
Herzinsuffizienztherapie bei Betagten: Gilt der Standard?
Bericht:
Dr. med. Norbert Hasenöhrl
Medizinjournalist
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Die Aktualisierung der Herzinsuffizienzguidelines hat die Integration neuer Medikamente in die Standardtherapie zur Folge. Das wirft die Frage auf, welche Patienten im Alltag hauptsächlich behandelt werden und danach, wie die Standardtherapie in den verschiedenen Altersgruppen wirkt. Wie ein Vortrag von Prof. Dr. med. Roger Hullin aus Lausanne zeigt, existieren zwischen jüngeren und sehr alten Patienten erhebliche Unterschiede.
Wenn wir darüber sprechen wollen, wie man neue Medikamente in den klinischen Alltag der Therapie von Herzinsuffizienz einbauen soll, müssen wir zuerst darüber sprechen, wie dieser Alltag, unser derzeitiger Therapiestandard, eigentlich aussieht», so Prof. Dr. med. Roger Hullin, Facharzt für Kardiologie am Universitätsspital Lausanne, zu Beginn seines Vortrags.
Was sagen die Leitlinien?
«Die ESC-Leitlinien sagen uns, dass wir Medikamente gegen Herzinsuffizienz in niedriger Dosis beginnen und dann zur Zieldosis auftitrieren sollen», fuhr Hullin fort. Das Ziel ist stets, die empfohlene Zieldosis oder die maximal vom Patienten vertragene Dosis zu erreichen. Man könne sich aber fragen, ob das für alle Patienten mit Herzinsuffizienz (HI) erreichbar oder überhaupt wünschenswert ist, wie der Kardiologe ausführte. «Wir kennen die Antwort auf diese Frage», so Hullin, «sie lautet klar: Nein.»
Sehr wohl gilt dieses Prinzip für jüngere HI-Patienten, vor dem 65. Lebensjahr. Das sind aber verhältnismässig wenige, da die HI-Prävalenz mit dem Lebensalter steil ansteigt. Während die HI in der Altersgruppe zwischen 55 und 64 Jahren nur eine Prävalenz von 1% aufweist, beträgt sie ab einem Alter von 85 Jahren fast 22%.1 Und die Inzidenzrate/1000 Personen/Jahr liegt in der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren bei 0,02, bei Personen ≥85 Jahren jedoch bei 11,6.2
«Wenn wir also von den HI-Patienten sprechen, die wir täglich sehen, dann sollten wir uns vor allem über die Gruppe der alten und sehr alten Patienten unterhalten, denn das ist unsere hauptsächliche Zielgruppe», forderte der Kardiologe. «Die nächste Frage, die wir uns stellen können, ist, ob diese Patientengruppe in den HI-Studien gut repräsentiert ist, und auch hier lautet die Antwort: Nein. Bedauerlicherweise macht diese Altersgruppe nur etwa 3% der Teilnehmer an grossen HI-Studien aus.»
Vasodilatation und Betablockade bei alten Patienten schwierig
Vordefinierte Subgruppenanalysen verschiedener Studien mit Patienten, die eine HI mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) hatten, zeigen, dass bei älteren Patienten Vorsicht geboten ist. So profitierten in der ATLAS-Studie mit Lisinopril Patienten unter 70 Jahren von einer Hochdosistherapie, nicht aber Patienten ≥70.3 Ähnlich sieht es aus, wenn man eine Studie (HEAAL) mit dem Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) Losartan betrachtet: Auch hier profitierten Patienten unter 65 Jahren von der Hochdosis, Patienten ≥65 jedoch nicht.4 Und für die Kombination aus dem Neprilysin-Inhibitor Sacubitril und dem ARB Valsartan gilt ebenfalls, dass Patienten unter 75 Jahren davon profitieren (d.h. bessere Ergebnisse erzielten als unter der Vergleichssubstanz Enalapril), Patienten ≥75 nicht.5 «Und gerade in dieser Studie haben wir auch wirklich hohe Patientenzahlen», kommentierte Hullin.
