rehabilitationsprogramms waren die meisten medikamentös beeinflussbaren Risikofaktoren im Hinblick auf deren Zielwerte gut korrigiert. Eine weitere Optimierung war durch die Rehabilitationsmaßnahmen kaum mehr möglich. Die Werte aus den strukturierten, auf körperlichem Training basierenden EuroCaReD- Rehabilitationsprogrammen waren aber vergleichsweise besser als jene, die in einem anderen Interventionsprogramm durch eine alleinige lebensstilmedizinische Beratung erreicht wurden (z.B. EuroAction<sup>8</sup>) (Tab. 3). Mit einem medizinisch exakt vorgeschriebenen und auch kontrollierten körperlichen Training konnte eine durchschnittliche Leistungssteigerung von zumindest 25 Watt erreicht werden.<br /> Patienten, die in ein ambulantes oder stationäres kardiologisches Rehabilitationsprogramm aufgenommen wurden, beendeten dieses auch in über 85 % der Fälle. Daraus lässt sich schließen, dass die Patienten das ihnen angebotene Rehabilitationsprogramm annehmen und auch durchhalten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite77_tab3.abb1.jpg" alt="" width="2150" height="659" /></p> <h2>Kritische Analyse der aktuellen Situation</h2> <p>Die Phase-I- und Phase-II-Rehabilitation wird in praktisch allen Ländern Europas angeboten. Traditionell wird die überwiegende Anzahl der Patienten besonders in Mittel- und Osteuropa zur kardiologischen Rehabilitation stationär aufgenommen. Das ist für schwerer kranke Patienten und Hochrisikopatienten von Vorteil, weil diese dort schneller stabilisiert und besser mobilisiert werden können als in ambulanten Programmen. Allerdings haben ambulante Programme wieder den Vorteil, dass diese länger dauern und damit auch effektiver sind, berufsbegleitend in Anspruch genommen werden können und wegen des Wegfalls der Hotelkomponente auch kostengünstiger kalkuliert werden können.<br /> Besonders im Argen liegt in allen Ländern Europas mit Ausnahme Österreich (Phase III) und Deutschland (Herzgruppen) die Langzeitrehabilitation. Diese ist oftmals nicht sichtbar, da nur unstrukturiert und privat organisiert. Hier könnte das Modell der Herzgruppen aus Deutschland ein Beispiel für die übrigen europäischen Länder geben.<br /> Wie bereits eingangs erwähnt, ist die kardiologische Rehabilitation eine evidenzbasierte Maßnahme zur Verbesserung der Prognose und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Patienten nach einem kardiovaskulären Ereignis. Umso erstaunlicher ist es, dass im europäischen Durchschnitt nach wie vor weniger als 50 % der für ein Rehabilitationsprogramm geeigneten Patienten nach Krankenhausentlassung auch wirklich in den Genuss dieser Behandlung kommen. Dies betrifft vor allem Frauen und Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz.<br /> Erfahrungswerte aus Gesprächen mit Patienten deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach einer kardiologischen Rehabilitation vor allem von der aktiven Empfehlung durch die behandelnden Klinikärzte abhängig ist. Mit ausschlaggebend für die Teilnahme an einem ambulanten kardiologischen Rehabilitationsprogramm ist für viele Patienten auch die Entfernung zwischen Wohnort und Zentrum. Eine besondere Herausforderung für die kardiologischen Rehabilitationszentren ist deshalb die Suche nach geeigneten Maßnahmen zur Steigerung der Aufnahmezahl sowohl in kurzfristigen als auch langfristigen Programme.<br /> Neben Aktivitäten zur Erhöhung des Frauenanteils in der kardiologischen Rehabilitation ist die besondere Herausforderung der kommenden Jahre die Schaffung besserer Bedingungen für die Rehabilitation von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Die aktuellen ESC-Guidelines geben dazu einen Empfehlungsgrad I – Evidenzklasse A vor.<br /> Die Rehabilitationsprogramme in Europa sind auffallend heterogen. Dies erfordert Maßnahmen zur Standardisierung über „best evidence“ zu „best practice“. Vorrangiges Ziel sind einheitliche Standards. Voraussetzung dafür ist eine bessere Erfassung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der kardiologischen Rehabilitation in allen europäischen Ländern. Daraus sollten ergebnisbezogene Qualitätsstandards abgeleitet werden, die als Basis für Zertifizierungsprozesse dienen könnten. Als technisches Instrument dazu könnte ein „Quality of Care Continuum“ der kardiologischen Rehabilitation entwickelt werden (Abb. 1).</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Townsend N et al: Eur Heart J 2016; 3 7(42): 3 232-45 <strong>2</strong> Anderson L et al: J Am Coll Cardiol 2016; 67(1): 1 -12 <strong>3</strong> Piepoli MF et al: Eur Heart J 2016; 37(29): 2 315-81 <strong>4</strong> Piepoli MF et al: Eur J Prev Cardiol 2014; 21(6): 664-81 <strong>5</strong> Bjarnason-Wehrens B et al: Eur J Prev Cardiol 2010; 17(4): 410-8 <strong>6</strong> Niebauer J et al: Wien Klin Wochenschr 2014; 126(5-6): 148-55 <strong>7</strong> Benzer W et al: Int J Cardiol 2016; 228: 58-67 <strong>8</strong> Wood DA et al: Lancet 2008; 371(9629): 1999-2012</p>
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