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Familiäre Hypercholesterinämie und koronare Herzkrankheit
Jatros
Autor:
Maximilian Tscharre
3. Medizinische Abteilung mit Kardiologie und<br> Intensivmedizin, Wilhelminenspital, Wien<br> Sigmund Freud Privatuniversität,<br> Medizinische Fakultät, Wien<br> E-Mail: maximilian.tscharre@wienkav.at
Autor:
Kurt Huber
3. Medizinische Abteilung mit Kardiologie und<br> Intensivmedizin, Wilhelminenspital, Wien<br> Sigmund Freud Privatuniversität,<br> Medizinische Fakultät, Wien
30
Min. Lesezeit
21.12.2017
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<p class="article-intro">Familiäre Hypercholesterinämie führt bei Betroffenen in Richtung einer koronaren Herzerkrankung. Diese tritt darüber hinaus auch früher im Leben auf. Studien in den vergangenen Jahren haben ergeben, dass die Prävalenz der familiären Hypercholesterinämie häufiger ist als früher angenommen. Positiv ist zu vermerken, dass sich die Therapieoptionen in den letzten Jahren verbessert haben – sie müssen aber auch genützt werden. Daran ist im Sinne der Patienten noch zu arbeiten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist die häufigste autosomal-dominant vererbte Erkrankung und gekennzeichnet durch erhöhte Cholesterinspiegel von Geburt an.<sup>1</sup> Die Prävalenz in der Normalbevölkerung für Patienten mit heterozygoter Ausprägung (HeFH) wird mit ca. 1:200 und für Patienten mit homozygoter Ausprägung (HoFH) mit 1:300 000 angenommen.<sup>2, 3</sup> Ursächlich sind Mutationen im LDLR(„Low density lipoprotein“-Rezeptor)- Gen, APOB(Apolipoprotein B)-Gen oder PCSK9(Proprotein Convertase Subtilisin/ Kexin 9)-Gen.<sup>4, 5</sup> Mehrheitlich finden sich „Loss of function“-Mutationen im LDLR-Gen, welche eine verminderte Aktivität des LDLR an der Oberfläche der Hepatozyten verursachen und folglich eine verminderte Aufnahme von LDL-C („Low density lipoprotein“-Cholesterin) in die Leber.<sup>6</sup> „Loss of function“-Mutationen im APOB-Gen verändern die Bindung von APO-B an LDLR, „Gain of function“-Mutationen im PCSK9-Gen führen über erhöhten Abbau zu niedrigeren Raten von LDLR an der Zelloberfläche der Hepatozyten.<sup>6</sup> Alle Mutationen führen in weiterer Folge zu erhöhten LDL-C-Spiegeln im Blut. <br /> Patienten mit HoFH erkranken ohne entsprechende Therapie üblicherweise bereits vor Erreichen des Erwachsenenalters an kardiovaskulären Folgekrankheiten, Patienten mit HeFH im frühen bis mittleren Erwachsenenalter.<sup>1, 7</sup> Durch den Einsatz von Statinen (± Ezetimib) und den modernen PCSK9-Hemmern bestünden aber potente Therapiemöglichkeiten für die wirksame LDL-C-Senkung unter die vorgegebenen Zielbereiche, um so das Fortschreiten der Arteriosklerose zu verlangsamen. Trotz des erhöhten kardiovaskulären Risikos werden viele Patienten, vor allem Patienten mit HeFH, aber erst bei Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen diagnostiziert.<sup>1</sup></p> <h2>Diagnostik der familiären Hypercholesterinämie</h2> <p>Zur Identifizierung von Patienten mit FH stehen verschiedene Algorithmen zur Verfügung. Diese beruhen auf einfachen klinischen Merkmalen. Die DLCN-Klassifizierung (Dutch Lipid Clinic Network) ist der bekannteste und umfassendste aller Algorithmen und wird von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Gesellschaft für Atherosklerose (EAS) empfohlen (Tab. 1).<sup>1, 8</sup> Anhand des LDL-C-Spiegels, klinischer Zeichen der Lipidakkumulation (Arcus cornealis und Xanthoma tendinosum), vorzeitiger Erkrankung an kardiovaskulären Folgekrankheiten und der Familienanamnese werden die Patienten klassifiziert: Eine Erkrankung ist unwahrscheinlich bei 0–2 Punkten, möglich bei 3–5, wahrscheinlich bei 6–8 und Patienten mit mehr als 8 Punkten erfüllen die klinische Definition der FH.<sup>8</sup> Andere vereinfachte Algorithmen sind die Simon-Broome-Klassifizierung und die AHA(American Heart Association)- Klassifizierung.<sup>9, 10</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1705_Weblinks_s16_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1122" /></p> <h2>Prävalenz von Patienten mit FH bei KHK</h2> <p>Die Prävalenz der FH bei Patienten mit KHK war Gegenstand rezenter Forschung und in verschiedenen Studien je nach Altersklasse bis zu 20-fach gegenüber der Normalbevölkerung erhöht: Im Schweizer SPUM-ACS-Register (Special Program University Medicine-Acute Coronary Syndromes) mit 4778 Patienten mit akutem Koronarsyndrom („acute coronary syndrome“, ACS) erreichten 1,6 % der Patienten =6 Punkte gemäß den DLCN-Kriterien, 4,8 % bei den Patienten mit frühzeitiger KHK (Männer <55, Frauen <60).