
Faktor-XIa-Inhibition: Kommt die Revolution in der Antikoagulation?
Bericht:
Reno Barth
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Mit den Faktor-XIa-Inhibitoren wird eine neue Klasse oraler Antikoagulanzien in klinischen Studien untersucht. Die Hoffnung, die in diese Substanzen gesetzt wird, zielt auf ein besseres Nutzen-Risiko-Verhältnis ab, als dies mit Vitamin-K-Antagonisten oder direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) erreicht werden kann. Die im Rahmen des ESC 2022 vorgestellten Arbeiten sprechen für die hohe Sicherheit der Faktor-XIa-Inhibitoren. Ob auch eine ausreichende Wirksamkeit gegeben ist, müssen Phase-III-Studien mit ausreichender Power zeigen.
Faktor XI (Plasma-Thromboplastin-Vorgänger) ist ein an der Blutgerinnung beteiligtes Enzym, das durch Faktor XIIa oder durch Thrombin von Faktor XI zu Faktor XIa aktiviert wird. Faktor XIa aktiviert Faktor IX, ist damit ein Teil des intrinsischen Gerinnungswegs und greift weniger zentral in die Gerinnungskaskade ein als die von den DOAK inhibierten Faktoren IIa (Thrombin) oder Xa. Seit Längerem wird angenommen, dass die Beeinflussung des intrinsischen Pfades das Risiko für thromboembolische Ereignisse reduzieren könnte, während gleichzeitig ein intakter extrinsischer Gerinnungsweg dem Organismus die Möglichkeit lässt, auf Gewebeschädigungen adäquat zu reagieren. So weisen Menschen mit angeborenem FXIa-Mangel (Hämophilie C) ein sehr niedriges Risiko für thromboembolische Ereignisse auf, zeigen gleichzeitig jedoch nur ein relativ geringes Risiko für spontane Blutungen. Mittlerweile wurden mehrere Faktor-XIa-Inhibitoren entwickelt und befinden sich in klinischen Studien. Soweit bislang bekannt ist, sind sie sehr sicher.1-4
PACIFIC-Studien: FXIa-Inhibitor Asundexian
Angesichts des hohen Bedarfs an Antikoagulanzien mit einem verbesserten Sicherheitsprofil wurden im Rahmen des ESC mehrere Phase-II-Studien zu verschiedenen FXIa-Inhibitoren in einer eigenen Hotline Session präsentiert. Der Faktor-XIa-Inhibitor Asundexian wird aktuell im Rahmen des PACIFIC-Studienprogramms in mehreren Phase-II-Studien mit jeweils mehr als 1000 Patienten untersucht. Am ESC 2022 wurden die Ergebnisse der Studien PACIFIC-AMI und PACIFIC-STROKE vorgestellt. Sie bestätigen das ausgezeichnete Sicherheitsprofil von Asundexian, lassen hinsichtlich der Wirksamkeit jedoch viele Fragen offen.
So verfehlte die Studie PACIFIC-AMI, die in einem Kollektiv von Patienten nach Myokardinfarkt die duale Antiplättchentherapie plus Asundexian (in unterschiedlichen Dosierungen) mit der dualen Antiplättchentherapie plus Placebo verglich, ihren primären Wirksamkeitsendpunkt. Der kombinierte primäre Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und Stentthrombose trat in allen Verumarmen ähnlich häufig ein wie unter Placebo. Dabei waren Ereignisse im Sinne des primären Endpunkts jedoch insgesamt und in allen Armen sehr selten, was zu weiten Konfidenzintervallen und damit zu geringer statistischer Aussagekraft führte. Die Studie zeigte auch eine hocheffiziente Inhibition von Faktor XIa durch Asundexian. Dabei lag das Blutungsrisiko in keinem der Asundexian-Arme über Placeboniveau. Angesichts der hervorragenden Sicherheitsdaten schlagen die Autoren daher eine Phase-III-Studie mit ausreichender Power für die Detektion der Wirksamkeit vor. Die Präsentation der PACIFIC-AMI-Studie wurde zeitgleich in „Circulation online“ publiziert.5
Unklare Datenlage in der Schlaganfallprävention
Auch die Studie PACIFIC-STROKE, die Asundexian in mehreren Dosierungen in der Sekundärprävention in einem Kollektiv von fast 2000 Patienten nach nichtkardioembolischem Schlaganfall untersuchte, verfehlte ihren primären Endpunkt, den dosisabhängigen Effekt auf die Inzidenz symptomatischer oder klinisch stummer, aber in der Bildgebung nachweisbarer, Schlaganfälle. Innerhalb von sechs Monaten kam es in der Placebogruppe bei 19,1% der Patienten zu Ereignissen im Sinne des primären Endpunktes. In den Verumgruppen waren es 18,9% (Asundexian 10mg), 22% (Asundexian 20mg) und 20,1% (Asundexian 50mg). Mit anderen Worten: Es gibt keine dosisabhängige Reduktion des primären Endpunkts durch Asundexian.
