
Eine Tour d’Horizon durch die Kardiologie
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Nicht nur der ESC-Kongress fand in diesem Jahr virtuell statt, sondern auch das Swiss ESC Update. Im Rahmen einer mehrstündigen Online-Session präsentierten Spezialisten aus den verschiedenen Landesteilen der Schweiz ihre Highlights des europäischen Kardiologenkongresses.
Herzinsuffizienztherapie
SGLT2-Inhibitoren
Die erste Zusammenfassung lieferte Prof. Dr. med. Otmar Pfister, Leiter ambulante Kardiologie am Universitätsspital Basel (USB), mit Studien aus den Bereichen Herzinsuffizienz (HF) und hypertrophe Kardiomyopathie. Mit Spannung war die Präsentation der Ergebnisse der EMPEROR-Reduced-Studie am ESC-Kongress erwartet worden. Schon länger ist bekannt, dass die SGLT2-Inhibitoren (SGLT2-I) das kardiovaskuläre (CV) und renale Outcome von Patienten mit Diabetes mellitus (DM) positiv beeinflussen. Im letzten Jahr hatte der DAPA-HF-Trial gezeigt, dass der SGLT2-I Dapagliflozin die CV bedingten Todesfälle und die HF-bedingten Hospitalisationen bei Patienten mit HFrEF («heart failure with reduced ejection fraction») auch dann reduzierte, wenn die Patienten nicht an einem DM erkrankt waren.1 Die EMPEROR-Reduced-Studie hat nun untersucht, ob die Behandlung der HFrEF mit dem SGLT2-I Empagliflozin (10mg/d) zu einem vergleichbaren Effekt führt.2 «Die rund 3700 Patienten waren im Durchschnitt kränker als in der DAPA-HF-Studie», sagte Pfister. Die linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF) war niedriger, die NT-pro-BNP-Werte höher und die Nierenfunktion stärker eingeschränkt. Die Erwartungen der Kongressteilnehmer wurden nicht enttäuscht. Wie sich nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 16 Monaten zeigte, war das relative Risiko für einen CV bedingten Tod oder eine HF-bedingte Hospitalisation (primärer Endpunkt) bei den mit Empagliflozin behandelten Patienten um 25% niedriger als unter Placebo (p<0,001). Zudem konnte die Abnahme der glomerulären Filtrationsrate gegenüber Placebo durch die Behandlung mit Empagliflozin um 50% reduziert werden (p<0,001). Auch in dieser Studie trat der Effekt unabhängig von einem DM auf. «Der ‹one dose fits all approach› in der Studie demonstriert die einfache Handhabung der SGLT2-I», so Pfister. Aus Sicht des Experten ist es naheliegend, dass zukünftige Herzinsuffizienz-Guidelines die SGLT2-I als zusätzliche Standardtherapie bei Patienten mit HFrEF empfehlen werden.
Sacubitril/Valsartan bei HFmrEF und HFpEF
Die Suche nach Medikamenten, mit denen die Mortalität und Morbidität der Herzinsuffizienz mit moderat reduzierter (HFmrEF) oder erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) gesenkt werden können, geht ebenfalls weiter. «Etwa die Hälfte aller HF-Patienten, die wir in der Praxis sehen, leidet an einer HFmrEF oder HFpEF», sagte der Spezialist. In der PARALLAX-Studie wurde über 6 Monate die Behandlung mit dem ARNI (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor) Sacubitril/Valsartan (S/V) mit einer optimierten individuellen medikamentösen Therapie (IMT) bei ca. 2570 Patienten mit symptomatischer HF und einer EF >40% verglichen.3 Wie die Ergebnisse zeigten, konnte das NT-proBNP 12 Wochen nach dem Behandlungsbeginn bei den mit S/V behandelten Patienten um 16,4% und damit im Vergleich zur IMT signifikant reduziert werden (p<0,0001). Bezüglich der klinischen Symptomatik und der Lebensqualität zeigte sich 24 Wochen nach dem Behandlungsbeginn kein Unterschied zwischen den beiden Therapien. Unklar ist auch, wie gross der Behandlungseffekt von S/V bei Patienten mit einer HFpEF (EF >55%) ist. Erwähnenswert ist gemäss Pfister eine Post-hoc-Analyse der Studie, in der die Wahrscheinlichkeit, an einem CV Ereignis zu sterben oder infolge HF hospitalisiert zu werden, durch die Behandlung mit S/V deutlich reduziert werden konnte.