In die SENIORS-Studie wurden nur Patienten ≥70 Jahre aufgenommen.6 Knapp zwei Drittel von ihnen hatten eine linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF) unter 35%, aber ein Drittel lag darüber. Die Patienten erhielten entweder den Betablocker Nebivolol oder Placebo. «Es zeigte sich, dass die Patienten unter Nebivolol bei einer Erhaltungsdosis von 7,7mg bezüglich des primären Endpunkts, eines Kompositums aus kardiovaskulärer Hospitalisierung und Gesamtmortalität, signifikant besser abschnitten als jene unter Placebo», führte Hullin aus. «Aber ist das eine Nebivolol-Dosis, die man allen Patienten geben kann? Die Antwort lautet wiederum: Nein.» Das zumindest zeigte die CIBIS-ELD-Studie, an der Patienten ≥65 Jahre mit stabiler chronischer HI teilnahmen.7 Hier wurden bezüglich Verträglichkeit und Erreichung der Zieldosis die beiden Betablocker Bisoprolol und Carvedilol verglichen. «Nach zwölf Wochen hatte jeweils lediglich ein Viertel der Patienten die Zieldosis erreicht», so der Experte. Die BIOSTAT-HF-Studie ergab, dass ein Höhertitrieren von ACE-Hemmern und Betablockern grundsätzlich das Outcome verbessert. Während dies aber bei ACE-Hemmern für alle Altersgruppen so war, galt es bei Betablockern nur für Patienten unter 70 Jahren.8
MRA und SGLT2-Hemmer
Anders ist die Lage bei Mineralokortikoidantagonisten (MRA). So zeigte in der EMPHASIS-HF-Studie der MRA Eplerenon bei HFrEF-Patienten einen klaren, signifikanten Nutzen bezüglich des primären Endpunkts – kardiovaskuläre Mortalität bzw. HI-Hospitalisierung – im Vergleich zu Placebo.9 «Und dieser Vorteil war gleichermassen für Patienten unter und über 75 Jahre gegeben», berichtete Hullin.
Eine weitere, neu in die HI-Therapie eingeführte Substanzklasse sind die ursprünglich als Diabetesmedikamente entwickelten SGLT2-Hemmer. Sie wurden bei HI in der DAPA-HF-Studie (Dapagliflozin) bzw. der EMPEROR-HF-Studie (Empagliflozin) analysiert. Eine Metaanalyse dieser beiden Studien wurde 2020 publiziert.10 Es zeigte sich eine signifikante Reduktion der Endpunkte Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität sowie der kombinierten Endpunkte kardiovaskulärer Tod/erste bzw. rezidivierende HI-Hospitalisierung/kardiovaskulärer Tod, und auch das Risiko für einen kombinierten renalen Endpunkt war unter SGLT2-Hemmung signifikant reduziert. Bei Stratifizierung nach Alter ergab sich folgendes Bild: Beide Studien und ihre Kombination waren uneingeschränkt positiv für die Altersgruppen 55 bis 64 und 65 bis 74 Jahre. Bei Patienten ≥75 zeigte in den Einzelstudien nur die DAPA-HF einen signifikanten Nutzen, nicht aber die EMPEROR-HF, wenngleich in der gemeinsamen Analyse wiederum ein signifikant positives Signal resultierte. «Das sagt uns, dass eine SGLT2-Hemmung auch bei sehr alten Patienten einen günstigen Effekt hat», so Hullin. In der EMPEROR-Preserved-Studie wurden HI-Patienten mit erhaltener LVEF (>40%; HFpEF) im mittleren Alter von 72 Jahren untersucht.11 Hier zeigte sich ein signifikanter Nutzen hinsichtlich des primären Endpunkts (wiederum kardiovaskulärer Tod oder HI-Hospitalisierung) in der Gesamtgruppe. Stratifiziert nach Alter profitierten hier jedoch nicht die Patienten unter 70 Jahren, sondern vielmehr jene ab 70 Jahren signifikant. «Das ist ein klares Argument dafür, dass jeder symptomatische HFpEF-Patient auf einen SGLT2-Hemmer eingestellt werden sollte», forderte der Kardiologe.
