
Genetische Diagnostik der Hypercholesterinämie
Autor:
PD Dr. med. David Nanchen
Consultation de prévention cardiovasculaire – cholestérol et style de vie
Département promotion de la santé et préventions
Unisanté, 1011 Lausanne
E-Mail: david.nanchen@unisante.ch
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Die familiäre Hypercholesterinämie ist eine häufige Erbkrankheit, die mit einer schweren Hypercholesterinämie und einem erhöhten Risiko für frühzeitige kardiovaskuläre Ereignisse einhergeht. Die familiäre Übertragung der pathogenen Genvarianten erfolgt autosomal-dominant, was bedeutet, dass für Verwandte ersten Grades eines Patienten die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls betroffen zu sein, bei 50% liegt. Gentests sind in der Schweiz bisher wenig gebräuchlich, könnten jedoch helfen, die Diagnostik und das Screening aller Mitglieder einer betroffenen Familie zu verbessern und die klinische Versorgung entsprechend zu optimieren.
Keypoints
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Genetische Diagnostik kommt bei schwerer Hypercholesterinämie zum Einsatz, um Patienten mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zu identifizieren.
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Es wird empfohlen, bei Nachweis einer pathogenen Variante bei einem Indexpatienten dessen ganze Familie dazu anzuhalten, sich genetisch testen zu lassen.
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Im Rahmen der nationalen Studie CATCH wird Patienten mit schwerer Hypercholesterinämie die kostenlose Durchführung des Gentests angeboten, um so dessen mögliche Einführung in die klinische Praxis zu bewerten.
Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist eine autosomal-dominant vererbte Störung, die mit lebenslang erhöhten LDL-Cholesterin(LDL-C)-Werten einhergeht. Sie verläuft zwar asymptomatisch, erhöht aber das Risiko, in jüngeren Jahren (unter 60) ein Herz-Kreislauf-Ereignis zu erleiden, erheblich.1 Die heterozygote Form ist keine seltene Erkrankung, bleibt jedoch häufig undiagnostiziert. In der Schweiz könnten Schätzungen zufolge etwa 40000 Patienten betroffen sein, diagnostiziert sind jedoch nur 6000. Lediglich die homozygote Form der Erbkrankheit ist sehr selten; ihre Prävalenz beträgt etwa 1/500000.2 Entsprechende Gentests werden selten durchgeführt, was zweifellos wesentlich dazu beiträgt, dass die Krankheit so stark unterdiagnostiziert ist. Es gibt aber auch noch weitere Gründe, zum Beispiel mangelndes Bewusstsein für den genetischen Ursprung der Hypercholesterinämie.
Genetische Diagnostik der FH
Die Diagnose FH wird gestellt, wenn im Gentest eine pathogene Variante der Gene für den LDL-C-Rezeptor (LDLR), für das Apolipoprotein B (APOB) oder für die Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) nachgewiesen wird.3 Die Durchführung dieses Gentests wird laut europäischen Dyslipidämie-Leitlinien empfohlen, wenn das Gesamtcholesterin 8mmol/l oder aber das LDL-C 6,5mmol/l beträgt.4 Mit dem Gentest lassen sich betroffene Patienten identifizieren, die schon ihr Leben lang eine hohe kumulative LDL-C-Exposition haben. Diese kumulative LDL-C-Exposition ist auch für das erhöhte Risiko für eine frühzeitige kardiovaskuläre Erkrankung verantwortlich.5 Der Gentest ermöglicht somit die Identifizierung von Patienten, die besonders von der Einleitung einer lipidsenkenden Therapie schon in jungen Jahren profitieren würden.6
Obwohl der Test gezielt drei Gene untersucht, sind die Kosten und die Dauer bis zum Vorliegen des Ergebnisses beträchtlich, nämlich ca. CHF 3000.– bzw. 2 Monate Wartezeit. Der Gentest wird derzeit nicht von der Grundversicherung übernommen, weshalb er in der Klinik bisher sehr selten eingesetzt wird. In diese Situation könnte jedoch in den nächsten Jahren Bewegung kommen, wenn die aktuell laufende Forschung zur Auswirkung des genetischen Screenings im Rahmen der Schweizer CATCH-Studie abgeschlossen ist. Hierbei können sich Personen mit einem LDL-C-Wert ab 6,5mmol/l in einem der teilnehmenden Zentren der CATCH-Studie (Abb. 1) kostenlos der genetischen Diagnostik unterziehen.
