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Früherkennung der subklinischen Atherosklerose – bei wem und wann behandeln?
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. David Nanchen, MD, MSc
Centre de prévention clinique et communautaire<br> Policlinique Médicale Universitaire<br> Rue du Bugnon 44, 1011 Lausanne<br> E-Mail: david.nanchen@hospvd.ch
30
Min. Lesezeit
01.11.2018
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<p class="article-intro">Zur Früherkennung der Atherosklerose bei asymptomatischen Erwachsenen werden bildgebende Verfahren eingesetzt, um als Ergänzung zu den herkömmlichen kardiovaskulären Risikofaktoren die Stratifizierung des kardiovaskulären Risikos zu verbessern. Auch wenn ein systematisches Screening nicht empfohlen wird, kann die gezielte Anwendung bildgebender Verfahren bei der Entscheidung zur Einleitung einer lipid- oder blutdrucksenkenden Behandlung bei Patienten mit mittlerem kardiovaskulärem Risiko nützlich sein.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Ultraschalluntersuchung auf atherosklerotische Plaques in den Karotiden oder Femoralarterien und die Kalziumbestimmung in den Koronararterien mittels CT-Scan («CAC») sind die beiden bildgebenden Verfahren, die im Hinblick auf die Stratifizierung des kardiovaskulären Risikos in der Primärprävention am besten validiert sind.</li> <li>Bei asymptomatischen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren können diese bildgebenden Methoden dabei helfen, das kardiovaskuläre Risiko in Situationen mit mittlerem Risiko besser abzuschätzen.</li> <li>Es gibt keine Evidenz dafür, dass der Einsatz dieser bildgebenden Verfahren den untersuchten Erwachsenen einen gesundheitlichen Nutzen bringt. Aus diesem Grund wird die systematische Anwendung dieser Verfahren für die klinische Praxis nicht empfohlen.</li> </ul> </div> <p>Kardiovaskuläre (CV) Erkrankungen sind die Hauptursache für Morbidität in westlichen Populationen und aufgrund der damit verbundenen Kosten ein zentrales Anliegen für die Gesundheitsbehörden und Krankenkassen. Atherosklerose ist ein wesentlicher Faktor bei kardio- und zerebrovaskulären Erkrankungen. Seit einigen Jahrzehnten wird die Früherkennung der Atherosklerose mittels bildgebender Untersuchungen als Hilfsmittel für den zielgerichteten Einsatz von CV Präventionsmassnahmen in der Allgemeinbevölkerung vorgeschlagen. Eine bei asymptomatischen Patienten festgestellte Atherosklerose wird als subklinisch bezeichnet. Grundgedanke hierbei ist, dass Erwachsene, bei denen asymptomatische atherosklerotische Plaques nachgewiesen wurden, von Präventionsmassnahmen profitieren können und leichter von der Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung zu überzeugen sind. Unter den nicht invasiven Methoden zum Nachweis von Atherosklerose sind die Ultraschalluntersuchung der Karotiden oder Femoralarterien sowie die Bestimmung des koronaren Kalzium-Scores («coronary artery calcium score», CAC) mittels CT-Scan die beiden am besten validierten Methoden. Vor dem routinemässigen klinischen Screening sollte sich der Arzt jedoch drei Fragen stellen.</p> <ol> <li>Ermöglicht dieses ergänzende Untersuchungsergebnis eine bessere Abschätzung des CV Risikos als mit den herkömmlichen CV Risikofaktoren allein?</li> <li>Beeinflusst das Untersuchungsergebnis die Meinung des Arztes bezüglich der Notwendigkeit, eine präventive medikamentöse Behandlung einzuleiten?</li> <li>Beeinflusst das Untersuchungsergebnis die Meinung des Patienten und fördert es die Adhärenz an Präventionsmassnahmen oder die Einrichtung eines gesunden Lebensstils?</li> </ol> <p>In diesem Artikel fassen wir die wissenschaftliche Literatur zusammen, die Antworten auf diese drei Fragen gibt.