Durchbruch in der Therapie der HOCM?
Pfisters persönlicher Favorit am diesjährigen ESC-Kongress war die EXPLORER-HCM-Studie.4 In die bislang grösste randomisierte Studie zur hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie (HOCM) wurden 251 Patienten mit einem linksventrikulären Ausflusstraktgradienten (LVOT) von ≥50mmHg eingeschlossen, die zusätzlich zu ihrer üblichen Behandlung für 30 Wochen mit Mavacamten oder Placebo behandelt wurden. Mavacamten ist der erste Kandidat der neuen Substanzklasse der Myosin-ATPase-Inhibitoren und reduziert die bei einer HOCM vermehrt vorhandenen Myosin-Actin-Querbrückenverbindungen, die im Verlauf der Erkrankung zur Hyperkontraktibilität führen. Wie die Ergebnisse zeigten, kam es unter der Behandlung mit Mavacamten bei signifikant mehr Patienten zu einer Zunahme der maximalen Sauerstoffaufnahme (pVO2) und einem Anstieg der NYHA-Klasse als unter Placebo (37% vs. 17%; primärer Endpunkt). Auch der LVOT-Gradient nach Anstrengung und die Lebensqualität konnten im Vergleich zu Placebo unter Mavacamten deutlich verbessert werden. «Bei etwa der Hälfte der Patienten hat sich die Obstruktion im LVOT durch die Behandlung mit Mavacamten zurückgebildet», sagte der Spezialist. Daneben wurden klinisch bedeutsame Reduktionen von NT-proBNP und kardialem Troponin I beobachtet. Die Behandlung mit dem Myosin-ATPase-Inhibitor scheint gut verträglich zu sein. «Bei einigen Patienten hat sich die linksventrikuläre Auswurffraktion unter der Behandlung verschlechtert», berichtete Pfister. Dieser Effekt sei nach Behandlungsstopp aber reversibel gewesen. Bislang gab es keine spezifische Behandlung für Patienten mit HOCM. Basierend auf den Ergebnissen des EXPLORER-HCM-Trials hat die FDA Mavacamten als Durchbruch in der Behandlung der HOCM bezeichnet.
Vorhofflimmern
Frühe Rhythmuskontrolle doch von Vorteil?
Die Ergebnisse der EAST-AFNET-4-Studie könnten die aktuelle Behandlungsstrategie bei Vorhofflimmern (VHF) verändern.5 Die komplexe multizentrische Untersuchung hat den Einfluss der frühen Rhythmuskontrolle auf das CV Outcome bei Patienten mit VHF untersucht. Eingeschlossen waren insgesamt 2789 Patienten ≥75 Jahre mit einem CHA2DS2-VASc-Score ≥2, bei denen vor weniger als 12 Monaten ein VHF diagnostiziert worden war. Die Patienten wurden entweder mit einer frühen Frequenzkontrolle mittels Antiarrhythmika oder Katheterablation oder gemäss dem heutigen Standard symptomatisch behandelt. Nach einem mittleren Follow-up von 5,1 Jahren pro Patient wurde die Studie vorzeitig gestoppt. Der zusammengesetzte primäre Endpunkt (CV Tod, Schlaganfall oder Hospitalisation aufgrund von HF oder akutem Koronarsyndrom) war bei 249 Patienten mit einer frühen Rhythmuskontrolle und damit bei signifikant weniger Patienten als in der Standardgruppe (316) aufgetreten (HR: 0,79; p=0,005). Die Hospitalisationsdauer (sekundärer Endpunkt) war in beiden Gruppen vergleichbar lang. Auch bezüglich der Sicherheit zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den verglichenen Therapien. Am Ende der Studie befanden sich 80% der Patienten im Rhythmuskontrollarm und 60% unter Standardtherapie im Sinusrhythmus.
