
Kardiale Rehabilitation: oft gepredigt, aber zu selten umgesetzt
Unser Gesprächspartner:
Dr. med. Jan Vontobel
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Kardiologie
Hochgebirgsklinik Davos
Das Interview führte
Regina Scharf, MPH
Redaktorin
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Jan Vontobel wollte nie in der Rehabilitation arbeiten, dann kam die Anfrage der Hochgebirgsklinik Davos. Kardiale Rehabilitation kann sehr attraktiv sein, sagt er heute – und wirbt für Nachwuchs.
Herr Dr. Vontobel, am SGK-Meeting haben Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen an die Wichtigkeit der kardialen Rehabilitation erinnert. Ist das wirklich nötig?
J. Vontobel: Es wird zwar viel darüber gepredigt, dass die Rehabilitation Teil des «Heartteams» und für die gute Versorgung unablässig ist, aber die Patienten werden trotzdem häufig nicht an uns überwiesen. Im Rahmen eines Vortrags, den ich kürzlich am SGAIM-Kongress gehalten habe, hat sich gezeigt, dass der Aufwand, jemanden in die Rehabilitation zu schicken, auch für die Hausärzte enorm gross ist. Nur circa 30% der Patienten, die nach der Akutversorgung für eine ambulante oder stationäre Phase-2-Rehabilitation qualifiziert wären, werden überhaupt zur Reha überwiesen. Deutlich unterrepräsentiert sind gemäss dem European Cardiac Rehabilitation Registry mit einem Anteil von gerade mal 4% die Herzinsuffizienzpatienten.
Wie erklären Sie sich die fehlende Akzeptanz? Oder: «Wo liegt der Hund begraben?»
J. Vontobel: Die wichtigsten Gründe sind fehlendes Wissen über unsere Arbeit und den Nutzen für die Patienten sowie der organisatorische Aufwand im Zusammenhang mit der Kostengutsprache. Viele Berufskolleginnen und Kollegen haben noch immer das Gefühl, Rehabilitation sei ein Kuraufenthalt und nicht unbedingt erforderlich. Ein grosser Hemmschuh ist zudem die Notwendigkeit einer Kostengutsprache, und das, obwohl die Rehabilitation in den Guidelines eine 1A-Empfehlung hat. Gleichzeitig sind die Anforderungen für eine Rehabilitation so hoch, dass eine intensive Auseinandersetzung nötig ist, damit das Gesuch nicht von vornherein abgelehnt wird.
Vielleicht sollten Sie bei den Krankenversicherern Vorträge halten.
J. Vontobel: An der Situation sind nicht die Krankenversicherer alleine schuld, sondern auch die aktuelle Gesundheitspolitik. Wie in der Medizin sonst auch, spielt die Individualisierung in der Rehabilitation zunehmend eine Rolle. Die damit verbundenen Leistungen werden mit den neu für die stationäre Rehabilitation geltenden Fallpauschalen der Swiss DRG «ST Reha» nicht abgegolten. Das ist vor allem für Einrichtungen ein Problem, die sich auf multimorbide Patienten spezialisiert haben, denn diese benötigen eine individuelle Betreuung.
Wie sieht es mit der Akzeptanz der stationären Rehabilitation bei den Patienten aus?
J. Vontobel: Eigentlich wollen die Patienten zu Hause bleiben, niemand möchte gerne ins Spital. Viele kennen zudem die Massnahmen einer Rehabilitation nicht. Die meisten denken, es geht um Bewegung, und bewegen können sie sich auch zu Hause. Da ist oft viel Überzeugungsarbeit nötig. Wenn die Patienten dann bei uns hospitalisiert worden sind, sind sie zwar begeistert, sie wären aber immer noch lieber zu Hause. Ich sage den Krankenversicherungen jeweils, dass sie sich um unnötige Kosten nicht sorgen müssen – denn wer sich fit fühlt, drängt auf eine schnelle Entlassung. Das System reguliert sich praktisch von selbst. Im Übrigen beträgt der Anteil der Rehabilitation an den gesamten Gesundheitskosten etwa 6%.
Nennen Sie mindestens vier gute Gründe, warum sich die Teilnahme lohnt!
J. Vontobel: Viele Studien konnten zeigen, dass die kardiale Rehabilitation harte Endpunkte wie die kardiovaskuläre Mortalität sowie auch die Gesamtmortalität reduziert. Die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität steigen infolge der Rehabilitation, die Häufigkeit von Rehospitalisationen, aber auch von Depressionen und Angststörungen bei den Patienten nimmt ab. Problematisch ist, dass wir kaum über neuere Daten zur Nachhaltigkeit der Rehabilitationsmassnahmen verfügen. Die ANQ, der nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken und die Swiss Working Group for Cardiovascular Prevention möchten deshalb die Sterblichkeit von Patienten mit und ohne Rehabilitation vergleichen. Zusätzlich interessiert uns, ob es einen Unterschied zwischen ambulanter und stationärer Rehabilitation gibt.
Bei welchen Patienten ist ein ambulanter resp. stationärer Aufenthalt angezeigt?
