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Deutschland: Versorgungsprogramme bei Herzinsuffizienz
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Stefan Störk, PhD
Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz<br> Universitätsklinikum und Universität Würzburg<br> E-Mail: stoerk_s@ukw.de
30
Min. Lesezeit
07.09.2017
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<p class="article-intro">In der vorigen Ausgabe der JATROS Kardiologie und Gefäßmedizin wurde das Disease-Management- Programm (DMP) HerzMobil in Tirol vorgestellt. Im vorliegenden Artikel möchte ich erläutern, wie sich die Situation in Deutschland darstellt. Mit HeartNetCare-HF™ zeichnet sich die Möglichkeit der Nutzung eines wirkungsvollen und evaluierten DMP ab.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In Deutschland wird das DMP KHK-Herzinsuffizienz angeboten und im Wesentlichen vom Allgemeinarzt durchgeführt, adressiert aber nur einen kleinen Teil der Herzinsuffizienzpatienten.</li> <li>Die Situation stellt sich als „mangelnde strukturierte Kooperation der Versorger über die Versorgungssektoren hinweg, gepaart mit einer nicht zielführenden Vergütung“ dar.</li> <li>Am Deutschen Zentrum Herzinsuffizienz Würzburg wurde daher das Betreuungsprogramm Herzinsuffizienz (HeartNetCare-HF™) entwickelt und im Rahmen einer randomisierten Multicenterstudie geprüft, extern validiert und auf Kurz- und Langzeiteffekte untersucht.</li> <li>Durch HeartNetCare-HF™ ergibt sich ein enormes gesundheitsökonomisches Potenzial für die Regelversorgung mit gleichzeitig signifikant reduziertem Mortalitätsrisiko, günstigen Effekten im Hinblick auf die NYHA-Klasse und verbesserter Lebensqualität für die Patienten.</li> </ul> </div> <h2>Status quo</h2> <p>Wir verstehen Herzinsuffizienz heute als komplexes internistisches Syndrom von epidemischem Ausmaß, das multikausal bedingt und deshalb nur multidisziplinär zu behandeln ist. In Deutschland betrifft Herzinsuffizienz bereits 4 % aller Erwachsenen (20 % der über 65-Jährigen). Herzinsuffizienz ist – nach der Diagnose „Entbindung“ – die häufigste Diagnose bei Krankenhausentlassung. Mehr als zwei Drittel dieser Hospitalisierungen betreffen Menschen, die mindestens 75 Jahre alt sind. Die Liegedauer bei Aufnahme wegen akuter Dekompensation hat seit dem Jahr 2000 um 4 Tage auf heute im Mittel 10 Tage abgenommen, bei gleichzeitig steigender Zahl an Herzinsuffizienz-bedingten Krankenhausaufenthaltstagen.<br /> Trotz therapeutischer Fortschritte ist die Diagnose einer Herzinsuffizienz mit einer nach wie vor hohen Mortalitätsrate assoziiert (ca. 10–20 % im ersten Jahr, ca. 50 % nach 4 Jahren) – maligner als die Prognose der meisten soliden Tumoren. Dies ist wesentlich mitbedingt durch die für herzinsuffiziente Patienten typischen multiplen Komorbiditäten, die nicht nur die Behandlung komplizieren, sondern auch wichtige Treiber von Rehospitalisierungen sind (die wiederum etwa zur Hälfte vermeidbar wären).<br /> Deutschland hat ein Hausarzt-zentriertes Gesundheitssystem. Die Neudiagnose einer Herzinsuffizienz wird in ca. 60 % aller Fälle im niedergelassenen Bereich gestellt und dort zu 94 % in allgemeinmedizinischen Praxen (also in der Regel ohne Echokardiografie). Auch im weiteren Behandlungskontext ist in Deutschland der Hausarzt führend in die Betreuung eingebunden: Ca. 84 % der Patienten mit Herzinsuffizienz werden in den beiden Folgejahren nach Erstdiagnose vorwiegend vom Hausarzt betreut. Diese Phase ist entscheidend, um die Therapie angepasst an die individuelle Situation des Patienten und den Schweregrad der Erkrankung zu optimieren. Umgekehrt wird gezeigt, dass ein initial instabiler (z.B. wegen Herzinsuffizienz hospitalisierter) Patient, der in der Folge optimiert versorgt wird, sich im Langzeitverlauf häufig stabilisiert und dann „ressourcenschonend“ weiterbetreut werden kann.<br /> Die aktuellen Leitlinien (ESC-HFA 2016) geben detaillierte Behandlungsempfehlungen. Dies erfordert eine in der Regel zeitintensive, vertiefte differenzialdiagnostische und therapeutische Auseinandersetzung mit dem einzelnen Patienten, wiederholte Therapieanpassungen und klinische, technische und laborchemische Kontrollen. Diese insbesondere initial sehr umfangreiche Versorgung sprengt die Zeitkontingente, die üblicherweise in der hausärztlichen Regelversorgung bereitgestellt werden können. Zudem wird die Ressource „Zeit“ nicht adäquat vergütet.<br /> Das segmentierte Versorgungssystem (Abb. 1) erschwert die Kooperation. Deutschlandweit existieren im Bereich der Herzinsuffizienzversorgung einige (wenige) Selektivverträge oder Disease-Management- Programme (DMP), die mehr oder weniger detailliert Betreuungsansätze zwar vorschlagen bzw. anwenden, diese aber nie randomisiert getestet haben. Das DMP KHK-Herzinsuffizienz wird seit einigen Jahren im Wesentlichen vom Allgemeinarzt angeboten und durchgeführt, adressiert aber nur eine kleine Fraktion des großen Herzinsuffizienzkollektivs. Belastbare Evaluationen liegen auch hier nicht vor.