Die Studienergebnisse werden gemäss Prof. Dr. med. Christian Sticherling, Leiter Elektrophysiologie am USB, viel zu diskutieren geben. Die heutige Behandlungsstrategie basiert u.a. auf den Ergebnissen der AFFIRM-Studie, die gezeigt hat, dass die Rhythmuskontrolle im Vergleich zur Frequenzkontrolle keinen Überlebensvorteil bei Patienten mit VHF bringt.6 In der EAST-AFNET-4-Studie konnte die Prognose der Patienten durch eine frühzeitige Rhythmuskontrolle positiv beeinflusst werden. Als Gründe für die unterschiedlichen Resultate bezüglich des Outcomes nannte der Spezialist die gute Behandlung der Risikofaktoren und der Begleiterkrankungen, die besseren Kenntnisse im Umgang mit Antiarrhythmika und den frühen Behandlungsbeginn in der EAST-AFNET-4-Studie. Die Frage hinsichtlich der Rhythmuskontrolle bei asymptomatischen Patienten könne durch die Studie zwar nicht vollständig beantwortet werden. «Die Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass es aus pathophysiologischen Gründen Sinn macht, den Sinusrhythmus früh und auch bei asymptomatischen Patienten wiederherzustellen», so Sticherling. Dies gelte vor allem für junge Patienten mit VHF.
Katheterablation vs. thorakoskopische chirurgische Ablation
Neben der Katheterablation (CA, «catheter ablation») existiert die Möglichkeit einer thorakoskopisch durchgeführten epikardialen Ablation bei VHF. Nach den vielversprechenden Ergebnissen kleinerer Studien wurde in der CASA-AF-Studie untersucht, ob das chirurgische Vorgehen (SA, «surgical ablation») bei Patienten mit persistierendem VHF der CA überlegen ist.7 Wie die Aufzeichnungen des Loop-Recorders nach 12 Monaten zeigten, waren 26% der Patienten nach SA und 28% nach CA ohne zusätzliche Behandlung mit Antiarrhythmika frei von Episoden eines VHF oder einer Vorhoftachykardie von ≥30sec Dauer (primärer Endpunkt). Sowohl die SA (67%) wie auch die CA (77%) führten zu einer substanziellen Verbesserung der klinischen Symptomatik (Reduktion der VHF-Last ≥75%) bei den untersuchten Patienten. Verglichen mit der CA führte die SA zu längeren Spitalaufenthalten, generierte höhere Kosten und verursachte mehr schwere Komplikationen. Basierend auf den Ergebnissen der Studie empfehlen die Autoren, die Katheterablation weiterhin als bevorzugte Methode zur Ablation bei persistierendem VHF einzusetzen.
Covid-19 und das Herz
Seitdem bekannt ist, dass das neue Coronavirus (SARS-CoV-2) den ACE2-Zellrezeptor als Eintrittspforte nutzt, wird die Fachwelt von der Frage umgetrieben, ob die Einnahme von RAAS-Blockern wie ACE-Inhibitoren (ACE-I) oder AT-II-Rezeptorblockern (ARB) das Risiko für Covid-19 erhöht oder zu schweren Krankheitsverläufen führt. Eine erste Metaanalyse aus Wuhan mit vier Studien hat jedoch auf einen möglichen protektiven Effekt der RAAS-Blockade hingewiesen8 und verschiedene kardiologische Fachgesellschaften haben empfohlen, die Behandlung mit ACE-I/ARB fortzusetzen. Mit der Studie BRACE-Corona wurden am ESC nun die Ergebnisse der ersten randomisierten kontrollierten Studie zu dieser Fragestellung präsentiert.9 In die multizentrische Studie wurden 695 Patienten eingeschlossen, deren chronische ACE-I/ARB-Behandlung nach der Hospitalisierung mit Covid-19 entweder fortgesetzt oder für die Dauer von 30 Tagen suspendiert wurde. Wie die Ergebnisse zeigten, unterschieden sich die verglichenen Therapiestrategien hinsichtlich des klinischen Outcomes (mittlere Überlebensdauer und Spitalentlassung nach 30 Tagen) nicht voneinander. «Die Studiendaten unterstützen die Empfehlung, die Therapie mit RAAS-Inhibitoren auch bei einer Covid-19-Erkrankung fortzuführen», sagte Dr. med. Raphael Twerenbold, Oberarzt invasive Kardiologie am USB. Limitationen der Studie sind das kurze Follow-up und der vermehrte Einschluss von Patienten mit einem niedrigen Risiko.