</p> <h2>Bessere Abschätzung des CV Risikos</h2> <p>Die Dicke der Tunica intima der Arterien, die auch als Intima-Media-Dicke oder «intima-media thickness» (IMT) bezeichnet wird, kann mittels Gefässultraschall bestimmt werden. Allerdings liefert die Bestimmung der IMT der Karotiden keine zusätzlichen Informationen zur Abschätzung des CV Risikos auf der Basis herkömmlicher Risikofaktoren. Zudem ist bisher noch nicht gezeigt worden, dass die Zunahme der IMT der Karotiden CV Ereignisse vorhersagt. Daher wird diese Methode von den europäischen Leitlinien zur Prävention von CV Erkrankungen nicht länger zum systematischen Screening empfohlen.<sup>1</sup> Im Gegensatz hierzu stellt die volumetrische Erfassung atherosklerotischer Plaques mittels Ultraschall eine aussichtsreichere Methode dar. Die Erfassung der Plaques in den Karotiden ermöglicht die Prädiktion des Risikos für CV Ereignisse in Ergänzung zu den herkömmlichen Risikofaktoren.<sup>2</sup> Die Entwicklung von ausgeklügelten Algorithmen könnte ebenfalls eine Vorhersage der Plaquesinstabilität erlauben.<sup>3</sup> Folglich wird einem Erwachsenen, der bei einer sonografischen Gefässuntersuchung atherosklerotische Plaques aufweist oder dessen Plaques grösser geworden sind, gemäss den Leitlinien ein hohes CV Risiko attestiert.<sup>1</sup><br /> Der CAC wird bei einer CT-Untersuchung ohne Kontrastmittelinjektion ermittelt, bei der Kalzifikationen in den Koronararterien bildlich dargestellt werden. Die Dichte der Verkalkungen zeigt eine negative Korrelation zum Auftreten klinischer Ereignisse.<sup>4</sup> Die Strahlenbelastung beträgt dabei 1mSv, was vergleichbar mit der Belastung bei einer Mammografie (0,8mSv) ist.<sup>5</sup> Bei Patienten mit mittlerem Risiko werden bis zu ein Viertel der untersuchten Erwachsenen einer anderen Gruppe zugeordnet, die ihrem Risiko für ein CV Ereignis besser entspricht.<sup>6, 7</sup> Darüber hinaus ist eine fehlende Arterienverkalkung mit einer niedrigen Rate an CV Ereignissen verbunden.<sup>5, 8, 9</sup> Der CAC ermöglicht demnach eine Vorhersage zum CV Risiko und verfeinert die Abschätzung des CV Risikos in Ergänzung zu den herkömmlichen kardiovaskulären Risikofaktoren.<sup>6</sup></p> <h2>Gezieltere Patientenauswahl für präventive Therapie</h2> <p>Die wissenschaftliche Literatur gibt keine definitive Antwort auf die Frage nach dem CV Nutzen der Früherkennung der Atherosklerose. Es gibt keine klinische Studie, in der die Früherkennung atherosklerotischer Plaques mit der Situation ohne Früherkennung im Hinblick auf das Auftreten von CV Ereignissen bei gesunden Erwachsenen verglichen wird. Eine solche klinische Studie würde Tausende Patienten und eine langjährige Nachbeobachtung erfordern. Derzeit liegen lediglich Modelldaten zum CV Nutzen der Früherkennung bei der Primärprävention vor, die auf Beobachtungsdaten wie z.B. der MESA(Multi Ethnic Study of Atherosclerosis)- Kohorte basieren. Diese Daten zeigen, dass bei Erwachsenen ohne Kalzifikation (CAC-Score = 0) 550 Personen über 5 Jahre mit Rosuvastatin behandelt werden müssen, um ein CV Ereignis zu verhindern, verglichen mit 25 Patienten unter jenen, die einen hohen CAC-Score aufweisen. 10 Die Früherkennung einer subklinischen Atherosklerose könnte demnach helfen, effizienter diejenigen Patienten zu ermitteln, die von einer Statintherapie profitieren würden.</p> <h2>Förderung eines gesunden Lebensstils</h2> <p>In einem kürzlich veröffentlichten systematischen Review wurde von drei randomisierten klinischen Studien berichtet, in denen der Einfluss der Früherkennung der Atherosklerose mithilfe von bildgebenden Verfahren auf gesundheitsförderndes Verhalten untersucht wurde. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die CAC-vermittelte Früherkennung die Therapieadhärenz verbessern und die Betroffenen dazu motivieren kann, ihr Verhalten oder ihre CV Risikofaktoren zu verändern.