<sup>11</sup> In der sehr großen EUROASPIRE-IV-Kohorte mit 7044 Patienten mit KHK erreichten 8,3 % der Patienten =6 Punkte gemäß den DLCN-Kriterien, 15,4 % bei Patienten <60 Jahren.<sup>12</sup> In einer griechischen Kohorte mit 320 Patienten mit ST-Hebungs-Infarkt jünger als 35 Jahre erreichten sogar 20,3 % =6 Punkte.<sup>13</sup></p> <h2>Therapie und Versorgungsqualität bei Patienten mit FH und KHK</h2> <p>Patienten mit FH stellen eine Hochrisikokohorte in Bezug auf frühzeitige und rekurrente kardiovaskuläre Ereignisse dar. In diesem Sinne ist neben einem gesunden Lebensstil eine strikte medikamentöse Lipidsenkung, in der Primär- und auch Sekundärprävention, indiziert. Patienten mit FH sollten primär hochpotente Statine in maximal tolerierter Dosierung (Atorvastatin 40–80mg, Rosuvastatin 20–40mg) verschrieben werden und bei Nichterreichen der Lipidziele um Ezetimib ergänzt werden.<sup>1</sup> Rezente Daten aus dem SPUMACS- Register zeigen aber, dass selbst bei Patienten nach ACS nur 70 % der Patienten mit hochpotenten Statinen entlassen wurden und nach 1 Jahr nur mehr 65 % der Patienten unter dieser Therapie standen.<sup>11</sup> Andere Lipidsenker wurden kaum verschrieben. Als Hauptursache dieser relativ niedrigen Raten werden von den Autoren Unverträglichkeiten gegenüber Statinen vermutet. Auch zeigen diese Daten, dass im niedergelassenen Bereich die vom Krankenhaus etablierten Therapien kaum adaptiert und intensiviert werden, was sich mit ernüchternden Zahlen niederschlägt – lediglich 4,6 % der Patienten mit =6 Punkten nach DLCN hatten nach 1 Jahr das Therapieziel eines LDL-Wertes <70mg/dl erreicht, nur 36,4 % erreichten LDL-Werte <100mg/dl.<sup>11</sup><br /> Seit Kurzem stehen im Falle des Nichterreichens des Therapieziels zudem die modernen PCSK9-Inhibitoren Alirocumab und Evolocumab zur Verfügung. Unter dieser Therapie ist eine zusätzliche LDLSenkung um 50–70 % möglich.<sup>14</sup> Auch zeigte die kürzlich publizierte FOURIEROutcome- Studie, dass die Zugabe von Evolocumab zur Standardtherapie mit Statinen die Rate an kardiovaskulären Ereignissen signifikant reduzierte.<sup>15</sup> Insgesamt wurden 27 564 Patienten in diese randomisierte, doppelblinde und placebokontrollierte Studie eingeschlossen und im Durchschnitt 2,2 Jahre nachverfolgt. Patienten unter Evolocumab hatten eine um 15 % geringere Wahrscheinlichkeit, den primären Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris, koronare Revaskularisation), und eine um 20 % geringere Wahrscheinlichkeit, den sekundären Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall) zu erleiden. Die LDL-C-Werte sanken in dieser Studie von 92mg/dl auf 30mg/dl unter der Therapie mit Evolocumab.<br /><br /> Die Ergebnisse der ODYSSEY-Outcomes- Studie („The Long-term Safety and Tolerability of Alirocumab in High Cardiovascular Risk Patients with Hypercholesterolemia Not Adequately Controlled with Their Lipid Modifying Therapy“) betreffend Alirocumab und die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse mit ca. 18 000 Patienten werden nächstes Jahr erwartet.<sup>16</sup></p> <h2>Prognose von Patienten mit FH und KHK</h2> <p>Eine Beobachtungsstudie aus Großbritannien über 8,5 Jahre mit 2146 FH-Patienten ohne bekannte KHK konnte zeigen, dass eine frühzeitige Therapie mit Statinen das Risiko für zukünftige kardiovaskuläre Erkrankungen um 80 % senken kann, dieses war damit dem Risiko der damaligen Normalbevölkerung ähnlich.<sup>17</sup><br /><br /> Zur Prognose von Patienten mit bekannter KHK und FH unter Therapie mit hochpotenten Statinen in maximal tolerierter Dosierung existieren derzeit kaum aktuelle Studiendaten. Einzig das bereits erwähnte Schweizer SPUM-ACS-Register verfolgte 4534 Patienten nach ACS für ein Jahr nach: Trotz des breiteren kardiovaskulären Risikoprofils der Patienten mit unwahrscheinlicher FH (0–2 Punkte) hatten Patienten mit wahrscheinlicher/definitiver FH (=6 Punkte) je nach Diagnoseklassifizierung eine 3–3,5-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis (Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall), wie in Abbildung 1 dargestellt.<sup>18</sup><br /><br /> Diese Daten implizieren die Notwendigkeit einer rigorosen Sekundärprävention hinsichtlich der lipidsenkenden Therapie mit enger ärztlicher Anbindung bei Patienten mit FH. Eine initiale Therapie mit hochpotenten Statinen, wenn nötig in Kombination mit Ezetimib, und frühzeitigen LDL-C-Kontrollbestimmungen ist angezeigt, um bei Nichterreichen der Zielwerte eine Therapie mit PCSK9-Inhibitoren initiieren zu können.