Neben der Myokardischämie führen auch diverse andere Ursachen, wie beispielsweise eine Anämie oder Hypoxämie, zu einer Erhöhung des kardialen Troponins mit Werten >99. Perzentile. Bei Patienten mit Covid-19 können erhöhte Troponinkonzentrationen als Folge der direkten Myokardschädigung, der Hypoxämie infolge respiratorischen Versagens oder des Zytokinsturms bei einer überschiessenden Entzündungsreaktion auftreten. Dabei hat sich gezeigt, dass mit dem Schweregrad von Covid-19 auch die Prävalenz einer Myokardschädigung zunimmt. Zu diesem Schluss kommt auch eine Untersuchung von 1200 Patienten mit Verdacht auf Covid-19, die in die Basler COVIVA-Studie (COronaVIrus surviVAl) eingeschlossen wurden. Allerdings waren in der Kontrollgruppe von SARS-CoV-2-negativen Patienten, die innerhalb desselben Untersuchungszeitraums ebenfalls wegen Dyspnoe auf der Notfallstation vorstellig wurden, vergleichbare Raten von Myokardschädigungen zu finden. «Es bleibt daher unklar, ob die Myokardschädigung spezifisch ist für Covid-19 oder lediglich unspezifischer Ausdruck einer schweren Erkrankung», so Twerenbold. Werte für kardiales Troponin, die die 99. Perzentile bis um das 3- bis 4-Fache überschreiten, lassen sich durch eine schwere Covid-19-Erkrankung erklären. Markant höhere Werte weisen dagegen unverändert auf einen akuten Myokardinfarkt (MI), eine Myokarditis oder ein Tako-Tsubo-Syndrom hin. Der Spezialist empfahl zur Untersuchung von Covid-19-Patienten Standard-Tools wie Anamnese und klinische Untersuchung, die Bestimmung von Biomarkern und das EKG einzusetzen. Bei fehlender Übereinstimmung zwischen den Untersuchungsergebnissen und der klinischen Präsentation sollte eine weiterführende kardiologische Abklärung, beispielsweise mittels Echokardiografie erfolgen.
Akutes und chronisches Koronarsyndrom
Colchicin bei chronischem Koronarsyndrom
Zu den Hot Topics des ESC-Kongresses zählten auch die Ergebnisse der LoDoCo2-Studie,10 in welcher Colchicin (0,5mg/d) in der Behandlung von circa 5500 Patienten mit einem chronischen Koronarsyndrom mit Placebo verglichen wurde. Wie sich nach einem mittleren Follow-up von 28 Monaten zeigte, reduzierte Colchicin das relative Risiko für den zusammengesetzten primären Endpunkt (CV Tod, MI, ischämischer Schlaganfall und Ischämie-bedingte Revaskularisation) um 31%. Der sekundäre Hauptendpunkt (CV Tod, MI oder ischämischer Schlaganfall) wurde in einem vergleichbaren Ausmass reduziert. Ende 2019 hatten die Ergebnisse der COLCOT-Studie gezeigt, dass das Risiko für ischämische Ereignisse bei Patienten nach akutem MI durch eine niedrig dosierte Colchicinbehandlung signifikant reduziert werden konnte.11 Beide Studien verstärken die Hypothese, dass die Entzündung eine wichtige Rolle bei der Atherogenese spielt. «Es ist zu früh, um Colchicin routinemässig zur Sekundärprophylaxe von CV Ereignissen einzusetzen», sagte Prof. Dr. med. Marco Roffi, Chairman des ESC-Kongresses 2019/2020 und stellvertretender Klinikdirektor für Kardiologie am Universitätsspital Genf. «Wir sind gespannt, welchen Stellenwert Colchicin in den ESC-Richtlinien zur CV Prävention haben wird, die im nächsten Jahr veröffentlicht werden sollen», sagte der Spezialist.
