© Getty Images/iStockphoto

Neue ESC-Leitlinien und aktuelle Studienlage

Hypertoniemanagement im Jahr 2019

<p class="article-intro">Im Jahr 2018 hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) die Leitlinien zur Therapie der arteriellen Hypertonie aktualisiert. Während die Stadieneinteilung unverändert belassen wurde (die arterielle Hypertonie Grad I beginnt nach wie vor bei RR-Werten von 140/90 mmHg), wurden die Zielwerte antihypertensiv behandelter Patienten deutlich präzisiert.1 Ferner stärkt die aktuelle Datenlage die ambulante RR-Messung (24h-Blutdruckmessung) sowie die automatisierte Patientenselbstmessung in ihrer Wertigkeit bei Diagnostik und Therapie des Bluthochdrucks.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>RR-Zielkorridore</h2> <p>Im Gegensatz zur vorangegangenen Leitlinienversion der ESC aus dem Jahr 2013 haben sich die Autoren der aktuellen Leitlinien zur Therapie der arteriellen Hypertonie auf Blutdruck-Zielkorridore geeinigt und akzeptieren damit weitestgehend das Konzept eines J-f&ouml;rmigen Kurvenverlaufs im Verh&auml;ltnis zwischen Blutdruck und Rate an kardiovaskul&auml;ren Ereignissen. Im Gegensatz zur Hypercholesterin&auml;mie, bei deren Behandlung heute mehr denn je das Konzept &bdquo;the lower the better&ldquo; gilt, werden bei der arteriellen Hypertonie Blutdruckuntergrenzen anerkannt, die im Regelfall nicht unterschritten werden sollten (Tab. 1). W&auml;hrend der diastolische Blutdruck generell bei Werten zwischen 70 und 79 mmHg liegen sollte, empfehlen die ESC-Leitlinien f&uuml;r den systolischen Blutdruck einen Bereich zwischen 120 und 130 mmHg, bei einem Alter ab 65 Jahren oder bei Vorliegen einer chronischen Nierenerkrankung (CKD, GFR &lt; 60 ml/min) Werte zwischen 130 und 140 mmHg.</p> <h2>Diskrepanz zwischen systolischen und diastolischen RR-Werten</h2> <p>So einfach sich die Zielwertkorridore anh&ouml;ren, so schwierig ist deren Umsetzung in der Praxis. Im CLARIFY-Register (32 703 Patienten mit stabiler KHK) hat sich gezeigt, dass sich nur bei etwa der H&auml;lfte aller Patienten systolischer und diastolischer Wert konkordant zueinander verhielten, also beide Werte im Zielbereich, zu hoch oder zu niedrig waren. In etwa 40 % der F&auml;lle war einer der Werte im Zielbereich, der andere zu hoch oder zu niedrig und in 5&ndash;10 % der F&auml;lle (komplette Diskrepanz) war einer der Werte zu hoch, der andere zu niedrig.<sup>2</sup> Unklar bleibt, wie in diesen F&auml;llen zu verfahren ist, wissenschaftliche Daten hierzu existieren bis heute nicht.<sup>3</sup> Bis eine Kl&auml;rung erfolgt, w&auml;re eine praktikable L&ouml;sung f&uuml;r den klinischen Alltag, die arteriellen Mitteldr&uuml;cke anhand der gemessenen Werte abzusch&auml;tzen und diese in einen sinnvollen Bereich, orientiert an den Leitlinienempfehlungen, zu &uuml;berf&uuml;hren.</p> <h2>Goldstandard ist die ambulante RR-Messung; gute Alternative eine automatische Praxismessung</h2> <p>Der Goldstandard der Blutdruckmessung ist heute die ambulante 24h-Langzeit-RR-Messung. Neben unverf&auml;lschten RRWerten liefert sie eine gute &Uuml;bersicht &uuml;ber den Blutdruckverlauf w&auml;hrend der allt&auml;glichen Aktivit&auml;ten und als einzige Messmethode auch w&auml;hrend der Schlafenszeit. Da diese Untersuchungsmethode einen betr&auml;chtlichen Ressourcenaufwand mit sich bringt und nicht in unbegrenztem Ausma&szlig; auch f&uuml;r wiederholte Messungen zur Verf&uuml;gung steht, k&ouml;nnen aufgrund der heute vorliegenden Datenlage auch alternative Messmethoden verwendet werden. Hinsichtlich der tags&uuml;ber gemessenen RR-Werte bieten n&auml;mlich die h&auml;usliche Selbstmessung durch die Patienten ebenso wie die automatische Blutdruckmessung in der Arztpraxis vergleichbare Messergebnisse. Wichtig ist dabei, dass die Messungen tats&auml;chlich in Abwesenheit des Praxispersonals (Mehrfachmessungen, z. B. in einem ruhigen, separaten Raum) mit einem automatischen Ger&auml;t allein durch den Patienten durchgef&uuml;hrt werden. In einer Anfang des Jahres ver&ouml;ffentlichten &Uuml;bersichtsarbeit konnte klar gezeigt werden, dass die Anwesenheit von Praxispersonal w&auml;hrend der Blutdruckmessungen zu einem Anstieg sowohl der systolischen als auch der diastolischen RR-Werte f&uuml;hrt (Abb. 1).