J. Vontobel: Das wird von den Vertrauensärzten vorgegeben. Die stationäre Phase-2-Rehabilitation für Patienten über 70 Jahre ist bei einer linksventrikulären Auswurffraktion unter 40% oder einem mindestens 3-tägigen Aufenthalt auf der Intensivpflegestation oder einer speziellen Überwachungsstation empfohlen. Das trifft bei fast allen herzchirurgischen Patienten zu. Empfohlen wird die stationäre Rehabilitation auch für Patienten nach einer perkutanen Intervention, die über 75 Jahre alt sind und zusätzlich an Atemnot (NYHA-Klasse III–IV) leiden oder rhythmologisch instabil sind. Daneben gibt es verschiedene Zusatzkriterien, die einen stationären Aufenthalt rechtfertigen, wie schwierige Wohnverhältnisse, grosse Distanz zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder ambulanten Rehabilitationsmöglichkeiten, freie Gehstrecke von weniger als 1000 Metern, internistische oder psychiatrische Komorbiditäten. Auch Einschränkungen der ADL («Activities of daily living») könnnen ausschlaggebend sein für die Zuweisung in eine stationäre Rehabilitation und sollten daher beachtet werden. Die ambulante Rehabilitation ist für jüngere und weniger kranke Patienten empfohlen, die aufgrund ihres erhöhten kardiovaskulären Risikos dringend eine Sekundärprävention benötigen. Auch diese Option ist auszuschöpfen und eine Nicht-Zuweisung ist eine verpasste Chance auf sinnvolle und kostengünstige Sekundärprävention!
Wo setzen Sie die Schwerpunkte bei den verschiedenen Patienten?
J. Vontobel: Bei der Aufnahme zur stationären Rehabilitation führen wir nochmals eine komplette Diagnostik durch, inkl. Belastungstest auf dem Ergometer oder einen 6-Minuten-Gehtest bei Patienten, die nicht fit genug sind für den Belastungstest. Basierend auf dieser Einschätzung versuchen wir die Leistung mit verschiedenen Angeboten, wie Gymnastik oder «Cardiowalks», zu steigern. In unseren wöchentlichen multiprofessionellen Rapporten mit Sozialarbeitern, Psychologen, Sport-, Physio- und Ernährungstherapeuten, Herzinsuffizienzberatern, Pflegenden und Ärzten diskutieren wir, wo jeder Patient steht und was nötig ist, damit er sein Therapieziel erreicht. Bei betagten Patienten geht es oft um soziale Aspekte, wie die Frage, ob oder mit welcher Form von Unterstützung eine Rückkehr ins häusliche Umfeld möglich ist. Dazu sind viele Abklärungen, unter anderem auch Gespräche mit den Angehörigen, notwendig. Ein grosser Teil der Rehabilitation ist Edukation. So sollen die Patienten ihr Krankheitsbild verstehen, Medikamente und deren Nebenwirkungen kennen, wissen was die Alarmzeichen sind und wann sie sich bei ihrem Hausarzt melden sollen. Wir wollen Patienten befähigen aktiv auf den Krankheitsverlauf positiv Einfluss zu nehmen. Bei jüngeren Patienten geht es dabei v.a. um die Themen Rauchstopp, Gewichtsreduktion und Ernährung, aber auch die psychische Gesundheit spielt eine wichtige Rolle für die Herzgesundheit. Bei der Herzinsuffizienz geht es u.a. um das Flüssigkeitsmanagement und die medikamentöse Behandlung.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung beim Selbstmanagement?
J. Vontobel: Digitalisierung ist ein grosses Thema in der Rehabilitation. Allerdings reagieren die Patienten darauf sehr unterschiedlich: Die einen zeigen sich offen, andere wollen nichts damit zu tun haben. Unsere Aufgabe ist es herausfinden, was zu jedem passt. Wir stellen zum Beispiel unseren Patienten mit Diabetes, auch solchen, die nicht insulinpflichtig sind, den Freestyle-libre-Sensor zur Verfügung. So können sie sehen, wie sich der Blutzuckerspiegel verändert, wenn sie sich bewegen oder sich mediterran mit kleineren Portionen ernähren. Das kann unglaublich motivierend wirken. Zunehmend wird auch die «Gamefication» zum Thema. Im Moment testen wir mit der «Heartfish»-App ein spielerisches Trainingsprogramm, andere sollen folgen.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für Übernahme des Patienten?
J. Vontobel: Wir funktionieren akutnah, dadurch entlasten wir die Akutspitäler, können früh mit der Rehabilitation beginnen und die Patienten gehen schneller wieder nach Hause. Das können aber nicht alle Rehabilitationseinrichtungen leisten.
Rechnet sich die frühe Patientenübernahme?
J. Vontobel: Finanziell nicht. Gemäss Swiss DRG soll die zukünftige Fallpauschale die Komplexität unserer Patienten besser abbilden. Für mich ist das Vorgehen trotzdem sinnvoll, sonst würden aus Kostengründen Patienten, die am dringendsten eine Rehabilitation benötigen, nicht mehr aufgenommen und die teuren Betten im Akutspital blieben blockiert. Auf der anderen Seite macht es die Arbeit attraktiv. Die medizinischen Anforderungen sind dadurch hochkomplex, dazu kommen die sozialen Facetten, psychische Probleme etc., gleichzeitig haben wir in der Rehabilitation mehr Zeit, auf die Probleme einzugehen.
Warum sind Sie in die Rehabilitation gegangen?
J. Vontobel: Ursprünglich wollte ich nie in der Rehabilitation arbeiten. Während meiner Ausbildung zum Herzinsuffizienz- und Transplantationsspezialisten in Kanada habe ich eine Anfrage von der Hochgebirgsklinik in Davos erhalten. Ich dachte, vieles von dem, was ich gerne machen möchte, wäre dort auch möglich. Mittlerweile betreuen wir fast 40% Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz. Ich kann meine Stärken also vollumfänglich ausspielen, gleichzeitig sehe ich, dass unsere auf Medikamenten und Technik basierende Therapie nur einen Teil der Probleme löst und für sich genommen nicht nachhaltig ist. Daher legen wir einen Schwerpunkt auf die Prävention und stellen den Patienten und seine Bedürfnisse ins Zentrum unseres Handelns. Ich bin damit sehr glücklich und empfehle allen jungen Kolleginnen und Kollegen diesen Weg zu gehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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