Liberale Transfusionsstrategie bei akutem MI und Anämie ohne Vorteile
Bislang herrschte Unsicherheit darüber, ob man Patienten mit Anämie und akutem MI mittels Bluttransfusion behandeln sollte. Die im Rahmen des ESC-Kongresses vorgestellten, aktualisierten Guidelines zum Management des MI ohne ST-Strecken-Hebung raten aufgrund fehlender adäquater Studien und inkonsistenter Resultate zu einem restriktiven Umgang mit Bluttransfusionen. Diese Empfehlung wurde durch die Ergebnisse der REALITY-Studie unterstützt, die 630 Patienten mit einem Hb-Wert zwischen 7 und 10g/dl und akutem MI untersucht hat.12 Die Patienten wurden entweder mit einem liberalen oder restriktiven Therapieschema behandelt. Unter dem liberalen Therapieschema wurden Erythrozytenkonzentrate ab einem Hb ≤10g/dl verabreicht mit einem Hb-Zielwert >11g/dl. Im restriktiven Behandlungsschema wurde die Indikation zur Transfusion bei einem Hb-Wert ≤8g/dl gestellt und der Hb-Zielwert lag in dieser Gruppe bei 8–10g/dl. Wie sich nach einem Follow-up von 30 Tagen zeigte, war die restriktive der liberalen Behandlungsstrategie hinsichtlich des primären Endpunkts (Gesamtmortalität, Reinfarkt, Schlaganfall und Ischämie-bedingte Notfall-Revaskularisation) nicht unterlegen (11% vs. 14%, p=0,05).
Keine Vorteile für DAPT
Die POPular-CABG-Studie untersuchte, ob eine duale Plättcheninhibition (DAPT) mit ASS plus Ticagrelor bei Patienten nach koronarer Bypasschirurgie (CABG) der heutigen Standard-Monotherapie mit ASS überlegen ist.13 Primärer Studienendpunkt war der mittels Koronar- oder CT-Angiografie dokumentierte Verschluss des Vena-saphena-magna-Bypasses nach einem Jahr. «Dabei konnte gezeigt werden, dass durch die zusätzliche Behandlung mit Ticagrelor keine Reduktion der Bypassverschlüsse erzielt wurde», so Roffi.
Keinen nennenswerten Unterschied bezüglich des primären Endpunktes (vaskuläre Todesursache, MI, Schlaganfall oder Blutung [BARC 3, 4, 5]) zeigte die Verabreichung des P2Y12-Inhibitors Ticagrelor vor (Upstream-Strategie) oder während (Downstream-Strategie) der PCI auch in der DUBIUS-Studie.14 Die in Italien durchgeführte, multizentrische, randomisierte Open-Label-Studie wurde wegen ungenügender Wirkung («futility») vorzeitig abgebrochen und weist diverse Limitationen auf. «Trotzdem decken sich die Resultate mit den Empfehlungen der aktualisierten NSTE-ACS-Guidelines der ESC», sagte Roffi. Diese empfehlen keine Routinebehandlung mit P2Y12-I bei Patienten mit unbekannter Koronaranatomie, bei denen eine frühe Intervention geplant ist.
Fragen rund um TAVI
«Patienten mit perkutanem Aortenklappenersatz (TAVI) stellen eine Hochrisikopopulation für Blutungskomplikationen und ischämische oder thrombotische Ereignisse dar», sagte Prof. Dr. med. Christoph Kaiser, Leiter interventionelle Kardiologie am USB. Dennoch sei man sich über die optimale antithrombotische Therapie unklar. Die POPular-TAVI-Studie hatte den Effekt einer einfachen antithrombotischen Therapie (ASS 80–100mg/d) bei rund 700 Patienten nach TAVI ohne Indikation für eine Langzeitantikoagulation mit einer DAPT (ASS 80–100mg/d plus Clopidogrel 75mg/d) verglichen.15 Die Behandlungsdauer betrug in beiden Gruppen 3 Monate. Wie die Ergebnisse zeigten, war die Gesamtzahl der Blutungen und die Zahl der Blutungen ohne Zusammenhang mit der Intervention (primäre Endpunkte) unter der DAPT signifikant höher als unter ASS (Abb. 1). Das Gleiche galt für den aus Blutungskomplikationen und ischämischen Ereignissen zusammengesetzten sekundären Endpunkt. Betreffend die Häufigkeit rein ischämischer Ereignisse (zweiter sekundärer Endpunkt) unterschieden sich die verglichenen Therapien nicht voneinander. Damit wurde gezeigt, dass eine antithrombotische Therapie mit ASS im Vergleich zur DAPT die Blutungsrate bei Patienten nach TAVI und fehlender Indikation für eine orale Antikoagulation reduziert, ohne dass es zu einer Zunahme thrombotischer Ereignisse kommt.