Exploratorische Analysen sind allerdings sehr wohl in Richtung klinischer Wirksamkeit von Asundexian hinweisend, zumal mehr als 75% aller Ereignisse im Sinne des primären Endpunkts klinisch stumme Schlaganfälle waren, die durch die Prophylaxe mit Asundexian nicht beeinflusst wurden. Betrachtet man lediglich symptomatische Schlaganfälle und transiente ischämische Attacken über ein medianes Follow-up von 10,6 Monaten, so kam es bei 38 (8,3%) der Patienten in der Placebogruppe zu Ereignissen. In den Asundexian-Gruppen waren Ereignisse mit steigender Dosierung seltener. Unter 50mg Asundexian wurde der Vorteil gegenüber Placebo mit 24 Ereignissen (5,4%) schließlich signifikant (HR: 0,64; 90% CI: 0,41–0,98). Transiente ischämische Attacken waren unter 50mg Asundexian sogar um 82% reduziert. Bei Patienten mit intra- oder extrakranialen arteriosklerotischen Plaques war dieser Vorteil sehr ausgeprägt (HR: 0,39; 90% CI: 0,18–0,85; Abb. 1).5 Schlaganfälle in den großen Arterien wurden um 44% reduziert, wobei allerdings die Signifikanz verfehlt wurde. Auch in PACIFIC-STROKE war das Blutungsrisiko unter Asundexian nicht signifikant erhöht. Primärer Sicherheitsendpunkt waren schwere oder klinisch relevante nicht schwere Blutungen innerhalb von 12 Monaten. Dazu Studienautor Dr. Ashkan Shoamanesh vom Population Health Research Institute in Hamilton, Kanada: „Die Ergebnisse von PACIFIC-STROKE legen nahe, die Wirksamkeit von Asundexian in der Sekundärprävention des nichtkardioembolischen Schlaganfalls in weiteren Studien zu untersuchen.“ Die Autoren empfehlen die Durchführung einer Phase-III-Studie mit adäquater Power.
Abb. 1: Phase-II-Studie PACIFIC-STROKE: Reduktion der Schlaganfall- und TIA-Ereignisse durch Asundexian (FXIa-Inhibitor vs. Placebo; modifiziert nach Rao SV et al. 2022)5
AXIOMATIC-SSP: verwirrendes Studienergebnis mit Milvexian
Ein weiterer Faktor-XIa-Inhibitor, der in einem klinischen Studienprogramm der Phase II untersucht wird, ist Milvexian. Die Studie AXIOMATIC-SSP untersucht Milvexian in der Sekundärprävention bei Patienten nach Schlaganfall oder Hochrisiko-TIA. In diese Studie wurden ausschließlich Patienten eingeschlossen, die arteriosklerotische Plaques in jenem Gefäß zeigten, das die betroffene Gehirnregion versorgte.