<sup>4</sup></p> <h2>Dipping</h2> <p>Im Hygia-Project (15 647 Hypertonie- Patienten, 48h-Langzeit-RR-Messung) konnte best&auml;tigt werden, dass sich bei zunehmenden RR-Werten tags&uuml;ber von systolisch 120 mmHg auf 140 mmHg die Rate an kardiovaskul&auml;ren Ereignissen in etwa verdoppelt. Viel st&auml;rker war jedoch die Korrelation zu den Schlafenszeiten. Bei n&auml;chtlichen systolischen RR-Werten von 125 mmHg im Vergleich zu 100 mmHg versechsfachte sich das kardiovaskul&auml;re Risiko, im Umkehrschluss konnte ein physiologischer n&auml;chtlicher Blutdruckabfall (Dipping) um bis zu 16 % das Herz-Kreislauf-Risiko um mehr als zwei Drittel reduzieren. Insofern k&ouml;nnte auch die abendliche Gabe zumindest eines der Blutdruckpr&auml;parate (medikament&ouml;s induziertes Dipping) ebenfalls einen protektiven Effekt auf das Herz-Kreislauf-System haben. <br />Interessanterweise zeigte sich allerdings keine Korrelation der durch Praxispersonal bestimmten RR-Werte mit dem kardiovaskul&auml;ren Risiko.<sup>5</sup> Diese Arbeit best&auml;tigt damit einmal mehr die geringe Relevanz der durch &auml;rztliches oder Assistenzpersonal erhobenen RR-Werte und unterstreicht die Wichtigkeit automatisierter Blutdruckmessungen bzw. Selbstmessungen durch die Patienten.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Zur medikament&ouml;sen Therapie der isolierten arteriellen Hypertonie kommen in erster Linie RAAS-Blocker in Kombination mit Diuretika oder Kalziumkanalblockern zum Einsatz. Dabei empfehlen die aktuellen Leitlinien bereits initial die Kombination von zwei der genannten Wirkstoffe (in niedriger Dosierung) sowie deren Einnahme in Form einer Polypille. Beide Ma&szlig;nahmen dienen der Maximierung der blutdrucksenkenden Effekte bei Minimierung des Nebenwirkungsprofils sowie optimaler langfristiger Therapieadh&auml;renz. <br />Hinsichtlich der bevorzugten Pr&auml;paratewahl stellen RAAS-Blocker auch unabh&auml;ngig von der Grunderkrankung eine gute Basis dar (Tab. 2). W&auml;hrend nach akutem Myokardinfarkt bzw. bei systolischer Herzinsuffizienz Betablocker und Mineralkortikoidantagonisten zum Einsatz kommen sollten, kann bei Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz auf Kalziumkanalblocker und Diuretika zur&uuml;ckgegriffen werden. Ab einer GFR unter 30 ml/min sollten dabei Schleifendiuretika verwendet werden, da Thiazide bzw. Thiazid-&auml;hnliche Diuretika hier ihre Wirkung verlieren.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die aktuell verf&uuml;gbaren Antihypertensiva erm&ouml;glichen uns heute eine effektive und gut vertr&auml;gliche Einstellung hypertensiver Blutdruckwerte.</p> <h2>PRAXISTIPP</h2> <p>Die medikament&ouml;se Erstlinientherapie der arteriellen Hypertonie sollte im Regelfall als Kombinationstherapie (zwei verschiedene Wirkstoffe) erfolgen. Durch die Verwendung von Polypillen (mehrere Wirkstoffe in einer Tablette) kann dabei eine langfristig optimale Therapieadh&auml;renz erreicht werden.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Williams B et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2018; 39(33): 3021-104 <strong>2</strong> Sorbets E et al.: Rationale, design, and baseline characteristics of the CLARIFY registry of outpatients with stable coronary artery disease. Clin Cardiol 2017; 40(10): 797-806 <strong>3</strong> Vidal-Petiot E et al.: The 2018 ESC-ESH guidelines for the management of arterial hypertension leave clinicians facing a dilemma in half of the patients. Eur Heart J 2018; 39(45): 4040-1 <strong>4</strong> Pappaccogli M et al: Comparison of automated office blood pressure with office and out-off-office measurement techniques. Hypertension 2019; 73(2): 481-90 <strong>5</strong> Hermida RC et al.: Asleep blood pressure: significant prognostic marker of vascular risk and therapeutic target for prevention. Eur Heart J 2018; 39(47): 4159-71</p> </div> </p>
Back to top