Abb. 1: Antithrombotische Monotherapie (ASS 80–100mg/d) versus DAPT (ASS 80–100mg/d plus Clopidogrel 75mg/d) nach TAVI. A: Gesamtzahl der Blutungen; B: Anzahl Blutungen ohne Zusammenhang mit der Intervention (adaptiert nach Brouwer et al.)15
Die POPular-TAVI-Studie wurde mit zwei Kohorten durchgeführt. Die Ergebnisse der Kohorte B wurden bereits Anfang des Jahres im «New England Journal of Medicine» publiziert.16 In die Studie waren Patienten eingeschlossen worden, die vor der TAVI eine orale Antikoagulation (OAK) mit DOAK oder Vitamin-K-Antagonisten erhalten hatten. Nach der Intervention wurden die OAK fortgesetzt oder die Patienten wurden für 3 Monate zusätzlich mit Clopidogrel behandelt. Auch in dieser Patientenpopulation zeigte sich, dass die alleinige OAK im Vergleich zu OAK plus Clopidogrel das Blutungsrisiko reduzierte, ohne dass es zu einer Zunahme der ischämisch-thrombotischen Ereignisse gekommen wäre.
Am ESC-Kongress wurde auch intensiv diskutiert, ob Patienten mit einer schweren Aortenstenose und einem niedrigen Operationsrisiko mittels TAVI behandelt werden sollten. Entzündet hatte sich die Debatte nach der Publikation zweier randomisierter kontrollierter Studien im Mai 2019. Diese hatten gezeigt, dass die TAVI dem chirurgischen Klappenersatz in Bezug auf den primären Endpunkt (Tod, Schlaganfall oder Rehospitalisierung nach einem Jahr) nicht unterlegen war.17, 18 Prof. Giuseppe Tarantini von der Universität Padova und Befürworter der Strategie, Patienten einem niedrigen Operationsrisiko mittels TAVI zu behandeln, erklärte die TAVI sei heute bei älteren Patienten (>80 Jahre) mit niedrigem Risiko bereits Goldstandard und bei vereinzelten jüngeren Patienten (<75 Jahren) mit niedrigem Risiko sei sie mit der chirurgischen Therapie vergleichbar oder dieser sogar überlegen. Allerdings benötige man noch Studien mit einem längeren Follow-up. Sein Opponent, Prof. Volkmar Falk von der Berliner Charité, hatte eine etwas andere Sichtweise. Er erinnerte daran, dass ca. 15–30% der ursprünglich gescreenten Low-Risk-Patienten von den Studien ausgeschlossen worden waren, da sie für eine TAVI ungeeignet waren. Zudem konnte Falk anhand von Daten des deutschen Aortenklappen-Registers (GARY) demonstrieren, dass die Mortalität und die Komplikationsrate unter realen Bedingungen höher sind als unter kontrollierten Studienbedingungen.19
Die PARTNER-3-Studie hat zwar gezeigt, dass die Mortalität und das Auftreten von Schlaganfällen ein Jahr nach TAVI signifikant niedriger war als nach dem chirurgischen Klappenersatz. «Danach kam es aber zu einer kontinuierlichen Annäherung der Kurven, sodass die Unterschiede am Ende der 2-jährigen Beobachtungszeit nicht mehr signifikant waren», so Kaiser im Rahmen des Swiss ESC Update.20.
Bis zum Vorliegen von Studien mit längeren Beobachtungszeiten gilt bei jüngeren Patienten gemäss Falk der chirurgische, insbesondere der mechanische Klappenersatz als State of the Art. Bei älteren Patienten (>65 Jahre) sind chirurgisch eingesetzte Bioklappen die erste Wahl, während die TAVI eine Alternative für nicht operable Patienten darstellt. Bei Patienten mit einem niedrigen Risiko, die über 75 Jahre alt sind, könne man wählen, zwischen TAVI und dem chirurgischen Einsatz einer biologischen Herzklappe.