Alle Patienten erhielten eine Hintergrundtherapie mit Aspirin und Clopidogrel für 21 Tage, gefolgt von Aspirin bis zum Tag 90. Primärer Endpunkt waren symptomatische Schlaganfälle und Hirninfarkte in der Bildgebung nach 90 Tagen. Milvexian war mit einer numerischen Reduktion von Ereignissen im Sinne des primären Endpunkts in der Größenordnung von 30% assoziiert, wobei die Auswertung der einzelnen Dosisgruppen allerdings keine Dosis-Wirkungs-Beziehung zeigte. Das Blutungsrisiko war generell gering und in den niedrigeren Dosisgruppen nicht höher als im Placeboarm. Auch Milvexian soll nun in weiteren Studien in der Schlaganfallprävention untersucht werden. Dazu Studienleiter Dr. Mukul Sharma von der McMaster University in Hamilton, Kanada: „Angesichts des Wirksamkeitssignals, der Sicherheit und der Verträglichkeit wird Milvexian in einer Phase-III-Studie in einer ähnlichen Schlaganfallpopulation untersucht werden.“
PANTHER-Studie: P2Y12-Inhibitor
Prof. Dr. Marco Valgimigli von der Cardiocentro-Ticino-Stiftung in Lugano präsentierte im Rahmen einer Hotline Session die Ergebnisse der PANTHER-Studie („P2Y12 inhibitor versus aspirin monotherapy in patients with coronary artery disease“), die das Potenzial hat, das Vorgehen in der Sekundärprävention bei koronarer Herzkrankheit grundlegend zu verändern. PANTHER ist eine Metaanalyse auf Basis der individuellen Patientendaten, die alle verfügbaren Daten aus randomisierten Studien auswertete, in denen Aspirin in dieser Indikation mit einer Monotherapie mit einem P2Y12-Inhibitor (Clopidogrel, Prasugrel oder Ticagrelor) verglichen wurde. Erfasst wurden insgesamt 24325 Patienten aus sieben Studien, von denen 12178 einen P2Y12-Inhibitor (Clopidogrel: n=7545, 62,0%; Ticagrelor: n=4633, 38,0%) und 12147 Aspirin erhielten. Die mediane Behandlungsdauer lag bei 557 Tagen.
Das Risiko für den primären Wirksamkeitsendpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall war unter Therapie mit einem P2Y12-Inhibitor im Vergleich zu Aspirin um signifikante 12% reduziert (5,5% vs. 6,3%; HR: 0,88; 95% CI: 0,79–0,97; p=0,014). Damit liegt die Number Needed to Treat, um ein Ereignis zu verhindern, bei 123 Patienten. Dieser Vorteil lag aber nicht im erhöhten Risiko für Blutungen (1,2% vs. 1,4%; HR: 0,87; 95% CI: 0,70–1,09; p=0,23). Insbesondere das Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden, war unter P2Y12-Inhibitor-Therapie reduziert (2,3% vs. 3,0%; HR: 0,77; 95% CI: 0,66–0,90; p<0,001).
„Die Ergebnisse unserer Analyse, die die gesamte verfügbare Evidenz zu dieser Frage aus randomisierten Studien umfasste, stellen die Rolle von Aspirin in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse infrage und sollten zu einem Paradigmenwechsel in Richtung des Einsatzes einer Monotherapie mit einem P2Y12-Inhibitor für das langfristige antithrombotische Management der koronaren Herzerkrankung führen“, kommentierte Studienautor Valgimigli.
Quellen:
Hot Line Session 5: „PACIFIC-AMI - efficacy and safety of factor XIa inhibitor asundexian on top of dual antiplatelet therapy after acute myocardial infarction“, „PACIFIC-STROKE - phase 2 Program of AntiCoagulation via Inhibition of FXIa by the oral Compound BAY 2433334 – non cardioembolic STROKE study“ und „AXIOMATIC-SSP: Antithrombotic treatment with factor XIa inhibition to Optimize Management of Acute Thromboembolic events for Secondary Stroke Prevention“ sowie Hotline Session 9: „P2Y12 inhibitor versus aspirin monotherapy in patients with coronary artery disease“ im Rahmen des ESC 2022 am 28. und 29.August in Barcelona
Literatur:
1 Chen Z et al.: Inhibition of factor XI activity as a promising antithrombotic strategy. Drug Discov Today 2014; 19(9): 1435-9 2 Bane CE Jr, Gailani D: Factor XI as a target for antithrombotic therapy. Drug Discov Today 2014; 19(9): 1454-8 3 Schumacher WA et al.: Inhibition of factor XIa as a new approach to anticoagulation. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2010; 30: 388-92 4 Löwenberg EC et al.: Coagulation factor XI as a novel target for antithrombotic treatment. J Thromb Haemost 2010; 8(11): 2349-57 5 Rao SV et al.: A multicenter, phase 2, randomized, placebo-controlled, double-blind, parallel-group, dose-finding trial of the oral factor XIa inhibitor asundexian to prevent adverse cardiovascular outcomes following acute myocardial infarction. Circulation 2022; published online
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