<p class="article-intro">Der Bevölkerungsanteil von Menschen über 65 Jahre ist die am stärksten wachsende Personengruppe in der westlichen Welt.<sup>1</sup> Basierend auf dieser epidemiologischen Entwicklung gewinnen valide Daten zur zuverlässigen und altersspezifischen Prädiktion der Mortalität sowie der Qualität des Überlebens nach Herzstillstand zunehmend an Bedeutung. Hinzu kommt das ethische Dilemma zwischen dem „Ausschöpfen aller therapeutischen Maßnahmen“ und dem „Recht zu sterben“.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Mortalität sowie schlechtes neurologisches Überleben steigen drastisch mit zunehmendem Alter.</li> <li>Ein initial schockbarer EKG-Rhythmus (VF/VT) ist ein valides prognostisches Kriterium in allen Altersgruppen – sogar in der ältesten Patientenpopulation.</li> <li>Im Falle objektiver Anzeichen von Gebrechlichkeit bei älteren Patienten sollten jegliche lebenserhaltende Maßnahmen limitiert werden, um Patienten ein unnötiges Leiden am Lebensende zu ersparen sowie einen würdevollen Tod zu ermöglichen.</li> </ul> </div> <h2>Globale Entwicklung</h2> <p>Der präklinische Herz-Kreislauf-Stillstand repräsentiert ein ernstzunehmendes Krankheitsbild im globalen Gesundheitswesen. Rezente Daten zeigen mehr als 35 Fälle pro 100.000 Einwohner allein in Europa und gar 110 Fälle pro 100.000 Einwohner in Nordamerika.<sup>2, 3</sup> Trotz großer Bemühungen in der Reanimationsforschung während der letzten 20 Jahre ist der plötzliche Herzstillstand weiterhin mit hoher Mortalität assoziiert und prognostische Faktoren sind unzureichend erforscht.<sup>4, 5</sup> Besonders bei Personen im höheren Alter, welche einen Herzstillstand erleiden, fällt es den behandelnden Medizinern oft schwer, eine evidenzbasierte sowie ethisch korrekte Grenze zwischen der „Ausschöpfung aller Maßnahmen zur Wiederbelebung“ und der „Beendigung der lebensverlängernden Schritte“ zu ziehen.</p> <h2>Initial schockbarer EKG-Rhythmus entscheidend</h2> <p>Um die Entscheidungsfindung bei diesem ethischen Dilemma für behandelnde Notfallmediziner zu erleichtern, wurden von Sulzgruber und Kollegen die Daten von insgesamt 2.223 Patienten mit Herzstillstand im Zeitraum von September 2013 bis einschließlich August 2015 analysiert und im Rahmen des Europäischen Kardiologiekongresses in Rom präsentiert. Die Patienten wurden für die Auswertung in vier Gruppen eingeteilt: Patienten mittleren Alters ( <65 Jahren), junge-alte Patienten (65–74 Jahre), alte Patienten (75–84 Jahre) und sehr alte Patienten (>85 Jahre).</p> <p>Trotz vergleichbarer Charakteristika zwischen den Patientengruppen konnte gezeigt werden, dass die Mortalitätsrate (+21,8 % ) sowie der Anteil an Patienten mit neurologisch ungünstigem Outcome (+18,8 % ) mit steigendem Alter drastisch zunehmen. Während bewährte Parameter, die mit gutem Überleben assoziiert sind (unter anderem Laienreanimation, beobachteter Herzstillstand sowie kardiale Ursache des Herzstillstands), mit steigendem Patientenalter ihr prognostisches Potenzial verloren, erwies sich einzig und allein ein initial schockbarer EKG-Rhythmus als geeigneter und valider Parameter zur Risikoprädiktion und Entscheidungshilfe bei älteren Patienten – mit einer adjustierten Hazard-Ratio von 2,32 (95 % CI: 1,64–3,23; p <0,001) in der Altersgruppe <65 Jahren, einer HR von 2,43 (95 % CI: 1,54–4,16; p <0,001) in der Altersgruppe 65–74 Jahre, einer HR von 1,64 (95 % CI: 1,04–2,63; p=0,035) in der Altersgruppe 75–84 Jahre sowie einer HR von 2,04 (95 % CI: 1,89–2,38; p=0,003) in der Altersgruppe >85 Jahre.</p> <h2>„Medizinisch nutzlos“</h2> <p>Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass im Falle einer vorliegenden Gebrechlichkeit bei älteren Patienten ein 30-Tages-Überleben von 5,6 % sowie ein außergewöhnlich ungünstiges neurologisches Outcome (1,1 % gute neurologische Resultate) auftrat.