<p class="article-intro">Familiär bedingtes kardiales Risiko gilt als nicht beeinflussbar und wird vom Patienten lebenslang wie ein Rucksack mit sich getragen. Jenseits dieser seit Langem bekannten idiopathischen Faktoren können auch noch Genpolymorphismen zusätzliches Risiko für ihren Träger mit sich bringen. Die gute Nachricht: Die Einflüsse der Epigenetik können sich auch günstig auf das erbliche Risiko auswirken.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>„Single nucleotide polymorphisms“ sind häufig, jedoch oft funktionell inaktiv.</li> <li>Seltene Mutationen können zu hereditären kardialen Erkrankungen führen und poten­ziell tödlich sein.</li> <li>Trainingstherapie hat Schutzeffekte, deren Mechanismen bis in den epigenetischen Bereich führen.</li> <li>Genetische Risk-Scores sowie pharmako- und epigenetische Effekte versprechen viel Potenzial für die Zukunft.</li> </ul> </div> <p>Erkrankungen wie z.B. die essenzielle arterielle Hypertonie oder koronare Herzkrankheit sind in klassischer Weise sogenannte polygene Erkrankungen. Das bedeutet, dass das Zusammenwirken mehrerer bzw. vieler Gene für das Entstehen dieser Erkrankung verantwortlich ist, oder anders ausgedrückt, dass die Erkrankung nicht an einem einzelnen Gen festgemacht werden kann. Abzugrenzen hiervon sind sogenannte monogene Krankheiten, welche bereits durch ein verantwortliches Allel ausgelöst werden können (dominanter Erbgang). Genetisch ursächlich für solche Erkrankungen sind durch Mutationen entstehende Genpolymorphismen, bei welchen in deren häufigster Form nur ein einzelnes Basenpaar fehlerhaft durch ein anderes ausgetauscht wird („single nucleotide polymorphisms“, SNPs). Obwohl sich viele dieser Polymorphismen phänotypisch nicht auswirken, können manche von ihnen auch zu potenziell tödlichen Erkrankungen führen. Diverse Ionenkanalstörungen, hereditäre Kardiomyopathien, aber auch Stoffwechselerkrankungen können bestimmten Genpolymorphismen zugeordnet werden (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1603_Weblinks_Seite32_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Arrhythmogene rechtsventrikuläre ­Dysplasie (ARVD)</h2> <p>Eine Kardiomyopathie mit autosomal-dominantem Erbgang verdient – weil potenziell tödlich – genauere Betrachtung. Für die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie (ARVD) sind derzeit genetisch zehn Typen beschrieben, welche zu Veränderungen in den Desmosomen (Zell-Zell-Verbindungen) führen. Phänotypisch kommt es zu einem bindegewebigen Umbau des Myokards, welcher v.a. den rechten Ventrikel betrifft und mit Störungen der Reizleitung einhergeht. Da diese potenziell lebensbedrohenden Arrhythmien durch körperliche Anstrengungen ausgelöst werden können und bereits juvenile Patienten betreffen, ist die ARVD mit ihrer Prävalenz von 1:5.000 eine Herausforderung im medizinischen Screening von Breitensportlern (Epsilonwellen und neg. Ts in den rechtspräkordialen EKG-Ableitungen). Den besten Nutzen hinsichtlich Outcome bringt die ICD-Implantation.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1603_Weblinks_Seite32_3.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Genomweite Assoziationsstudien</h2> <p>1990 wurde das internationale Humangenomprojekt mit dem Ziel der Entschlüsselung des gesamten menschlichen Genoms initialisiert und 2003 für abgeschlossen erklärt. Im Zuge dieses Projektes wurden auch die sogenannten „genomweiten Assoziationsstudien“ (GWAS) ermöglicht (v.a. durch den Preisverfall bei der DNA-Sequenzierung). Hierbei werden eine Gruppe von phäno­typisch Erkrankten sowie eine Kontrollgruppe auf bestimmte Marker-SNPs untersucht, um statistisch Korrelationen zwischen den Polymorphismen