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Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK)

Herz/Gefässe und Umwelt

Die «President’s session» der diesjährigen SGK-Jahrestagung war dem Thema «Heart – Earth – Atmosphere – Space» gewidmet. Vor den spannenden Referaten von Prof. Thomas Stocker vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern und dem Astronauten und Professor an der EPFL Lausanne, Prof. Claude Nicollier, auf welche in diesem Bericht nicht eingegangen werden soll, zeigte Prof. Dr. med. Franz Weidinger, Wien, President elect der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC), in einem eindrücklichen Vortrag, welchen Einfluss verschiedene Arten von Umweltbelastungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit haben.

Nicht übertragbare Krankheiten verursachen weltweit >38 Millionen Todesfälle pro Jahr und die Zahl steigt weiter an.1 Die wichtigsten Treiber dafür sind schlecht kontrollierte Risikofaktoren, wie Adipositas, Prädiabetes und körperliche Inaktivität, aber auch die Umweltverschmutzung, die bereits auf Rang 5 der globalen Risikofaktoren erscheint.1 Weitere Faktoren, die zur stetigen Zunahme der globalen Last durch nicht übertragbare Krankheiten beitragen, sind die Zunahme der Weltbevölkerung, die schnell voranschreitende Urbanisierung und der Klimawandel. «Was die kardiovaskulären Krankheiten betrifft, hat sich die globale Krankheitslast in den letzten 30 Jahren verdoppelt. 2019 gingen 6,2 Millionen vorzeitige Todesfälle auf das Konto von kardiovaskulären Erkrankungen. Zudem ist vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen eine Abflachung des Rückgangs der kardiovaskulären Mortalität zu beobachten»,1 berichtete Weidinger.

Feinstaubbelastung

Gemäss der WHO gibt es bei 24% der weltweiten Todesfälle einen Zusammenhang mit der Umweltbelastung und mehr als 90% der Weltbevölkerung sind einer Luftverschmutzung ausgesetzt, welche die WHO-Grenzwerte überschreitet.2 Bei 3,8 Millionen vorzeitigen Todesfällen pro Jahr gibt es zudem einen Zusammenhang mit häuslicher Umweltbelastung durch die Verwendung von Biomasse-Brennstoffen und Kerosin zum Kochen, die nicht nur die Lunge schädigt, sondern auch kardiovaskuläre Krankheiten verursacht.2 «Für uns Kardiologen besonders interessant ist, dass die Feinstaubbelastung nicht nur Lungenkrankheiten verursacht, sondern im Jahr 2015 weltweit auch zu 17,1% der Todesfälle durch ischämische Herzkrankheiten und 14,2% durch zerebrovaskuläre Erkrankungen beigetragen hat»,3 sagte Weidinger.

Lärmbelastung

Lärm ist eine weitere Umweltkomponente, welche die Gesundheit stark belastet. Bei Menschen, die über längere Zeit vor allem auch nachts Umweltlärm ausgesetzt sind, können Schlaf- und psychische Störungen und schliesslich eine ischämische Herzkrankheit auftreten. In Europa gehen wegen der Lärmbelastung jedes Jahr rund 1 Mio. gesunde Lebensjahre verloren, es sterben 48000 Menschen an einer ischämischen Herzkrankheit und 12000 Menschen sterben vorzeitig.4

Verkehrslärm löst eine psychische Stressreaktion aus und führt zu einem neuroinflammatorischem Phänotyp und einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und der Sympathikus-Nebennierenmark-Achse, was in Kombination mit anderen Risikofaktoren zu kardiovaskulären Erkrankungen führt (Abb. 1).5

Abb. 1: Die wichtigsten Mechanismen der gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Verkehrslärm (adaptiert nach Münzel et al., 2020)5

Lichtverschmutzung

Auch die Lichtverschmutzung stellt eine Gefahr für die kardiovaskuläre Gesundheit dar. Aufgrund der massiv zunehmenden Beleuchtung von Städten und Dörfern seit der Mitte des letzten Jahrhunderts leben heute 83% der Weltbevölkerung unter einem lichtverschmutzten Himmel. Eine kürzlich publizierte longitudinale Kohortenstudie, in der nahezu 60000 ältere Bewohner von Hongkong während elf Jahren beobachtet wurden, zeigte sich eine Assoziation zwischen nächtlicher Aussenbeleuchtung und einem erhöhten Risiko für kardiovaskulär bedingte Hospitalisationen und Todesfälle.6 «Trotz der Adjustierung für zahlreiche individuelle und allgemeine Risikofaktoren zeigt diese Studie aber natürlich nur eine Korrelation und belegt keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Lichtverschmutzung und dem erhöhten kardiovaskulären Risiko», sagte der Referent.

Neue Ära der präventiven Kardiologie

Es müsse eine neue Ära der präventiven Kardiologie eingeläutet, sagte Weidinger und zeigte, welche Schritte dafür notwendig sind:

  • Aufruf zu Massnahmen im Bereich der umweltbedingten Gesundheitsrisiken,

  • stärkeres Bewusstsein für Umweltrisiken,

  • ein Ansatz auf mehreren Ebenen und von mehreren Interessengruppen (Gesundheitsverhalten, Regulierung, Gesetzgebung), damit der Wandel gelingen kann,

  • Bemühungen zur Verringerung umweltbedingter Risikofaktoren durch die nationalen Regierungen und

  • Überzeugungsarbeit durch die ESC zusammen mit den nationalen kardiologischen Fachgesellschaften, um die Aufmerksamkeit für die Schädlichkeit der Umweltbelastungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit zu erhöhen.

Schliesslich forderte Weidinger alle Zuhörerinnen und Zuhörer auf, ihren Beitrag dazu zu leisten: «Schützen wir unseren Planeten, fallen wir nach der Pandemie nicht in schlechte alte Gewohnheiten zurück und engagieren wir uns für die neue Ära der Prävention!»

Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK), 9. bis 11. Juni 2021

1 GBD 2019 Viewpoint Collaborators: Five insights from the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet 2020; 396: 1135-59 2 https://www.who.int/data/gho/data/themes/public-health-and-environment 3 Cohen AJ et al.: Estimates and 25-year trends of the global burden of disease attributable to ambient air pollution: an analysis of data from the Global Burden of Diseases Study 2015. Lancet 2017; 389: 1907-18 4 European Environment Agency: Environmental noise in Europe – 2020: https://www.eea.europa.eu/publications/environmental-noise-in-europe 5 Münzel T et al.: Reduction of environmental pollutants for prevention of cardiovascular disease: it‘s time to act. Eur Heart J 2020; 41: 3989-97 6 Sun S et al.: Outdoor light at night and risk of coronary heart disease among older adults: a prospective cohort study. Eur Heart J 2021; 42: 822-30

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