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1705_Weblinks_s16_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="2257" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>FH ist mit frühzeitiger KHK assoziiert. Die Prävalenz von FH bei Patienten mit KHK ist je nach Altersklasse bis zu 20-fach gegenüber der Normalbevölkerung erhöht.<br /> Patienten mit FH und KHK erreichen in weniger als 5 % der Fälle die vorgegebenen Lipidzielwerte. Eine rigorose lipidsenkende Therapie mit hochpotenten Statinen in maximal tolerierter Dosis, gefolgt von einer Kombinationstherapie mit Ezetimib und in der Folge – bei Nichterreichen der Zielwerte – der Zugabe von PCSK9-Inhibitoren, ist erforderlich, um kardiovaskuläre Probleme hintanzuhalten.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Nordestgaard BG et al.: Familial hypercholesterolaemia is underdiagnosed and undertreated in the general population: guidance for clinicians to prevent coronary heart disease: Consensus Statement of the European Atherosclerosis Society. Eur Heart J 2013; 34: 3478-90 <strong>2</strong> Sjouke B et al.: Homozygous autosomal dominant hypercholesterolaemia in the Netherlands: prevalence, genotype-phenotype relationship, and clinical outcome. Eur Heart J 2015; 36: 560-5 <strong>3</strong> Benn M et al.: Mutations causative of familial hypercholesterolaemia: screening of 98 098 individuals from the Copenhagen General Population Study estimated a prevalence of 1 in 217. Eur Heart J 2016; 37: 1384-94 <strong>4</strong> Brown MS, Goldstein JL: Familial hypercholesterolemia: a genetic defect in the low-density lipoprotein receptor. N Engl J Med 1976; 294: 1386-90 <strong>5</strong> Varret M et al.: Genetic heterogeneity of autosomal dominant hypercholesterolemia. Clin Genet 2008; 73: 1-13 <strong>6</strong> Goldberg AC et al.: Familial hypercholesterolemia: screening, diagnosis and management of pediatric and adult patients: clinical guidance from the National Lipid Association Expert Panel on Familial Hypercholesterolemia. J Clin Lipidol 2011; 5: S1-S8 <strong>7</strong> Wiegman A et al.: Familial hypercholesterolaemia in children and adolescents: gaining decades of life by optimizing detection and treatment. Eur Heart J 2015; 36: 2425-37 <strong>8</strong> WHO Human Genetics Programme. Familial hypercholesterolaemia (FH): report of a second WHO consultation, Geneva, 4 September 1998, http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/66346/1/WHO_ HGN_FH_CONS_99.2.pdf <strong>9</strong> Gidding SS et al.: The Agenda for Familial Hypercholesterolemia: a Scientific Statement from the American Heart Association. Circulation 2015; 132: 2167-92 <strong>10</strong> Scientific Steering Committee on behalf of the Simon Broome Register Group: Risk of fatal coronary heart disease in familial hypercholesterolaemia. BMJ 1991; 303: 893-6 <strong>11</strong> Nanchen D et al.: Prevalence and management of familial hypercholesterolaemia in patients with acute coronary syndromes. Eur Heart J 2015; 36: 2438-45 <strong>12</strong> De Backer G et al.; EUROASPIRE Investigators: Prevalence and management of familial hypercholesterolaemia in coronary patients: an analysis of EUROASPIRE IV, a study of the European Society of Cardiology. Atherosclerosis 2015; 241: 169-75 <strong>13</strong> Rallidis LS et al.: Prevalence of heterozygous familial hypercholesterolaemia and its impact on long-term prognosis in patients with very early ST-segment elevation myocardial infarction in the era of statins. Atherosclerosis 2016; 249: 17-21 <strong>14</strong> Catapano AL et al.: 2016 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias. Eur Heart J 2016; 37: 2999-3058 <strong>15</strong> Sabatine MS et al.: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 376: 1713-22 <strong>16</strong> Schwartz GG et al.: Effect of alirocumab, a monoclonal antibody to PCSK9, on long-term cardiovascular outcomes following acute coronary syndromes: rationale and design of the ODYSSEY Outcomes trial. Am Heart J 2014; 168: 682-9 <strong>17</strong> Versmissen J et al.: Efficacy of statins in familial hypercholesterolaemia: a long term cohort study. BMJ 2008; 337: a2423 <strong>18</strong> Nanchen D et al.: Prognosis of patients with familial hypercholesterolemia after acute coronary syndromes. Circulation 2016; 134: 698-709</p>
</div>
</p>