</p> <p>Der rezent geschaffene Begriff „medical futility“ (medizinische Nutzlosigkeit) steht für den Ansatz, eine bestimmte intensivmedizinische Intervention als „nutzlos“ zu erachten, wenn diese Intervention unter den letzten 100 Fällen ihrer Anwendung nur mit dauerhafter Bewusstlosigkeit oder einer Abhängigkeit von der Intensivmedizin assoziiert ist. Sollte eine Intervention als „medical futile“ definiert sein, sollte sie aus ethischer Sicht unterlassen werden.<sup>6–9</sup> Zusätzlich zeigte eine aktuelle Studie, dass ältere Menschen den Verlust von Autonomie und ungünstige körperliche und neurologische Zustände nach einer kritischen Krankheit weitaus mehr fürchten als den Tod selbst.<sup>10–11</sup> <br />Anhand der Daten dieser Studie sind die Autoren der Ansicht, dass lebenserhaltende Maßnahmen bei älteren Personen, die objektive Anzeichen der Gebrechlichkeit aufweisen, beschränkt werden sollen, da:</p> <ol> <li>bei älteren gebrechlichen Patienten sowohl Überleben als auch das neurologische Outcome besonders schlecht sind,</li> <li>dementsprechend jede medizinische Intervention als „medical futile“ anzusehen ist und</li> <li>der Wunsch der älteren Patienten, nicht in einem nicht autonomen und vegetativen Zustand zu verbleiben, unterstrichen wird.</li> </ol> <div id="fazit"> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Studie von Sulzgruber und Kollegen, dass sowohl ein initial schockbarer EKG-Rhythmus (Kammerflimmern sowie pulslose ventrikuläre Tachykardie) als auch objektive Anzeichen der Gebrechlichkeit bei betagten Patienten mit Herzstillstand valide Instrumente zur Entscheidungsfindung für behandelnde Mediziner darstellen. Durch die Anwendung dieser altersspezifischen Prädiktoren werden nicht nur Faktoren zur Entscheidungsfindung für Notfallmediziner geschaffen, es können zusätzlich auch aussichtslose Therapiemaßnahmen bei infauster Prognose vermieden werden.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Mendis S et al: Organizational update: the world health organization global status report on noncommunicable diseases 2014; one more landmark step in the combat against stroke and vascular disease. Stroke 2015; 46(5): e121-2 <strong>2</strong> Writing Group Members: Heart Disease and Stroke Statistics–2016 Update: a Report from the American Heart Association. Circulation 2016; 133(4): e38-60 <strong>3</strong> Gräsner JT, Masterson S: EuReCa and international resuscitation registries. Curr Opin Crit Care 2015; 21(3): 215-9 <strong>4</strong> Berdowski J et al: Global incidences of out-of-hospital cardiac arrest and survival rates: systematic review of 67 prospective studies. Resuscitation 2010; 81(11): 1479-87 <strong>5</strong> Nichol G et al: Regional variation in out-of-hospital cardiac arrest incidence and outcome. JAMA 2008; 300(12): 1423-31 <strong>6</strong> Schneiderman LJ et al: Medical futility: response to critiques. Ann Intern Med 1996; 125(8): 669-74 <strong>7</strong> Stein RS et al: CPR-not-indicated and futility. Ann Intern Med 1996; 124(1): 75-7 <strong>8</strong> Schneiderman LJ: CPR-not-indicated futility. Ann Intern Med 1996; 124(1 Pt 1): 77 <strong>9</strong> Schneiderman LJ et al: Effect of ethics consultations on nonbeneficial life-sustaining treatments in the intensive care setting: a randomized controlled trial. JAMA 2003; 290(9): 1166-72 <strong>10</strong> Rosenfeld KE et al: End-of-life decision making: a qualitative study of elderly individuals. J Gen Intern Med 2000; 15(9): 620-5 11 Vandrevala T et al: Dilemmas in decision-making about resuscitation–a focus group study of older people. Soc Sci Med 2006; 62(7): 1579-93</p>
</div>
</p>