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1703_Weblinks_kardio_1703_s7_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="851" /></p> <h2>Forderungen an ein verbessertes Versorgungssystem</h2> <p>Die oben beschriebe Situation könnte summarisch als „mangelnde strukturierte Kooperation der Versorger über die Versorgungssektoren hinweg, gepaart mit einer nicht zielführenden Vergütung“ beschrieben werden.<br /> Wichtige Elemente des Defizits:</p> <ol> <li>Zu späte Diagnose einer Herzinsuffizienz</li> <li>Ungenügende bzw. zu wenig individuell angepasste Beratung herzinsuffizienter Patienten, insbesondere nach Erstdiagnose oder Krankenhausentlassung</li> <li>Mangelhafte Kommunikation bzw. Informationsaustausch zwischen entlassendem Krankenhaus und Patient bzw. nachversorgenden Instanzen (Entlassungsmanagement)</li> <li>Lückenhaftes Monitoring von Symptomen und klinischen Zeichen einer sich verschlechternden Herzinsuffizienz bzw. der komorbiden Faktoren und nachfolgend erhöhtes Rehospitalisierungsrisiko</li> <li>Risiken für Patientensicherheit aufgrund des Fehlens eines automatischen Abgleichs des Medikamentenplans unter allen Versorgern</li> <li>Fehlende elektronische Weiterübermittlung von entweder bereits elektronisch erhobenen oder auch Papier-basierten Informationen</li> <li>Fehlen eines abgestuften Versorgungsplanes, je nach Schwere und Komplexität des Krankheitsbildes</li> <li>Inadäquate Vergütung der Ressource „Zeit für den Patienten“</li> </ol> <h2>Beispiel HeartNetCare-HF™</h2> <p>Am Deutschen Zentrum Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI, www.dzhi.de) wurde ein Betreuungsprogramm Herzinsuffizienz (HeartNetCare-HF™) aufbauend auf einer Patientenbedürfnisanalyse interdisziplinär entwickelt, im Rahmen einer randomisierten Multicenterstudie (n=1022; Kontrollgruppe: Regelversorgung) geprüft, extern validiert und in Hinblick auf Kurz- und Langzeiteffekte untersucht. Geschultes Herzinsuffizienzpflegepersonal nahm die Patienten während der Hospitalisierung in das Programm auf (initiale Konsultation mit Angehörigen und Arzt) und betreute sie angepasst an den Schweregrad der Erkrankung für 12–18 Monate nach. Die Telefonate (1–4 pro Monat) umfassten ein standardisiertes Monitoring von Symptomen sowie kleine Schulungsvignetten (Dauer der Telefonate im Mittel 12min). Bei im Rahmen des DMP betreuten Patienten zeigten sich ein signifikant reduziertes Mortalitätsrisiko (–38 % ) bereits nach 6 Monaten sowie günstige Effekte im Hinblick auf NYHA-Klasse, Auftitration der leitliniengerechten Medikation, Lebensqualität und Beeinflussung der depressiven Stimmungslage. Langzeitauswertungen dieser Studie zeigen, dass sich nach Interventionsende ein Trend zu einem Mortalitätsbenefit fortschreibt und sich die Rehospitalisierungsrate nahezu halbiert. Aus diesem Ansatz ergibt sich ein enormes gesundheitsökonomisches Potenzial für die Regelversorgung.</p> <h2>Aus- und Weiterbildung des spezialisierten Personals</h2> <p>Am DZHI Würzburg werden in Kooperation mit der Heart Failure Association (HFA) der ESC seit 2009 regelmäßig Herzinsuffizienzschwestern/-pfleger ausgebildet (www.chfc.ukw.de/de/karriere/ hi-schwester.html; 3 Wochen Präsenz, 2 Tage Prüfung, im Intervall Betreuung von Herzinsuffizienzpatienten an der Heimatinstitution, Supervision durch Tutor). Seit 2017 wird komplementär der einwöchige Kurs für medizinische Fachangestellte von niedergelassenen Kardiologen bzw. Hausärzten angeboten. Auf diese Weise lässt sich ein Netz von Kommunikatoren schaffen, die die patienten- und versorgungsrelevanten Informationen über die Versorgungsebenen hinweg transportieren (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1703_Weblinks_kardio_1703_s8_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="1068" /></p> <h2>Risiken und Lösungen</h2> <p>Dem spezialisierten Personal könnte eine entscheidende Rolle in der Versorgung herzinsuffizienter Patienten zukommen. Allerdings konkurriert aus Sicht des Hausarztes diese Pflegekraft/MFA mit anderen nicht ärztlichen Dienstleistern wie z.B. Wundverband-, Diabetespflegekraft, Pflegedienst u.a. Hier besteht die Gefahr, dass Kompetenzen, Rechte und Pflichten unscharf verteilt werden. Damit der Hausarzt jederzeit optimal informiert ist, muss eine zentrale Kommunikationsplattform (elektronische Akte) allen Versorgern verfügbar gemacht werden. Dies schließt die automatische Übermittlung von Medikamentenplanänderungen ebenso ein wie bedarfsadaptiertes, möglicherweise zeitlich begrenztes Telemonitoring. Nach Stabilisierung sollte auch eine Eigenbeteiligung des Patienten an der Aufrechterhaltung des Versorgungssystems kein Tabu sein.<br /> Damit der Stellenwert dieser Lösungsansätze objektiv beurteilbar wird, müssen sie umsichtig in das jeweilige Gesundheitssystem integriert und längerfristig qualitätskontrolliert (aber mit vertretbarem Aufwand) begleitet werden. Die Modellregion Tirol hat in dieser Richtung bereits die entscheidenden Weichen gestellt.</p></p>