<sup>11</sup> In einer randomisierten kontrollierten Studie in Lausanne hatte die Früherkennung atherosklerotischer Plaques mittels Ultraschall hingegen nicht dazu beigetragen, dass Raucher ihren Tabakkonsum aufgaben.<sup>12</sup> Es gibt damit keine definitive Evidenz dafür, dass die Früherkennung der Atherosklerose zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen führt.</p> <h2>Klinische Empfehlungen</h2> <p>Da keine randomisierten klinischen Studien vorliegen, die einen CV Nutzen für die Früherkennung der Atherosklerose bei asymptomatischen Erwachsenen zeigen, ist eine gezielte Anwendung bildgebender Gefässverfahren bei der Primärprävention die sinnvollste Vorgehensweise. Die Auswahl von Erwachsenen mit mittlerem CV Risiko auf der Basis der CV Risikofaktoren ermöglicht die Neubewertung des Risikos je nach den Untersuchungsergebnissen (Abb. 1) und unterstützt die Ermittlung von Erwachsenen, die den grössten Nutzen von einer medikamentösen Prävention haben sollten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1805_Weblinks_s62_abb1.jpg" alt="" width="1423" height="1203" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Piepoli MF et al.: 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of 10 societies and by invited experts). Developed with the special contribution of the European Association for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR). Eur Heart J 2016; 37: 2315-81 <strong>2</strong> Wannarong T et al.: Progression of carotid plaque volume predicts cardiovascular events. Stroke 2013; 44: 1859-65 <strong>3</strong> Kakkos SK et al.: Computerized texture analysis of carotid plaque ultrasonic images can identify unstable plaques associated with ipsilateral neurological symptoms. Angiology 2011; 62: 317-28 <strong>4</strong> Criqui MH et al.: Coronary artery calcium volume and density: potential interactions and overall predictive value: the multi-ethnic study of atherosclerosis. JACC Cardiovasc Imaging 2017; 10: 845-54 <strong>5</strong> Hecht HS: Coronary artery calcium scanning: past, present, and future. JACC Cardiovasc Imaging 2015; 8: 579-96 <strong>6</strong> Erbel R et al.: Coronary risk stratification, discrimination, and reclassification improvement based on quantification of subclinical coronary atherosclerosis: the Heinz Nixdorf Recall study. J Am Coll Cardiol 2010; 56: 1397-406 <strong>7</strong> Polonsky TS et al.: Coronary artery calcium score and risk classification for coronary heart disease prediction. JAMA 2010; 303: 1610-6 <strong>8</strong> Yeboah J et al.: Utility of nontraditional risk markers in individuals ineligible for statin therapy according to the 2013 American College of Cardiology/American Heart Association Cholesterol Guidelines. Circulation 2015; 132: 916-22 <strong>9</strong> Blaha MJ et al.: Role of coronary artery calcium score of zero and other negative risk markers for cardiovascular disease: The Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis (MESA). Circulation 2016; 133: 849-58 <strong>10</strong> Blaha MJ et al.: Associations between C-reactive protein, coronary artery calcium, and cardiovascular events: implications for the JUPITER population from MESA, a populationbased cohort study. Lancet 2011; 378: 684-92 <strong>11</strong> Mamudu HM et al.: The effects of coronary artery calcium screening on behavioral modification, risk perception, and medication adherence among asymptomatic adults: a systematic review. Atherosclerosis 2014; 236: 338-50 <strong>12</strong> Rodondi N et al.: Impact of carotid plaque screening on smoking cessation and other cardiovascular risk factors: a randomized controlled trial. Arch Intern Med 2012; 172: 344-5</p>
</div>
</p>