Neue Daten zu Nephroprotektion, arterieller Hypertonie und Dyslipidämie
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Studien zum Management von CV Risikofaktoren lieferte Dr. med. Thilo Burkard, stv. Chefarzt der medizinischen Poliklinik am USB. Neben den Resultaten der Studie EMPEROR-Reduced wurden am ESC-Kongress auch die Ergebnisse des DAPA-CKD-Trials präsentiert. Dieser hat untersucht, welchen Effekt die Behandlung mit dem SGLT2-I Dapagliflozin auf die chronische Nierenerkrankung (CKD) bei Patienten mit oder ohne Typ-2-Diabetes hat.20 Die Studie wurde aufgrund der überlegenen Wirksamkeit von Dapagliflozin vorzeitig gestoppt. Wie die Ergebnisse zeigten, konnte das relative Risiko für das Eintreten des primären Endpunkts (anhaltende Abnahme der eGFR ≥50%, terminale Nierenerkrankung (ESRD), renal oder CV bedingter Tod) nach einer mittleren Behandlungsdauer von 2,4 Jahren im Vergleich zu Placebo mit Dapagliflozin (10mg/d) um 39% reduziert werden (p<0,001). Die Behandlung mit dem SGLT2-I führte darüber hinaus zu einer signifikanten Abnahme der CV Todesfälle und HF-bedingten Hospitalisationen (sekundärer Endpunkt; HR: 0,71; p=0,0089). Die Effekte traten unabhängig von einem DM2 auf. «Eine Zunahme des Hypoglykämierisikos bei Patienten ohne DM2 wurde in der Studie nicht beobachtet», so Burkard.
Die medikamentöse Behandlung der arteriellen Hypertonie ist ein effektives Instrument der CV Prävention. Wie eine aktuelle Metaanalyse des BPLTT-Konsortiums zeigt, senkt eine antihypertensive Therapie das CV Risiko nicht nur bei Patienten mit erhöhten Blutdruckwerten, sondern auch bei Probanden mit normalem Blutdruck.21 In die Metaanalyse waren die Daten von rund 350000 Probanden aus 48 klinischen Studien eingeflossen. Die Studienteilnehmer waren abhängig vom Vorhandensein oder Fehlen einer CV Erkrankung in zwei Gruppen unterteilt und anschliessend basierend auf dem systolischen Blutdruck zu Studienbeginn in 7 Subgruppen stratifiziert worden. Wie die Resultate nach einem durchschnittlichen Follow-up von 4 Jahren zeigten, konnte das relative Risiko für CV Ereignisse pro 5mmHg Abnahme des systolischen Blutdrucks um circa 10% reduziert werden. Die relative Risikoreduktion zeigte sich über alle Blutdruck-Strata hinweg und war unabhängig davon, ob die Patienten bereits an einer CV Erkrankung litten oder nicht. Die Autoren empfehlen deshalb, die antihypertensive Therapie nicht von der Diagnose einer arteriellen Hypertonie und dem Vorliegen einer CV Erkrankung abhängig zu machen, sondern zur Risikomodifikation beispielsweise auch bei Patienten mit hohem CV Risiko oder hochnormalem Blutdruck einzusetzen.
Ein neuer und vielversprechender Wirkungsmechanismus zur Behandlung der Dyslipidämie ist die Hemmung von Angiopoetin-like 3 (ANGPTL3). Dabei handelt es sich um ein Protein, das von der Leber sezerniert wird und zur Hemmung der Enzyme Lipoproteinlipase und Endothelinlipase führt. «Personen mit einer ANGPTL3-Funktionsverlustmutation weisen niedrigere Cholesterin- und Triglyzeridwerte und ein bis zu 40% niedrigeres Risiko für eine koronare Herzerkrankung auf als Personen ohne diese Mutation», so Burkard. Vor wenigen Wochen sind im «New England Journal of Medicine» die Ergebnisse einer Studie mit Evinacumab, einem monoklonalen Antikörper gegen ANGPTL3, bei Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie erschienen.22 Diese zeigten etwa eine Halbierung des LDL-C und der Triglyzeride unter Evinacumab.