Vericiguat bei HFrEF
Vericiguat ist ein neuer Stimulator der löslichen Guanylatzyklase. In einer Phase-III-Studie (VICTORIA-HF) wurden 5050 Patienten mit chronischer HFrEF (LVEF ≤45%) zusätzlich zu einer Leitlinien-gerechten Basistherapie auf Vericiguat oder Placebo eingestellt. Auch hier war der primäre Endpunkt ein Kompositum aus kardiovaskulärem Tod und erster HI-Hospitalisierung.12 «Das war eine wirklich schwerkranke Klientel», kommentierte Hullin. Dennoch zeigte sich ein signifikanter Nutzen für Vericiguat (Hazard-Ratio für den primären Endpunkt 0,90, p=0,02). «Aber auch in dieser Studie gibt es einen klaren Unterschied zwischen jüngeren und älteren Patienten», führte Hullin aus. «Während Patienten unter 75 Jahren von der Therapie profitierten, war dies bei Patienten ≥75 nicht der Fall. Man hat allerdings den Eindruck, dass das Medikament bei Patienten der NYHA-Klassen III und IV besser wirkt als bei NYHA I und II. Auch Patienten mit sehr hohen NT-proBNP-Spiegeln und jene mit einer LVEF ≥40% profitierten nicht von Vericiguat», so der Experte.
Fazit
«Wir können also diese Daten folgendermassen zusammenfassen», resümierte Hullin.
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Daten aus Landmark-Studien zeigen, dass ein Erreichen der Zieldosen für Vasodilatatoren bei sehr alten HFrEF-Patienten die primären Endpunkte nicht signifikant verbessert.
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Bei Betablockern ist das Auftitrieren bei HFrEF in dieser Altersgruppe ebenfalls schwierig, und der Nutzen reduziert sich mit steigendem Alter.
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MRA sind auch bei sehr alten HFrEF-Patienten mit einem signifikanten Nutzen assoziiert.
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SGLT2-Hemmer sind bei sehr alten Patienten sowohl bei HFrEF als auch bei HFpEF mit einem signifikanten Nutzen verbunden.
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Vericiguat ist eine Therapieoption bei HFrEF, wenn sich der Patient trotz optimaler Leitlinien-konformer Therapie verschlechtert.
«Aus meiner Sicht stellt sich also die Frage: Sollen wir niedrige Dosen von Vasodilatatoren und Betablockern zugunsten einer hohen Zieldosierung von MRA und SGLT2-Hemmern akzeptieren? Eine definitive Antwort kann ich Ihnen heute noch nicht geben», schloss Hullin.
Quelle:
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, 15. bis 17. Juni 2022, St. Gallen
Literatur:
1 Bosch L et al.: Heart failure in primary care: prevalence related to age and comorbidity. Prim Health Care Res Dev 2019; 20: e79 2 Cowie MR et al.: Incidence and aetiology of heart failure; a population-based study. Eur Heart J 1999; 20: 421-28 3 Packer M et al.: Comparative effects of low and high doses of the angiotensin-converting enzyme inhibitor, lisinopril, on morbidity and mortality in chronic heart failure. ATLAS Study Group. Circulation 1999; 100: 2312-18 4 Konstam MA et al.: Effects of high-dose versus low-dose losartan on clinical outcomes in patients with heart failure (HEAAL study): a randomised, double-blind trial. Lancet 2009; 374: 1840-48 5 McMurray JJ et al.: Angiotensin-neprilysin inhibition versus enalapril in heart failure. N Engl J Med 2014; 371: 993-1004 6 Flather MD et al.: Randomized trial to determine the effect of nebivolol on mortality and cardiovascular hospital admission in elderly patients with heart failure (SENIORS). Eur Heart J 2005; 26: 215-25 7 Düngen HD et al.: Titration to target dose of bisoprolol vs. carvedilol in elderly patients with heart failure: the CIBIS-ELD trial. Eur J Heart Fail 2011; 13: 670-80 8 Mordi IR et al.: Heart failure treatment up-titration and outcome and age: an analysis of BIOSTAT-CHF. Eur J Heart Fail 2021; 2: 436-44 9 Zannad F et al.: Eplerenone in patients with systolic heart failure and mild symptoms. N Engl J Med 2011; 36: 11-21 10 Zannad F et al.: SGLT2 inhibitors in patients with heart failure with reduced ejection fraction: a meta-analysis of the EMPEROR-Reduced and DAPA-HF trials. Lancet 2020; 396: 819-29 11 Anker SD et al.: Empagliflozin in Heart Failure with a Preserved Ejection Fraction. N Engl J Med 2021; 385: 1451-61 12 Armstrong PW et al.: Vericiguat in Patients with Heart Failure and Reduced Ejection Fraction. N Engl J Med 2020; 382: 1883-93
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