Abb. 1: Ziel der CATCH-Studie (CAscade genetic Testing of familial Hypercholesterolemia) ist es, die Nachweisrate von FH-Patienten – sowohl von Indexfällen als auch von Verwandten – zu untersuchen
Ohne den Gentest beruht die Diagnostik auf klinischen und biologischen Kriterien, die man wie folgt zusammenfassen kann:7
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LDL-C >4,9mmol/l und
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positive Familienanamnese bezüglich frühzeitiger koronarer Herzkrankheit (vor dem Alter von 55 Jahren für Männer bzw. 60 Jahren für Frauen) oder
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eigene Vorgeschichte von frühzeitiger koronarer Herzkrankheit oder
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familiäre Vorgeschichte von erhöhten LDL-C-Werten.
Genetisches Kaskadenscreening der FH
Ein positiver Gentest bei einem Patienten, der dann als Indexfall bezeichnet wird, ist auch für dessen Familie von grosser Bedeutung. Die Genvarianten, die für die FH verantwortlich sind, werden autosomal-dominant vererbt.8 Das bedeutet, dass jeder Verwandte ersten Grades eines Indexfalls mit einem Risiko von 50% (oder 1:1) ebenfalls von der Stoffwechselstörung betroffen ist. Die europäischen Dyslipidämie-Leitlinien empfehlen, alle Familienmitglieder unabhängig von ihrem LDL-C-Wert dem genetischen Screening zu unterziehen, sobald ein Indexfall identifiziert wird. Es kommt auch vor, dass die pathogene Variante erst später im Leben exprimiert wird. Die Untersuchung der Verwandten wird als Screening bezeichnet und nicht als Diagnostik, weil nicht anhand von klinischen Merkmalen entschieden wird, bei wem der Gentest durchgeführt werden soll. Die Verwandten ersten Grades werden ausschliesslich auf diejenigen pathogenen Varianten untersucht, die beim Indexfall gefunden wurden. Dadurch sind die Kosten dieses Gentests deutlich geringer (etwa CHF 370.–), und das Ergebnis liegt nach weniger als einem Monat vor.
Studien zum genetischen FH-Screening sind bereits in verschiedenen Ländern durchgeführt worden (Tab. 1). Die Detektionsrate unter den Verwandten betrug zwischen 40 und 60%. In den klinischen Registern in Nordirland betrug die Rate über 100%. Unter Berücksichtigung der frühen Einleitung einer lipidsenkenden Therapie infolge des Gentests hat eine britische Studie den Kosten-Wirkungs-Nutzen des genetischen Kaskadenscreenings zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse bestätigt.13
Genetische und familiäre Beratung
Das Screening von Verwandten verläuft in Kaskaden, das bedeutet: Wenn die pathogene Variante des Indexfalls auch bei einem Verwandten nachgewiesen wird, werden als Nächstes dessen weitere Verwandte ersten Grades getestet usw. Aufgrund der Vertraulichkeit medizinischer Daten darf der Arzt die Verwandten des Indexfalls allerdings nicht selbst ansprechen. Er muss stattdessen den Indexpatienten anhalten, seine Verwandten zu informieren, welches Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen mit der FH einhergeht und wie man dieses Risiko mithilfe eines Gentests erkennen kann. Abbildung 2 zeigt Vorschläge zur Beratung bei Erhalt des Gentestergebnisses. Diese Beratung begleitend zu einem Gentest kann von jedem Arzt durchgeführt werden, der an der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen interessiert ist, unabhängig von der FMH-Spezialisierung.
Abb. 2: Erläuterungen und Empfehlungen für Patienten und Verwandte bei Erhalt des Gentestergebnisses
Nationale Studie zum genetischen FH-Screening
Das Ziel der CATCH-Studie (CAscade genetic Testing of familial Hypercholesterolemia) ist die Untersuchung der Nachweisrate von FH-Patienten – sowohl von Indexfällen als auch von Verwandten. Nach Erhalt des Gentestergebnisses werden auch die Verbesserung der medikamentösen Adhärenz sowie die Veränderung der LDL-C-Werte untersucht. Und schliesslich ermöglicht die Studie, das Bewusstsein sowohl des medizinischen Personals als auch der Allgemeinbevölkerung für die FH zu schärfen. Finanziert wird die CATCH-Studie vollständig durch die Schweizerische Herzstiftung und die Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie.