Am ESC-Kongress wurden die Ergebnisse einer Phase-II-Studie mit dem «antisense» Oligonukleotid Vupanorsen vorgestellt. Diese zeigten, dass der ANGPTL3-Inhibitor die Triglyzeride bei Patienten mit Hypertriglyzeridämie, DM2 und hepatischer Steatose um bis zu 50% reduzierte.23
Bericht:
Regina Scharf, MPH
Redaktorin
Quelle:
digital Swiss ESC Update.20, 3. September 2020
Literatur:
1 McMurray JJV et al.: Dapagliflozin in patients with heart failure and reduced ejection fraction. N Engl J Med 2019; 381: 1995-2008 2 Packer M et al.: Cardiovascular and renal outcomes with empagliflozin in heart failure. N Engl J Med 2020; 383: 1413-24 3 Pieske B et al.: Angiotensin receptor neprilysin inhibition compared with individualized medical therapy for comorbidities in patients with heart failure and preserved ejection fraction: the PARALLAX trial. Presented at ESC Congress 2020 4 Olivotto I et al.: Mavacamten for treatment of symptomatic obstructive hypertrophic cardiomyopathy (EXPLORER-HCM): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 2020; 396: 759-69 5 Kirchhof P et al.: Early rhythm-control therapy in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2020; 383: 1305-16 6 Wyse DG et al.: A comparison of rate control and rhythm control in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2002; 347: 1825-33 7 Haldar S et al.: Catheter ablation vs. thoracoscopic surgical ablation in long-standing persistent atrial fibrillation: CASA-AF randomized controlled trial. Eur Heart J 2020 [epub ahead of print] 8 Gao C et al.: Association of hypertension and antihypertensive treatment with COVID-19 mortality: a retrospective observational study. Eur Heart J 2020; 41: 2058-66 9 Lopes RD et al.: The BRACE CORONA trial. Presented at ESC Congress 2020 10 Nidorf SM et al.: Colchicine in patients with chronic coronary disease. N Engl J Med 2020 [epub ahead of print] 11 Tardif JC et al.: Efficacy and safety of low-dose colchicine after myocardial infarction. N Engl J Med 2019; 381: 2497-505 12 Steg PG et al.: Randomized trial of transfusion strategies in patients with myocardial infarction and anemia – REALITY. Presented at ESC Congress 2020 13 Willemsen LM et al.: Effect of adding ticagrelor to standard aspirin on saphenous vein graft patency in patients undergoing coronary artery bypass grafting (POPular CABG): a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Circulation 2020; 142: 1799-807 14 Tarantini G et al.: Timing of oral P2Y12 inhibitor administration in Nnn-ST elevation acute coronary syndrome. J Am Coll Cardiol 2020 [epub ahead of print] 15 Brouwer J et al.: Aspirin with or without clopidogrel after transcatheter aortic-valve implantation. N Engl J Med 2020; 383: 1447-57 16 Nijenhuis VJ et al.: Anticoagulation with or without clopidogrel after transcatheter aortic-valve implantation. N Engl J Med 2020; 382: 1696-707 17 Mack MJ et al.: Transcatheter aortic-valve replacement with a balloon-expandable valve in low-risk patients. N Engl J Med 2019; 380: 1695-705 18Jeffrey J et al.: Transcatheter aortic-valve replacement with a self-expanding valve in low-risk patients. N Engl J Med 2019; 380: 1706-15 19 Bekeredjian R et al.: Patients at low surgical risk as defined by the Society of Thoracic Surgeons Score undergoing isolated interventional or surgical aortic valve implantation: in-hospital data and 1-year results from the German Aortic Valve Registry (GARY). Eur H J 2019; 40: 1323-30 20 Heerspink HJL et al.: Dapagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med 2020; 383: 1436-46 21 Rahimi K et al.: Pharmacological blood pressure-lowering for primary and secondary prevention of cardiovascular disease across different levels of blood pressure: an individual participant meta-analysis of 48 randomized clinical trials and 348,854 participants. Presented at ESC Congress 2020 22 Raal FJ et al.: Evinacumab for homozygous familial hypercholesterolemia. N Engl J Med 2020; 383: 711-20 23 Gaudet D et al.: Vupanorsen, an N-acetyl galactosamine-conjugated antisense drug to ANGPT3mRNA, lowers triglycerides and atherogenic lipoproteins in patients with diabetes, hepatic steatosis, and hypertriglyceridaemia. Eur Heart J 2020 [epub ahead of print]
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