und der zu untersuchenden Erkrankung festzustellen. Trotz verschiedener Limitierungen (v.a. bleiben seltene Varianten unentdeckt) konnten durch die GWAS zahlreiche Polymorphismen diversen Erkrankungen zugeordnet werden (für Infarktrisiko siehe Tab. 2). Für die koronare Herzkrankheit wurden zwischen 2007 und 2010 durch neun durchgeführte GWAS sieben SNPs identifiziert (Abb. 1), welche das Risiko um 9 bis 24 % steigen ­lassen. Dieser moderate Risikoanstieg durch ein Bestehen der genannten SNPs addiert sich zum Effekt einer allfällig bestehenden positiven Familienanamnese. Obwohl zum jetzigen Zeitpunkt keine generelle Empfehlung zu einem genetischen Screening besteht, könnte sich aus diesem ein Nutzen in mittlerer Zukunft ableiten lassen. Mit dem Wissen, Träger eines Risikopolymorphismus zu sein, dürfte bei den betreffenden Patienten eine bessere Therapiecompliance (auch hinsichtlich Lifestylemodifikation) zu erzielen sein. Darüber hinaus könnte auch das Wissen der Pharmakogenetik nützlich werden, da durch die genetische Identifikation von Patienten, welche besonders gut auf spezifische Therapien ansprechen, individualisierte Therapien ermöglicht werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1603_Weblinks_Seite32_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Genetische Risikoscores</h2> <p>Weiters kann durch die Zusammenführung klassischer Risikofaktoren mit Scores, die sich aus genetischen Untersuchungen ableiten lassen, eine erhöhte prognostische Treffsicherheit erzielt werden.</p> <h2>Sind Gene unbeeinflussbar? – ­Epigenetische Effekte</h2> <p>Im Gegensatz zum Genom unterliegt das sogenannte Epigenom dynamischen Änderungen, abhängig von Alter, Lebensstil und Umwelteinflüssen, welche die Exprimierung verschiedener Genprodukte beeinflussen. Ein typischer epigenetischer Effekt ist die Verbindung kleiner Moleküle (z.B. Methylgruppen) mit den DNA-Basen, was dazu führt, dass keine Transkription durch mRNA mehr stattfinden kann und somit das Gen funktionell abgeschaltet wird. Verschiedene Arbeitsgruppen konnten in den letzten Jahren zeigen, dass v.a. körperliches Training diese DNA-Methylierungen günstig beeinflussen kann. Besondere Beachtung verdient eine schwedische Arbeit,<sup>1</sup> in welcher die DNA-Methylierungen von Genen, welche am Energiestoffwechsel beteiligt sind, untersucht worden sind. Bereits ein 20-minütiges Fahrradergometertraining führte zu einer Demethylierung und daher Aktivierung der entsprechenden Genloci und dadurch zu einer verbesserten Energiebereitstellung in den untersuchten Muskelzellen. Körperliches Training bietet daher einen Schutzeffekt, der über die bisher bekannten Mechanismen hinausgeht und bis in den epigenetischen Bereich wirkt.<br /> <br /> Die entsprechenden Arbeiten scheinen die These zu widerlegen, dass das genetische Risiko unbeeinflussbar ist.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Auch wenn in der Kardiologie bisher genetische Faktoren, v.a. in Zusammenhang mit hereditären Erkrankungen, im Bewusstsein waren und das entsprechende Risiko als nicht beeinflussbar galt, könnte in mittelbarer Zukunft direkter Nutzen aus genomweiten Assozi­ationsstudien, genetischen Risk-Scores sowie pharmako- und epigenetischen Effekten erzielt werden.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Barres R et al: Acute exercise remodels promoter ­methylation in human skeletal muscle. Cell Metabolism 2012; 1: 405<br /><strong>2</strong> Kathiresan S et al: Common variants at 30 loci contribute to polygenic dyslipidemia. Nat Genet 2009; 41(1): 56-65<br /><br />Weiterführende Literatur bei den Verfassern<br /><br /></p>
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