Die Studie gibt ausserdem Gelegenheit, eine digitale Plattform zu testen, die die Informationen zum Kaskadenscreening versammelt und die Kontaktaufnahme zu Verwandten sowie die Rekonstruktion von Stammbäumen unterstützt. Auf der Plattform findet der Indexpatient semipersonalisierte SMS und E-Mails, die er seinen Verwandten schicken kann. Nach dieser Kontaktaufnahme können die Verwandten sich direkt bei der Plattform anmelden und ihre Einwilligung dazu erteilen, dass das nächstgelegene Studienzentrum sich an sie wendet (Abb. 1).
Fazit
Die genetische Testung bei schwerer Hypercholesterinämie hat mehrere Vorteile. Sie ermöglicht, die Diagnose FH zu sichern, und liefert prognostische Informationen für die optimale Ausrichtung des therapeutischen Vorgehens. Vor allem aber ist sie als Screening-Untersuchung bei Verwandten eines Indexfalls von Nutzen, da sie es der ganzen Familie ermöglicht, gezielt für ihre Gesundheit zu sorgen und ihr Herz-Kreislauf-Risiko zu verringern. Mit dem Ziel, die Erkennungsrate der FH in der Schweiz zu erhöhen, bietet die CATCH-Studie die kostenlose Durchführung von Gentests für die ganze Familie von Patienten mit schwerer Hypercholesterinämie an. Diese Studie wird wichtige Erkenntnisse für die allgemeine Einführung eines Kaskadenscreenings der FH in der Schweiz liefern.
Literatur:
1 Khera AV et al.: Diagnostic yield and clinical utility of sequencing familial hypercholesterolemia genes in patients with severe hypercholesterolemia. J Am Coll Cardiol 2016; 67: 2578-89 2 Wiegman A et al.: Familial hypercholesterolaemia in children and adolescents: gaining decades of life by optimizing detection and treatment. Eur Heart J 2015; 36: 2425-37 3 Chora JR et al.: The Clinical Genome Resource (ClinGen) Familial Hypercholesterolemia Variant Curation Expert Panel consensus guidelines for LDLR variant classification. Genet Med 2021; Epub ahead of print 4 Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: the Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS). Eur Heart J 2020; 41: 111-88 5 Zhang Y et al.: Association between cumulative low-density lipoprotein cholesterol exposure during young adulthood and middle age and risk of cardiovascular events. JAMA Cardiol 2021; 6: 1406-13 6 Sturm AC et al.: Clinical genetic testing for familial hypercholesterolemia: JACC Scientific Expert Panel. J Am Coll Cardiol 2018; 72: 662-80 7 Gidding SS et al.: The agenda for familial hypercholesterolemia: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation 2015; 132: 2167-92 8 Berberich AJ, Hegele RA: The complex molecular genetics of familial hypercholesterolaemia. Nat Rev Cardiol 2019; 16: 9-20 9 Umans-Eckenhausen MA et al.: Review of first 5 years of screening for familial hypercholesterolaemia in the Netherlands. Lancet 2001; 357: 165-8 10 Muir LA et al.: Preventing cardiovascular disease: a review of the effectiveness of identifying the people with familial hypercholesterolaemia in New Zealand. N Z Med J 2010; 123: 97-102 11 Bell DA et al.: Effectiveness of genetic cascade screening for familial hypercholesterolaemia using a centrally co-ordinated clinical service: an Australian experience. Atherosclerosis 2015; 239: 93-100 12 Jannes CE et al.: Familial hypercholesterolemia in Brazil: cascade screening program, clinical and genetic aspects. Atherosclerosis 2015; 238: 101-7 13 National Collaborating Centre for Primary Care (UK): Identification and Management of Familial Hypercholesterolaemia (FH) [Internet]. London: Royal College of General Practitioners (UK) 2008 [cited 2021 Sep 22]